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Die Rollenspielwelt ist vielfältig, faszinierend und bietet überwältigende Möglichkeiten. Doch manchmal gibt es diese eine Lücke: Eine Spielwelt, für die es kein System gibt. Doch man ist durch die Bücher, Filme oder Videospiele so hineingezogen worden, dass man diese Welt unbedingt an den Spieltisch bringen möchte – aber wie?

Es ist nicht alles D&D, was glänzt. In der bunten Welt der Rollenspiele warten tausende Systeme und nochmal tausend Welten mehr, die entdeckt werden wollen. Manche davon sind – wie D&D – sehr gut ausgearbeitet und haben eine riesige Fangemeinde und Historie, andere wiederum sind nur mit der Lupe zu finden und begeistern lediglich wenige.

Die Kriterien, nach denen man auswählt, was gespielt werden soll, sind unterschiedlich: Manche mögen keine Pool-Systeme, andere wollen unbedingt mal einen Vampir spielen. Nicht immer passt das zusammen: Die Welt von Shadowrun ist beispielsweise sehr beliebt, das Regelsystem hat aber seine Tücken. Wer das eine ohne das andere will, steckt im Zwiespalt. Alternativen sind vorhanden, aber letztlich eben nur Ersatzlösungen.

Was kann man also tun, wenn Spielwelt und Regelsystem nicht gleichermaßen für die Gruppe passen? Reicht es, Hausregeln einzusetzen, um Probleme zu umgehen? Und was macht man, wenn kein Regelsystem für eine Welt besteht, die man unbedingt bespielen möchte? Ist ein Homebrew die Lösung?

Definition Homebrew:

Der Begriff Homebrew kommt aus der Alkoholherstellung: Man braut sein Bier zu Hause, statt ein kommerziell gefertigtes Produkt zu kaufen. Auf Rollenspiele übertragen heißt das, dass man neue, inoffizielle Inhalte für ein bestehendes System oder sogar ein ganz eigenes erstellt.

Im Gegensatz zu Hausregeln ist der Eingriff oder die Änderung umfassender. Man könnte Homebrews auch als Erweiterung des Begriffs Hausregeln verstehen. Die Grenzen verlaufen hierbei aber oft fließend.

Neben Charakterklassen, Fähigkeiten oder Gegenständen können ganze Kampagnen entstehen. In diesem Artikel geht es um den Fall, dass eine ganze Spielwelt adaptiert werden soll.

Über die Symbiose von Spielwelt und Regeln

So unterschiedlich wie die Spielwelten sind auch die Regelsysteme im Rollenspielbereich. Spieldesigner*innen machen sich viele Gedanken darüber, welche Art von Würfelsystem, Attributskombination und Spielmechanik sie für ihre Welten nutzen oder entwerfen. In endlosen Tests werden diese dann auf Herz und Nieren geprüft. Am Ende dieses langwierigen Prozesses steht ein ausgereiftes Produkt, an dem die erste Spielgruppe nach Veröffentlichung natürlich direkt fünf Makel findet.

Warum ist die Verbindung von Spielwelt und Regeln so wichtig? Jede Welt hat ihre eigenen Anforderungen, die es zu erfüllen gilt: Wie realistisch soll die Welt abgebildet sein? Was ist möglich? Welche Themen stehen im Mittelpunkt? Spiele, die aus der Tradition der Wargames stammen, benötigen ausgeklügelte Kampfregeln, während das bei Erzählspielen weniger wichtig ist. Spiele für Kinder benötigen andere Sicherheitsmechaniken als solche für Erwachsene. Die Liste ist endlos.

Spielwelt und Regeln arbeiten gemeinsam © Depositphotos | kovalvs

Aber nicht nur die regeltechnischen Bedürfnisse müssen erfüllt werden, sondern auch das Spielgefühl muss idealerweise aus der Welt heraus in die Würfelhand der Spieler*innen gebracht werden. So ist das Prozentsystem von Call of Cthulhu beispielsweise sehr simpel und Würfelwürfe sind einfach gemacht: Das Ergebnis kann schlichtweg abgelesen werden. Damit bricht ein Würfelwurf die Erzählung nicht lange ab, der Fokus liegt auf der Szene und alle bleiben in der Immersion.

Ein W20-System ist ebenfalls sehr direkt, wird aber durch verschiedenste Modifikationen komplexer. Besonders sich verändernde Schwellenwerte können dann Diskussionen lostreten, wie sich an Pathfinder erfahren lässt. D&D 5E ist nicht zuletzt so erfolgreich, weil eine einfache Vor- und Nachteilsmechanik das etwas entschlackt. Bei DSA werden drei Würfel gewürfelt, was die Probe an sich komplizierter macht, die individuellen Stärken und Schwächen der Charaktere aber hervorhebt. So können beispielsweise nicht alle Charaktere, die gut klettern können, auch gut schwimmen.

