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Spiele leiten 9 to 5 – der Traumjob einer jeden Rollenspielerin. Vielleicht habt ihr euch selbst einmal mit euren Minis im Rucksack und zusammengerollter Battle Map unterm Arm durch die Stadt ziehen gesehen. Aber würden wir in Wirklichkeit jemals Geld für unsere Dienste verlangen oder wäre das anmaßend? Ein Kommentar.

Vor ein paar Wochen antwortete ich auf ein ungewöhnliches Gesuch in einer Facebook-Rollenspielgruppe. Eine Frau suchte eine Möglichkeit, eine D&D-Gruppe für ihren Sohn zu organisieren. Idealerweise mit Gleichaltrigen. Ich, die ich mich gerade mit diversen Kursangeboten – darunter auch Rollenspielrunden – an Schulen und Bildungsinstitutionen bewarb, meldete mich darauf mit dem Angebot, eine kindgerechte Kampagne für ihn und seine Freunde zu entwerfen und regelmäßig zu leiten. Wie das in solchen öffentlichen Gruppen manchmal so ist, meinte hier jemand, das sei doch unnötig, früher, als Teenager, habe er mit seinen Kumpels selbst die Regelbücher unsicher gemacht, und ein anderer, dass er sich das vorstellen könne, aber keine Zeit für eine weitere Runde habe. Die Mutter kontaktierte mich und wir kamen zu einer Übereinkunft.

Die Entrüstung

Doch was mich wirklich zum Nachdenken brachte, war der Kommentar eines Nutzers auf mein Angebot, der erst ein paar Tage später kam. Er lautete nur (Zitat): „Du lässt dich fürs DMen bezahlen??“ So hatte ich noch nicht über meine Tätigkeit nachgedacht. Ich hatte zwar von einem Bekannten gehört, dass er als Nebenjob in der Nachmittagsbetreuung einer Ganztagsschule D&D leitete, aber ich selbst sah mein Angebot eher parallel zu den Creative-Writing-Workshops und Theater-AGs, die ich bisher für Kinder angeboten hatte. Konnte ich mir vorstellen, auch außerhalb eines pädagogischen Rahmens professionell zu leiten?

Vorweg sei gesagt: Erste Berufsleiterinnen findet man derzeit nur in den USA. Meines Wissens gibt es zurzeit niemanden in Deutschland, die ihren Lebensunterhalt komplett als freiberufliche Spielleiterin finanziert. Seit zweieinhalb Jahren bin ich schon Spielleiterin in unterschiedlichen Konstellationen – gewiss lächerlich kurz in der Meinung mancher Alteingesessener. Aber Geschichten erzähle ich beruflich schon seit über zehn Jahren.

Ja, ich würde ohne mit der Wimper zu zucken auch für Erwachsene gegen Bezahlung leiten und kann mit bestem Gewissen behaupten, ihnen eine ausgezeichnete Spielerfahrung bieten zu können. Doch sind bezahlte Leiterinnen grundsätzlich besser als Amateurinnen? Gewiss nicht. Aber sie sollten eine Expertise im Geschichtenerzählen haben, für die wir in anderen Kontexten durchaus bereit sind, ordentlich zu blechen. Wir kaufen Videospiele, Bücher, zahlen (wenn auch manchmal widerwillig) unsere Rundfunkgebühren und das Abo der Streaming-Plattform unserer Wahl. Also warum finden wir den Gedanken so anstößig, jemanden für das Leiten einer Rollenspielrunde zu bezahlen?

Das Genie und die Unterhaltungskünstlerin

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir einen kurzen Ausflug in die deutsche Literaturgeschichte unternehmen. Das Bild des poetischen Genies stammt aus dem Zeitalter des Sturm und Drang, in dem die einzigen „sogenannten wahren Größen“ der Literatur und des Theaters weiße Männer mit gehörigem Vermögen in der Familie waren. Diese hätten kaum die Seelenruhe gehabt, solch umfassende Werke zu verfassen, wenn ihnen erstens nicht ein Großteil der Care-Arbeit durch die Frauen und Bediensteten in ihrem Leben abgenommen worden wäre und zweitens durch ihre Herkunft keine finanzielle Rücklage zur Verfügung gestanden hätte. (Auch hier bestätigen die Ausnahmen die Regel.) Der klassische Schriftsteller schreibt nicht, um sich zu ernähren – nein, er steht über solchen weltlichen Bedürfnissen. Ein Genie schreibt, weil es in ihm brodelt und weil die Muse ihn geküsst hat.

Ein irrwitziges Image, das sich in einem Zeitalter nicht halten kann, in dem traditionelles Bardentum inzwischen Storytelling heißt und trotz seines Buzzword-Status ein sehr schlecht vermarktbarer Skill ist, für den nur selten Anerkennung gezeigt wird, vor allem nicht monetär.

