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Farm der Tiere gilt als ein Klassiker der westlichen Literatur. Der brasilianische Künstler Odyr hat die Fabel von George Orwell als Graphic Novel adaptiert, welche hierzulande bei Panini erscheint. Schafft es das Werk, die Botschaft und Faszination des Originals einzufangen?

Bereits in meinem Kurzcheck zu Schloss der Tiere habe ich deutlich gemacht, welchen Einfluss George Orwells bekannte Fabel Farm der Tiere heute noch ausübt. Das 1945 veröffentlichte Werk wird aufgrund der Parallelen oftmals als Anspielung auf die russische Revolution im 20. Jahrhundert und die Schreckensherrschaft von Stalin gesehen. Wegen seines Inhalts sollte es nicht überraschend sein, dass die Fabel nach ihrer Publikation und selbst bis heute stellenweise kritisch gesehen wird.

Doch eine fantastische Vorlage garantiert nicht automatisch eine gelungene Graphic Novel. Ganz im Gegenteil: Die hohe Erwartungshaltung aufgrund des berühmten Titels droht für eine anschließende Ernüchterung zu sorgen, wenn die Adaption die Vorstellungen enttäuscht. Blüht dieses Schicksal der Umsetzung durch den brasilianischen Künstler Odyr? Unser Kurzcheck liefert die Antwort.

Handlung & Charaktere

Eines Nachts versammeln sich die Tiere einer Farm in England und lauschen dem Eber Old Major bei der Beschreibung seines Traumes. In diesem erfolgte eine Rebellion der Tiere gegen die Menschen, und paradiesische Zustände waren die Folge. Der Eber trifft auf bereitwillige Ohren, da der Bauer Mr Jones seit langer Zeit lediglich durch seine Neigung zum Alkohol und Unfähigkeit hervorsticht.

Nach dem Tod von Old Major erarbeiten die Schweine auf Basis seiner Lehren ein Denksystem mit dem Namen Animalismus inklusive zugehöriger Leitsätze aus. Diese sollen als Vorbereitung für die anstehende Rebellion dienen, die dann schneller als erwartet stattfindet. Eines Tages wehren sich die Tiere der Farm gegen die drohende Gewalt durch die Menschen und vertreiben diese von der Farm. Kurz darauf übernehmen die Vierbeiner deren Bewirtschaftung, wobei das Zusammenleben nach den Regeln des Animalismus geregelt wird. Die Tiere einigen sich darauf, dass die Schweine als klügste Tiere die Koordination der Aufgaben übernehmen sollen.

Zu Beginn sind die tierischen Besitzer der Farm glücklich mit ihrem neuen Leben. Doch nach einiger Zeit verdichten sich Anzeichen, dass möglicherweise nicht alle Tiere so gleich sind, wie es ursprünglich sein sollte. So beanspruchen beispielsweise die Schweine die gewonnene Milch für sich, da als Koordinatoren ihr Wohlergehen sichergestellt werden muss. Diese Entwicklung nimmt an Fahrt auf, als eines Tages der ehrgeizige Eber Napoleon die uneingeschränkte Führung der Farm für sich beansprucht.

Panini beschreibt Farm der Tiere als ein Werk von zeitloser Aktualität, und dieser Aussage kann hundertprozentig zugestimmt werden. Der schleichende Weg in eine Gewaltherrschaft, das Verdrehen von Tatsachen zur Manipulation der Massen und die Kluft zwischen Elite und dem Großteil der Bevölkerung sind auch in unseren Tagen brandaktuelle Themen. Die Fabel von George Orwell hält uns einen Spiegel vor, wie schnell noble Ansinnen außer Kontrolle geraten und zu etwas Furchtbarem werden können. Die erschreckendste Erkenntnis ist wahrscheinlich, wie leicht man über solche Entwicklungen herüberzublicken bereit ist.

