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Deckbau ist ein Mechanismus, den man meist relativ isoliert vorfindet. Kombinationen mit anderen Mechanismen gibt es, aber sie sind selten. Ein solches Spiel, das noch dazu in den Vergessenen Reichen des Dungeons & Dragons-Universums spielt, ist Tyrannen des Unterreichs. Dieses haben wir uns für euch näher angeschaut.

Neben dem Deckbau-Element findet sich bei Tyrannen des Unterreichs Area Control/Area Majority als gleichgestellter zweiter großer Aspekt des Spiels. Schauen wir uns doch erst einmal an, wie diese beiden Mechanismen zusammenspielen:

Spielablauf

Jeder der zwei bis vier Spieler übernimmt die Kontrolle über ein Drow-Haus und beginnt das Spiel mit einem Deck aus ein paar loyalen Soldaten und niederen Adeligen. Außerdem startet jeder mit einer Einheit, die in einer der auf der Karte schwarz markierten Startorte platziert wird.

Gespielt wird immer reihum, ohne wechselnden Startspieler oder feste Runden. Wer am Zug ist, spielt beliebig viele Karten in beliebiger Reihenfolge von seiner Hand. Am Ende des Zuges werden dann alle gespielten sowie alle auf der Hand behaltenen Karten auf den Ablagestapel gelegt und fünf neue Karten gezogen. Sollten nicht genug Karten im Deck verblieben sein, wird der Ablagestapel gemischt und bildet das neue Deck.

Die gespielten Karten generieren unter anderem die Ressource Einfluss, die verwendet werden kann, um eine oder mehrere Karten aus einer zentralen Auslage zu kaufen. Wie bei Ascension, den Hero/Star-Realms-Spielen und vielen anderen mittlerweile auch gibt es dafür eine Reihe von Karten, die ständig aufgefrischt wird, so dass man nie sicher sein kann, welche Karten zum Kauf zur Verfügung stehen. Und natürlich sind auf den Karten auch Effekte vorhanden, mit denen man weitere Karten ziehen oder Karten komplett aus seinem Deck entfernen kann. All diese Dinge sind Standard bei Deckbauspielen und funktionieren hier genauso gut wie immer.

Der Spielplan stellt die Besonderheit von Tyrannen des Unterreichs dar und ist ein zentrales Spielelement.

Wodurch sich Tyrannen des Unterreichs von den anderen Spielen abhebt, ist der Spielplan, auf dem mittels Einheiten und Spionen um die Vorherrschaft in verschiedenen Orten gekämpft wird. Dieser Kampf findet vor allem über die zweite große Ressource statt, die von Karten generiert wird: Macht. Über diese Macht bringt man eigene Einheiten ins Spiel, meuchelt gegnerische Einheiten oder schickt feindliche Spione nach Hause. Diese, sowie viele andere Dinge auf der Karte, kann man nur dort durchführen, wo man über Präsenz verfügt. Das bedeutet bei Tyrannen des Unterreichs, dass man eine Einheit an diesem Ort oder angrenzend dazu besitzt, oder aber einen Spion an dem Ort selbst (nicht angrenzend).

Aufmerksamen Lesern mag aufgefallen sein, dass das Positionieren von Spionen nicht über Macht erfolgt, sondern lediglich über Karteneffekte. Das Gleiche gilt auch für das Ausdünnen des eigenen Decks durch Beförderung oder Verschlingen von Karten sowie weitere Dinge wie die Bewegung von Einheiten oder das Ersetzen dieser.

Hier merkt man schon: Es gibt viele verschiedene Optionen, die jeweils über ein eigenes Schlüsselwort definiert werden. Das macht das Spiel am Anfang etwas schwieriger, sorgt aber spätestens ab der zweiten Partie dafür, dass die Karten schneller gelesen und verstanden werden, da nicht jedes Mal der gleiche Text wiederholt werden muss, sondern bisweilen drei Worte reichen.

Eine Partie Tyrannen des Unterreichs währt so lange, bis ein Spieler keine Einheit mehr zum Platzieren hat oder aber das zentrale Deck nicht mehr ausreicht, um die Auslage vollständig aufzufüllen. Passiert dies, wird die aktuelle Runde noch zu Ende gespielt, dann kommt es zur Endwertung.

