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Außerirdische Lebensformen laden zum metagalaktischen Grand Prix – und plötzlich muss ein verschlissener Rockstar den Song schreiben, der die gesamte Menschheit retten soll. Catherynne M. Valente entführt mit ihrer Hommage an den Eurovision Song Contest in ein schrilles Universum, in dem Taktgefühl über Leben und Tod entscheiden kann.

In der zeitgenössischen Science-Fiction geben US-AmerikanerInnen noch immer den Ton an. Das ist so ziemlich die einzige Erklärung dafür, dass Space Opera erst jetzt erscheint – ein Roman, dessen Prämisse derart naheliegt, dass manche LeserInnen sich an den Kopf fassen und fragen dürften, weshalb sie ihn nicht selbst geschrieben haben. Mitunter aber erscheinen einem die eigenen Gebräuche gar nicht mehr sonderlich bemerkenswert; also musste erst die Amerikanerin Catherynne M. Valente kommen, um eines der größten europäischen Massenevents ins Weltall zu verlegen.

2012 – dem Jahr, in dem sechs russische Großmütterchen für Aufsehen sorgten – hielt sich die damals 33-Jährige zufällig in London auf, während ihre Gastgeber den Eurovision Song Contest Überwältigt von dem Konzept, mutierte sie sofort zum Apostel dieser jährlich zelebrierten Ersatzreligion, arbeitete sich intensiv in die Geschichte des Musikwettbewerbs ein und war künftig ganz vorne mit dabei, wenn Europa sich im ESC-Fieber befand.

Die Idee für den Roman entstand aus einem Scherz heraus. Während Valente den ESC 2016 auf Twitter kommentierte, schlug ihr jemand vor, eine alternative Science-Fiction-Version zu schreiben, in der anstelle von Ländern verschiedene Planeten gegeneinander antreten. Kurze Zeit später erhielt die Autorin die erste Nachricht von einem Verlag, der das noch ungeschriebene Buch direkt kaufen wollte. Nun gab es kein Zurück mehr, denn, wie Valente 2017 im Gespräch mit dem Blog von Barnes & Noble erklärte: „When rock and roll calls, you pick up the damn phone.“

Story

Nachdem die sogenannten „Empfindsamkeitskriege“ schreckliche Verluste gefordert haben, konnte sich die intergalaktische Gemeinschaft schließlich auf eine friedliche Methode einigen, um künftige Konflikte auszutragen. Jede intelligente Spezies, die sich den Sternen zuwendet, muss beweisen, dass sie sowohl bewusstseins- als auch empfindungsfähig ist, um in den Kreis jener Lebensformen aufgenommen zu werden, die allgemein anerkannte Persönlichkeitsrechte genießen. Und wie könnte man die einzigartigen kognitiven und emotionalen Kapazitäten seiner Spezies besser ausdrücken als mit der universellen, alle inneren wie äußeren Grenzen überwindenden Sprache der Popmusik?

So kam es zur Ausrichtung des metagalaktischen Grand Prix, ein in alle Ecken des bekannten Universums übertragenes Spektakel, bei dem die empfindsamen Lebensformen ihre musikalischsten Vertreter gegeneinander antreten lassen, um anschließend über deren Performance abzustimmen. Es geht um Ruhm, Rohstoffverteilung und – im Falle neuer Anwärter auf die Bezeichnung „empfindsam“ – ums Überleben der eigenen Art.

Von all dem haben die Menschen auf der Erde wenig mitbekommen. Und so ist die Überraschung groß, als ihnen eines Tages der Abgesandte der Großen Oktave in Form eines blauen, flamingoartigen Wesens erscheint und sie zur Teilnahme verpflichtet. Damit die haarlosen Affen mit mittelmäßigem Gehör zumindest eine ungefähre Vorstellung davon bekommen, was das showverliebte Universum von ihnen erwartet, hat der hilfsbereite Pate eine Liste mit irdischen Acts zusammengestellt, die beim intergalaktischen Publikum bereits gut ankamen.

