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Zehn Jahre haben zum Vergessen nicht gereicht: Als Nicole zum Timberline-Hotel zurückkehrt, wird sie nicht nur von nostalgischer Melancholie, sondern auch von den Geistern ihrer Vergangenheit begrüßt. Vor morschen Fensterläden tobt ein Jahrhundertschneesturm und in den vergessenen Fluren die Erinnerung: ein treuloser Vater, ein totes Mädchen und eine nächtliche Flucht.

Bei The Suicide of Rachel Foster handelt es sich um ein Thriller/Mystery-Adventure mit Anleihen aus dem Horror-Genre. Mehr als die Innenräume eines verschneiten Hotels benötigt die italienische Spieleschmiede ONE-O-ONE GAMES nicht, um mit einer Familiengeschichte der besonderen Art auch Fans ganz anderer Spielegattungen anzusprechen.

Fast schon idyllisch: das Hauptmenü von The Suicide of Rachel Foster.
Fast schon idyllisch: das Hauptmenü von The Suicide of Rachel Foster.

Die PC-Version von The Suicide of Rachel Foster erscheint am 19.02.2020; die Konsolenfassung für PS4 und Xbox One soll noch dieses Jahr folgen. Die Teilzeithelden durften einen frühen Check-in im Timberline-Hotel vornehmen und berichten in diesem Artikel, was dort gesehen und erlebt wurde.

Willkommen im Timberline-Hotel

Mithilfe eines verschneiten Hotels, einer selbstbewussten Protagonistin und finsterer Geheimnisse der Vergangenheit erzählt The Suicide of Rachel Foster eine beklemmende wie auch spannende Geschichte. Wie genau das funktioniert und natürlich worum es in dem Spiel eigentlich geht, wird nachfolgend vorgestellt.

Zur Handlung

Nicole Wilson hatte nicht vor, zum Timberline-Hotel, Lewis & Clark County, Montana, zurückzukehren. Dabei ist sie in diesem aufgewachsen. Zehn Jahre ist es nunmehr her, dass sie und ihre Mutter fluchtartig diesen Ort verließen. Alles, nachdem die Affäre ihres Vaters mit der jungen Rachel Foster ans Tageslicht kam – und das Mädchen sich das Leben nahm.

Nun, da beide Eltern verstorben sind, folgt Nicole dem letzten Wunsch ihrer Mutter und besichtigt das Hotel in Vorbereitung für den Verkauf.

Das Spiel beginnt mit einem Abschiedsbrief von Nicoles Mutter.
Das Spiel beginnt mit einem Abschiedsbrief von Nicoles Mutter.

Eigentlich soll dies ein kurzer Besuch in Begleitung ihres Rechtsanwalts werden, doch ein gewaltiger Schneesturm tobt über Montana und legt diese Pläne im wahrsten Sinne des Wortes auf Eis. Den unfreiwilligen mehrtägigen Aufenthalt im Timberline nutzt Nicole kurzerhand, um Licht auf die Geschehnisse von vor zehn Jahren zu werfen.

Allein ist sie dabei nicht: Federal Emergency Management Agency (FEMA)-Agent Irving steht ihr via Funkkommunikation zur Seite.

Schon bei der Anreise muss Nicole dem Sturm trotzen.
Schon bei der Anreise muss Nicole dem Sturm trotzen.

Zur Protagonistin

In The Suicide of Rachel Foster schlüpfen SpielerInnen in die Rolle von Nicole Wilson. Aus der Ego-Perspektive heraus können sie das Hotel sowie die seltsamen und tragischen Ereignisse von vor zehn Jahren erforschen. Interessanterweise ist zu keiner Zeit Nicoles Gesicht zu sehen. Der spielerseitige Einfluss beschränkt sich auf das Steuern der Protagonisten sowie auf das Auswählen von Antwortoptionen. Der Handlungsverlauf kann nicht beeinflusst werden.

Nicoles Kinder- bzw. Jugendzimmer weckt Erinnerungen in der Protagonistin.
Nicoles Kinder- bzw. Jugendzimmer weckt Erinnerungen in der Protagonistin.

Nicole ist eine willensstarke junge Frau, die nicht auf den Mund gefallen ist. Das Kind zweier sehr unterschiedlicher Eltern und Opfer des spielzentralen Schicksalsschlags präsentiert sich SpielerInnen gegenüber authentisch und realitätsnah. Die Emotionspalette ist abwechslungsreich und farbenfroh.

Zur Atmosphäre

Nachdem ein Blick auf die Handlung und die Protagonisten geworden wurde, erfolgt nunmehr die Auseinandersetzung mit dem „Wie?“ des Spiels. Wie schafft The Suicide of Rachel Foster es, obige Ausgangssituation, in Verbindung mit Nicole Wilson, zu einem erinnerungswürdigen Spielerlebnis heranwachsen zu lassen?

Die Atmosphäre in dem Spiel lebt von Hotelgängen im Zwielicht, schimmeligen Wänden und den Erinnerungen der Protagonistin. Stille wechselt sich mit Dialogen ab, sodass einerseits ein bedrückendes Gefühl, andererseits aber keine Langeweile oder Eintönigkeit entsteht.

