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Beende ich einen Pen-and-Paper-Abend nach drei Stunden, kommt mir oft das Credo einer früheren Spielgruppe in den Sinn: „Unter sechs Stunden müssen wir gar nicht anfangen.“ Wo sind sie hin, die schier endlosen Rollenspiel-Marathons? Zugleich bin ich mit kürzeren Abenden ganz zufrieden. Aber wie lang ist eigentlich die perfekte Pen-and-Paper-Session?

Früher wäre mir nie in den Sinn gekommen, was für mich heute Normalität ist: Eine Pen-and-Paper-Session von vielleicht drei oder vier Stunden Länge. Ich hätte so argumentiert: „Bis alle da sind, ist mindestens eine halbe Stunde vergangen. Dann quatschen wir wahrscheinlich noch eine halbe bis dreiviertel Stunde. Nach zwei Stunden Spiel essen wir dann für eine Stunde. Während des Spiels verbringen wir sicher noch eine Stunde mit Quatschen und Pausen. Das sind locker drei Stunden, in denen wir nicht spielen. Bei einem Treffen von unter sechs Stunden müssen wir also gar nicht anfangen.“

Bei meinen heutigen Abenden, die häufig unter der Woche – und coronabedingt meist digital – stattfinden, sieht es anders aus. Jeder ist zeitig um 19 oder 20 Uhr da, gespielt wird mit viel Energie und Konzentration. Um 22 oder 23 Uhr ist dann Schluss – schließlich müssen alle am nächsten Morgen früh raus. In diesem Beitrag soll es darum gehen, welches die perfekte Dauer für einen Pen-and-Paper-Abend beziehungsweise eine Pen-and-Paper-Session (ich verwende die Begriffe synonym), ist und wie man die perfekte Dauer für die eigenen Spielabende findet. Letztlich, so viel kann bereits jetzt verraten werden, ist vieles situationsabhängig. Um das vorweg noch klarzustellen: Spreche ich von längeren Abenden, dann meine ich Abende ab etwa sechs Stunden, alles darunter rechne ich zur Kategorie „kurz“.

Der Marathon – Längere Pen-and-Paper-Sessions

Meine Rollenspielkarriere begann in der Schulzeit. Zeit war hier kein großes Problem. Ich hatte für meinen Geschmack sogar zu viel davon – ein Luxus, dessen Wert man erst zu schätzen weiß, wenn man ihn nicht mehr hat. Die Rollenspielabende erreichten daher häufig eine beeindruckende Länge. Man begann nach der Schule um etwa 14 Uhr zu spielen und hörte um 3 Uhr oder 4 Uhr nachts auf. Gelegentlich spielte man die ganze Nacht hindurch. Manchmal übernachtete man oder traf sich am nächsten Tag gleich wieder.  

Manchmal ein Marathon – Lange Pen-and-Paper-Abende © mikdam
Manchmal ein Marathon – Lange Pen-and-Paper-Abende © mikdam

Spielrunden dieser Länge brachten und bringen viele Vorteile mit sich. Insbesondere in langwierigen Abenteuern oder Kampagnen mit epischem oder heroischem Charakter kann man an langen Abenden für eben diese Epik ein besonderes Gefühl entwickeln. Hier ist viel Raum zur Immersion, also mehr Zeit dazu, sich in den eigenen Charakter hineinzuversetzen und voll und ganz in Welt und Geschichte einzutauchen.

Auch auf sozialer Ebene sind die Vorteile eines langen Spielabends nicht zu vernachlässigen. In den notwendigen Pausen hat man viel Zeit, um sich zu unterhalten, sich auszutauschen und somit als Gruppe zusammenzuwachsen. Die Chance, die Mitspieler*innen besser kennenzulernen und potenziell Freundschaften zu schließen beziehungsweise zu intensivieren, ist unter Umständen höher als bei einer kurzen Runde, bei der es lediglich um das Spiel und weniger um Small Talk geht. Manche mögen der Meinung sein, man solle ‚Out-Time-Gespräche‘ generell vom Spieltisch verbannen. Doch auch wenn konzentriertes und immersives Spiel natürlich eine tolle Sache ist, kann man den darüberhinausgehenden sozialen Aspekt dieses Hobbys wohl ebenso hoch einschätzen. Schließlich geht es in erster Linie um eine positive gemeinsame Erfahrung und nicht darum, unbedingt ein Ziel erreichen zu müssen. Und gute Bekanntschaften oder Freundschaften sind durchaus höher zu schätzen als der zu 100 Prozent perfekte Pen-and-Paper-Abend.