Würfelpool-Systeme sind extrem flexibel, können auf Erfolgen oder der Summe der Augenzahl basieren, explodierende Würfel fordern oder mit unzähligen Variablen die Anzahl der Würfel beeinflussen. Veränderungen am Charakter, der Ausrüstung oder der Situation sind direkt spürbar, weil sich die Würfelzahl in der Hand mitverändert, statt dass es einen abstrakten Modifikator gibt. Shadowrun nutzt diesen Umstand unter anderem, um die schiere Gewalt einiger Handlungen durch die Würfelzahl in die Hand der Spielenden zu legen, das glorreiche Scheitern immer als Option.

Die unterschiedlichsten Würfel für die unterschiedlichsten Systeme

Besondere Symbole auf den Würfeln können eine weitere Anpassung sein. So spielt sich Legend of the Five Rings mit dem Roll and Keep-System: Das bedeutet, dass mehr Würfel gewürfelt werden, als man am Ende werten darf. Mit der 5. Edition funktioniert diese Methode viel besser, denn sie nutzt die Sonderwürfel von Fantasy Flight Games, auf denen die Seiten teils negative und positive Effekte gemeinsam zeigen. Die Entscheidung, welche Würfel man behält, ist also relevanter.

Man könnte viele weitere Beispiele finden, die belegen, dass Spielwelten mit gut auf sie abgestimmten Regelsystemen die Immersion stärken und das gesamte Spielgefühl verbessern. Es gibt aber auch Beispiele, die dieser Aussage widersprechen. Denn manche Spielwelten sind bei verschiedenen Verlagen erhältlich, welche dann ihr eigenes System nutzen: Cthulhu gibt es als Prozentsystem oder bei FATE, für 2d20 oder Savage Worlds. Je komplexer die Anforderungen einer Spielwelt, desto eher läuft es aber auf ein einzelnes System hinaus.

Ich will die Welt sehen: Der Weg zum Homebrew

Manche Geschichten und Spielwelten beeindrucken so nachhaltig, dass man mehr in ihnen erleben möchte. Ob es dabei um die postapokalyptische Maschinenjagd von Horizon Zero Dawn, einen Besuch in Ankh-Morpork, Hogwarts oder auf der SSV Normandy geht: Man will mehr! Rollenspiele bieten (neben Larp) die perfekte Möglichkeit dazu, diese Welten in selbst gestecktem Rahmen zu erleben.

Gibt es kein offizielles System, sind Homebrews eine gute Möglichkeit, diesem unwiderstehlichen Drang nachzugeben.

Generische Systeme

FATE ist eines der bekanntesten generischen Systeme ©Uhrwerk Verlag

Universalsysteme wie FATE, Savage Worlds oder GURPS bieten losgelöst von einer spezifischen Spielwelt ein Grundgerüst, das auf alle möglichen Settings anwendbar ist. Der Vorteil von generischen Systemen ist, dass man viele Welten bespielen kann, ohne jedes Mal die Regeln neu lernen zu müssen. Hier und da gibt es dann Anpassungen, aber das Grundgerüst bleibt immer gleich.

Diese universelle Anwendbarkeit bedingt auch, dass die Regeln recht einfach zu verstehen sind. Zu komplexe Regeln würden zu viele Anpassungen für einzelne Settings fordern. Dadurch kann man generische Systeme als einsteigerfreundlich bezeichnen. Der Nachteil ist, dass das System nicht perfekt angepasst ist.

Sucht man eine Möglichkeit, etwas Bestehendes zu nutzen, um die Lieblingswelt schnell ohne viele Anpassungen abbilden zu können, bieten generische Systeme aber sicherlich eine einfache Lösung. Für eine lang angelegte Kampagne sollte man sich aber immer genau damit befassen, ob diese Lösung den Anforderungen der Spielenden und der Welt gerecht wird.

Vorbereitung

Möchte man nicht auf ein generisches System zurückgreifen, bleiben zwei weitere Möglichkeiten: Ein nicht-generisches System so lange anpassen, bis es für das Setting stimmig ist, oder ein eigenes System schreiben. Die Entwicklung eines komplett eigenen Systems ist schwierig, langwierig und eigentlich nicht mehr notwendig. Die Möglichkeiten sind so umfangreich, dass man das Rad wahrscheinlich nicht neu erfinden wird. Oder, wie schon Kohelet gesagt haben soll: „Es gibt nichts Neues unter der Sonne.“ Das heißt natürlich nicht, dass man es nicht versuchen kann.