In dieser erhalten die Spieler Punkte für eigene Karten im Deck/Ablagestapel, eine erhöhte Anzahl Punkte für Karten, die in den inneren Zirkel befördert wurden (eine der Möglichkeiten, Karten aus dem eigenen Deck zu entfernen), Mehrheiten an Orten, Bonuspunkte für die totale Kontrolle über Orte, während des Spiels gemeuchelte feindliche Einheiten sowie im Verlauf des Spiels angesammelte Siegpunktemarker.

Wie so oft sollte man natürlich versuchen, in möglichst vielen Bereichen möglichst viele Punkte zu erlangen. Die Testspiele haben aber gezeigt, dass man den Spielplan zum Sieg auf keinen Fall vernachlässigen darf. Denn in allen Partien hat der Gewinner hier eine erhebliche Menge Punkte machen können. Nicht immer hat der mit den meisten Punkten auf dem Spielplan aber auch die Partie komplett für sich entscheiden können. Andere Strategien können durchaus am Ende den Ausschlag geben.

Momentan hat niemand die Kontrolle, da die Seiten gleich viele Einheiten vor Ort haben. Schwarz hat zwar keine Einheiten, ist aber mittels eines Spions präsent.

Wiederspielwert erhält Tyrannen des Unterreichs nicht nur durch die hohe Interaktivität und direkte Konfrontation auf dem Spielplan, sondern auch durch die stets andere Verteilung der Karten. Diese entsteht zum einen durch das zufällige Ziehen der Karten in der zentralen Auslage, zum anderen aber auch dadurch, dass schon im Grundspiel vier Halbdecks aus jeweils 40 Karten existieren, von denen man je zwei Stück beliebig kombinieren kann. Diese Halbdecks sind thematisch unterschiedlich und bieten auch verschiedene Möglichkeiten während des Spiels. Neben den Drow und den Drachen, die für die erste Partie empfohlen sind und relativ günstige beziehungsweise recht teure Karten ohne besonderen Fokus beinhalten, gibt es Elementare, die vor allem durch Kombinationseffekte hervorstechen, sowie Dämonen, die Wahnsinnige Ausgestoßene in die Decks der Gegner einschleusen können (sinnlose Karten, die dann vom Gegner statt guter Karten gezogen werden) und über starke Effekte verfügen, für die man allerdings eigene Karten vernichten muss.

Im Gegensatz zur Wiederspielbarkeit ist die Skalierbarkeit den Tyrannen des Unterreichs nicht so gut gelungen. Zwar wird der Spielplan verkleinert, wenn man mit weniger als vier Personen spielt, aber die zentrale Auslage beziehungsweise das Deck, aus dem diese nachgefüllt wird, bleibt gleich groß. Dadurch wird die Wahrscheinlichkeit, das komplette Deck durchzuspielen, deutlich verringert, was zugleich auch dazu führt, dass Karten, die man für die eigene Strategie bräuchte, mit höherer Wahrscheinlichkeit gar nicht erst ins Spiel kommen.

Die untere Reihe der zentralen Auslage ist in jedem Spiel gleich, die obere variiert durch die verwendeten Decks und die gezogenen Karten stark.

Genau diese zentrale Auslage stellt auch generell einen nicht zu unterschätzenden Zufalls- und Glücksfaktor dar. Denn nicht selten kommt es vor, dass man eine mittelmäßige Karte kauft, weil gerade nichts Besseres da ist, und damit dem nachfolgenden Spieler eine Karte aufdeckt, die man viel lieber selbst gehabt hätte. Nicht zu kaufen ist aber auch keine Option, denn wenn das alle machen, bleiben die mittelmäßigen Karten einfach liegen und das Spiel kommt zum Stillstand.

Was dem Spiel ebenfalls fehlt, ist ein Aufholmechanismus. Wer einmal ins Hintertreffen gerät, kann sich oft nur schwer wieder nach vorne arbeiten. Im Gegenteil: Da die Kontrolle über bestimmte Orte konstant Einfluss generiert, werden die Starken schnell noch stärker. Die einzige Möglichkeit, das aufzuhalten, ist, wenn sich die anderen Spieler zusammentun, um den Führenden aufzuhalten. Aber das funktioniert bei weniger Spielern deutlich schlechter und führt auch schnell dazu, dass man sich selbst um den Sieg bringt, weil ein anderer Spieler weniger gegen den Führenden und mehr für sich selbst gespielt hat.

