Geschätzte Lesezeit: 9 Minuten

Es gibt ein anderes Hamburg als das, was wir kennen: eines, das über eine düstere, gefährliche Parallelwelt verfügt, die von unterschiedlichsten Wesen bevölkert wird. Manchmal finden diese ihren Weg in unsere Welt und reißen Menschen aus ihren gewohnten Abläufen. Manchmal jedoch wollen sie die ganze Stadt ins Verderben stürzen.

Die Stadt an der Elbe kommt nicht zur Ruhe. Unterschiedliche Protagonist*innen erleben unterschiedliche Schrecken und es geschehen ungeheuerliche Dinge. In der Anthologie Arkanes Hamburg – Fluch aus der Tiefe erleben wir in sieben Geschichten von sieben verschiedenen Autor*innen eine konstante Bedrohung aus verschiedenen Perspektiven: Elwine, die Elbjungfer, droht, Hamburg zu vernichten. Hierzu sucht sie Unterstützung bei den Jugendlichen ihrer Stadt. Doch sie hat ihre Rechnung ohne diverse Widersacher*innen gemacht.

Hintergrund für die Geschichten bildet eine alte hamburgische Legende über die Elbjungfer, die in den Tiefen der Elbe auf ihren Geliebten wartet. Da ihre Rachsucht im Zaum gehalten werden muss, ist sie gefesselt und ihre Kräfte werden so unterdrückt. Nicht auszudenken, was geschehen würde, sollte sie ihren Weg in die Freiheit finden.

Ob Polizeikommissar oder Mythologie-Professor, ob Vampir, Klabautermann oder Nixe: Egal, über welchen Hintergrund oder welche Wesenhaftigkeit die Personen verfügen, sie haben ihre Aufgabe zu erfüllen und in den meisten Fällen bedeutet dies: Der Status Quo muss beibehalten werden. Elwine muss kontrolliert und das Leben der Menschen in Hamburg geschützt werden.

Story

Der Episodenroman bietet unterschiedlichen Protagonist*innen Raum, sich innerhalb ihrer jeweils eigenen Geschichte zu entwickeln und ihr persönliches Abenteuer zu erleben. Da sich die sieben Geschichten teils erheblich voneinander unterscheiden, wird an dieser Stelle jede von ihnen kurz vorgestellt.

In Phantome in Altona (Nils Kebber) begleiten wir den Kommissar Jan Smit bei der Untersuchung der Selbstmorde und des Verschwindens einiger Kinder und Jugendlicher. Smit bringt diese Ermittlung an seine Grenzen, da die Fälle persönliche Erlebnisse wieder aufwühlen. Unterstützung erhält der Kommissar von seiner Partnerin und mehreren Jugendlichen, die sich mit einem Augmented-Reality-Spiel auskennen, das eine wichtige Rolle in diesen Fällen zu spielen scheint. Natürlich führt die Spur an die Elbe.

Pock! Pock! Pock! von Stefanie Mühlenhaupt erzählt davon, wie der Wissenschaftler Schlacker aus seinen geliebten alltäglichen Routinen gerissen wird. Zuerst entdeckt er einen bisher unentdeckten Mitbewohner in seinem Zuhause, dann überschlagen sich die Ereignisse. Muss er seine komplette Weltsicht umstellen? Klar ist, dass dem Professor eine besondere Rolle zukommt, die er nicht kommen sah und auf die er sich erstmal einstellen muss.

Eine Meerjungfrau, die sich entschieden hat, an Land zu leben, ist die Protagonistin in Das rote Horn von Charlotte Weber. Das namensgebende rote Horn ist ein magisches Artefakt, das, sollte es in die falschen Hände geraten, für fürchterliche Geschehnisse sorgen könnte. Sirena, die Meerjungfrau, soll es ausfindig machen. Doch wem kann sie trauen? Unsicherheit prägt die Suche, die Sirenas Leben verändern kann.

Einen Ritt durch den Behördendschungel unternehmen zwei Buchhalter*innen in Hamburger Deckel (Vincent Voss). Eigentlich sollen sie nur eine kreative Lösung für unklare Posten innerhalb des städtischen Rechnungswesens finden, doch haben die maßgeblichen Politiker*innen nicht mit dem Aufklärungsdrang von Leif und Karen gerechnet: Was die beiden herausfinden, gleicht einem Skandal, der sich in höchste Kreise zieht, und nicht nur sie selbst geraten in größte Gefahr.

Vampire geben sich in Das Blutopfer von Marco Ansing die Ehre: Es stellt sich heraus, dass diese in Wahrheit die Geschicke der Hansestadt lenken. Doch ist das wahr? Exekutor Jonathan kommt bei seinen Untersuchungen in Schwierigkeiten und es ist nicht sicher, ob die klaren Verhältnisse weiterhin so klar bleiben. Der aktuelle Auftrag läuft jedenfalls anders als geplant und Jonathan bekommt Schwierigkeiten, die er so nicht kommen sah.