Als klar wird, dass der größte Teil dieser Liste von Yoko Ono über Kraftwerk bis hin zu den Spice Girls verstorben ist – die Zukunft meint es nicht gut mit den Stars von gestern –, bleibt die Rettung der Welt plötzlich an Danesh Jalo alias Decibel Jones hängen, Frontmann der One-Hit-Wonder-Glam-Rock-Band „Decibel Jones & The Absolute Zeros“. Auf allen Ebenen gescheitert, mit seinem Bassisten unrettbar zerstritten und noch immer verfolgt vom Tod seiner Drummerin Mira Wonderful Star, sieht dieser sich zwar in absehbarer Zeit keinen Song mehr schreiben, doch eher er sich’s versieht, findet sich der Möchtegern-Ziggy-Stardust in einem Raumschiff wieder, auf dem Weg zum größten Auftritt seines Lebens.

Witzig, absurd und völlig überdreht ist Space Opera der Versuch einer Science-Fiction-Komödie, die mehr als einmal an Douglas Adams’ Per Anhalter durch die Galaxis erinnert, in ihrer staunenden Begeisterung für die vielfältigen Lebensformen, Kulturen und Bräuche des Universums aber auch an Russell T. Davies’ Doctor Who-Staffeln gemahnt oder, insbesondere wenn Valente das Erzähltempo anzieht, an die unberechenbar hektische Welt von Rick and Morty. Über einen Mangel an Phantasie kann man sich bei diesem wahnwitzigen Feuerwerk, das ganz tief in die Trickkiste der grotesken Kreaturen greift und singende Algen, morbide Killerkobolde und parasitäre Zombieviren auf einer kosmischen Bühne versammelt, wahrlich nicht beschweren.

Valentes Leidenschaft gilt dem Intergalaktischen Grand Prix, und so ist dessen detaillierte Ausarbeitung auch die größte Stärke des Romans. Das Loblied auf den Grundgedanken des Wettbewerbs – Musik als Vehikel des interkulturellen Verständnisses und gegenseitige Anerkennung – schallt einem aus jedem Kapitel entgegen – mitunter deutlich lauter, als man es heutzutage beim realen Vorbild vernimmt. Dabei vereinfacht die Allegorie auf die Erfolgsgeschichte eines friedlichen Europas zwar komplexe Zusammenhänge, erinnert aber auf angenehme Weise daran, dass wir vielleicht doch noch nicht ganz in der Realität eines Orwell-Romans angelangt sind.

Letztendlich ist es allerdings auch diese ständige Verpflichtung zum Amüsement, welche es dem Roman nicht erlaubt, eine gewisse Tiefe zu erreichen und dorthin zu gehen, wo es wirklich wehtun würde. So hält sie sich mit den Beschreibungen der Spezies, die den Personenstatus in den Augen der tonangebenden Musikmächte nicht erlangt haben und regelkonform ausgelöscht wurden, vornehm zurück. Man will im glitzernden Konfettiregen schließlich niemandem den Spaß mit irgendwelchen Genozidbeschreibungen verderben.

Auch andere Plotmomente fühlen sich überraschend altmodisch an, allen voran die Verklärung der verstorbenen Mira Wonderful Star, die als emotionaler Dreh- und Angelpunkt von Decibels Charakterentwicklung fungiert. Aber die Figuren sind bei diesem Festival der Skurrilität ohnehin nebensächlich, dessen Spannung weit weniger darin besteht, ob die Menschheit am Ende noch eine weitere Runde auf ihrem kleinen, nassen Planeten drehen darf, sondern in der Frage, welche Aliens auf welche Weise mit welchen Körperteilen musizieren können.

Schreibstil

Dass einem Space Opera mitunter rhetorisch völlig überladen vorkommt, kann man Valente schwer zum Vorwurf machen, ist der Stil doch in etwa so aufgeregt und überzogen wie die durchschnittliche ESC-Moderation – und auch ähnlich präzise durchkonzipiert. Bereits die ersten beiden Kapitel, die in ähnlichen Worten parallel den Ausbruch der Empfindsamkeitskriege und Aufstieg und Fall der fiktionalen Band „Decibel Jones & The Absolute Zeros“ nachzeichnen, strafen die scheinbare lockere Spontanität der allwissenden Erzählstimme Lüge.

