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Eine himmelstürmende Stadt, gebaut von Engeln, beherrscht von Dämonen, Sphingen und Verbrechenssyndikaten. Eine neue Megastadt im endlosen Multiversum von Magic the Gathering, aber anders als Ravnica eher im Film Metropolis als der klassischen Fantasy beheimatet. Mit Fedora, Maschinenpistole und Nadelstreif. Willkommen in den Strassen von Neu-Capenna!

Nur wenige Jahre nach der Wiederauflage der Stadt Ravnica, einer der beliebtesten Spielwelten von Magic the Gathering, bietet uns Wizards of the Coast eine neue Stadt zum Erkunden. Magic the Gathering wagt, teilweise neue Wege zu beschreiten. Während Ravnica noch in einem rein phantastischen Setting beheimatet war, haben wir es bei den Straßen von Neu-Capenna mit einem Mobster-Setting zu tun, inspiriert von den späten Zwanziger- bis mittleren Dreißiger-Jahren des letzten Jahrhunderts. Damit ist es eines der Sets, die sich mit am stärksten und unverblümtesten aus der tatsächlichen Weltgeschichte bedienen.

Auch wenn sie in den letzten Jahren etwas gehäufter vorkamen, reine Stadtsettings sind für Magic the Gathering überraschend selten: Kamigawa Neon Dynasty präsentierte uns asiatisch inspirierte Metropolen mit einem Hauch von Shadowrun, in Strixhaven konnten wir Student*innen in einer MtG-Version von Hogwarts nachfühlen und in Kaladesh Bastler*innen und Erfinder*innen über die Schultern schauen. Letzteres Set ist mittlerweile auch schon wieder sechs Jahre und gezählte vierzehn (14!) Erweiterungen her, Master- und Commander-Sets sowie Sonderprodukte wie Jumpstart nicht mitgezählt (ja, die Küstenmagier sind ausgesprochen fleißig, uns stets mit neuem Kartenmaterial zu versorgen).

Die Hintergrundgeschichte

Fedoras, Tommyguns und Nadelstreifen also. Da es sich um einen komplett neuen Hintergrund für Magic the Gathering handelt, muss erst einmal etabliert werden, worum es in dieser Welt eigentlich geht. Die Stadt Neu-Capenna wurde von Engeln erbaut, diese sind jedoch weitestgehend verschwunden. Aktuell wird die Stadt aus einem Konsortium aus fünf Familien regiert, welche die Stadt untereinander aufgeteilt haben. Diese fünf Familien sind sowohl eine Reminiszenz an die tatsächliche Geschichte der italoamerikanischen Cosa Nostra, passen aber auch gut zu dem üblichen Veröffentlichungsschema von Magic the Gathering, das sich meist um die fünf Manafarben beziehungsweise eine Kombination aus zwei oder dreien der Farben dreht. In Strassen von Neu-Capenna kehren nun fünf alte Farbkombinationen (Jund, Esper, Bant, Naya und Grixis) zurück, die wir zuletzt in der zerbrochenen Welt von Alara im gleichnamigen Block im Jahr 2008 in dieser Prominenz gesehen haben. Es war also höchste Zeit, dass die archetypischen Kombinationen (durch ihre Positionen auf dem Manarad von Magic the Gathering auch Scherben genannt, die jeweils drei benachbarte Farben einnehmen) wieder etwas Liebe bekommen.

Die fünf Familien streiten untereinander um das Halo, eine seltsame Flüssigkeit, die jede*r haben möchte (The Spice must flow). Dieses Halo droht nun zu versiegen. Noch dazu wird einer der Gildenanführer*innen von Ob Nixilis, einem alten Bekannten aus Ravnica, ermordet. Dieser ist nun der Antagonist des Settings. Oder auch nicht, da tief in den Schatten von Neu-Capenna eine noch größere Gefahr droht …

Die Brokers (Bant, grün-weiß-blau) sind eine dämonische Anwaltskanzlei, die allen Wesen, die bereit sind zu zahlen, unschätzbare Dienste leistet. Der Preis? Ach, ein kleiner Gefallen unter Freund*innen…

Die Obscura (Esper, weiß-blau-schwarz) sind Mystiker*innen und Gedankenmagier*innen, deren schärfste Waffe Geheimnisse sind. Ein wenig wie die Dimir, nur weniger nett.

