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Der bevorstehende Tod eines Königs droht, den jahrelangen Frieden zwischen fünf Königreichen zu beenden, da sein Nachkomme über einen äußerst zweifelhaften Charakter verfügt. Warum Die 5 Reiche trotz der Ähnlichkeiten mehr als nur ein Abklatsch von Game of Thrones ist, klärt unser Kurzcheck.

Ich habe lange mit der Überschrift für diesen Kurzcheck gehadert. Tatsächlich sehe ich es kritisch an, wenn man ein bestimmtes Werk stets als Referenz für ähnliche Werke verwendet. Dadurch steigt die Gefahr, dass falsche Erwartungen geschürt werden und ähnliche Phantastik-Schöpfungen im Schatten einer anderen stehen.

Doch kommt man bei Die 5 Reiche nicht umhin, deutliche Parallelen zu George R. R. Martins bislang unvollendeter Romanreihe A Song of Ice and Fire beziehungsweise der Adaption Game of Thrones zu erkennen. Warum die Graphic Novel dennoch mehr als nur ein billiger Abklatsch ist, zeigt dieser Kurzcheck.

Die 5 Reiche 01: Mit all meiner Kraft

Das Inselreich von Angleon sieht ungewissen Zeiten entgehen. Cyrus, der König der Raubkatzen, liegt im Sterben und hat als Nachkommen seinen Neffen Hirus gewählt. Dieser zeichnet sich durch seine Rücksichtslosigkeit und Machtgier aus, was auch bei den benachbarten Königreichen für Unruhe sorgt. Ist der langanhaltende Friede zwischen den Raubkatzen, Affen, Bären, Echsen und Hirschen in Gefahr?

Diese Fragestellung beschäftigt selbst die Mächtigen in Angleon. Zu diesen gehört allen voran Mileria, die älteste Tochter des sterbenden Königs. Sie sieht in ihrem Cousin eine Bedrohung für die Stabilität in Angleon und sucht verzweifelt nach Mitteln, selbst einen Anspruch auf den Thron zu erheben. Dies könnte durchaus als Hochverrat aufgefasst werden, weswegen sie nur wenigen Raubkatzen, unter anderem ihrer Schwester Astrelia, vertrauen kann. Diese hingegen hat mit ganz eigenen Problemen zu kämpfen.

Nach dieser Kurzbeschreibung wird hoffentlich klar, warum auf den ersten Blick deutliche Parallelen zu Game of Thrones bestehen. Im Mittelpunkt der Handlung steht ein sterbender Herrscher (Robert Baratheon), nach dessen Tod ein charakterlich fraglicher Thronfolger (Joffrey) der Auslöser für einen gewaltigen Konflikt (Krieg der Fünf Könige) zu werden droht.

Spätestens gegen Ende des Bandes merkt man jedoch, dass Die 5 Reiche einen eigenen Weg einschlägt. Das liegt nicht nur an der Entwicklung der Handlung, sondern auch an Entscheidungen hinsichtlich der Erzählweise. Im Gegenzug zur berühmten Reihe von George R. R. Martin wird auf übermäßig viel Gewalt und Erotik verzichtet. Besonders letztgenanntes hätte vielleicht im Hinblick auf die vermenschlichten Tier-Protagonisten für einige Lesende auch verstörend gewirkt.

Im Fokus bleiben Intrigenspiele, unerwartete Wendungen und erfreulich gelungene Charaktere. Dreh- und Angelpunkt dieses Bandes sind die Mitglieder der Königsfamilie, von denen man trotz der geringen Seitenzahl einen guten Einblick gewinnen kann. Andere Bewohner*innen von Angleon und der benachbarten Reiche werden ebenso eingeführt, stehen jedoch seltener im Rampenlicht.

Dem Pilotband gelingt es ausgesprochen gut, behutsam in die Welt von Die 5 Reiche einzuführen. Man wird beim Einstieg nicht mit Informationen und Exposition erschlagen, sondern lernt allmählich die wichtigen Elemente für die Handlung kennen. Logischerweise erschließt sich damit den Lesenden am Ende des Bandes nur ein kleiner Teil des großen Ganzen. Als Einzelband endet Mit all meiner Kraft mit einem fiesen Cliffhanger, wodurch man direkt zur Lektüre des Nachfolgebandes „gezwungen“ ist.

Lobend zu erwähnen ist die visuelle Umsetzung. Dem künstlerischen Team gelingt es, eine stimmungsvolle High-Fantasy-Atmosphäre zu schaffen, deren Fokus in diesem Band auf der Hauptstadt des Reiches der Raubkatzen liegt. Beeindruckend ist außerdem die Gestaltung der Charaktere: Trotz der animalischen Ausgangslage kommen die Figuren sehr menschlich rüber und clevere Designentscheidungen helfen bei der Visualisierung von Alter, Geschlecht und Persönlichkeit der Akteur*innen. Die Kolorierung ist farbenfroh, aber an keiner Stelle grell. Die Kombination aus warmen, sommerlichen Farben und des klassischen Baustils von Angleon verströmt den Flair des Römischen Imperiums.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Splitter
  • Autor*in: Lewelyn
  • Zeichner*innen: Jérôme Lereculey, Lucyd, Dimitris Martinos
  • Erscheinungsjahr: 2020
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Hardcover
  • Seitenanzahl: 64
  • Preis: 16,00 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Die 5 Reiche 02: Einer, der lebt

Der zweite Band trägt den Titel Einer, der lebt und setzt direkt nach den Ereignissen des Vorgängers an. Nach dessen überraschendem Ende fokussiert sich die Handlung zunächst auf Hirus, den designierten Nachfolger als König, sowie seine Brüder. Schnell wird das zerrüttete Familienverhältnis untereinander klar, was zusätzlich durch das Auftauchen der Mutter der drei erschwert wird. Speziell Hirus fürchtet, dass sie seinen Zukunftsplänen im Wege stehen wird.

