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Die kalte Jahreszeit bietet sich hervorragend an, die Zeit mit einer guten Graphic Novel zu verbringen. Doch dabei müssen es nicht immer die aktuellen Neuigkeiten sein: In diesem Artikel stellen wir euch Fables vor und erklären, warum die Reihe beinahe 20 Jahre nach Erstveröffentlichung immer noch begeistert.

Auch The Wolf Among Us wurde nachträglich als Graphic Novel umgesetzt.
Auch The Wolf Among Us wurde nachträglich als Graphic Novel umgesetzt.

Während Asterix & Obelix sowie die Bewohner von Entenhausen mich generell an Comics herangeführt haben, verdanke ich mein Interesse an Graphic Novels dem Videospiel The Wolf Among Us. Das 2013 erschienene Adventure der mittlerweile geschlossenen Spieleschmiede Telltale Games zog mich unmittelbar in den Bann. Die Charaktere und die dargestellte Welt haben ebenso überzeugt, wie die erwachsene und gleichzeitig nicht unnötig düstere Erzählweise. Umso neugieriger war ich auf die Vorlage, welche sich nach kurzer Recherche als eine Graphic Novel- Reihe namens Fables entpuppte.

Es sollte der Beginn einer Leseerfahrung sein, die bis heute zu meinen persönlichen Highlights in diesem Genre zählt.

Was ist Fables?

Fables ist eine von Autor Bill Willingham erdachte Reihe, die das Leben von Sagen- und Märchengestalten in unserer modernen Welt behandelt. Die Serie erschien das erste Mal in den USA im Jahre 2002 beim Verlag Vertigo und fand nach 13 Jahren ihren Abschluss. Dabei konnte Fables insgesamt 14 Eisner-Awards, eine der wichtigsten Comic-Auszeichnungen im englischsprachigen Raum, gewinnen. Im deutschsprachigen Raum ist die Reihe in Sammelbänden inklusive Spin-Offs bei Panini erhältlich.

Doch worum geht es eigentlich? Auf den ersten Blick wirkt Fables wie eine von vielen Fantasy-Erzählungen. Doch bereits nach kurzer Lektüre wird klar, dass Bill Willinghams Epos die Grenzen einzelner Genres sprengt und eine ganz besondere Erfahrung bereithält.

Legenden im Exil

Seit Jahrhunderten leben Gestalten aus Sagen und Märchen unter normalen Menschen im Exil, wobei sie sich in New York City eine Zuflucht namens Fabletown aufgebaut haben. Darüber hinaus gibt es auf der in ländlicher Gegend gelegenen Farm einen weiteren Ort für jene Wesen, die nicht unerkannt unter den Menschen leben können. Zwar können die Fables auf Formen der Magie zurückgreifen und dadurch beispielsweise ihr Aussehen verändern, doch solche Dienstleistungen lassen sich die magisch Begabten teuer bezahlen. Doch dummerweise haben viele auf der Flucht in die moderne Welt all ihren Besitz und ihr Vermögen zurückgelassen.

Legenden im Exil bildet den Anfang einer fantastischen Erzählung.
Legenden im Exil bildet den Anfang einer fantastischen Erzählung.

Nötig geworden ist dieser rasche Aufbruch aus der Heimat durch die Eroberungszüge eines namenlosen Gegenspielers, der nach und nach die Welten der Märchen, Sagen und Legenden unter seine Kontrolle bringen konnte. Unglücklicherweise wurde das wahre Ausmaß der Bedrohung durch diesen Tyrannen erst erkannt, als es bereits zu spät war. Während einige wenige noch bis zu ihrem letzten Atemzug gegen die Eroberung fochten, nutzten die meisten die Gelegenheit zur Flucht.

Die neue Heimat ermöglichte allerdings für viele einen Neuanfang, da in Fabletown eine generelle Amnestie für alle Verbrechen vor der Flucht gewährt wurde. Ein Profiteur dessen ist Bigby Wolf, der Sheriff von Fabletown. In den alten Reichen hat er sich als der große, böse Wolf eine Vielzahl von Feinden gemacht, die ihn auch in seiner neuen Rolle kritisch beäugen. Gemeinsam mit Schneewittchen, der Administratorin der Gemeinschaft, steht Bigby im Fokus der Haupthandlung von Fables.

Was fasziniert an Fables?

Diese Haupthandlung erstreckt sich über 150 Einzelbände und beginnt mit einem Mordfall: Rosenrot, die Schwester von Schneewittchen, wurde scheinbar grausamst umgebracht! Es liegt nun an Bigby, ihre*n Mörder*in ausfindig zu machen, was sich aufgrund der Vielzahl an Verdächtigen als kompliziert erweist.