Die Maestros (Grixis, blau-schwarz-rot) waren mal der alte Adel von Capenna. Heute sind sie die besten Assassin*innen der Stadt und begeisterte Kunstsammler*innen. Hey, auch ein schöner Mord kann Kunst sein.

Die Riveteers (Jund, schwarz-rot-grün) sind die Architekt*innen und Baumeister*innen der Stadt. Der Großteil der Riveteers ist eine Art korrupte Gewerkschaft, welche Dispute nur zu gerne handfest austrägt.

Die Cabaretti (Naya, rot-grün-weiß) schließlich waren mal die Druid*innen und Bard*innen der Stadt. Heute organisieren sie die feinsten Restaurants, dekadentesten Feiern und faszinierendsten Soireen.

Mechaniken

Mit Strassen von Neu-Capenna haben wir neue Mechaniken erhalten, welche das Spiel interessanter machen können. Jeder Familie ist dabei eine eigene Mechanik zugewiesen, um die Fraktion einzigartiger zu machen (dennoch kann man, das richtige Mana vorausgesetzt, selbstverständlich die Mechaniken miteinander im selben Deck spielen).

Intrigieren lässt uns beim Angreifen Karten aus der Hand abwerfen und dadurch unsere angreifende Kreatur stärken. Obwohl die Mechanik einen subtilen Ansatz vermuten lässt, ist sie wohl doch interessanter für aggressive Decks.

Die Mechanik Todesopfer stellt uns vor die Frage, wie viel wir für den Erfolg zu zahlen bereit sind. Bei Todesopfer handelt es sich um fakultative Zusatzkosten, die wir für einen Zauber zahlen dürfen (nicht müssen). Wenn wir dies tun, erhalten wir einen mächtigen Bonus.

Wie der Name Blitz schon aussagt, ist diese Mechanik etwas für Leute mit wenig Geduld. Wir können unsere Sprüche mit Blitz sofort ausspielen, müssen sie dann allerdings später wieder opfern. Da wir allerdings dafür eine neue Karte ziehen dürfen, haben wir zumindest keinen Kartennachteil generiert.

Allianz ist eine passiv ausgelöste Mechanik, die zum Tragen kommt, wenn wir mehr Kreaturen beschwören (es geht hier doch schließlich um die Familie, oder?). Diese Mechanik wirkt zwar auf den ersten Blick nicht so übermächtig, kann mit der richtigen Menge an Freunden schnell außer Kontrolle geraten.

Schild verleiht unseren Kreaturen einen einmaligen Schutz gegen tödlichen Schaden. Simpel und praktisch. Leider hilft dieser Schutz nicht gegen andere Effekte, welche unsere Kreaturen unschädlich machen beziehungsweise ins Exil befördern.

In Summe sind die neuen Mechaniken eine spannende Bereicherung für die bereits zahlreichen Schlüsselwörter, die Magic the Gathering bereits aufweist. Ob man aus allen fünf Mechaniken unbedingt Schlüsselwörter machen musste, sei dahingestellt. Vielleicht hätte es gereicht, den Regeltext ohne Schlüsselwort abzudrucken.

Abseits der Mechaniken sollte noch erwähnt werden, dass mit den Strassen von Neu-Capenna wieder ein Thema Einzug hält, das Wizards of the Coast schon etwas länger links liegen gelassen hat – Schusswaffen. Bögen, Armbüste und andere Waffen aller Art. Diese waren schon immer ein Thema in Magic the Gathering, da Konflikte ein Grundthema im Spiel darstellen. Moderne Schusswaffen waren allerdings nach Portal eine Seltenheit. Vielleicht wollte man sich in den fantastischen Settings des Multiversums nicht zu sehr an allzu reale Gegebenheiten erinnern müssen. Persönlich habe ich die Abwesenheit von Schusswaffen in Magic the Gathering nie als einen Fehler empfunden, da es auch so immer genug Waffen gab, um Kreaturen auszurüsten. Aber ich verstehe durchaus, dass in einem Cosa Nostra-Setting Gewehre ihren Platz haben.

