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In Yokohama taucht ein Tiger auf. Nun liegt es an den wehrhaften Detektiv*innen ihn zu finden. Doch Sie sind nicht die einzigen, die es auf ihn abgesehen haben. Auch die Mafiosi sind hinter ihm her. In Bungo Stray Dogs kämpfen Figuren der Literatur gegeneinander. Wer wird gewinnen?

Die Manga-Reihe Bungo Stray Dogs von Kafka Asagiri und Sango Harukawa hat mit ihren sympathischen Charakteren und ihrer actiongeladenen Handlung die Herzen vieler Anime und Manga Fans erobert. Der Manga erschien 2012 beim japanischen Verlag Kadokawa Shoten und der Anime dazu wurde 2016 veröffentlicht.   

Triggerwarnungen

Suizid

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Handlung

Atsushi Nakajima steckt in Schwierigkeiten – nachdem er aus dem Waisenhaus, in dem er einst untergebracht war, hinausgeworfen und verjagt wurde, ist er am Verhungern und verzweifelt, weit entfernt von jeglicher Hilfe. Er beschließt, nicht aufzugeben und die nächste Person, die ihm über den Weg läuft, auszurauben. Dabei begegnet er Dazai, der sich in den Fluss Tsurumi gestürzt hat, um sich umzubringen. Auf diese Weise macht Atsushi Bekanntschaft mit dem Büro der wehrhaften Detektiv*innen, die ihm einen Platz in ihrer Mitte geben. 

Die Detektei ist einem menschenfressenden Tiger auf den Fersen, als sie zufällig Atsushi auffinden. Es stellt sich heraus, dass der wilde Tiger kein normaler Tiger ist, sondern die Manifestation von Atsushis eigener „Gabe“: Er verwandelt sich im Mondlicht in das Tier. Als sich herausstellt, dass Atsushi und die Bestie ein und dieselbe Person sind, beschließt Dazai Atsushi als neues Mitglied in die Agentur aufzunehmen. Nachdem er sich in dieser neuen Welt voller übernatürlicher Kräfte, Mafia und mörderischer Situationen wiedergefunden hat, muss Atsushi endlich mit seiner eigenen Unsicherheit fertig werden, da er daran zweifelt, dass er irgendwo dazugehören kann, ohne allen anderen Schaden zuzufügen.

Charaktere

Bungo Stray Dogs verfügt über sehr einprägsame Charaktere mit interessanten Persönlichkeiten.

Atsushi ist sehr liebenswert und sympathisch. Er wird aus dem Waisenhaus hinausgeworfen und landet auf der Straße. Allein, hilflos und voller Selbstzweifel. Er agiert als Neuling, führt die Leser*innen durch die neue Welt und macht sie mit den neuen Charakteren bekannt. Er hat auch eine mutige und heldenhafte Seite an sich, die im zweiten Kapitel gezeigt wird.

Dann ist da noch Dazai, eines der Mitglieder der Detektei. Er ist albern, sorglos, ein völlig rätselhafter Mann und außerdem selbstmordgefährdet, da er ständig versucht, sich aus dem einen oder anderen Grund auf verschiedene Art und Weise umzubringen. Dies wird allerdings eher als eine schrullige Charaktereigenschaft dargestellt. In Gefahrensituation ist er zuverlässig und kompetent in dem, was er tut.

Kunikida ist ein geradliniger Mann, der sich immer über Dazai und seine Selbstmordversuche ärgert. Er ist ein amüsanter Charakter, denn auf der einen Seite ist er sehr zielstrebig und folgt seinen Idealen, auf der anderen Seite jedoch ist er manchmal ziemlich leichtgläubig.

Die anderen Mitglieder der Agentur werden zwar vorgestellt, aber nicht weiter ausgeführt. Der Bösewicht Akutagawa etabliert sich als gefährliche Bedrohung, die gefürchtet wird. Insgesamt aber handelt es sich um eine solide Besetzung von Charakteren, die sehr vertraut und fremd zugleich sind.

