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Im Frühjahr ist die Kurzgeschichtensammlung Das Dampfbein schwingen im Wiener Verlag ohneohren erschienen. Herausgeberin Ingrid Pointecker erzählt im Interview davon, wie herausfordernd es sein kann, ein Projekt mit 20 ganz unterschiedlichen Autor*innen mitten in der Pandemie umzusetzen – und warum sie trotzdem so gerne Anthologien macht. 

Ingrid Pointecker hatte eine Vision, als sie 2013 ihren Verlag ohneohren gründete: Sie wollte keine klassische Völkerfantasy verlegen, auf typische und tausendmal geschriebene Weltrettungsepik verzichten – und stattdessen in ihren Veröffentlichungen zeigen, wie vielfältig und divers Phantastik sein kann. Persönlich mag die kaffeeliebende Verlegerin gerne Science-Fiction und Horror, düstere Stoffe und Texte dürfen es sein wie zum Beispiel Shape Me.

Auch Steampunkstorys liest und poliert sie gerne, wie ihre noch jüngste Kurzgeschichtensammlung zeigt: In Das Dampfbein schwingen haben 20 Autor*innen ganz verschiedene Erzählungen rund um Instrumente, Tanz und Gesang mit Steampunkelementen verknüpft. Da gibt es mysteriöse Spieluhren und singenden Sand, eine Lichtdiebin ist im Konzerthaus unterwegs, Mechanikerherzen schlagen im Walzertakt. Im Teilzeithelden-Interview berichtet Ingrid Pointecker davon, wie sie auf die Idee zu Das Dampfbein schwingen kam, vor welche Herausforderungen das Verlegen der Anthologie sie gestellt hat – und wie es generell so ist, einen kleinen Verlag durch die Unwägbarkeiten einer Pandemie zu führen.

Das Interview

Teilzeithelden: Ingrid, Das Dampfbein schwingen ist eine waschechte Corona-Produktion – was war in diesen Zeiten anders und schwieriger daran, eine Anthologie zu erstellen?

Ingrid: Alles! Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass das nicht herausfordernd ist. Kleinverlagszustände waren vorher oft schon leicht chaotisch (ich mache ja einen Großteil des Verlags selbst), aber Corona wirft jeden noch so vorsichtig kalkulierten Zeitplan durcheinander. Zumal ich nebenher ein Auge darauf habe, auch nur bei Zulieferern einzukaufen, die auf die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden achten. Ich selbst schreibe mich schon einmal nachts im Homeoffice übergangslos von einer Schicht in die nächste und versuche, meinen Zeitplan irgendwie zu halten. Das Gute: Wir stecken ja alle in dieser Situation, dementsprechend ist da auch viel Verständnis.

Schon das Cover der Anthologie verspricht Musik. © ohneohren
Schon das Cover der Anthologie verspricht Musik. © ohneohren

Teilzeithelden: Die Anthologie verknüpft Musik und Steampunk – wie kamst du auf diese Idee?

Ingrid: Was die wenigsten Menschen wissen: Ich war einmal begeisterte Hobby-Musikerin, spiele manchmal immer noch Violine (aber auch das Staubsaugerrohr, wenn es sein muss). Außerdem begleitet vor allem Heavy Metal schon ganz lange mein Leben. Ich liebe Musik. Und Steampunk lese und verlege ich einfach gern.

„Unser Werbebudget besteht primär aus Zeit“

Teilzeithelden: Bist du mit der nun fertigen Anthologie zufrieden?

Ingrid: Oh ja, aber auf ganz andere Art als ursprünglich gedacht. Ich rechnete irgendwie nur mit wilden, dynamischen, schnellen Geschichten, Verfolgungsjagden mit Musik und dramatisch inszenierten Kriminalfällen. Die Mischung ist aber viel bunter geworden: Romantik, Spannung, Langsames, Schnelles … gleichzeig gefällt mir das jetzt auch am besten. Die Autor*innen haben die Facetten davon, wie Musik ans Herz gehen kann, sehr gut eingefangen.