Kreative Jobs im Entertainment, die das Erzählen von Geschichten als Kernkompetenz erfordern, wie beispielsweise Drehbuchautorin, TV-Redakteurin, Dialogautorin für Videospiele und Theater- oder Filmregisseurin werden leider oft durch Vitamin B vergeben. In den wenigen Ausschreibungen wird nach mehrjähriger Erfahrung gesucht, ohne jemals Einstiegspositionen anzubieten – bloß schlecht bezahlte Praktika, die inzwischen nur noch für eingeschriebene Studierende zugänglich sind. Und sogar die sind keine Garantie für bessere Jobchancen.

Arbeitslose Bardinnen

Wie halten sich Geschichtenerzählerinnen also über Wasser? Freiberuflich von einem Projekt zum nächsten zu springen ist nicht nur stressig und kann keine Familie ernähren, in vielen Fällen werden die Projekte schlecht bezahlt oder man kommt nicht gar nicht erst an sie heran. Wenn das Ersparte für Lebenshaltungskosten dahingeschmolzen ist, sehen wir uns oft gezwungen, von Arbeitslosengeld zu leben oder unterqualifizierte Jobs im Service oder anderen fachfremden Tätigkeiten anzunehmen, die höchstens auf eine Nebenqualifikation basieren.

Im besten Fall ergattert man einen stabilen Brotjob, der zumindest im weitesten Sinne, die Skills erfordert, die man sich mühevoll angeeignet hat, wie Lektorat, Lehren, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Doch auch die muss man meistens Vollzeit ausüben, wenn man selbst mit eventuellen Kindern über die Runden kommen soll … und dann wird die eigentliche Kernkompetenz „Schreiben oder im weitesten Sinne Storytelling“ zum Hobby.

Denjenigen Kreativen, die sich weigern, ihre Berufung zu einem Hobby zu degradieren, und im Selbstständigkeitspräkariat ihr Dasein fristen, zu sagen „Hättet ihr mal was Ordentliches gelernt!“ ist mehr als zynisch. Die Unterhaltung, die man so dringend nach einem harten Tag in den Arbeitsmühlen konsumiert, schreibt, musiziert, designt und produziert sich schließlich nicht von selbst.

Geschichtenerzählen ist ein Handwerk

All dieser fehlenden Anerkennung für das Schreiben liegt meiner Meinung nach unter anderem auch eine falsche Wahrnehmung dieser Fähigkeiten zu Grunde. Auch hier spielen das deutsche Literaturverständnis und der Geniebegriff eine große Rolle. Dass man schreiben – oder im weitesten Sinne das Erzählen von Geschichten – lernen und lehren kann, ist eine grund-amerikanische Einstellung. Creative Writing (Kreatives Schreiben) ist als Studiengang in den Vereinigten Staaten Gang und Gäbe. Hier in Deutschland gibt es nur zwei solcher Studiengänge.

Oft bekomme ich das Lob: Wow, du kannst aber gut schreiben. Das will ich auch hoffen, ich habe das immerhin jahrelang studiert! Gut zu zeichnen oder ein Musikinstrument zu spielen, erfordert Übung. Eine künstlerische Veranlagung – wenn es so etwas überhaupt gibt – kann bestenfalls ein Anfang sein.

Was ich damit auf keinen Fall implizieren möchte, ist, dass der einzige Weg zum professionellen Erzählen über die Uni führt. Aber der Umkehrschluss, dass man es eben nicht lernen kann, sondern einfach als Schriftsteller geboren wird (und ja, der Genieverdacht fällt traditionell wesentlich auf männliche Autoren), verschleiert die harte Arbeit, die wir als Geschichtenerzählende leisten.

Ich sehe mich nicht als Künstlerin, ich bin Unterhalterin. Ich will gute Unterhaltung schaffen, die meinen eigenen, manchmal künstlerischen Ansprüchen genügt. Doch ich will primär als Handwerkerin gesehen werden. Handwerk wird bezahlt. Niemand verlangt einen Haarschnitt von der Friseurin oder einen Tisch von der Tischlerin gratis.

Ich schreibe ehrenamtlich für die Teilzeithelden, weil es mir Spaß macht und weil ich viel über Rollenspiel zu sagen habe, wofür es anderweitig keine Plattform gibt. Aber wenn ich es als Dienstleistung tue, mache ich es ganz bestimmt nicht für nichts als Prestige oder „for exposure“, wie man heutzutage dreist von Kunstschaffenden verlangt.