Auch andere Charaktere finden ihren Weg in die Handlung dieses Bandes. Zu diesen gehört beispielsweise der junge This, der nach einer kurzen Vorstellung im ersten Band die Aufnahme in die Garde von Angleon geschafft hat. Ein Geheimnis umgibt seine Herkunft, was den sympathischen jungen Mann mysteriös und interessant wirken lässt. Ebenso werden die Konflikte und Probleme aus Mit all meiner Kraft fortgesetzt.

Der zweite Band wirkt wie eine harmonische Weiterentwicklung des Piloten. Nachdem dieser sich mehr auf die unmittelbaren Mitglieder der Familie des Königs fokussierte, stehen nun andere Figuren im Rampenlicht. Besonders die Hinzunahme der Mutter der drei Brüder sorgt für einen Unsicherheitsfaktor, da ihre Motivation in diesem Intrigenspiel lange ungewiss bleibt.

Gleichzeitig muss man zugeben, dass die Handlung träger wirkt. Besonders nach dem Ende des ersten Bandes passiert in Einer, der lebt gefühlt wenig. Vielmehr werden Dinge ins Rollen gebracht, die wahrscheinlich in den Folgebänden für Konflikte und unerwartete Konsequenzen sorgen. Darüber hinaus hätte ich mir noch mehr Aufmerksamkeit gegenüber einigen Charakteren gewünscht. Besonders der jüngste Bruder des Trios scheint eine große Bedeutung im Familienleben zu haben, erhält aber kaum Platz in dieser Graphic Novel.

Von der visuellen Gestaltung bleibt zu dem bereits Gesagten wenig zuzufügen. Die Handlung findet ausschließlich in Angleon statt, wodurch der Fokus weiterhin auf lediglich einem der fünf Reiche liegt. Eindruck hinterlässt besonders die Darstellung einiger Zeremonien und politischer Versammlung aufgrund der Vielzahl der daran Beteiligten.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Splitter
  • Autor*in: Lewelyn
  • Zeichner*innen: Jérôme Lereculey, Lucyd, Diane Fayolle, Dimitris Martinos
  • Erscheinungsjahr: 2021
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Hardcover
  • Seitenanzahl: 56
  • Preis: 16,00 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Gesamtfazit

Die 5 Reiche mag zu Beginn lediglich wie eine charmante Kopie von Game of Thrones wirken. Doch bereits am Ende des ersten Teils merkt man, dass diese Graphic Novel einen eigenen Weg einschlägt. Die Handlung fasziniert schlussendlich durch das dargestellte Intrigenspiel, überraschende Wendungen und die Vielzahl an interessanten Charakteren. Von diesen könnten einige etwas mehr Aufmerksamkeit vertragen, doch insgesamt ist beachtlich, wie gut all die Figuren innerhalb kurzer Zeit etabliert werden.

Die Handlung und die Welt werden Schritt für Schritt vorgestellt und erleichtern damit den Lesenden den Einstieg. Der Pilotband fokussiert sich auf die direkte Familie des sterbenden Königs, während im Nachfolger sein designierter Nachfolger und dessen unmittelbare Verwandte im Vordergrund stehen. Insgesamt hinterlässt der erste Eintrag der Reihe einen stärkeren Eindruck. Die in ihm behandelten Figuren sind interessanter und die Handlung schreitet schneller voran.

Die visuelle Gestaltung überzeugt mit einem atmosphärischen, wenngleich klassisch wirkenden Fantasy-Schauplatz. Besonders die Vermenschlichung der tierischen Akteure ist gelungen und clevere Designentscheidungen helfen bei der Visualisierung von Alter, Geschlecht und Persönlichkeiten.

Zusammenfassend hinterlässt Die 5 Reiche den Eindruck einer Reihe, die ihre besondere Wirkung kumulativ aufbaut. Jeder Einzelband fügt einen Baustein zum interessanten Gesamtbild dazu und erweitert das Verständnis über die Welt und deren Akteure. Wem die Prämisse gefällt, empfehle ich deswegen tatsächlich den Kauf aller aktuell erschienenen Teil. Stand Juli 2021 sind das insgesamt vier Bände – und einer geplanten Veröffentlichung des vorletzten fünften Bandes am Ende des Jahres steht hoffentlich ebenso nichts im Wege.

  • Interessante Kombination aus Intrigenspiel und überraschenden Wendungen
  • Vielzahl interessanter Charaktere mit eigener Agenda
  • Stimmungsvolle Inszenierung einer Fantasy-Welt mit Tierbewohner*innen
 

  • Zweiter Band mit wenig Fortschritt der Handlung
  • Einige der Charaktere könnten mehr Aufmerksamkeit vertragen

 

Artikelbilder: © Splitter
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Alexa Kasparek
Diese Produkte wurden kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

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