Die Gänge des Timberline-Hotels liegen im Zwielicht.
Die Gänge des Timberline-Hotels liegen im Zwielicht.

Doch das ist nicht alles: ONE-O-ONE GAMES schafft es, SpielerInnen gegenüber zu suggerieren, dass Bedrohungen vorlägen, um Angst oder zumindest Unwohlsein zu erzeugen. Diese Bedrohungen lassen sich allerdings entweder rational erklären oder werden lediglich durch Dritte an die Protagonistin herangetragen. Auf Spielerseite bleibt Ungewissheit, ob nun wirklich eine Gefahr vorliegt oder nicht. Dies trägt enorm zur Atmosphäre bei.

Mit Voranschreiten der Handlung werden die ruhigen Momente weniger, und zusehends eiliger ist Nicole im Timberline unterwegs. Dies erzeugt spielerseitig ein Gefühl von Dringlichkeit, vielleicht sogar Nervosität.

Während die Autorin dieses Artikels vom offiziellen Trailer an What Remains of Edith Finch oder vielleicht auch The Vanishing of Ethan Carter erinnert wurde, kamen während des Spielens vor allem hinsichtlich atmosphärischer Gesichtspunkte Erinnerungen an Firewatch auf.

Technische Details und spielerseitige Möglichkeiten

Neben der inhaltlichen Dimension ist für den Spielspaß entscheidend, wie sich der Titel seinen SpielerInnen gegenüber präsentiert. Vor allem die technischen Komponenten, aber auch die spielerseitigen Möglichkeiten, entscheiden über Spaß oder Frust beim Spielen.

Zu Zugänglichkeit, Komplexität und Störfaktoren

The Suicide of Rachel Foster stützt sich auf die Geschichte, die das Spiel erzählt, und die dazugehörigen Akteure. Das Spiel weist weder eine komplexe Steuerung noch viele Handlungsmöglichkeiten auf. Selbst GelegenheitsspielerInnen können sich ganz auf die Handlung konzentrieren.  Das Timberline-Hotel ist nicht gerade klein und kann zu großen Teilen, allerdings nicht komplett, begangen werden. Eine Karte hilft, sich hier zurechtzufinden. Utensilien wie eine Polaroid-Kamera und eine Dynamo-Taschenlampe stehen Nicole bei ihrer Erkundungstour zur Verfügung.

Übersichtlich: die Steuerung.
Übersichtlich: die Steuerung.

Mit einigen Gegenständen innerhalb des Hotels wie beispielsweise Zigarettenpackungen oder Cornflakes-Schachteln kann die Protagonistin interagieren; meistens beschränkt sich diese Option allerdings auf das nähere Betrachten des jeweiligen Objekts.

Die Geschichte wird tageweise erzählt. Mit jedem Tag, den Nicole im Hotel ihrer Eltern verbringt, steigt sie tiefer in die vergangenen Geschehnisse ein. Das Spiel beendet die Tage automatisch, sobald ein gewisser Abschnitt erreicht wurde, und setzt die Protagonistin zurück zu ihrem Schlafplatz oder an eine andere Stelle innerhalb des Gebäudes. Die Wahrheiten, mit denen sie sich gegen Ende des Spiels konfrontiert sieht, sind haarsträubend. Allerdings sind sie auch nach einmaligem Spielen aufgedeckt. Das Thriller-Adventure von ONE-O-ONE GAMES bietet wenig bis gar keinen Wiederspielwert.

Ist die Wahrheit erst einmal gefunden, bietet das Spiel wenig Wiederspielwert.
Ist die Wahrheit erst einmal gefunden, bietet das Spiel wenig Wiederspielwert.

Darüber hinaus wirkt The Suicide of Rachel Foster stellenweise unrund. So muss Nicole beispielsweise an einem Tag einen alternativen Weg anstelle der ausgebauten Treppenhäuser in den Keller nehmen. Es folgt ein gruseliger Abschnitt mit nur wenigen Lichtquellen und bedrückend enger Räumlichkeiten.  Dieser Weg kann leider nur ein einziges Mal genutzt werden. Obwohl Nicole ihn beliebig oft hinunterklettern kann, bleibt der Durchgang im Keller nach erstmaliger Nutzung verschlossen. Dabei wäre die alternative Route gerade im Zuge des späteren Spielverlaufs nicht ohne Nutzen.

Hinzu kommt, dass das Hineinklettern in enge Durchgänge eine kleine Sequenz auslöst, die zeigt, wie Nicole in diese eintritt. Leider steht die Protagonistin am Ende dieser Sequenzen oft noch genau da, wo sie vorher war – erneut muss der Durchgang angewählt und die Sequenz abgespielt werden. Fairerweise muss angemerkt werden, dass dies ein Fehler der zur Rezension vorliegenden Pre-Release-Version sein kann.