Die Terminfindung – Stets eine Frage der Zeit © lightsource
Die Terminfindung – Stets eine Frage der Zeit © lightsource

Es sind nun bereits die zwei Wörter „Pause“ und „Immersion“ gefallen. Hier liegen zwei große Nachteile längerer Spielabende. Bei Spielabenden von mehr als drei Stunden Länge ist in der Regel eine Pause notwendig, sei es, um etwas zu essen, auf die Toilette zu gehen, frische Luft zu schnappen oder einfach um für einen Moment abzuschalten und sich zu unterhalten. Bei besonders langen Sessions lässt es sich aber – trotz Pausen – nicht vermeiden, dass sich früher oder später eine gewisse Ermüdung einstellt. Es ist anstrengend, die Konzentration über viele Stunden aufrecht zu erhalten. Dies gilt in besonderem Maße für digitale Spielerunden. Eine lange Dauer kann dazu führen, dass Spieler*innen abschweifen oder schlicht die Lust verlieren. Sobald die Konzentration verloren geht und das Handy interessanter wird, leidet das Spiel und die Motivation schwindet. Da man weiß, dass man mehr Zeit hat, ist auch die Versuchung größer, sich ablenken zu lassen, anstatt konzentriert zu spielen. Obwohl eine lange Dauer also eine Chance für die Immersion ist, kann sie sie auch bedrohen.

Im schlimmsten Fall wird das Spiel für einige oder alle Beteiligten zum Zwang, dem man eher aus Pflichtgefühl beiwohnt und weniger, weil es gerade besonders viel Spaß macht. Dass das Rollenspiel somit eher zur Belastung wird als zum geliebten Hobby, ist natürlich ein Worst-Case-Szenario, aber wie ich aus eigener Erfahrung sagen kann, ein durchaus realistisches. Im Rückblick sagen manche meiner Mitspieler*innen, dass die eine oder andere Spielrunde aufgrund der wiederholt langen Dauer zur Last geworden sei. Insbesondere für Spieler*innen, für die Zeit eine kostbare Ressource ist, kann dies ein großes Problem sein. In diesen Fällen ist auch die Terminfindung schwierig. Ein kurzes Treffen von drei oder vier Stunden ist stets einfacher einzurichten als ein Abend von sieben oder mehr Stunden, der de facto einen gesamten Tag in Anspruch nimmt. Je länger der Abend, desto komplizierter also die Planung.

Besonders an längeren Abenden stellt sich gerne Erschöpfung ein © IgorVetushko
Besonders an längeren Abenden stellt sich gerne Erschöpfung ein © IgorVetushko

Zieht man lange Spielabende vor, ist es dementsprechend wichtig, einen ausgewogenen Pfad zwischen Pausen und Spiel zu finden, damit Ermüdung oder Frustration vermieden werden können. Sobald man merkt, dass der Anteil an ‚Privatgesprächen‘ zunimmt, ist es wohl Zeit, ein wenig zu pausieren. In jedem Falle wird ein langer Abend anstrengend für Spieler*innen und Spielleitung sein. Dies betrifft nicht nur den Spielabend selbst, sondern auch die Zeit, die die Spielleitung im Vorfeld aufbringen muss. Denn je länger ein Abend andauert, desto mehr Zeit muss in die Vorbereitung des Abenteuers fließen. Gleichzeitig bieten diese Abende sowohl auf spielerischer Ebene durch Immersion als auch auf sozialer Ebene durch persönlichen Austausch große Vorteile.

„In der Kürze…“ – Kürzere Pen-and-Paper-Sessions

Die Vor- und Nachteile einer kürzeren Session lassen sich nun logisch aus denjenigen eines längeren Abends ableiten. Zunächst ist es einfacher, einen gemeinsamen Termin zu finden. Insbesondere bei Spieler*innen mit chronisch überbelegten Wochenenden bleiben oft nur noch Termine unter der Woche. Hier wird es selten möglich sein, länger als vier oder fünf Stunden zu spielen. Auch die Spielleitung kann sich die Arbeit dann in weniger große Abschnitte aufteilen, die leichter mit der restlichen Arbeit vereinbar sind.

Vor allem im Fall von Online-Sitzungen ist es zudem über kürzere Zeiträume leichter, die Konzentration aufrechtzuerhalten, insbesondere wenn man außerhalb dieses Hobbys einer (beruflichen) Tätigkeit nachgeht, die darin besteht, den ganzen Tag vor dem Bildschirm zu verbringen. Somit kann also darauf hingewirkt werden, dass das Rollenspiel eine positive Erfahrung bleibt und nicht zu einer weiteren Belastung des Alltags wird. Kleinere Happen gewährleisten hier einen anhaltenden Appetit und beugen der Übersättigung vor. Hat man indes vor, längere Kampagnen oder Abenteuer an kürzeren Abenden zu spielen, werden mehrere Termine notwendig sein. Dies relativiert ein wenig den eigentlichen Vorteil der leichteren Terminfindung.

Lieber ein kurzer Sprint als ein Ausdauerlauf? – Kurze Spielabende © stefanschurr
Lieber ein kurzer Sprint als ein Ausdauerlauf? – Kurze Spielabende © stefanschurr

Kürzere Sessions stellen Spieler*innen allerdings auch vor die Herausforderung, sich immer wieder aufs Neue in die Spielwelt hineindenken zu müssen. Manche mögen über einen inneren ‚Immersionsschalter‘ verfügen, mit dem sie sich sofort in den Charakter hineinversetzen können. Andere aber brauchen stets einige Zeit, um einzutauchen. Handelt es sich nicht um One-Shots, sind bei kürzeren Sessions also regelmäßige Termine von Vorteil, um den Anschluss nicht zu verlieren und nicht jedes Mal langwierig die Erinnerung an das wiederherzustellen, was bisher geschah. Das soll nicht heißen, dass an kurzen Spielabenden kein immersives Spiel möglich ist, sondern allein, dass es schwieriger sein kann.

