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Markus Heitz‘ Die Zwerge – einer der meistgefeierten Phantastik-Romane aus Deutschland – ist seit Beginn dieses Jahres endlich vollständig als Graphic Novel umgesetzt. Doch kann diese dem legendären Original und seiner faszinierenden Geschichte über den Kampf von Gut gegen Böse das Wasser reichen? Lasst es uns herausfinden!

Markus Heitz zählt mittlerweile zu den bekanntesten deutschen Fantasy-Autor*innen. Großen Anteil daran hat seine international erfolgreiche Die Zwerge-Reihe, welche mittlerweile neun Bände umfasst, als Hörbuch und Videospiel umgesetzt wurde und den Pfad für Ableger (zum Beispiel die Romanreihe um Die Legenden der Albae) im gleichen Setting bereitet hat.

Doch damit nicht genug! Die Geschichten rund um das Geborgene Land haben dank des Splitter Verlags auch ihren Weg in das Medium der Graphic Novels gefunden. Im Jahre 2017 haben wir bereits einen genaueren Blick auf den ersten Band geworfen und diesen für eine gelungene Umsetzung befunden. Mittlerweile sind alle vier Bände der Adaption erschienen und sowohl einzeln als auch als Gesamtausgabe zu erwerben. Somit ist es an der Zeit, die Qualität der abgeschlossenen Graphic Novel nochmals vollständig zu beurteilen.

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Handlung und Charaktere

Fairerweise muss man zugeben, dass die Geschichte von Die Zwerge geradezu vor Klischees der Phantastik trieft. Hauptort der Handlung ist das Geborgene Land, in welchem Menschen, Elben und Zwerge mehr oder weniger in Frieden leben. Bedroht wird diese Situation durch das Tote Land und seine abscheulichen Verbündeten, zu denen blutrünstige Orks, grausame Verwandte der Elben (die sogenannten Albae, vergleichbar mit Dunkelelfen) und weitere Monster gehören.

Doch noch schlimmer ist die Tatsache, dass alle im Toten Land Verstorbenen ihre Seele verlieren und als erbarmungslose Untote erwachen, welche alle Lebenden mit Hass und Gewalt verfolgen. Trotz dieser Stereotype (oder gerade deswegen?) gelingt es Markus Heitz, in seiner Erzählung eine packende und epische Geschichte zu schildern, die besonders durch das Zusammenspiel ihrer Charaktere brilliert. Doch worum geht es eigentlich in Die Zwerge?

Die Ausbreitung des Toten Landes konnte vor langer Zeit durch eine Heldentat der Zwerge vom Stamme der Fünften verhindert werden. Seitdem fehlt jedoch jede Spur von diesem Zwergenvolk, welches bei der Verteidigung wohl komplett ausgelöscht wurde. Doch all die Jahre versuchte die dunkle Macht stets weiter, ihren Einfluss zu vergrößern. Neben den Heeren der einzelnen Völker ist es besonders die Magie der sechs Magi und Magae, den mächtigsten Zauberkundigen des Geborgenen Landes, welche das Vordringen verhindert.

Die Geschichte des ersten Bandes Tungdil beginnt mit einem kurzen Prolog, welcher die letzte Schlacht der Fünften zeigt. Anschließend werden innerhalb kurzer Zeit die Situation des Geborgenen Landes, einige der politischen Figuren und die verschiedenen Völker erklärt. Selbstverständlich erfolgt auch bereits zu Beginn die Vorstellung des Helden der gesamten Reihe, welcher der titelgebende Zwerg Tungdil ist. Als Findelkind war er vor langer Zeit zum Magus Lot-Ionan gelangt, welcher ihn als Ziehsohn aufnahm.

Schnell wird klar, dass sich das Geborgene Land mit der größten Gefahr seit langer Zeit konfrontiert sieht. Von außen dringen mehr und mehr Verbündete des Toten Landes ein, von marodierenden Orkscharen bis hin zu den tödlichen und eleganten Albae. Zudem scheint die böse Macht in dem zauberkundigen Nôd’onn einen mächtigen und mysteriösen Verbündeten gefunden zu haben.

Doch auch innerhalb des Landes schwelt die Gefahr eines Konfliktes. Der designierte Nachfolger des scheidenden Großkönigs der Zwerge drängt auf einen Krieg gegen die Elben, welche vermeintlich dem Volk der Zwerge mehrfach Unrecht angetan haben. Angeblich sollen sie sogar für das Ende der Fünften verantwortlich gewesen sein! Der amtierende Großkönig und sein Berater schmieden deswegen eine List, die den drohenden Krieg vermeiden soll und ausgerechnet Tungdil als zentralen Bestandteil sieht.

