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Das Sprichwort sagt, dass endlich gut wird, was lange währt. Ginge es danach, müsste der bereits für das Jahr 2017 angekündigte Streifen X-Men: The New Mutants ein absolutes Meisterwerk sein. Hat sich das lange Warten gelohnt oder hätte man auf eine Veröffentlichung doch besser verzichten sollen?

Als für 2017 ein X-Men-Film angekündigt wurde, der gezielt anders sein sollte als seine Vorgänger, schlug mein Herz höher. Der Film sollte nicht nur Elemente des Horror-Genres in die momentan so blitzsaubere Welt der Superhelden tragen. Er sollte mit Maisie Williams, Charlie Heaton und Anya Taylor-Joy gleich drei ungewöhnlich talentierten Jungdarstellern die Gelegenheit geben, ihr Können unter Beweis zu stellen.

Dann kam alles anders. Das X-Men-Franchise erhielt zunächst mit dem äußerst durchwachsenen X-Men: Dark Phoenix ein fragwürdiges Finale. Dann wurde es sehr still. Es schien, als sei die Filmreihe und der von Vielen mit Spannung erwartete The New Mutants der Übernahme durch Disney komplett zum Opfer gefallen. Immer wieder wurde der Film verschoben und die Hoffnung, den Streifen im Kino zu sehen, schwand. Doch Todgesagte leben bekanntlich länger, und so schaffte es das Objekt der Begierde doch noch auf die Leinwand – zu einem Zeitpunkt, zu dem wenige Zuschauer das pandemiebedingte Risiko eines Kinobesuches auf sich nehmen. Zusätzlich wurde fast keine Werbung für den Film geschaltet. Was darf das Publikum erwarten, zumal bekannt wurde, dass die umfangreichen Nachdrehs, die geplant waren, ausblieben?

Story

Nach einem traumatischen Erlebnis im Reservat findet sich die junge Dani Moonstar in einer Einrichtung für junge Mutanten wieder. Hier wird sie, gemeinsam mit einer Gruppe Mitstreiter, auf ein Leben mit der Mutation vorbereitet. Dabei sind die Gaben der Mutanten so vielfältig wie ihre charakterlichen und sozialen Eigenschaften. Da ist das ultra-christliche Mädchen, dass sich in einen Wolf verwandelt und die eigene Homosexualität verleugnet, der junge Bergmannssohn mit der Fähigkeit zur maximalen Beschleunigung, der im wahrsten Sinne des Wortes heiße Latino. Schließlich noch die aufmüpfige Rebellin, deren Kräfte sich erst später im Verlauf des Filmes enthüllen werden. Natürlich verfügt auch Dani über besondere Fähigkeiten, die hier aus Spannungsgründen noch verborgen bleiben sollen. Die Teenager werden von einer einzigen Ärztin, der ruhigen und um Kontrolle bemühten Dr. Reyes (Alice Braga) betreut, überwacht und trainiert. Das Ziel ist eine gelungene Existenz mit der Mutation.

Die Spannungen, die anfangs zwischen den Teenagern herrschen, und der Weg, den sie gehen müssen, um zu einer Einheit zu werden, erinnern stark an Filme wie Breakfast Club. Die Zusammensetzung der Figuren und die Darstellung ihrer Charaktere wirkt nicht innovativ, aber solide und gelungen. Im Laufe des Films drängt sich der Vergleich zu einem weiteren Filmklassiker auf, denn die jungen Mutanten müssen sich nicht nur den Problemen in ihrem sozialen Gefüge stellen. Um zu überleben, müssen sie sich ihren eigenen Ängsten stellen. Dabei helfen ihnen die einzigartigen Fähigkeiten, die jedem von ihnen innewohnen. Das erinnert an den Horror-Film A Nightmare in Elmstreet – Dream Warriors aus dem Jahr 1987.