Dieser Einstieg in die Reihe ist eine gute Gelegenheit auf die erste Stärke einzugehen, welche die Vielfalt an unterschiedlichen behandelten Genres ist. Fables beginnt im Stile eines Kriminalromans, doch bis zu ihrem Ende hat die Serie fast alle bekannten Gattungen angerissen. Manche Erzählstränge fokussieren sich mehr auf Abenteuer und Action, während bei anderen Horror, Drama, Romantik oder sogar Humor im Vordergrund stehen. Dabei gelingt es Willingham stets, das Leseerlebnis zeitgleich frisch und dennoch vertraut wirken zu lassen.

Die ganze Welt von Sagen und Märchen

Schurke oder Held? Lange ist unklar, wie gut Bigby seine ursprüngliche Natur ablegen kann.
Schurke oder Held? Lange ist unklar, wie gut Bigby seine ursprüngliche Natur ablegen kann.

Zusätzlich ist die Integration der verschiedensten Sagengestalten und wie sich ihr Leben im Exil, verborgen vor den normalen Menschen, gestaltet ein weiterer Charme-Faktor. Dabei trifft man im Laufe der Reihe sowohl auf bekannte, als auch unbekannte Figuren. Zu den erstgenannten gehören beispielsweise die Schöne und das Biest, die nach Hunderten Jahren im Exil erstmals größere Probleme in ihrer Ehe bekommen, oder der gutaussehende Prince Charming. Der ehemalige Gatte von Schneewittchen, Dornröschen und Aschenputtel entpuppt sich schnell als nichtsnutziger Herzensbrecher, der aufgrund seines guten Aussehens stets eine besondere Behandlung erwartet.

Durch dieses Spiel mit den Erwartungen und etablierten Vorstellungen bekannter Figuren ist jeder neu zugefügte Charakter zunächst eine Überraschungsbox. Darüber hinaus kann man bei den seit Anfang an vorgestellten Fables eine deutliche Charakterentwicklung beobachten, wobei abermals Bigby Wolf und Schneewittchen im Vordergrund stehen.

Und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage

Jedoch sollte man sich aufgrund der heute verbreiteten Vorstellung von Märchen nicht in die Irre führen lassen und stets von einem guten Ende ausgehen. Bereits im ersten Band zeigt Fables deutlich, dass es sich an ein erwachsenes Publikum richtet. Neben einer angemessenen Darstellung von Sex und Gewalt verleihen Wendungen in der Geschichte den Ereignissen Gewicht und eine sichtliche Reife. Handlungen ziehen zum Teil drastische Konsequenzen nach sich und das Leben der Fables in ihrer neuen Heimat wird von düsteren Schatten heimgesucht.

Zusätzlich sollte man als Leser*in niemals eine zu tiefe Bindung zu den Charakteren aufbauen, da viele im Laufe der Geschichte ein unschönes Schicksal ereilt. Denn obgleich Fables nicht altern und selbst tödliche Verletzungen überstehen können, solange genug Menschen an ihre Legenden glauben, sind sie nicht unbesiegbar. Besonders die unbekannten Sagenwesen können mit ähnlichen Methoden wie normale Sterbliche getötet werden. Natürlich ist auch noch der Faktor Magie zu berücksichtigen, der normale Spielregeln außer Kraft setzen kann.

Sind Sagengestalten die besseren Menschen?

Zuflucht oder Gefängnis? Die Farm ist ein großer Streitpunkt in der Gemeinschaft der Fables.
Zuflucht oder Gefängnis? Die Farm ist ein großer Streitpunkt in der Gemeinschaft der Fables.

Großes Lob muss Bill Willingham für die Behandlung einer Vielzahl von sozialen Brennpunkten unserer Welt in seinem Werk gemacht werden. In jedem Sammelband finden sich Anspielungen und Kritik an Streitfeldern, die auch auf unsere Gesellschaft zutreffen.

Ein deutliches Beispiel dafür ist die sichtbare Schere zwischen Arm und Reich. Während einige Bewohner*innen von Fabletown ihr Vermögen ins Exil retten konnten und ein vergleichsweise luxuriöses Leben führen, müssen andere mehr schlecht als recht ihr Leben finanzieren. Besonders kritisch kann dies für nichtmenschliche Sagengestalten werden, die sich ohne Magie keinen Zauber zur Verhüllung ihres Aussehens leisten können und oftmals unfreiwillig auf die Farm geschickt werden. Dieser Konflikt findet bereits im zweiten Sammelband große Beachtung.

Zeichnungen und Kolorierung

Die visuelle Gestaltung von Fables lag in den Händen unterschiedlicher Künstler*innen, wobei Mark Buckingham über die Jahre den Großteil der Geschichten zeichnete. Der Stil von Fables kann in einzelnen Erzählungen abweichen, besonders bei Rückblenden zu den Heimatwelten der Fabelwesen und damit verbundenen besseren Zeiten. Diese sind farbenfroher gestaltet als die Hauptgeschichte, welche von dunklen und gedeckten Farbschemata dominiert wird. Fables wirkt jedoch nicht übertrieben düster, sondern passt sich in der visuellen Gestaltung der generellen Ernsthaftigkeit der Erzählung an.

