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Das Wort Cosplay setzt sich aus zwei Wörtern zusammen: „costume“ – also Kostüm – sowie „play“, spielen. Übersetzt man wörtlich mit „Kostümspiel“, bekommt man direkt den Eindruck, dass es vorwiegend um die aktive Darstellung geht. Doch meistens ist das nicht der Fall. Aber warum eigentlich?

Schaut man sich in der Cosplay-Szene um, findet sich der Fokus selbiger oftmals auf dem Kostüm und selten auf dem Ausspielen des Charakters. Erst wenn man noch genauer hinschaut, finden sich auch Elemente des darstellenden Spiels. Manch einer bemängelt diesen Zustand: dass man oft nach Spiel- oder Interaktionspartnern suchen muss, und viele Cosplayer sich nicht „in-character“ (also so wie der Charakter, den sie darstellen) verhalten. Dabei wird aber oft übersehen, dass zum Beispiel auch Posen ein Element des darstellenden Spiels sein kann, bei dem man den Charakteren gemeinsam Leben einhauchen kann.

Die Facetten des Spielens

Es gibt einige Möglichkeiten, einen Charakter darzustellen. Die wahrscheinlich häufigste Form des Rollenspiels beim Cosplay ist das Fotoshooting. Egal, ob es ein Schnappschuss auf der Convention oder ein aufwändiges Location-Shooting mit passenden Requisiten ist: Posen und Mimik sollen stimmen. Die gewünschten Emotionen zu zeigen, ist oft schwieriger, als es auf den ersten Moment aussieht –beispielsweise dann, wenn man gerade viel Spaß hat und auf einmal eine traurige Szene nachstellen möchte. Das Beherrschen des eigenen Körpers ist eine Kunst, die erlernt werden will.

Neben Fotoshootings hat sich aber auch das klassische Theater in der Cosplay-Szene etabliert. Die offensichtlichsten Formen des Darstellens sind der Cosplay-Wettbewerb, bei dem man den Charakter auch auf der Bühne präsentieren muss, sowie Showgruppen und andere Bühnenshows. In diesen Fällen wird oft ein Skript geschrieben und dem dargestellten Charakter durch passende Sätze, Gestik, und Mimik Leben eingehaucht.

London, Uk - 28. Oktober 2019 Cosplayer, die Darth Vader und Storm Troopers verkörpern, posieren für Fotografen auf der London Comicon Mcm Expo. © icenando
London, Uk – 28. Oktober 2019 Cosplayer, die Darth Vader und Storm Troopers verkörpern, posieren für Fotografen auf der London Comicon Mcm Expo. © icenando

Eher seltener zu finden ist die Darstellung als eine Art „Walking Act“. Hier bleibt der Cosplayer auch beim Rundgang über das Conventiongelände in seiner Rolle und interagiert mit seiner Umwelt auf die Art und Weise, wie der Charakter es tun würde. Dies erfordert viel Improvisationsvermögen und eine besonders solide Kenntnis der Figur, wird aber oft mit einmaligen Erlebnissen belohnt.

Man sieht also: Jede dieser Formen erfordert verschiedene Fähigkeiten und Kenntnisse, was alle drei auf jeweils eigene Art besonders macht. Doch sie alle haben eines gemeinsam: Das Auseinandersetzen mit dem Charakter, um zu sehen, welche Posen, Gesten, Mimik und Worte zu ihm passen. Manchmal reizt nur das Design einer Figur – doch deren Gesinnung und Verhalten so gar nicht.

Der Gute, der Böse und ich

Viele Cosplayer schätzen die Vielseitigkeit der Charaktere, in deren Kostüme sie schlüpfen können. So manch einer findet großen Gefallen daran, auch mal Rollen außerhalb des eigenen Geschlechts oder der eigenen Gesinnung auszuwählen. Der Haken: Das Bespielen eines solchen Charakters ist in der Interaktion auf einer Convention eine größere Herausforderung. Denn Cosplay-Conventions sind meistens ein auf soziale Begegnungen mit dem eigenen Ich ausgerichtetes Umfeld. Sie haben keine dezidierte In-Time (Im LARP, also im Liverollenspiel, ist das der Zeitrahmen, in dem festgelegt ist, dass man mit dem dargestellten Charakter agiert und nicht als man selbst). Man weiß also im Vorfeld nicht direkt, ob man jetzt auf den Charakter oder den Cosplayer trifft.