Teilzeithelden: Stellt es dich vor besondere Herausforderungen, die Anthologie zu bewerben? In diesen Zeiten können ja keine Lesungen stattfinden, auch der für Kleinverlage sehr wichtige Verkauf auf Messen und Cons fällt aus …

Ingrid: Wie gut es gelaufen ist, konnte ich schon immer bei jedem Buch erst im Nachhinein vollumfänglich beurteilen. Im Moment haben wir online aber eine sehr feine Reichweite, die täglich ein bisschen wächst. Und der Vorteil am Kleinverlag: Selbst, wenn die erste Messe erst wieder 2025 sein sollte, das Buch kommt mit und findet dort wieder Leser*innen. Die Herausforderung ist identisch mit jener von 2013 bis 2019: Das Werbebudget besteht primär aus der Zeit, die Autor*innen, Blogger*innen und ich in das Ganze stecken.

Teilzeithelden: Was macht für dich Anthologien besonders – oft bedeuten sie ja viel Aufwand?

Ingrid Pointecker: Verlegerin, Musik- und Steampunkliebhaberin.
Ingrid Pointecker: Verlegerin, Musik- und Steampunkliebhaberin.

Ingrid: Es ist eine gute Gelegenheit, Nicht-Phantastik-Leser*innen mit kurzen Episoden anzulocken, ihnen zu zeigen, dass es großartige Literatur ist, die da entsteht. Und Phantastik-Leser*innen, die meinen Verlag noch nicht kennen, können sich Stück für Stück an längere Werke herantasten. Persönlich finde ich Kurzgeschichten einfach toll.

„Kurzgeschichten haben bisher eine überschaubare Leserschaft“

Teilzeithelden: Welche Unterschiede gibt es zur Produktion eines Einzelromans?

Ingrid: Der größte Unterschied ist die Koordination der Autor*innen. Zwanzig Menschen (in diesem Fall) haben zwanzigmal ein verschiedenes Arbeitstempo, unterschiedliche Fragen und sind unterschiedlich weit im schriftstellerischen Schaffen. Ich nerve Lektor*innen und Korrektor*innen mit zwanzig unterschiedlichen Stilen und gleichzeitig dem roten Faden, den ich mir ausgedacht habe. Außerdem haben Kurzgeschichten im deutschsprachigen Raum eine bisher eher überschaubare Leser*innenschaft. Das ist kein Grund zum Verzweifeln, sondern eine Herausforderung.

Teilzeithelden: Deine nächste Anthologie-Ausschreibung ist bereits veröffentlicht: In Hereinspaziert! setzt du konsequent auf „Content Notes“ – welche Idee steckt dahinter?

Ingrid: Die Idee dahinter ist es, die Phantastik aus dem Wohlfühlbereich zu bringen und die Leser*innenschaft davon zu überzeugen, dass wir als buchschaffende Community nicht nur in den Mustern verharren, die seit Jahrzehnten unser Genre definieren. Bei vielen Autor*innen weiß ich, dass sie über sich hinauswachsen, wenn die Ausschreibung nicht zu einfach gehalten ist – so auch bei Hereinspaziert!. Und: Ich möchte neue Autor*innen kennenlernen, die sich bisher noch nicht getraut haben, mir eine Kurzgeschichte zu schicken.

Content Notes sind ein Teil dieses „Plans“. Die unromantische Seite: Content Notes sind eine Zusatzdienstleistung an Leser*innen – von den Menschen, die (re)traumatisierende Inhalte nicht unvorbereitet oder gar nicht lesen möchten bis zu jenen, die Inhaltswarnungen als „Fahrplan“ durch die inhaltlichen Gebiete der Anthologie nutzen. Die idealistische Seite: Der Verlag ist nicht allein auf der Welt. Dort draußen gibt es viele Menschen, die in anderen Verlagsstrukturen keinen Platz finden. Wir bemühen uns um einen inklusiveren Zugang, auf vielen Ebenen (und mit allen Fehlern, die uns bei diesem Anliegen sicherlich noch passieren werden).

Artikelbilder: © ohneohren Verlag
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Rick Davids
Fotografien: privat

Über den Autor

Peter Michael Meuer, Jahrgang 1981, arbeitet als Journalist in und um Stuttgart und war zuvor als Redakteur und Comic-Autor für Kinder- und Jugendmedien tätig. Ehrenamtlich hilft er bei der Phantastischen Akademie mit und schreibt für verschiedene Phantastik-Portale.

 

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