Die Geschichte führt im Laufe der Reihe natürlich auch in die eroberten Heimatländer.
Die Geschichte führt im Laufe der Reihe natürlich auch in die eroberten Heimatländer.

Zudem scheut das künstlerische Team nicht vor der Integration von Gewalt und sexuellen Handlungen zurück, wobei diese angemessen abgebildet sind und nicht als übertriebene Schockfaktoren dienen.

Passend zu einer von ihren Charakteren und deren Entwicklung getriebenen Reihe, stehen diese bei der visuellen Darstellung im Vordergrund. Gestik und Mimik der Figuren sind exzellent, ebenso wie deren Design. Selbst nach längerer Lektüre ist die Integration fantastischer Sagengestalten in Personen unserer modernen Welt immer mit einer gewissen Neugier verbunden.

Selbstverständlich dürfen auch actionreiche Szenen nicht fehlen, welche durch größere und kleinere Gefechte ihren Weg auf die Seiten finden. Speziell größere Schlachten, beispielsweise in Rückblicken zu den Kämpfen gegen den namenlosen Widersacher, sind wahre Hingucker und voller Details.

Leseempfehlungen

Die deutlichste Leseempfehlung gibt es wenig überraschend für die Hauptreihe, welche auf Deutsch bei Panini erworben werden kann. Darüber hinaus erschienen über die Jahre hinweg jedoch auch mehrere Spin-Offs, von denen ich drei genauer vorstelle.

Zunächst gehört dazu die Comic-Adaption The Wolf Among Us, auf Basis des gleichnamigen Videospiels. Zeitlich ist diese vor den Ereignissen der Hauptreihe angesiedelt und orientiert sich an der Handlung des Werks von Telltale Games. Wem besonders der Kriminalgeschichten-Aspekt der ersten Fables-Erzählungen gefällt, findet hier entsprechenden Nachschub. Im Vergleich zum Spiel geht die Adaption noch etwas mehr auf die Hintergrundgeschichte einiger Figuren ein und bietet somit auch Mehrwert für alle, die das Game bereits kennen.

Fairest rückt die Damen der Reihe in vielen Geschichten in den Vordergrund
Fairest rückt die Damen der Reihe in vielen Geschichten in den Vordergrund

Fairest legt den Fokus auf prominente weibliche Fables, wie beispielsweise Rapunzel oder Dornröschen. Die in sich abgeschlossenen Anthologie-Geschichten führen stellenweise Erzählungen der Hauptreihe weiter oder legen den Fokus auf Ereignisse in der Vergangenheit. Zu meinen persönlichen Favoriten gehören die Geschichten um Aschenputtel, welche auch in Fables zu meinen Lieblingscharakteren gehört.

Ein Nichtsnutz als Held? In Jack of Fables scheint das zu klappen!
Ein Nichtsnutz als Held? In Jack of Fables scheint das zu klappen!

Jack of Fables ist mit 50 Einzelbänden das umfangreichste Spin-Off von Fables und folgt dem Namensgeber Jack. Dieser steht im englischsprachigen Raum für verschiedene Figuren aus der Folklore, beispielsweise dem armen Jungen mit den Bohnenranken oder den Riesenbezwinger.

In der Hauptreihe sorgt Jack mit seinen chaotischen Machenschaften und der Suche nach schnellem Erfolg oftmals für Probleme. Das Spin-Off rückt seine Abenteuer in den Vordergrund, während er bei Fables eher als Nebenfigur agiert. Jack of Fables erlaubte den Ausbau des Universums von Willinghams Geschichten und ermöglichte aufgrund der Natur des Protagonisten gleichzeitig eine anarchistischere Erzählweise. Dennoch kam die Reihe bei den meisten Fans generell gut an.

Schlusswort

Hoffentlich konnte euch dieser Überblick einen ersten Eindruck zu einer Graphic Novel-Reihe verschaffen, die meines Erachtens zu den besten der letzten beiden Dekaden gehört. Generell empfehle ich, zumindest die ersten vier Sammelbände zu lesen, um danach ein entsprechendes Urteil zu fällen. Danach sollte in den meisten Fällen ein ausreichender Eindruck möglich sein, ob euch die Erzählweise gefällt.

Vielleicht ermöglicht es Fables euch zusätzlich, eure liebsten Märchen als Erwachsene*r in einem neuen Licht zu sehen. Denn wer weiß, vielleicht sind einige unserer Mitmenschen in Wahrheit unter uns lebende Prinz*essinnen, welche vor Jahrhunderten aus ihrer Heimat vertrieben wurden.

Artikelbilder: © Panini Comics
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Katrin Holst

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