Nimmt man ein bestehendes System, muss die Vorlage sich nah an dem befinden, was am Ende dabei herauskommen soll. Es ist also empfehlenswert, sich ausgiebig umzugucken. Viele Homebrews basieren heutzutage auf D&D 5E, weil es sehr bekannt ist. Bei Fantasy-Welten ist das noch nachvollziehbar: Delvebound (UESTRPG) ist eine 5E-Adaption für das The Elder Scrolls-Universum und für Tamriel ist das System stimmig.

Aloy’s Guide to Machines ©wallpapersguide.com, bearbeitet von Daniele Vecchio

Horizon Zero Dawn wurde von Irondany unter dem Titel Aloy’s Guide to Machines ebenfalls für D&D 5E adaptiert. Da es keine Magie in der Spielwelt gibt, entstehen durch das Hinzufügen von Zaubersprüchen für die ausschließlich männlichen Sonnenpriester oder die Druid*innen der Banuk Dissonanzen zur Vorlage. Von Paladin*innen der Oseram ganz zu schweigen. Trotzdem ist der Homebrew sehr gut, ausgereift und darüber hinaus schön gestaltet.

Spätestens bei der Adaption für Mass Effect merkt man die Grenzen von D&D 5E. Es gibt bessere Alternativen, eine Science-Fiction-Welt ins Rollenspiel zu übertragen: Starfinder, Coriolis oder Mindjammer bieten sich da eher an. Es gibt schon Regeln für Raumschiffe, Sternenreisen und futuristische Waffen. Der Weg zu einer erfolgreichen Adaption ist nicht mehr so lang.

Nach der Wahl der Vorlage folgt die Recherche: Man muss sich sehr gut in der Spielwelt auskennen, um die Auswirkungen der Anpassungen einschätzen zu können. Also spielt man das Spiel am besten nochmal, liest die Bücher, schaut die Serie oder verliert sich in gut geführten Wikis.

Brauen

Mit der Vorlage und all den Informationen kann man loslegen: Es muss festgelegt werden, welche Regeln passen und welche geändert oder über Bord geworfen werden müssen. Die Spielweltinhalte brauchen eine Entsprechung im System: Der Kommandeur der Stadtwache in Ankh-Morpork – Samuel Mumm – könnte Ritter, Krieger oder vielleicht sogar Vampirjäger sein. Die Waffen aus Horizon Zero Dawn müssen mit passenden Schadenswerten versehen und an Talente und Fähigkeiten geknüpft werden. Oder es muss geklärt werden, zu welcher Schiffsklasse die SSV Normandy gehört. Man sollte im Kleinen beginnen und sich von dort aus immer weiter vorarbeiten.

Da es kein Universalmodell zur Erstellung gibt, kann es hilfreich sein, sich an folgende Richtlinien zu halten:

Einfachheit gewinnt

Homebrews werden in der Regel nicht von erfahrenen Spieldesigner*innen gemacht, sodass sich Probleme dieses teils sehr langwierigen Prozesses nicht absehen lassen. Wenn man ein Homebrew plant, sollte man das System gut kennen. So mancher Gegenstand hat schon das Balancing einer ganzen Spielwelt durcheinandergeworfen.

Plant man ein ganz eigenes System, ist es wichtig, erst einmal die Grundlagen herauszuarbeiten. Niemand gewinnt etwas dabei, wenn es Regeln für Unterwasserkampf gibt, aber keine für die alltäglichen Abenteuer.

Nicht zu viel auf einmal

Eine Welt und die damit verbundenen Regeln müssen wachsen. Nicht immer sind die Informationen, die man braucht, im richtigen Moment verfügbar und manchmal ändern sie sich auch. Niemand muss direkt ein ganzes Universum erschaffen, sondern es reicht aus, die Kernmechaniken in kleinem Rahmen zu testen. Kammerspiele sind der Eingangsbereich in das Haus der unbegrenzten Möglichkeiten.

Der Spaß steht im Vordergrund

Am Ende eines Spielabends gilt es, Spaß gehabt zu haben, und die Regeln sollen diesem Zweck dienen, nicht sich selbst. Wann immer man merkt, dass Teile des Entwurfs sich klobig oder einfach nicht gut anfühlen, sollte man etwas ändern. In vielen Spielrunden lassen die Gruppen die Ringkampf-Regeln wegfallen – aus genau diesem Grund.

Feedback ist absolut unabdingbar © Depositphotos | ivelin

Es gibt Hilfe und nichts klappt auf Anhieb

Die Homebrew-Community ist groß und das sollte man nutzen. Dort findet man Hilfe – und Trolle, wie überall im Internet, aber hauptsächlich Hilfe. Wenn man seine Inhalte teilt, bekommt man viele gute Anregungen und hilft auch anderen, ihre eigenen Ideen abzugleichen.