Hier steht jedes Wort an seinem Platz, und so bleibt es auch, selbst wenn sich Sätze wie Luftschlangen über ganze Seiten ringeln und die Leserschaft Kaskaden von Adjektiven hinterherjagen lassen. Die besten Momente sind daher jene, in denen dieser Überschwang von Perspektivwechseln begleitet wird, was genuin komisch ist. Am schwächsten wirkt das galaktische Singspiel, wenn es zu einer bemühten Douglas-Adams-Imitation verkommt. Meistens halten sich beide Eindrücke aber ungefähr die Waage und die Lektüre bleibt vergnüglich, wenngleich irritierend.

Ein echtes Gimmick für Fans sind die Kapitelüberschriften, allesamt mehr oder weniger bekannte Songs aus der ESC-Geschichte. Sie treffen den Ton der von ihnen eingeleiteten Szenen nicht immer, aber oft genug, und dass neben offensichtlichen Titeln auch völlig obskure Songs dabei sind, lädt zu fröhlichen Ratespielen mit integrierter Youtube-Odyssee ein. Hingegen sind die musikalischen Referenzen im Text selbst auf größtmögliche Zugänglichkeit für ein breites Publikum angelegt, sodass Anspielungen auf David Bowie, Lou Reed oder die Sex Pistols allgemein verständlich bleiben.

Die Autorin

Catherynne M. Valente wurde 1979 als Bethany Thomas geboren. Die Autorin und Literaturkritikerin verfasste zahlreiche Romane, Novellen und Kurzgeschichten und wurde für viele namhafte Auszeichnungen nominiert, darunter den Hugo und den World Fantasy Award. Für In the Night Garden, den ersten Band ihrer Fantasyreihe The Orphan’s Tales gewann sie 2006 den James Tiptree, Jr. Award. Valente lebt auf einer Insel vor der Küste von Maine.

Erscheinungsbild

Die vor einem nachtblauen Sternenhimmel prangende Neonschrift und die wie ein Planet beringte Discokugel zieren tatsächlich auch das Cover des englischen Originals. Das Buch ist gewohnt hochwertig und ohne größere Auffälligkeiten.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Fischer Tor
  • Autorin: Catherynne M. Valente
  • Erscheinungsdatum: 24. April 2019
  • Sprache: Deutsch (Aus dem Amerikanischen übersetzt von Kirsten Borchardt)
  • Format: broschiert
  • Seitenanzahl: 352
  • ISBN: 978-3-5967-0444-6
  • Preis: 14,99 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon (auch im Original)

 

Fazit

Space Opera ist kein Roman, auf den die Welt gewartet hat, und doch überrascht es etwas, dass es so lange gedauert hat, bis ihn tatsächlich jemand schrieb. Das absurde Brimborium um einen metagalaktischen Grand Prix, bei dem Alienspezies in einer großen Bühnenshow gegeneinander antreten, ist schrill, bunt und gelegentlich etwas stressig, sodass hier gewiss nicht jeder die beim ESC so heiß ersehnten zwölf Punkte vergeben würde. Dabei lohnt sich das Buch durchaus, vor allem für die Begeisterung, mit der Autorin Valente ihre Hommage an den Eurovision Song Contest konzipiert und mit Leben füllt. Dass daneben die menschlichen Protagonisten etwas blass bleiben, ist verschmerzbar. Die zahlreichen Musikanspielungen unterhalten, an die überdrehte Erzählweise gewöhnt man sich alsbald, und so bleibt Space Opera alles in allem ein harmloser Spaß, der nicht in die Tiefe geht.

Wer sich für Science-Fiction-Komödien wie die Klassiker von Douglas Adams oder auch John Scalzis Redshirts begeistert, sollte dem Roman eine Chance geben. Ansonsten wird er vor allem Fans aufgesetzter Fröhlichkeit, pompös-überzogener Dramatik, quietschbunter Vielfalt und einer aufbauenden Love-and-Peace-Message begeistern. Mit anderen Worten: Was explizit als Science-Fiction für ESC-Fans seinen Anfang nahm, ist im Kern eben genau das. Wenigstens wissen wir nun alle, was wir nächstes Jahr als Gastgeschenk zur ESC-Party des Måns-Zelmerlöw-verrückten Arbeitskollegen mitbringen. Und damit ist das intergalaktische Vorsingen noch nicht zu Ende: Eine Fortsetzung unter dem wenig überraschenden Titel Space Oddity ist bereits für 2021 angekündigt.

 

 

Artikelbild: Fischer Tor, Bearbeitet von Verena Bach
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

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