Leiten als Dienstleistung

Doch zurück zum konkreten Fall des entrüsteten Facebook-Kommentars (Zitat): „Du lässt dich fürs DMen bezahlen??“ Dem liegt wahrscheinlich der Trugschluss zu Grunde, dass man den Mangel an Spielleiterinnen ausnutzt, um sich daran zu bereichern. Oder anders ausgedrückt: Dahinter steht die Annahme, dass man sich für die Ausübung des eigenen Hobbys bezahlen lasse, also für etwas, das man ohnehin tun würde.

Dagegen kann ich nur sagen: Wenn ich gegen Bezahlung leite, ist das eine Dienstleistung, die ich erbringe. Würde ich nur zum Spaß neben meinen zweiwöchentlichen festen Runden noch eine dritte leiten, und zwar für Kinder, die zwar superengagiert und liebenswert sind, aber alle paar Minuten aus dem Rollenspiel treten und sich gegenseitig zur Weißglut ärgern können? Würdet ihr?

Natürlich verlange ich kein Geld von meinen Freundinnen, wenn ich eine Kampagne für sie leite. Ich habe Lust, eine Kampagne im D&D-Setting Eberron spielen zu lassen? Dann suche ich mir Spielerinnen, die das auch wollen, und es kann losgehen. Doch mit fremden Menschen zu spielen ist immer anstrengender und riskanter, besonders als Frau. Meistens habe ich Glück mit den Interessierten, aber manchmal muss ich auch länger nach den richtigen Mitspielerinnen suchen.

Die größten Unterschiede zwischen Leiten als Freizeit und Leiten als Dienstleistung habe ich hier aufgelistet.

 

Freizeit

Dienstleistung

– theoretisch kann man einen Termin verschieben, falls etwas dazwischenkommt

– fester Termin, zuverlässig da sein

– zu Hause am Küchentisch

– Fahrt zum Veranstaltungsort

– man kann das Spiel frei gestalten

– Setting, System und Art des Spiels wird meistens von den Spielerinnen festgelegt

– mit Freundinnen kann man improvisieren und trotzdem viel Spaß haben

– sorgfältige Vorbereitung wird erwartet

– mit Freundinnen kann man (idealerweise) immer offen sein. Man will schon, dass sie Spaß haben, aber nicht zwangsläufig auf Kosten des eigenen Spielvergnügens

 

– emotional labor (Emotionsarbeit) eines Dienstleistungsjobs: z. B. freundliches Auftreten, Empathie, Zurückhaltung, Unterwürfigkeit und das Akzeptieren von Ungerechtigkeit

 

In Hobby-Runden ist die Spielleiterin auch eine Spielerin. Sie hat genauso ein Anrecht auf Spaß und Unterhaltung, wie alle anderen. In bezahlten Runden ist sie Dienstleisterin, und als solche ist es ihr Job, alle anderen zu unterhalten. Falls sie selbst dabei Spaß hat, prima. Wenn nicht, schade, aber ist halt der Job. In beiden Fällen verdient sie es, für ihre Dienstleistung angemessen vergütet zu werden.

Schließlich kann man am eigenen Job auch Spaß haben. Bloß weil man sich auf der Arbeit nicht miserabel fühlt, heißt es nicht, dass sie keine professionelle Tätigkeit sein kann.

Das Modell Aufwandsentschädigung

Abgesehen von besagtem Bekannten, der für Kinder in der Ganztagsbetreuung leitet, habe ich nur von einem Fall gehört, in dem ein Spielleiter Geld von seinen Spielern verlangte, und zwar bei einer Online-Runde. Alle Spielenden zahlten pro Sitzung fünf Euro – was natürlich weit von einer angemessenen Entlohnung entfernt liegt. Aber dazu war dieser Betrag auch nicht gedacht. Es ist ein Tool, das unter Online-Leiterinnen eingesetzt werden kann, wo das Absagen und Abspringen noch einmal einfacher ist und eher toleriert wird, als wenn man sich physisch trifft.

Denn in Wahrheit ist die Grenze zwischen Freizeitleiten und Dienstleistung, wie ich sie oben so feinsäuberlich getrennt habe, eigentlich eine fließende. Ich persönlich finde eine Aufwandsentschädigung (nicht zwangsläufig eine monetäre) für freiwillige Arbeit gehört nicht bloß zum guten Ton, sondern verschafft der Freiwilligen auch das Gefühl, wertgeschätzt zu werden.

In der Anonymität von Online-Spielen kann ein Fünfer die Care-Arbeit ersetzen, mit der man sich als Spielerin in einem physischen Setting erkenntlich zeigen könnte (kochen, zu sich nach Hause einladen, Pizza ausgeben, Snackversorgung, einen Kasten Bier mitbringen etc.). Und vor allem schafft eine kleine Aufwandsentschädigung Verbindlichkeit. Als Spielerin ist man eher willens, den inneren Schweinehund zu überwinden, wenn man Geld dafür bezahlt hat, und als Spielleiterin verdient man sich ein kleines Taschengeld, das man in den Erwerb des nächsten Rollenspielbuchs stecken kann.