Jener befindet sich gerade auf einem Botengang für seinen Ziehvater, als die Lage im Geborgenen Land eskaliert. Als Tungdil in einer brenzligen Lage gerade noch rechtzeitig auf die zwergischen Zwillingsbrüder Boïndil und Boëndal trifft, ist ihm noch nicht klar, dass er das Schicksal aller in seiner Heimat entscheiden wird.

Im zweiten Band mit dem Titel Der Thronanwärter machen sich Tungil, Boïndil und Boëndal auf den Weg zur Wahl des neuen Großkönigs. Dabei werden sie Zeuge davon, wie das Tote Land und seine Verbündeten mehr und mehr Gebiete bedrohen und einnehmen. Bei den Zwergen angekommen, müssen sie die politischen Herausforderungen meistern und einen Weg finden, wie das Geborgene Land verteidigt werden kann.

In Die Expedition nimmt die Suche nach einem Mittel gegen das Tote Land, Nôd’onn und ihre Verbündeten weiter an Fahrt auf. Mit einer Schar von Verbündeten macht sich Tungdil auf den Weg, um jene Waffe zu schmieden, welche dem Bösen Einhalt gebieten kann. Auf der Reise begegnen ihnen neue Reisegefährt*innen, doch auch bekannte Gefahren.

Die Feuerklinge bildet anschließend das epische Finale der Graphic Novel. Wird es den Held*innen gelingen, die legendäre Waffe zu schmieden, und den Frieden im Geborgenen Land wiederherzustellen?

Die Zwerge entfaltet seine wahre Stärke, welche in der epischen Handlung und der Interaktion zwischen den Charakteren liegt, erst voll ab dem zweiten Band. Da in Tungdil eine Vielzahl von Informationen vermittelt werden muss, ist nicht so viel Platz für die eigentliche Handlung. Da sich die Bedrohung am Ende offenbart, wird jedoch die Neugierde aller Lesenden geweckt.

In den Folgebänden überzeugt die epische Geschichte im Zusammenspiel mit den Charakteren. Die unterschiedlichen Persönlichkeiten, wie der tobsüchtige Boïndil oder der theatralische Mime Rodario, ermöglichen amüsante Interaktionen und erinnern an vielen Stellen an eine chaotische Truppe am Spieltisch. Leider sorgt die Vielzahl an Akteur*innen, welche im dritten Band zusätzlich ansteigt, dafür, dass einige Charaktere deutlich oberflächlicher bleiben als andere. Jedoch bekommt man früh das Gefühl, dass keine Figur über klassische plot armor verfügt, wodurch das Risiko der Expedition greifbarer wird.

Leider wirken auch an einigen Stellen nicht nur die Charaktere oberflächlich, sondern auch die Handlung. Selbstverständlich müssen bei einer Graphic Novel im Vergleich zur Romanvorlage Abstriche gemacht werden. Man merkt jedoch bei der Umsetzung, dass einige Stellen überhastet wirken und hier Inhalte reduziert werden, weil der Lesefluss unstimmig wirkt. Zudem werden Kenner*innen der Buchvorlage bemerken, dass einige Szenen nur über Erzählungen der Charaktere vermittelt werden. Das ist besonders in der Hinsicht bedauerlich, dass manche dieser reduzierten Inhalte in der Buchvorlage sehr eindrucksvoll beschrieben sind. So gibt es beispielsweise eine Situation, in der das ganze Grauen des Toten Landes deutlich wird, als ein vereintes Heer der Menschen gegen das Machtzentrum des mysteriösen Nôd’onn zieht.

Zeichenstil & Kolorierung

Die Visualisierung von Die Zwerge ist insgesamt gelungen. Die Bilder sind in kräftigen Farben gehalten und überzeugen durch einen klaren und deutlichen Zeichenstrich. Dabei sollte man jedoch kein Problem damit haben, dass die Darstellung die klassischen Stereotype bedient. So werden die titelgebenden Zwerge als klein, stämmig und bärtig gezeichnet, und die Orks sind grobschlächtige und hässliche Wesen.

Das Geborgene Land, seine Bewohner*innen und die mächtige Magie werden atmosphärisch und ansprechend inszeniert. Da die Geschichte die Lesenden zu einer Vielzahl an Orten führt, ist die Graphic Novel sehr abwechslungsreich. Imposante Zwergenstädte wechseln sich mit harmonischen Landschaften ab, um ein paar Seiten weiter den unzähligen Grauen des Toten Landes weichen zu müssen. Die Reise führt außerdem in verborgene Wälder, geheimnisvolle Stollen, Zentren der Macht und beschauliche Dörfer. Hierbei ist erfreulich zu beobachten, wie Zeichner Che Rossié all diesen Orten Leben einhaucht.