Darüber hinaus bietet Farm der Tiere Denkansätze zu Themen, die speziell in diesem Jahrtausend an Bedeutung gewonnen haben. Darunter fällt beispielsweise die Diskussion um das Tierwohl und wie die millionenfache Ausbeutung und Versklavung von Lebewesen ethisch vertretbar sein kann. Exemplarisch dafür steht das Schicksal des stets zuverlässigen und fleißigen Pferdes Boxer, nachdem er seine Nützlichkeit eingebüßt hat.

Die Graphic Novel ist knapper als das Originalwerk von George Orwell und verzichtet auf die Verwendung einiger Nebencharaktere. Für die Wirkung der Handlung ist dies eine sinnvolle Entscheidung, da die Kernaussagen erhalten bleiben und gleichzeitig die Adaption diese deutlicher vermitteln kann. Farm der Tiere zeichnet sich ohnehin nicht durch tiefgehende Charaktere aus, sondern nutzt diese vielmehr als Stereotypen zur Verdeutlichung der gemachten Punkte. Das gelingt Odyr in dieser Adaption hervorragend.

Zeichnungen & Kolorierung

Die visuelle Gestaltung der Graphic Novel erinnert an Aquarellzeichnungen, wie man sie beispielsweise auch in Kinderbüchern findet. Tatsächlich könnte Farm der Tiere von der Aufmachung her als solches durchgehen. Der Text ist in großzügigen Freiflächen zwischen den Bildern platziert und zudem auf wenige Sätze pro Seite reduziert. Die Adaption von Odyr kann somit in visueller Hinsicht auch von einem jüngeren Publikum problemlos gelesen werden, wobei die Handlung für eine erwachsene Zielgruppe mehr Relevanz aufweist.

Damit soll allerdings nicht gesagt werden, dass die Zeichnungen kindisch sind. In den wenigen Szenen der Gewalt wird diese gezeigt, wenngleich in passendem Ausmaß. Einzelne großflächige Zeichnungen liefern zudem Hingucker, zu denen beispielsweise die Eröffnungsszene auf der Farm gehört.

Die Graphic Novel überzeugt mit einem stabilen Hardcover-Einband, der Napoleon mit seiner Hundemiliz zeigt. Die Papierqualität ist hervorragend und weist eine hohe Stabilität und Dicke auf.

© Panini

Die harten Fakten

  • Verlag: Panini
  • Autor*innen: George Orwell, Odyr
  • Zeichner*in: Odyr
  • Erscheinungsjahr: 2021
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Hardcover
  • Seitenanzahl: 176
  • Preis: 25,00 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Fazit

Farm der Tiere als Fabel von George Orwell weist auch heute noch eine hohe Relevanz auf und gilt als Mahnung über die Mechanismen der Macht, die Verführbarkeit der Massen und die Gefahr der Gier. Die Adaption dieses Klassikers durch den Künstler Odyr ist eindrucksvoll gelungen. Die Graphic Novel reduziert die Vorlage um einige Details und Nebencharaktere, ohne der Kernaussage zu schaden. Das Resultat ist auf der einen Seite ein wahres Lesevergnügen, das auf der anderen Seite zum Nachdenken über eine Vielzahl von Themen anregt.

Die visuelle Gestaltung von Odyr trifft aufgrund des Aquarell-Stils vielleicht nicht den Geschmack aller Leser*innen, doch sorgt die Kombination aus großflächigen Zeichnungen und wenig Text pro Seite für ein angenehmes Leseerlebnis. Von der Aufmachung her könnte Farm der Tiere als Kinderbuch fungieren, wobei der Inhalt sich natürlich an ein erwachsenes Publikum richtet.

Insgesamt ist diese Graphic Novel eine wunderbare Möglichkeit, einen Klassiker der Weltliteratur in einem alternativen Format kennenzulernen oder abermals zu erleben. Ich vergebe eine uneingeschränkte Kaufempfehlung!

  • Starke Adaption einer zeitlosen Erzählung
  • Handlung dient nach wie vor als Mahnmal zu aktuellen Problemen
  • Ansprechende Gestaltung im Aquarell-Stil
 

  • keine

 

Artikelbilder: © Panini
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Rick Davids
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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