Einem großen Thema widmet sich die Geschichte Sehnsucht nach der Elbe von Katja Rostowski: der Zerrissenheit zwischen konkurrierenden Loyalitäten. Die Protagonistin Anja steht vor einer schwerwiegenden Entscheidung, bei der sie, unabhängig davon, welche Richtung sie einschlagen wird, einen Verlust wird hinnehmen müssen. Eine große Rolle spielt die Elbe, aber auch familiäre Bande stehen auf dem Prüfstand.

Die letzte Reise der Balthasar ist zugleich die letzte Geschichte dieses Episodenromans. Ein Student ist gespannt, mit auf eine Expeditionsseefahrt zu gehen. Obwohl er teilweise mit eigenen Themen beschäftigt ist, bemerkt er bald, dass seltsame Dinge an Bord geschehen. Das Schiff gerät in einen Strudel unheilvoller Ereignisse und die Besatzung gleich mit.

Viele Autor*innen – Ein Episodenroman

Der Grundgedanke dieser Anthologie ist ein innovativer: Über allen Einzelgeschichten liegt eine Grundgeschichte, die die Erzählung um Elwine und die Auswirkungen auf einzelne Protagonist*innen episodenhaft von Geschichte zu Geschichte weiterverfolgt. Dabei hat jede Erzählung einen eigenen Fokus und die Akteure darin ein spezielles Verhältnis mit, eine Beziehung zu oder eine Abhängigkeit von Elwine. Manchmal ist diese vordergründig, manchmal wirkt der Einfluss Elwines im Hintergrund. Doch mit jeder Geschichte wird die Entwicklung der Gesamtgeschichte um die Elbjungfer vorangetrieben.

Den Geschichten ist die unterschiedliche Autor*innenschaft anzumerken. Dies bedeutet in diesem Fall aber keineswegs etwas Negatives. Im Gegenteil: Jede*r Autor*in bringt die eigene Sprache ein und trotzdem gibt es keine Brüche. Es ist gut möglich, das Buch in einem Rutsch durchzulesen. Dies liegt auch daran, dass es eine klar ersichtliche Abfolge gibt. Die Geschichten beschreiben zeitlich aufeinanderfolgende Geschehnisse, sodass der*die Leser*in teilweise das Gefühl bekommt, mehr zu wissen als die jeweils erzählende Person.

Zudem wird in einer Einleitung durch den Herausgeber zum einen die Geschichte von Elwine erläutert und zum anderen eine kurze Vorstellung der einzelnen Geschichten geboten. Dies erleichtert die spätere Navigation durch den Episodenroman.

Spaß macht der Wiedererkennungseffekt von einzelnen Figuren. Als Nebencharaktere kommen sie durchaus in mehreren Geschichten vor und die Lesenden bekommen deswegen auch einzelne Entwicklungen noch am Rande mit. Somit erhalten nicht nur die Geschehnisse um Elwine eine Kontinuität, sondern es wird bewusst, dass die Figuren ein Leben und eine Entwicklung über die jeweilige Geschichte hinaus haben. Generell ist die Varianz an Figuren mit ihren jeweiligen sehr variierenden Motivationen und Charakterzügen ein Faktor, der das Buch zu etwas Besonderem macht.

Die genannten Wirkmechanismen, die sich durch das Buch ziehen, erzeugen eine beständige Spannungssteigerung. Die Bedrohung durch Elwine ist der Grundtenor aller Geschichten und sorgt dafür, dass auf eine Auflösung hin gefiebert wird. Ein weiterer gemeinsamer Nenner ist der Handlungsort, die Hansestadt Hamburg. Mal mehr, mal weniger wird die Stadt detailliert mit den Namen von Straßen und Plätzen beschrieben. Dies mag für Lesende aus dem Norden Deutschlands interessant und charmant wirken, für Ortsfremde könnten solcherlei Beschreibungen zuweilen etwas zu ausführlich sein.

Naturgemäß kann bei dieser Vielfalt an Geschichten die ein oder andere dabei sein, die eventuell nicht ganz dem persönlichen Geschmack entspricht. Dies ist auch hier der Fall, wobei konstatiert werden muss, dass alle Einzelteile solide zu lesen sind und sich gut in das Gesamtwerk einfügen. 

Schreibstil

Die Geschichten sind ausnahmslos größtenteils flüssig zu lesen. Ab und an lesen sich einige Stellen etwas hölzern, die Spannungskurve fängt dies in der Regel jedoch gut auf. Begrüßenswert ist, dass unterschiedliche Erzählperspektiven von Geschichte zu Geschichte verwendet werden. Dies macht die Geschichten unterscheidbarer und ergibt stets Sinn im jeweiligen Kontext.

Hamburg wird immer sehr detailliert beschrieben, doch auch die jeweiligen Lebenswelten der Protagonist*innen werden verständlich erzählt. Die Herkunft und aktuelle Lebensumstände einiger Wesen, die Hamburg bevölkern, könnten spezifischer ausgearbeitet sein. Auch das Reich von Elwine wird nicht in allen Einzelheiten beschrieben, was dem Umstand, dass dieses Grundmotiv sich über alle Einzelgeschichten zieht, geschuldet sein dürfte.