„Pringels“ und Foils

Die Glanzbeschichtung, die von manchen Spieler*innen als Sammelobjekt geschätzt wird, sorgt leider immer wieder für Probleme hinsichtlich der Kartenkrümmung. Da der Glanzeffekt der Foilkarten durch eine eigene Metallschicht in der Karte erzeugt wird, beginnen sich diese so präparierten Karten zu krümmen, sobald eine gewisse Menge an Feuchtigkeit an die Karte herankommt (und das geschieht unweigerlich, sobald die Karte mit Luft in Berührung kommt). Durch die Krümmung sind diese Karten leider separat erkennbar und somit ab einem gewissen Krümmungsgrad nicht spielbar in Turnieren (und eigentlich überhaupt nicht spielbar). Manche Sets haben mit diesen Karten mehr, manche weniger Probleme. Meine Karten aus Strassen von Neu-Capenna sind so gut wie gar nicht gekrümmt (zumindest noch nicht mehr als die nicht-Foil-Karten). Das kann sich zwar im Laufe der nächsten Monate noch ändern, aber so frisch, wie sie jetzt sind, schauen sie noch gut aus.

Persönlich mag ich den Glanzeffekt überhaupt nicht. Da ich meistens mit Freund*innen am Abend bei mir daheim spiele, ist eine Lichtquelle direkt über dem Spieltisch, welche den Glanzeffekt umso stärker zur Geltung bringt. Dazu finde ich, dass die Beschichtung das Gesamtbild der Karte nicht unbedingt unterstützt. Aber wer den Glanzeffekt mag, darf sich sicher sein, mit diesem Set nichts falsch zu machen.

Zwei Decks vorgestellt – Ob Nixilis Jund (Historisch) und Lawyer’s Guild (Standard)

Jedes neue Set birgt unzählige neue Möglichkeiten, seine alten Decks zu überarbeiten beziehungsweise ganz neue Decks zu erstellen, in welchen alte und neue Karten ganz frische Kombinationen erzeugen können, die das Spiel gewinnen können. Anhand zweier von mir auf MtG Arena ausführlich gespielten Decks möchte ich hier verschiedene Möglichkeiten vorstellen, die mit den Karten aus Strassen von Neu-Capenna möglich sind. Die beiden vorgestellten Decks zeigen nur einen kleinen Ausschnitt dessen, was möglich ist.

Ob Nixilis Jund

Der Antagonist des Sets ist hier Namensgeber für ein recht fieses Kombodeck im Format Historic (so gut wie alle Karten sind legal, vor allem für alte, ausrotierte Standarddecks gedacht). Normalerweise versucht Jund einfach, die Gegenseite mit stärkeren Kreaturen zu überrollen und einen recht schnellen Sieg zu holen, bevor die andere Person ihren Plan durchführen kann.

Mit zwei Kombinationen können wir einerseits die gegnerische Hand zerstören beziehungsweise gleich genug an Schaden herausschießen, dass wir gar nicht anzugreifen brauchen. Ob Nixilis höchstselbst kann sich mit der Fertigkeit Todesopfer selbst kopieren und so sehr schnell mit Hilfe eines erzeugten Teufelspielsteins sowohl Schaden verursachen als auch ein bequemes Lebenspunktepolster erschaffen, mit dessen Hilfe wir gar nicht erst an so etwas Unzivilisiertes wie einen Angriff zu denken brauchen.

Für die zweite Kombination nehmen wir zwei Karten aus vorangegangen Sets, den Kami der Trauer aus Kamigawa und Kroxa, den Titan des Todeshungers aus Theros. Kroxa muss dazu im Friedhof oder auf unserer Hand sein. Mithilfe des Kamis markieren wir Kroxa, auf dass er immer wieder kurz auf das Spielfeld kommt, wenn eine Kreatur mit weniger Manakosten auf unserer Seite stirbt. Somit haben wir kein Problem mehr damit, wenn unsere Kreaturen sterben – schließlich bringen sie den Titanen immer wieder zurück, welcher die Hand und Lebenspunkte des Gegners attackiert, auch ohne angreifen zu müssen. Kopf – ich gewinne. Zahl – du verlierst.