Ausstattung

Bereits nach ein paar Partien passen die Karten nicht mehr sinnvoll in die dafür vorgesehenen Fächer. Mit gesleevten Karten bräuchte man es gar nicht erst versuchen.

Die Karten sind von ordentlicher Qualität. Die Miniaturen für die Spione sind ebenfalls liebevoll gestaltet. Das Schild-Design der Einheiten hingegen wirkt recht lieblos, ist nicht besonders standfest und passt auch nicht so richtig gut nebeneinander in die kleinen Kreise auf der Karte.

Die Box hat ein Inlay, welches aber nicht wirklich nützliche Fächer für das Spielmaterial bietet.

Auf den Karten selbst ist reichlich Artwork, das zum Setting passt. Dafür ist der Text relativ klein geschrieben.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Wizards of the Coast / Gale Force Nine / Asmodee
  • Autor(en): Peter Lee, Rodney Thompson, Andrew Veen
  • Erscheinungsjahr: 2016
  • Sprache: Deutsch/Englisch
  • Spieldauer: ca. 90 Minuten
  • Spieleranzahl: 2 3 4
  • Alter: 12+
  • Preis: ca. 50 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazonidealo

 

Bonus/Downloadcontent

Das Cover-Artwork der deutschen Spielregeln.

Auf der Website von Asmodee kann man die deutsche Regel von Tyrannen des Unterreichs herunterladen, auf der Seite von Wizards of the Coast die englische.

Wie so viele andere Deckbauspiele auch, nutzt Tyrannen des Unterreichs die gute Erweiterbarkeit des Spielprinzips durch neue Karten aus. Eine Erweiterung mit zwei neuen Halbdecks (Aberrations & Undead) gibt es, bisher jedoch nur auf Englisch. Diese wurde uns ebenfalls zur Verfügung gestellt und wird in einem weiteren Kurztest unter die Lupe genommen werden.

Fazit

Tyrannen des Unterreichs, im vorliegenden englischen Original Tyrants of the Underdark, entführt die Spieler, wie man schon ahnt, in das Unterreich. Jene Welt unter der Oberfläche, in der es von finsteren Wesen wie Drow und Gedankenschindern nur so wimmelt. Anders als viele andere Deckbauspiele verlässt es sich dabei nicht einzig auf diesen einen Mechanismus, sondern fügt ein Spielbrett und Area Control als weiteres Element hinzu.

Der Aufbau (hier für vier Spieler) erfordert eine Menge Platz auf dem Tisch.

Wie es einem Spiel zwischen Drowhäusern gebührt, geht es dabei ziemlich brutal zur Sache und die Spieler liegen in einem stetigen Konflikt miteinander. Dieser wird über Karten, Einheiten und Spione ausgetragen. Im Gegensatz zu Hero oder Star Realms ist es hier nicht das Ziel, die Gegner komplett auszuschalten, sondern am Ende des Spiels die meisten Punkte erspielt zu haben.

Tyrannen des Unterreichs spielt sich am besten zu viert, auch wenn zwei und drei Spieler ebenfalls möglich sind. Und idealerweise sollten alle Spieler Spaß daran haben, sich gegenseitig in den Rücken zu fallen oder wichtige Orte wegzunehmen. Ein friedliches Nebeneinanderher-Spielen ist nicht möglich und auch gar nicht gewollt.

Wem das gefällt und wer mit den inhärenten Schwächen von Area Control und Königsmacher-Mechanismen leben kann, der wird große Freude an Tyrannen des Unterreichs haben. Durch die unterschiedlichen Kombinationen an Halbdecks gibt es genug Abwechslung, und Kommissar Zufall spielt auch stets mit.

Die leichten Schwächen führen zusammen mit ein paar Problemen beim Spielmaterial insgesamt zu einer Abwertung. Dennoch ist Tyrannen des Unterreichs ein gutes bis sehr gutes Spiel für die richtigen Gruppen.

 

Artikelbild: © Asmodee, Fotografien: Holger Christiansen, Bearbeitung: Melanie Maria Mazur
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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