Zu Bild und Ton

The Suicide of Rachel Foster läuft stabil. Es kam zu keinen Abstürzen oder Darstellungsproblemen. Grafisch ist das Spiel ansehnlich; seine Gestaltung erfüllt den Zweck, eine haarsträubende Geschichte zu erzählen, mehr als ausreichend. Auch die Musik bzw. die Soundeffekte tragen zur Atmosphäre bei. Die Synchronisation von Nicole und Irving ist auffallend gut geraten: Nicole ist mal trotzig und stark, mal ängstlich und verheult, was mithilfe der Synchronsprecherin glaubwürdig vermittelt wird. Leider kam es an zwei Stellen zum Ineinanderlaufen von Tonspuren, was das Verstehen des Dialogs erschwert hat. Ein Laden des letzten automatischen Speicherstands hat diesen Fehler behoben.

Das Spiel ist ausschließlich in englischer Sprachausgabe erhältlich. Interface und Untertitel können auf Französisch, Italienisch, Spanisch, Russisch, Chinesisch und Deutsch umgestellt werden.

Zum Umgang mit dem Thema Selbstmord

Ein Spiel, dass den Begriff „Suicide“ im Titel trägt, provoziert eine Auseinandersetzung mit dem dazugehörigen Themenkomplex. Diese geht ONE-O-ONE GAMES bereits zu Beginn des Spiels ganz offen an, indem die Spieleschmiede zum einen auf die sensiblen Inhalte hinweist und zum anderen empfiehlt, im Falle von emotionalen Belastungen nicht ohne Aufsicht weiterzuspielen. Auch werden betroffene SpielerInnen gebeten, sich ihren Problemen nicht allein zu stellen, sondern sich Hilfe zu suchen.

Hinweis zu Beginn des Spiels.
Hinweis zu Beginn des Spiels.

Auch innerhalb des Spiels ist der Umgang mit oben beschriebenen Themenkomplex stets respektvoll und distanziert gehalten.

Die harten Fakten:

  • Entwicklerstudio: ONE-O-ONE GAMES
  • Publisher: Daedalic Entertainment
  • Plattform: PC (19.02.2020), PS4, Xbox One (2020)
  • Mindestanforderungen:
  • Betriebssystem: Windows 8.1 (64-Bit) oder Windows 10 (64-Bit)
  • Prozessor: Intel Core i5-2500/AMD Ryzen 3 2200G oder besser
  • Arbeitsspeicher: 8 GB RAM
  • Grafik: 1 GB, GeForce GTX 660/AMD Radeon RX 540 oder besser
  • Speicherplatz: 10 GB freier Festplattenspeicher
  • Genre: Adventure, Thriller, Mystery
  • Releasedatum: 19.02.2020 (PC), 2020 (PS4 und Xbox One)
  • Spielstunden: 4–5 Stunden
  • Spieleranzahl: 1
  • Altersfreigabe: Keine
  • Preis: 16,99 EUR (PC)
  • Bezugsquelle: Steam

 

Fazit

The Suicide of Rachel Foster erzählt die Geschichte von Nicole Wilson, die nach vielen Jahren ins Hotel ihrer Eltern zurückkehrt und sich einer furchtbaren Vergangenheit stellen muss: all dies, während die umliegende Region von einem Jahrhundertschneesturm heimgesucht wird, sodass Flucht für die willensstarke Protagonisten keine Option ist.

Die Rezeption des Timberline-Hotels.
Die Rezeption des Timberline-Hotels.

Das Spiel weist eine spannende Geschichte auf, die mit einer bedrückenden, teils auch gruseligen Atmosphäre untermalt wird. Stille und Dialoge wechseln sich ab und auf perfide Art und Weise werden SpielerInnen Bedrohungen suggeriert, die gar nicht existent sind – oder vielleicht doch? Grafik und Ton tun ihr Übriges, sodass in Ergänzung mit einer gelungenen Synchronisation eine attraktive Szenerie geschaffen wird.

Die kleineren Fehler, die The Suicide of Rachel Foster aufweist – wie ineinanderlaufende Tonspuren oder kurze Sequenzen, die mehrfach ausgelöst werden müssen, ehe der gewünschte Effekt eintritt – sind zum einen nicht spielbrechend und schaden zum anderen nicht der Atmosphäre. Es sei an dieser Stelle nochmals darauf hingewiesen, dass dieser Artikel Bezug auf einen Spieltest der Pre-Release-Version des Spiels nimmt. Möglicherweise werden hier beschriebene Fehler nicht in der finalen Version enthalten sein.

Mit etwa vier bis fünf Spielstunden ist The Suicide of Rachel Foster keinesfalls lang. In Verbindung mit dem fehlenden Wiederspielwert kann dieser Umstand auf einige SpielerInnen abschreckend wirken. Der niedrige Kaufpreis, der vor dem Release am 19.02.2020 auf Steam sogar um 25 % heruntergesetzt ist, fängt diesen Nachteil jedoch wieder auf.

Der Besuch im Timberline-Hotel lohnt sich sowohl für Viel- und Gelegenheitsspieler, für Adventure-, Thriller und Mystery-Fans gleichermaßen. Doch Vorsicht ist geboten, denn längst vergessene Erinnerungen haben ebenfalls eingecheckt.

Artikelbild: ONE-O-ONE GAMES, Daedalic Entertainment
Screenshots: ONE-O-ONE GAMES, Daedalic Entertainment
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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