Kritik ist elementarer Bestandteil des Prozesses. Wenn etwas im Test nicht funktioniert, sollte man nicht verzagen! Die Kritik der Spielenden ist wertvoll, gibt neue Perspektiven und ist Anlass zur Veränderung und damit Verbesserung.

Fermentation

Bevor es zum letzten Schritt geht, sollte ausgiebig getestet werden. Jeder einzelne Aspekt sollte ein paar Mal durchgegangen werden, bevor er in den Spieltest geht. Je nach Würfelsystem können leichte Veränderungen an den Werten von NSC große Auswirkungen haben oder neu geschaffene Waffen das Weltgefüge ins Wanken bringen.

Anpassungen am System müssen reifen und immer wieder neu evaluiert werden. In der Community gibt es viele hilfreiche Menschen, die Probleme sehen, die einem selbst verborgen bleiben. Nicht zuletzt sollte man seine heimischen Spielgruppen befragen, mit ihnen Testen und sich Feedback holen. Oft ist der zweite Durchlauf einer Homebrew-Kampagne besser als der erste, weil Fehlendes ergänzt und überschüssiger Ballast bereits abgeworfen wurde.

Abfüllen

Die Präsentation spielt eine Rolle. Es ist einfach schön, die neuen Gegenstände mit einer Illustration versehen zu haben, daraus eine Spielkarte zu machen und diese aushändigen zu können. Kampagnen benötigen NSC, die übersichtlich ausgearbeitet und dargestellt sein wollen und komplette Adaptionen müssen auch in ein paar Jahren noch nachvollziehbar sein.

Die meisten Homebrews verlassen nie die eigenen vier Wände, aber man tut auch sich selbst mit einem schicken Layout, einem Index oder einfach einer gelungenen Struktur einen Gefallen.

Fazit

Trotz der Vielfältigkeit an Systemen und Spielwelten gibt es immer wieder blinde Flecken: Vielleicht ist das Buch zu neu oder zu alt, das Spiel zu unbekannt oder die Serie zu früh abgesetzt worden. Das heißt nicht, dass man sich nicht an einen Tisch setzen will und die geliebte Welt aus der Geschichte mit einem Charakter erleben oder als SL präsentieren möchte.

Die Faszination, die Rollenspieler*innen an phantastischen Welten und ausgeklügelten Rollenspielen finden und die Hingabe, die sie diesen zuteilwerden lassen, bringen sie auch dazu, eigene Ideen umzusetzen. Homebrews sind die Kinder dieser Eigeninitiative. Auf dem Weg warten aber viele Gefahren und Hürden, die überwunden werden wollen.

Ob generische oder spezifische Systeme zur Grundlage genommen werden, der Aufwand ist selten gering, wenn neue Welten an den Spieltisch gebracht werden sollen. Man braucht gute Kenntnisse der Materie, sollte sich nicht zu viel auf einmal abverlangen und es vor allem zu Beginn einfach halten. Vor allem sollte man den Spaß nicht aus den Augen verlieren und die Hilfe der Community in Anspruch nehmen. Davon profitieren alle, denn es wird immer Momente geben, in denen es einen in diese eine Spielwelt zieht, die man schon immer besuchen wollte. Und dann ist man entweder froh, wenn schon jemand vor einem da war, oder wenn man Hilfe auf den ersten wackligen Schritten ins Ungewisse erhält.

 

Artikelbilder: © Depositphotos | Elena Schweitzer
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat: Maximilian Düngen
Fotografien: Norbert Schlüter

1 Kommentar

  1. Meiner Erfahrung nach ist es weniger das szenarische Universum in dem sich die Spieler bewegen, als vielmehr die Art, wie sie damit interagieren.
    Savage Worlds zB. unterstützt vom Regelsystem her eher langer than live Charactere als the guy next door. Mit dem Call of Chtulhu System (Basic RPG als zugrunde liegendes genetisches System) fällt es ohne Anpassung schwerer eine Pulp Kampagne zu spielen (dafür gibt es einen Ergänzungsband). Das Mutants&Masterminds System ist für eine low magic, grim & gritty Kampagne weniger geeignet als das The One Ring System.
    System Matters!
    Daher gilt es erst zu ergründen, welches System die gewollte Interaktion mit der Spielwelt am besten fördert.
    Ist dieses gefunden, kann das fine tuning beginnen in dem Regeln so angepasst werden, dass sie dias gewählte Universum bestmöglich simulieren.

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