Die Zeit, die bei längeren Spielesessions für soziale Interaktion bleibt, ist bei kürzeren in geringerem Maße vorhanden. Wenn man weiß, dass man in drei Stunden bereits wieder unterbrechen wird, wird man als Spielleitung doch eher darauf bedacht sein, das Spiel rasch zu beginnen. Ausführlicheren Diskussionen gebietet man hier lieber Einhalt, bevor sie zu viel der kostbaren Zeit ‚stehlen‘. Kürzere Abende erlauben also eine höhere Flexibilität, sind potenziell weniger belastend und stellen geringeren Aufwand in der Vorbereitung dar. Hingegen ist weniger Raum für Immersion und soziale Interaktion.

Fazit – Der Weg zur idealen Dauer?

Am wichtigsten: Das Gefühl in der Gruppe muss stimmen. © lacheev
Am wichtigsten: Das Gefühl in der Gruppe muss stimmen. © lacheev

Wie bereits deutlich geworden ist, ist es sehr abhängig von den Umständen, welches die ideale Länge eines Spielabends ist. Für die eine Gruppe, der es tatsächlich gelingt, einen festen und regelmäßigen „Pen-and-Paper-Sonntag“ einzurichten, können längere Sessions das Optimum sein. Für – aus welchen Gründen auch immer – Vielbeschäftigte sind kürzere Termine unter der Woche vielleicht der einzige Weg, öfter zu spielen als einmal jedes Vierteljahr.

Dementsprechend kann an dieser Stelle keine klare Anleitung dazu gegeben werden, wie man die perfekte Länge eines Abends findet. Die aus persönlichen Erfahrungen geborene Intention dieses Artikels ist es vor allem, darüber zum Nachdenken anzuregen, ob es wirklich nur den einen, idealen Typus von Spielabend gibt. Wie eingangs gesagt, erschien mir früher ein Spiel von weniger als sechs Stunden vollkommen undenkbar. Heute bin ich großer Freund kurzer und knackiger Sitzungen. Auch wenn ich Freude an langen Rollenspielwochenenden habe, empfinde ich sehr lange Abende nicht selten als ermüdend und anstrengend. Auch wenn Spieler*innen je nach Typ oder Charakter unterschiedlich viel Aktivität am Spieltisch zeigen, ist das schade: Gerade im Pen-and-Paper kommt es auf die Aufmerksamkeit aller Beteiligten an und auf deren Motivation, aktiv mitzuwirken.

Der Schlüssel zur idealen Terminfindung ist wohl, wie so oft, Kommunikation. Die Zeit sollte kein Grund für den Ausstieg aus der Gruppe sein müssen. Dazu gehört es, die Bedürfnisse aller Beteiligten ernst zu nehmen. Es ist niemandem vorzuwerfen, wenn sie oder er nicht über lange Stunden mit voller Konzentration bei der Sache bleiben kann. Wenn jemand lange Termine ablehnt, weil am nächsten Tag um sechs Uhr der Wecker klingelt, ist dies auch ernst zu nehmen. Genau eine solche Situation, in der der Rest der Gruppe weiterspielte, während ein Mitspieler bereits zu Bett ging, sorgte in einer meiner Gruppen im Nachhinein für erhebliche Konflikte. Ebenso ist es verständlich, dass nicht jede*r auf Anhieb in die Spielwelt eintauchen kann und längere Sessions bevorzugt.

Vielleicht mag dies ein unbefriedigendes Fazit sein, aber es ist festzustellen, dass es kein Optimum für die Dauer eines Spielabends gibt. Es muss individuell in jeder Gruppe verhandelt werden. Vor allem ist es dabei wichtig, dass man übereinkommt, wie lange man spielen wird und alle damit einverstanden sind, so dass sich letztlich niemand – gegen die eigentlichen Vorlieben – genötigt sieht, dabeizubleiben obwohl eigentlich eine Pause notwendig wäre. Diese Absprachen sollten auch in jedem Fall eingehalten werden: Selbst, wenn der Großteil der Gruppe noch Lust hat, über den vereinbarten Zeitraum hinaus weiterzuspielen, ist auf diejenigen Rücksicht zu nehmen, die am nächsten Tag früh aufstehen müssen oder schlicht müde sind. Insbesondere die SL kann hier für klare Absprachen sorgen und von Anfang an erfragen, ob es sich bei der Gruppe eher um Marathonläufer oder um „geborene Sprinter“ handelt. 

Artikelbilder: depositphotos © wie gekennzeichnet
Titelbild: depositphotos © lightsource

Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Alexa Kasparek

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