Was kann ich also tun?

Womit wir schon beim nächsten Thema wären: Miniaturen, Pinsel, Farbe, Gelände, Bücher, Online-Tools, Charakterporträts – wir geben Hunderte von Euro für unser Hobby aus! Es ist auch völlig in Ordnung, für das, was einen glücklich macht, viel auszugeben. Aber wer für solche Produkte das Geld hat, kann sich auch eine Profi-Leiterin leisten.

Ihr unterstützt doch auch Kickstarter, oder? Ich sehe keinen Unterschied. In beiden Fällen könnt ihr junge, arbeitssuchende Kreative fördern, die in einer harschen Arbeitswelt keine Chance auf stabile, menschenwürdige Lebensbedingungen bekommen.

Eine Paywall vor meinem Lieblingshobby hochzuziehen ist explizit nicht das Ziel! Lest diesen Artikel vielmehr als Apell an diejenigen unter uns, die das Privileg genießen, einen festen, lebenskostendeckenden Job zu haben, der Community etwas zurückzugeben.

Artikelbild: depositphotos / © NataliMis

 

Über die Autorin

Lara De Simone ist freie Autorin in den Bereichen Games, TV und Belletristik. Am Rollenspiel fasziniert sie das narrative Potential, das dem gemeinsamen Erzählprozess zwischen Spielleitung und Spielenden innewohnt. Wer mit ihr D&D spielen oder einfach ein Café trinken möchte, kann in Hamburg mit dem Suchen anfangen.

 

3 Kommentare

  1. Das ist doch ganz einfach: Wenn es Leute gibt, die dich fürs Leiten bezahlen, ist das eine Dienstleistung. Einem Koch, der im Restaurant arbeitet, würde man ja auch nicht vorwerfen, dass er sich dafür bezahlen lässt, dann aber für Freunde zu Hause kostenlos auftischt ;). Egal wo, Jugendhaus, soziale Einrichtung, Kindergeburtstag…überall da, wo ich normalerweise nicht aus lauter Spaß an der Freunde leite, würde ich mir das unter Umständen bezahlen lassen. Chancen für einen Hauptberuf sehe ich da in Deutschland allerdings nichts.

  2. Wow, das ist tatsächlich etwas worüber ich noch nie nachgedacht habe!
    Ich finde den Gedanken fürs Leiten bezahlt zu werden befremdlich aber das liegt wohl daran, dass ich seit Teenagertagen immer Spielleiter war und nie einfach spielen wollte.
    Ich kann mir um ehrlich zu sein nicht vorstellen mein Hobby so zu praktizieren, dass mein Spaß irrelevant wird. Ich habe auch nie eine Entschädigung (monetär oder sonst wie) fürs Leiten verlangt; ich mache es ja zu meiner eigenen Freude.

    Und was mich auch daran stört, wäre eine weitere „Professionalisierung“ des Rollenspiels. Ich finde es schon unangenehm wie diverse PnP „Let‘s Play“s (oder wie auch immer das in diesem Kontext heißt), die ja nicht den Teilnehmern Spaß machen sondern nach außen cool aussehen sollen, der Öffentlichkeit ein qualitatives Niveau und eine rollenspielerische Intensität als Messlatte verkaufen, die einfach nicht zu halten ist, wenn man nicht mit exzessiver Vorbereitung an jeden einzelnen Abend herangeht.
    Wenn in einem Freundeskreis ein Freund als Spielleiter nur noch Notlösung ist und man sich einig ist, dass der beste Abend für Alle nur möglich ist, wenn ein „Experte“ angeheuert wird, wäre das ein harter Verlust für das Rollenspiel an sich.

  3. Ach je. Das mag ja alles heute wichtig und inhaltlich auch ganz richtig sein, aber mir fällt es zunehmend schwer, solche Texte mit einer geradezu lehrerhaften dauernden Betonung von Gender-Aspekten und hier immer wieder der Wichtigkeit der Care-Arbeiten und dann auch noch dem generischen Femininum zu lesen.

    Es bleibt natürlich das unbenommene Vorrecht der Jugend, sich und ihre Anliegen ganz uneingeschränkt wichtig und ernst zu nehmen, aber vielleicht bin ich dann doch irgendwann zu alt für diese ganzen modernen Sachen. Schade, denn ansonsten fände ich die im Beitrag diskutierten Punkte durchaus ganz interessant, aber so belehrt werden möchte ich dann nun auch nicht.

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