Kleinere Schönheitsfehler zeigen sich besonders, wenn man alle vier Bände nacheinander liest. Mitunter finden sich leichte Abweichungen im Zeichenstil, was den Detailgrad angeht. Dies kommt nicht so häufig vor, dass es die Lesefreude trübt, doch ausreichend, um aufzufallen. Zudem wirken einige Kampfszenen in den späteren Bänden manchmal überladen oder an Stellen äußerst hölzern. Zugegeben ist es künstlerisch herausfordernd, beispielsweise die Wirkung eines eintretenden Pfeils zu zeigen, speziell wenn diese Szene auch emotional berührt. Doch gerade aus diesem Grund fällt es auf, wenn das Ergebnis nicht zu 100 Prozent organisch wirkt.

Dem gegenüber stehen jedoch das grandiose Design der Charaktere, die Vielfalt der visuellen Eindrücke und liebevoll inszenierte Szenen und Kampfsituationen. Aus diesen Gründen ist die Kritik am visuellen Stil Meckern auf hohem Niveau.

Zumindest bei den Einzelbänden gibt es außerdem am Ende meist noch ein paar Extraseiten, in denen Skizzen, Coverbilder und Artworks gezeigt werden. Für Liebhaber*innen eines Blicks hinter die Kulissen ein erfreulicher Zusatz. Da die Gesamtausgabe zur Rezension nicht vorlag, können wir leider nicht beurteilen, ob all diese Extras auch in dieser enthalten sind.

Die harten Fakten:Die Zwerge Cover

  • Verlag: Splitter
  • Autor*in(nen): Markus Heitz, Yann Krehl
  • Zeichner*in: Che Rossié
  • Erscheinungsjahr: 2023 (Band 4 und Gesamtausgabe)
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Hardcover
  • Seitenanzahl: 264 (Gesamtausgabe)
  • Preis: 49,80 EUR (Gesamtausgabe)
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Fazit

Die Graphic-Novel-Adaption von Die Zwerge kann größtenteils als gelungen betrachtet werden. Der Charme und die Atmosphäre der Vorlage werden gelungen eingefangen, was der epischen Geschichte bei ihrer Entfaltung hilft. Besonders ab dem zweiten Band steigt das Interesse an den Charakteren, da mehr Interaktionen der verschiedenen Persönlichkeiten erfolgen.

Dass der Umsetzung die Bestnote versagt bleibt, liegt an der Kombination einiger Punkte. Zum einen benötigt der erste Band etwas Anlaufgeschwindigkeit, da eine Vielzahl an Personen, Orten und Völkern eingeführt werden muss. Dies führt dazu, dass eine gewisse Oberflächlichkeit herrscht, welche sich im weiteren Verlauf bessert, jedoch nie komplett verschwindet. Wenngleich die Figuren allgemein interessant sind, so können aufgrund ihrer Fülle nicht alle tiefgründig erschlossen werden. Zudem gibt es ein paar Szenen, an denen man als Lesende einen gehetzten Eindruck vermittelt bekommt. Kenner der Buchvorlage werden hier umso deutlicher erkennen, an welchen Stellen eingespart wurde, was natürlich an den Seitenlimitationen des Mediums Graphic Novel liegt.

Auch bei der visuellen Gestaltung zeigen sich ein paar Schönheitsfehler, welche sich beispielsweise in Form von Abweichungen beim Detailgrad oder vereinzelt hölzern wirkenden Szenen äußern. Das ist hinsichtlich der sonstigen Qualität der Zeichnungen und Kolorierung Meckern auf hohem Niveau. Alle vier Bände von Die Zwerge sind liebevoll und atmosphärisch gestaltet, weisen eine wunderbare Vielfalt an Handlungsorten auf und kombinieren gelungen Kampfszenen mit Charakterinteraktionen.

Letztgenannte sind es schließlich, welche den Großteil der Faszination der Geschichte ausmachen. Im Laufe der Handlung wächst einem die Bande von abenteuerlustigen Gesellinnen und Gesellen ans Herz, wenngleich einige stärker im Rampenlicht stehen als andere. Dass sie dabei eine uralte böse Macht besiegen müssen, setzt der Faszination der Handlung lediglich die Krone auf.

Ich freue mich letztendlich, dass einer meiner liebsten Phantastik-Romane eine solch gelungene Umsetzung bekommen hat.

 

  • Epische Geschichte mit reich ausgearbeitetem Hintergrund
  • Interessante Interaktionen zwischen Charakteren
  • Episch und gelungen inszeniert
 

  • Enthält für einige Lesende möglicherweise zu viele Klischees
  • Einige Figuren und Szenen wirken oberflächlich

 

Artikelbilder: © Splitter Verlag
Layout und Satz: Norbert Schlüter
Lektorat: Rick Davids
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