Das kann besonders dann zu Problemen führen, wenn dem Cosplayer eben nicht nach „in-character“-Interaktion ist. Nicht jeder möchte eine böse Gesinnung ausleben, sondern dies vielleicht „nur“ auf Fotos darstellen, eben im Moment und ohne Interaktion mit anderen. Aber es ist oft nicht erkennbar, ob der coole Darth Vader, der da drüben auf der Wiese steht, ebenfalls Spaß daran hätte, wenn man ihn als Luke Skywalker mit „Vater! Es ist noch Gutes in Euch!“ anspricht, auch wenn man sich nicht kennt.

Die meisten Cosplayer freuen sich über solche kleinen Interaktionen und Insider. Aber manchmal kommt es leider auch zu eher unangenehmen Begegnungen.

Über das Ziel hinaus

Es ist fast schon ironisch: Wenn man einmal seine innere Scheu überwunden hat, kann Charaktertreue im „Walking Act“-Stil gerne einmal über das Ziel hinausschießen. Das passiert oft schneller, als man glaubt. Besonders unter einer Maske ist es einfach, sich zu trauen und den Charakter wirklich auszuleben. Beispiele hierfür sind Superhelden-Kostüme, bei denen die Charaktere selbst oft sehr dezidierte Charakterzüge haben. Diese sind einfach zu imitieren und dann auch entsprechend leicht nach außen zu tragen. Die Grenze, mit welcher man sich bei Interaktionen vor allem mit Fremden wohlfühlt, ist dünn und ändert sich von Person zu Person. Das gilt vor allem für Neckereien oder wenn die dargestellten Charaktere sich nicht ausstehen können.

Natürlich gibt es auch viele andere Charaktere und Situationen, in denen so etwas passieren kann. Und böse Absichten wollen wir auf keinen Fall unterstellen. Es ist nur manchmal schwierig, sein Gegenüber einzuschätzen. Daher folgender Apell: Seid euch bewusst, dass es Menschen gibt, die den „play“-Aspekt nicht oder nur in bestimmten Situationen ausleben möchten. Gebt aufeinander Acht und haltet nach positiven wie negativen Signalen Ausschau. Jeder hat unterschiedliche Vorlieben, und Respekt und Kommunikation sind der Schlüssel zu gutem Miteinander. Vielleicht ist es auch nötig, dezidierte Möglichkeiten zu schaffen.

Eine Rolle darstellen oder sich zur Schau stellen - oder beide? Denkt drüber nach © Demian
Eine Rolle darstellen oder sich zur Schau stellen – oder beides? Denkt mal drüber nach! © Demian

Brauchen wir einen (neuen) Rahmen?

Manche Fragen lassen sich in dieser Überlegung nicht beantworten. Es lohnt sich aber trotzdem, sie einmal zu stellen.

Wie würde wohl eine In-Time, ähnlich wie in einem LARP, auf Conventions aufgenommen werden? Wie kann man Raum dafür schaffen? Auf amerikanischen Conventions tauchen zum Beispiel immer wieder Gruppen auf, die „Frage- & Antwort-Panels“ veranstalten, in denen Besucher ihren dargestellten Charakteren Fragen stellen können. Diese werden dann möglichst charaktergetreu beantwortet. Da sitzen dann also – zum Beispiel – fünf Helden aus dem Anime My Hero Academia und stellen sich den Fragen, welche Superhelden-Fähigkeit sie am liebsten hätten und wer der bessere Schüler ist. Spaß ist vorprogrammiert, solange man das Ganze nicht allzu ernst nimmt.

Wie könnte man anderen Besuchern signalisieren, dass man sich gerne auf eine szenische Interaktion einlässt? Ab und zu sieht man auf Conventions bereits innovative Ideen, die vielen Vorbeigehenden Freude bereiten. Ein „Scoop Troop“-Eis-Verkaufsstand im Stranger Things-Design bleibt da noch lange positiv in Erinnerung. Vor allem, da er passenderweise mit Cosplayern besetzt ist, die die Charaktere Steve Harrington und Robin Buckley darstellen.

Alles kann, nichts muss

Ja, der Name des Hobbys lautet „Cosplay“. Aber nicht immer ist der Grund, ein Kostüm zu tragen, die Verbundenheit mit dem Charakter. Manchmal möchte man seiner Freundesgruppe einen Gefallen tun, manchmal war es das schöne Design, das zum Tragen des Cosplays bewegt hat.

Das Gute ist, dass niemand zu einer charaktergetreuen Darstellung gezwungen ist. In der Cosplay-Szene ist es frei wählbar, ob und in welchem Rahmen man die inneren Eigenschaften der Kostümvorlage präsentieren möchte. Das kann und sollte man durchaus als Vorteil auslegen; so kann im Cosplay jeder die Fähigkeiten und Kenntnisse beisteuern, mit denen er sich wohlfühlt. Und dennoch möchten wir euch mit diesem Artikel ans Herz legen, das „play“ ab und zu auszuprobieren.