Lawyer’s Guild (von Jim Shaw) 

Dieses blauweiße Deck dreht sich darum, möglichst schnell und viel zu intrigieren. Mithilfe unserer Flieger, die wir hoffentlich möglichst schnell mit Zusatzeffekten wie Lebensverknüpfung und Intrigieren stärker machen können, bauen wir unsere Anfangsposition möglichst geschwind aus und generieren durch neue Kreaturen beständig neuen Kartenvorteil. Wie die Azorius aus Ravnica, nur wesentlich mehr auf Geschwindigkeit bedacht. Wenn alles gut geht, wird es schnell eng für die Gegenseite.

Da es sich bei der Lawyer’s Guild um ein Standarddeck handelt, werden hier nur Karten aus den letzten Sets verwendet. Es macht besonderen Gebrauch von den neuen Mechaniken des Sets, vor allem Intrigieren. Das zeigt schön, wie man in einem engeren Rahmen (nur ein paar hundert statt zehntausender verfügbarer Karten) interessante Deckzusammenstellungen ins Feld führen kann.

Länder

Ein buntes Set benötigt gutes Manafixing in Form flexibler Länder. Netterweise liefern uns die diversen Familien in ihrer Großzügigkeit jeweils eine besondere Örtlichkeit, um an das begehrte Mana zu kommen. Andere Länderkarten lassen uns Karten nachziehen, auch nicht schlecht.

Bei den Full-Art-Ländern haben die Künstler*innen großartige Arbeit abgeliefert. Die Einbettung „klassischer“ Länderarchetypen wie Ebenen, Inseln und Wälder in eine Stadtlandschaft mit einem Roaring Twenties Hintergrund verlangt Kreativität, und hier wurde definitiv Qualität gezeigt. Endlich das passende Mana für ein Metropolis-Themendeck.

Musik

Wer stilecht mit Strassen von Neu-Capenna Spaß haben möchte, kann sich beim Spielen das offizielle Musikalbum zum Set anhören, stilecht im Jazz und Swing gehalten. Für die Musikstücke des über eine Stunde dauernden Albums waren die Künstler*innen Jonathan Young, Matthew K. Heafy, Amie Waters, Christian Vee und andere verantwortlich. Damit setzt Strassen von Neu-Capenna fort, was schon mit Kamigawa Neon Dynasty begonnen wurde. Hoffentlich wird das Veröffentlichen von passender Musik ein neuer Trend.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Wizards of the Coast
  • Erscheinungsjahr: 2022
  • Sprache: Deutsch und Englisch
  • Spieldauer: 15 Minuten bis zu mehreren Stunden, je nach Format
  • Spieler*innenanzahl: Ab zwei
  • Alter: Ab 13 Jahren empfohlen
  • Preis: um die € 4 für einzelne Draft Booster, etwa € 11 für drei Set Booster und circa € 25 für Sammler Booster.
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Fazit

Strassen von Neu-Capenna bringt einige interessante Neuerungen und macht kaum etwas falsch. Die neuen Karten ermöglichen so manche neue Interaktion und das Cosa Nostra Setting ist noch nicht überstrapaziert, auch wenn es etwas ungewohnt ist. Aber nach den Computern in Kamigawa Neon Dynasty wirkt die Metropole von Neu-Capenna fast schon bieder und bodenständig. Und Fahrzeuge sind wir schon seit Kaladesh gewohnt.

Alles in allem haben wir hier eine schöne, runde Erweiterung für das Spiel. Was könnte man mehr wollen?

 

  • Es ist Magic the Gathering, das beste Kartenspiel der Welt.
  • Ein ungewohntes MtG-Setting, das aber stilvoll umgesetzt ist.
  • Sehr schöne Art déco-Illustrationen.
 

  • Es ist Magic the Gathering, das frustrierendste Kartenspiel der Welt.
  • Die glänzende Schicht auf den Foils ist zu stark reflektierend.
  • Teilweise etwas umständliche Mechaniken.

 

Artikelbilder: © Wizards of the Coast
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat: Jessica Albert

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