Darsteller

Der Cast besteht, bis auf Statisten in Massenszenen, nur aus sechs Akteuren mit längerer Leinwandpräsenz. Diese Schauspieler schaffen es, den Film zu tragen, ihm Tiefe, Gefühl und Leben einzuhauchen. Dabei sind einige der Jungdarsteller in Rollen zu sehen, die interessante Parallelen zu ihren bisherigen Projekten aufweisen. Maisie Williams spielt eine Mutantin, die die Gestalt eines Wolfes annehmen kann. Das läßt an Aria Stark aus Game of Thrones denken. Charlie Heaton gibt, genau wie in Stranger Things, einen Unterschicht-Teenager und Anya Taylor-Joy, die mit The Witch erfolgreich war, entwickelt auch dieses Mal wieder ihre ganz eigene Magie. Gemeinsam gelingt es den Darstellern, eine überzeugende und dichte Atmosphäre zu weben, die klassische Teenager-Ängste im Kinoraum fast greifbar werden lässt. Erwähnt sei, dass in der Originalversion Schock-Rocker Mailyn Manson ein Stimm-Cameo gibt.

Inszenierung

Josh Boone bricht bewusst mit den Erwartungen, die das von Spezialeffekten verwöhnte Publikum an heutige Superheldenfilme stellt. The New Mutants ist kein klassischer Hochglanzstreifen, der von Actionfeuerwerk zu Bombastschlacht hüpft. Es ist ein ruhiger, unterschwellig wirkender Psycho-Thriller mit leichten Horror-Elementen. Der Film befreit sich von massiver physischer Gewalt und setzt stattdessen auf subtile Grundängste und Fragen nach Identität, Schuld und Furcht.

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Erzählstil

The New Mutants © Disney, © 20th Century FoxDer Film ist überwiegend linear erzählt, streut aber gelegentlich kleine Flashbacks und Visionen ein. Dennoch ist es für das Publikum leicht, dem Geschehen zu folgen. Einen großen Anspruch an die Konzentrationsfähigkeit stellt der Film nicht. Auch das Erzähltempo erinnert an die 1980er Jahre, denn der Film lässt sich Zeit, seine Figuren aufzubauen. Dennoch schafft Boone es, in nur 94 Minuten seine Geschichte angenehm zu Ende zu führen. Er ergeht sich nicht im heute manchmal überstrapazierten Hintergründe-Marathon, der manchen Film über Gebühr streckt und aufbläht.

Die harten Fakten:

  • Regie: Josh Boone
  • Darsteller: Maisie Williams, Anya Taylor-Joy, Charlie Heaton
  • Erscheinungsjahr: 2020
  • Sprache: Deutsch/Englisch
  • Format: 2D

 

Fazit

The New Mutants ist ein Film, der das Publikum zu spalten vermag. Wer Superheldenkost im gängigen Marvel-Stil erwartet, dürfte bitter enttäuscht werden. Auch der Fan des modernen Splatter-Horrors wird nicht auf seine Kosten kommen. Zu ruhig, zu langsam und zu wenig blutig präsentiert sich dieses Werk von Josh Boone. Vielmehr scheint The New Mutants eine Hommage an die Filmkunst der 1980er Jahre zu sein, als man sich für Charakteraufbau und Psychogramm der Helden noch Zeit ließ.

Die Kombination aus mildem Horror und jugendlicher Coming-of-Age-Charakterstudie geht in meinen Augen allerdings hervorragend auf. Ich wurde an einen der Lieblingsfilme meiner Jugend erinnert, denn ich habe A Nightmare on Elm Street – Dream Warriors sehr geliebt. The New Mutants ist kein überragender Film, er hat nicht das Zeug zum Genre-Klassiker und wird wahrscheinlich nie einen Filmpreis gewinnen. Er ist Unterhaltungskino und lässt einige Tugenden lebendig werden, die dem modernen Kino abhanden gekommen sind: Ruhe, Konzentration auf das Wesentliche und den Mut, entspannte Geschichten zu erzählen. Erfrischend unverkrampft ist hier übrigens – und das ist ein ganz großes Plus – der Umgang mit Homosexualität, die völlig selbstverständlich und unaufgeregt in das Werk integriert ist.

 

Artikelbilder: © Disney
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Sabrina Plote
Der Eintritt zu diesem Kinofilm wurde finanziert.

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