Ein Plädoyer für mehr „play“ im Cosplay

„In andere Rollen schlüpfen.“ Das ist der berühmt-berüchtigte Satz, der viele Cosplayer zu diesem wundervollen Hobby bringt. Ein ultimativer Ausdruck von Wertschätzung dem Charakter oder dem Design gegenüber – schließlich wird oft viel Zeit und Geld in die Kostüme investiert. Nicht selten hat man vorab zusätzlich viele Stunden mit dem Konsum der Serie, des Spiels oder des Buchs verbracht, auf der oder dem die Vorlage basiert. Man fühlt sich dem Charakter verbunden, kennt seine Gepflogenheiten, und möchte dies nun Realität werden lassen.

Wohl jeder Disney-Prinzessin geht das Herz auf, wenn Kinder sie mit großen Augen mit dem Namen der Figur ansprechen. Und kaum eine Kennenlern-Anekdote bleibt so lange in Erinnerung wie eine gelungene Charakterinteraktion, die beide Parteien hat feststellen lassen, dass sie eine Leidenschaft teilen.

Ob die beiden Weasleys sich vorher schon kannten oder sich erst durch das Cosplay kennengelernt haben © DVen
Ob die beiden Weasley-Cosplayer sich vorher schon kannten oder sich erst durch das Cosplay kennengelernt haben? © DVen

Man könnte also als ersten Schritt versuchen, einen Charakter mit einem Insider oder einer kleinen (!) Interaktion anzuspielen. Das kann zum Beispiel sein, die Person mit dem Charakternamen anzusprechen. Wichtig ist nur, unverfänglich zu bleiben und keine negativen Emotionen zum Ausdruck zu bringen – selbst, wenn sie in diesem Moment nur gespielt sind. Dadurch wirft man seinem Gegenüber einen Testball zu und kann schauen, wie die Person darauf reagiert. Wirft sie ihn zurück? Dann darf man ruhig etwas mutiger werden. Lässt sie ihn fallen? Dann sollte man wohl besser mit dem Cosplayer reden und nicht mit dem Charakter.

Wie bereits erwähnt, ist die direkte Interaktion nicht jedermanns Sache. Deshalb soll dieses Plädoyer dazu dienen, zu den subtileren Arten des Spielens anzuregen.

Zum Beispiel könnte man sich für die nächste Convention den Vorsatz nehmen, auf Fotos mehr Emotionen zu zeigen. Ein guter Charakter ist schließlich nicht immer fröhlich. Wut, Trauer, Erstaunen, Verschlagenheit: Die Palette, aus der man wählen kann, ist groß. Eine vielfältige Mimik bereichert das eigene Portfolio. Diese ganz eigene Herausforderung kann viel Spaß bringen.

Wichtig bei Fotografien ist allerdings, dass auch hier zwei Personen in den Prozess involviert sind. Am besten ist es, mit dem Fotografen zuvor abzusprechen, was man darstellen möchte. Oft hilft es auch, wenn Freunde oder Bekannte Fotos machen, auf denen man zum ersten Mal etwas Neues ausprobiert. Beides verschafft Sicherheit.

Auf die Bühne zu gehen ist zwar nicht subtil, aber in kaum einem Rahmen hat man besser die Möglichkeit, das Spiel zu kontrollieren. Dies ist außerdem die Chance, zu zeigen, wie DU den Charakter interpretierst. Welcher Aspekt soll hervorgehoben werden? Ist die dargestellte Version von Prinz Zuko aus Avatar – Herr der Elemente bereits an dem Punkt, an dem er sich selbst akzeptiert, oder ist er noch innerlich zerrissen? Steht Daenerys Targaryen aus Game of Thrones noch vor oder nach dem Schlüpfen ihrer Drachen? Die Möglichkeiten sind endlos – die Bühne ist der Platz, an dem man auch ein Stückchen von sich selbst in die Charaktere einfließen lassen kann.

Oft ist es der innere Schweinehund, der einen davon abhält, den spielerischen Teil von Cosplay in das Hobby stärker einfließen zu lassen. Doch solange man aufmerksam auf die Reaktionen in seinem Umfeld achtet, kann eigentlich nichts schiefgehen. Für mehr „play“ im Cosplay!

Artikelbilder: depositphotos | © icenando, © Demian, © DVen

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