Der Herausgeber

Herausgeber dieser Anthologie ist Marco Ansing, der im Jahre 1981 geboren wurde und in Hamburg lebt. Er arbeitet als Sprecher, Texter und Autor und ist promovierter Historiker. Sein besonderes Interesse gilt der Produktion von Hörspielen. Mehr über die verschiedenen Aktivitäten von Ansing kann auf seiner Homepage nachgelesen werden. In der vorliegenden Anthologie ist er verantwortlich für den Haupthandlungsstrang von Arkanes Hamburg und die Auswahl der Autor*innen. Außerdem ist er Autor der Geschichte Das Blutopfer.

Erfreulicherweise werden am Schluss des Buches alle Autor*innen der Anthologie vorgestellt.

Erscheinungsbild

Das Cover, illustriert von Saskia Lackner, ist sehr passend zum Inhalt des Buches gestaltet. Gezeigt wird Elwine vor einer stilisierten Stadtansicht Hamburgs. Elwine schaut über dem Wasser, das in dunklen Blauschattierungen gehalten ist, heraus und blickt den*die Betrachter*in bedrohlich an. Im Gegensatz zu diesem düsteren Teil, in dem sich Elwine größtenteils befindet, ist die Silhouette Hamburgs in einladenden, warmen Goldtönen gestaltet, unterstützt mit goldenen Lichtpunkten. Lediglich der Nachthimmel und der Mond spiegeln die Farbgebung des Wassers wider, was andeutet, dass es auch über der Elbe einige Schrecken geben kann.

Da sich die Bedrohung für Hamburg, das in den Geschichten größtenteils als bewahrenswerte, schöne Stadt dargestellt wird, in der Elbe befindet und ihren Blick und Energie auf die Vernichtung der Stadt richtet, wirkt das Cover wie eine Einladung, sich weiter mit den Inhalten auseinanderzusetzen. Auch der Titel ist auf diese zwei Gegensätze aufgeteilt: Arkanes Hamburg im goldenen Schein der Hansestadt und Fluch aus der Tiefe in der düsteren Elbe, Elwines Reich.

Besonders ist ein Gruß an den*die Leser*in, der der Einleitung vorangestellt ist. In diesem wird willkommen geheißen „in einer Hansestadt voller Geheimnisse und Magie“. Dadurch wird eine schöne Einstimmung voller Verheißung auf das Kommende geboten.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Epyllion Verlag
  • Autor*in(nen): Marco Ansing (Hrsg.) et al.
  • Erscheinungsdatum: 31. Oktober 2021
  • Sprache: Deutsch
  • Format: 12.7 x 2.03 x 20.29 cm
  • Seitenanzahl: 320
  • ISBN: 978 -3947805914
  • Preis: 12,99 EUR (Print) + 8,99 EUR (E-Book)
  • Bezugsquelle Fachhandel, Amazon, idealo

 

Fazit

Arkanes Hamburg schafft es, eine Gesamtgeschichte in sieben einzelnen Geschichten zu erzählen. Dieser innovative Ansatz fasziniert, vor allem da die Erzählungen jeweils in sich abgeschlossen sind. Die Bedrohung durch Elwine, die Elbjungfer, die zu alter Stärke zurückfinden möchte, zieht sich als Gesamtthema durch das Buch und die Anordnung der Geschichten folgt diesem Oberthema chronologisch. Deshalb ist es durchaus legitim, hier von einem Episodenroman zu sprechen.

Die Anthologie versteht es, über verschiedene Geschichten von verschiedenen Autor*innen, einen konstanten Spannungsaufbau zu erzeugen und den*die Leser*in zu fesseln. Unterschiedliche Schwerpunktsetzungen, sowohl was die Protagonist*innen als auch was die Thematik angeht, halten das Lesevergnügen kurzweilig. Der rote Faden ist sichtbar und die Spannungskurve wird über das gesamte Buch hinweg aufgebaut. Dies stellt eine großartige Leistung der Autor*innen dar, da die Geschichten durchaus variieren.

Für Nicht-Kenner*innen der Hansestadt kann es mitunter schwierig sein, den Protagonist*innen gedanklich zu folgen, allerdings kann dies auch zu einem Besuch von Hamburg anregen. Die verschiedenen Wesen, die in den unterschiedlichen Geschichten die Stadt bevölkern, könnten teilweise expliziter ausgearbeitet sein, machen jedoch aufgrund ihrer Vielzahl und Varianz Spaß.

Ein zum Inhalt passend gestaltetes Cover, eine Vorstellung der Autor*innen, ein nettes Grußwort und eine in die Legende einführende Einleitung runden das Buch ab.

 

 

  • Innovativer Ansatz
  • Thematische Vielfalt
  • Passend gestaltetes Cover
 

  • Teilweise nicht detailliert ausgearbeitete Wesen
  • Sprache ist mitunter hölzern

 

Artikelbilder: © Epyllion Verlag
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat: Katrin Holst
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

1 Kommentar

  1. Vielen Dank für die tolle Rezension! Es freut mich sehr, daß unser Roman vielleicht zu einem Besuch der schönsten Stadt der Welt führt 😉 Ich zeige dann auch gerne einige der Schauplätze.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein