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Die Pandemie sei vergleichbar mit „täglichen DLCs“: Jeden Tag etwas Neues lernen, das alte Strukturen auf den Kopf stelle – so fasste es Daniel „Budi“ Budiman (Rocket Beans TV) in seiner Eröffnungsrede des diesjährigen PLAY – Creative Gaming Festivals zusammen. Den zwangsläufigen Neustart nach der Pandemie möchte die Veranstaltung begleiten.

Das Motto „restart together” beginnt bereits bei der Wahl des Veranstaltungsortes. Neben einem digitalen Treffpunkt wurde erstmals seit Beginn der Pandemie auch wieder auf „Präsenzangebote“ gesetzt. In einem verlassenen Burgerladen in der Hamburger Europa-Passage fanden sich nebst Studio auch kleine Ausstellungsräume.

Das Gemeinsame sollte außerdem wieder mehr betont werden. So waren bei dem Festival, welches unter anderem von der Bundeszentrale für politische Bildung (bpd) gefördert wird, wieder Schulen mit Workshops eingebunden. Hausbesuche bei Szene-Größen waren ebenso angesagt.

Wir haben uns die neuntägige Veranstaltung angeschaut und verraten, ob der Neuanfang von Erfolg gekrönt war.

Die neue Festival-Welt war größer und bunter.
Die neue Festival-Welt war größer und bunter.

Adé AMAZE/SPACE, hallo PLAYvalley – Neustart für die Veranstaltungsbühne

Wohingegen im letzten Jahr noch nicht feststand, dass die PLAY eine digitale Veranstaltung werden würde, war „Netzanbindung“ dieses Jahr gesetzt – mit dem nicht zu unterschätzenden Vorteil, dass das Team sich die Zeit nehmen konnte, ein eigenes Festivalprogramm zu entwickeln. War das AMAZE/SPACE noch eine „Leihgabe“ von einem Berliner Spielefestival, ist das PLAYvalley eine Eigenkreation.

Die Farben waren bunter und zahlreicher und erinnerten ein bisschen an Stardew Valley, wenn man vom klaren Grafikstil absah. Statt in der 1. Person bewegten wir den Avatar in einer isometrischen Perspektive aus dem „Shelter21“ heraus.

Dahinter erwartete die Besuchenden eine mystische Welt, die zum Erkunden einlud. Technisierte Ruinen markierten die Halle mit den für die „Creative Gaming Awards“ nominierten Spiele. Es gab eine Sitzecke für Interaktives und eine riesenhafte, umgefallene Kopfhörermuschel bildete die spätere Partymeile sowie den Übertragungsort für die Streams. Die extra Entwicklungszeit und Liebe, die in diese kleine Welt hineingeflossen ist, merkte man an jeder Ecke.

Kurator Matthias Löwe zeigte sich von den neuen Möglichkeiten begeistert. Dadurch entstünden ganz neue Fragen, etwa wie die Wegführung gestaltet sei und was für Geschichten in der Ausstellungswelt erzählt werden können.

Zusätzlich war die browserbasierte Anwendung, was Stabilität und Bedienbarkeit angeht, eine Verbesserung gegenüber ihrer Vorgängerin: Einfach auf einen der detaillierten Messestände klicken, schon öffnete sich ein Fenster mit Trailer, Infos und einem Link zum Loszocken. Näherte man sich einer anderen Person, so poppte am Bildschirmrand ein Fenster mit Kamera und Ton auf. Das machte Gespräche auf kleinem Raum möglich, denn wenn man sich entfernte, verschwanden die Bilder der anderen Nutzer*innen wieder.

Um auch in der Spielwelt ein Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen und Interaktivität zu fördern, wurde außerdem eine Strandbar für Challenges eingerichtet, wo sich Spielende herausfordern konnten, um so in Kontakt zu kommen. Sogar mit einem rudimentären Level-Mechanismus wurden die Herausforderungen versehen, um am Ende der neun Tage ein*e stolze*n Gewinner*in zu küren. Dazu gab es auch Spiele, die die virtuelle mit der realen Welt in Hamburg verbanden und für weitere gemeinschaftliche Momente sorgten.

Die PLAY-Couch. Distanzen spielten hier keine Rolle.
Die PLAY-Couch. Distanzen spielten hier keine Rolle.

Der Name/Neustart ist Programm – spielmechanisch, narrativ, gesellschaftlich (Exhibition)

Der Programmatik blieb auch die festivaleigene PLAY-Exhibition treu und gliederte den Neustart in drei Kategorien: zum einen gibt es den spielmechanischen Neustart, der wichtig sein kann, um im Spiel voranzukommen oder um neue Perspektiven auf ein Level zu erhalten. Zum anderen geht es um das Narrativ des Neustarts, etwa in Postapokalypsen, sowie um einen gesellschaftlichen Neustart, wie ihn die post-pandemische Gesellschaft durchleben wird.

Streamerin Nina Dreßler aka „OddNina“ und Manuel „Manu“ Fritsch vom Podcast InsertMoin begleiteten Zuschauer*innen durch die Festivalzeit als Moderationsduo der Livestreams. Die Programmpunkte waren dabei so zahlreich und unterschiedlich wie ihre Besuchenden.

Neben interaktiven Twitch-Game-Sessions, bei denen das Publikum „OddNinas“-Spielweise beeinflussen konnte, gab es noch kurzen Tutorials. Die aufgrund ihrer halbstündigen Länge genannten „Snacktimes“ boten kurze Impulse zu verschiedensten Themen. Wie lässt sich beispielweise ein spannender und gemeinschaftlicher Rollenspiel-Server in Minecraft aufbauen, oder wie kann man in einem Shooter wie Battlefield desertieren?

Für die späteren Stunden waren große Abendshows geplant. Mal waren diese interaktiv und kreativ auf Abruf, wie etwa das „One Hundred Game Ideas“ des britischen Indie-Entwicklers Alistair Aitcheson, in dem die Chatteilnehmer*innen Stichwörter schrieben. Aitcheson schuf daraus dann arktische Plattformer mit alkoholabhängigen Fröschen oder einen Mix aus Physiksimulator und Bananen-Golf. Die gelebte Partizipation und das liebevolle Chaos machten das Ganze umso sehenswerter.

Andere Abendshows waren mehr zum Zuhören gedacht. Beispielsweise sprach Podcaster und Referent Marcus Richter über seine Erfahrungen, wie Videospiele seine gesamte Familie durch die Pandemie gebracht haben und was dies für das Medium Spiel in der Zeit nach Corona bedeuten könnte.

Das dritte Standbein des Programms waren gesellige Talkrunden, bei denen es zum Beispiel darum ging, was die perfekte Begleitung in einem Videospiel ausmacht, oder wie Spiele die mentale Gesundheit beeinflussen können.

Aufgrund der Internationalität der Gäste fanden viele Gesprächsrunden digital statt, was clever gelöst wurde, indem verschiedene Bildschirme mit dem Video der Sprechenden in die Sitzecke in Hamburg gestellt wurden.

Nachdem sie im letztjährigen Programm schmerzhaft vermisst wurden, erlaubte die pandemische Lage nun auch wieder Workshops, welche in Kooperation mit Hamburger Schulen stattfanden. Zwölf Schulklassen erlebten dabei ihre ersten Erfahrungen in puncto Spieldesign oder Charaktergestaltung und präsentierten später ihre gebastelten Charaktere.

Bei „Hausbesuchen“ konnten die Schüler*innen außerdem Profis aus Hamburg über die Schulter schauen, etwa im Entwicklungsstudio „innogames“. Die Kooperation mit anderen Szenegrößen ist seit jeher ein fester Bestandteil der PLAY. Dabei sind nicht nur Spielestudios, sondern auch Mitglieder des Förderprogramms „Gamecity Hamburg“ gemeint.

Der Vorteil von digitalen Messeständen? Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt.
Der Vorteil von digitalen Messeständen? Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt.

Creative Gaming Awards – größer und internationaler

Als großes Finale der Festival-Woche standen dann noch die Creative Gaming Awards ins Haus. Dabei wurden zum siebten Mal Spiele für Kreativität und Innovation sowie ein Publikumsliebling gekürt. Dieses Jahr waren die Einreichungen so international wie noch nie. Aus 146 Einreichungen aus insgesamt 16 verschiedenen Ländern musste die vierköpfige Jury, bestehend aus Szene-Größen und Indie-Entwickelnden, auswählen.

Als „Most Creative Game“ wurde One Hand Clapping vom amerikanischen Studio Bad Dream Games ausgezeichnet. Das Rätselspiel fördert das Vertrauen in die eigenen musikalischen Fähigkeiten und lässt Spieler*innen knifflige Knobelaufgaben mit Melodie, Rhythmus und Harmonie lösen.

Noch innovativer wurde es bei der Verleihung des „Most Innovative Newcomer“-Preises. Nebst Preisgeld winkte hier ein Tutoring durch Projektmanagerin Jenni Wergin vom medienboard Berlin-Brandenburg, auf welches sich die Gewinnenden von BitNine Studio freuen konnten. Ihr JRPG-Adventure tERRORbane, in dem Wagemutige in die Rolle eines Videospiel-Helden schlüpfen, der sich gegen seinen perfektionistischen Entwickler behaupten muss, überzeugte die Jury vollends.

 Das Publikum hingegen war von Help Yourself angetan und ehrte die österreichischen Programmierenden von Flat Head Studio mit dem „Audience Award“. Die ungewöhnliche Kombination aus Rätseln und First-Person-Shooter hatte es den Besuchenden der PLAY angetan. Als wäre der Genre-Mix nicht schon genug, spielten die Mechanismen, den eigenen Avatar zu klonen und durch die Zeit zu reisen, eine ebenso große Rolle.

Die drei Spiele, die es aufs Treppchen schafften, hätten unterschiedlicher nicht sein können. In One Hand Clapping stand Musik im Vordergrund …
Die drei Spiele, die es aufs Treppchen schafften, hätten unterschiedlicher nicht sein können. In One Hand Clapping stand Musik im Vordergrund …
… tERRORbane präsentierte sich als Liebeserklärung an klassische JRPGs mit einer gehörigen Portion Humor …
… tERRORbane präsentierte sich als Liebeserklärung an klassische JRPGs mit einer gehörigen Portion Humor …
… und Help Yourself verband ein actiongeladenes Shooter-Erlebnis mit Rätselaufgaben.
… und Help Yourself verband ein actiongeladenes Shooter-Erlebnis mit Rätselaufgaben.

Fazit

Trotz der erschwerten pandemischen Bedingungen hat die PLAY es geschafft, dass sich Gäste des Festivals tiefgehend mit der Thematik des Neustarts beschäftigen konnten. Die Ausweitung des Festivals auf neun Tage hat nicht nur für einen insgesamt entspannteren Ablauf gesorgt, sondern ermöglichte es ebenso, dass mehr Besuchende auf das Festival kommen konnten. Dennoch wurde das Programm nicht weniger abwechslungsreich. Ein gesunder Mix aus interaktiven und Zuhör-Angeboten sowie das Zusammenspiel von Stream, realer und digitaler Veranstaltungswelt hielten sich die Waage.

Die verschiedenen Kategorien beleuchteten alle Facetten des Themas Neustart, auch wenn sich die thematisierte post-pandemische Gesellschaft (aus der Retrospektive) ein wenig vorgegriffen anfühlt.

Trotz kleinerer technischer Startschwierigkeiten im Stream war es beeindruckend, wie international das Hamburger Spielefest wurde und wie es Menschen aus allen unterschiedlichen Ecken dieser Welt zusammenbrachte.

Artikelbilder: © Creative Gaming e. V., Bad Dream Games, BitNine Studio, Flat Head Studio
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Alexa Kasparek
Fotografien/Screenshots: Jonas Krüger

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