Zeichenstil und Erscheinungsbild

Die Charaktere sind gut gestaltet. Die Designs der Charaktere sind eher simpel, es wurde jedoch auf die emotionalen Gesichtsausdrücke wert gelegt. Sogar beim Tiger ist eine starke Mimik zu verzeichnen. Dadurch kann man die Stimmung der Szenen sehr gut nachvollziehen. Die Layouts sind übersichtlich gestaltet und die Leser*innen können der Handlung gut von einem Panel zum nächsten folgen. Auffällig ist allerdings, dass es viele leere Stellen in den Panels gibt, weil es an Hintergründen mangelt. Die Welt fühlt sich deshalb manchmal leer an und obwohl die Stadt von Verbrechen geplagt sein soll, sieht sie aufgrund des Mangels an düsteren Details nie wirklich so aus. Die actiongeladenen Panels sind jedoch chaotisch und es ist nicht immer erkennbar, was genau passiert.

Die Charaktere und ihre wahre Herkunft

Es ist kein Geheimnis, dass die Charaktere bekannte Figuren der japanischen Literatur darstellen. Im Manga wird dies als Fußnote gekennzeichnet. Auch die Namen der besonderen Eigenschaften und Angriffsformen der jeweiligen Charaktere entsprechen den Werken der literarischen Personen oder sind zumindest Anspielungen auf solche.

Da Dazai Osamu einer der Hauptcharaktere dieser Reihe ist, soll er hier nun kurz vorgestellt werden, um seinen Charakter und dessen Hintergründe im Manga besser verstehen zu können.

Der Professor für japanische Literatur an der Stanford University Ueda Makoto beschreibt Dazai Osamu (1909-1948) als einen sehr schüchternen Menschen, der es nicht ertrug, viel und offen über sich selbst zu sprechen. Über seine eigenen Werke zu schreiben, kam ihm vor, als würde er mit seinem Aussehen prahlen. In Anbetracht dessen muss man Dazai vor allem in seinen fiktionalen Werken suchen. Glücklicherweise war er ein autobiographischer Schriftsteller. [1]

Dazai Osamu wurde am 19. Juni 1909 als Tsushima Shûji in der Stadt Kanagi in der Präfektur Aomori als Sohn eines wohlhabenden Landbesitzers geboren. Dazais frühes Leben, das er in seinem Werk „Erinnerungen“ schildert, war von großer Unsicherheit über seinen Status in der Familie geprägt. Noch im Kindesalter kamen ihm Zweifel, ob er überhaupt der Sohn seiner Eltern war. Schon im frühen Alter war er fasziniert vom Tod. Außerdem war Dazai mehr von der Vorstellung des unvermeidlichen „Untergangs“ der herrschenden Klasse angetan als von der Theorie der Diktatur des Proletariats. Als Neunzehnjähriger war er sich des Reichtums seiner Familie sehr bewusst, und er sah den Ursprung ihres Reichtums in der Position der Familie als Grundbesitzer, die Pächter ausbeuteten.

Der Tod rückte vorübergehend in den Hintergrund, als Dazai seine Rebellion in intensive literarische Aktivitäten umwandelte. In den späten 1920er Jahren veröffentlichte er Geschichten und Romane, die eindeutig auf seiner eigenen Familie und seinem eigenen Ich basierten und sich gegen diese richteten. Später bezeichnete er diese Geschichte, die er im Alter von neunzehn Jahren schrieb, als den Schlüssel zu seinem chaotischen Leben und die Quelle seines Nihilismus.

1930 holte Dazai Oyama Hatsuyo, eine junge Geisha, zu sich nach Tokio und lebte mit ihr zusammen. Die scheinbare Harmonie war nur von kurzer Dauer, denn sein ältester Bruder hatte ihm befohlen, sie aufzugeben, um die Familie vor einem Skandal zu schützen. In dieser Zeit lernte er auch Tanabe Shimeko kennen, eine Bardame im Hollywood, einem Café in Ginza. Eine Woche nach ihrem Kennenlernen verbrachten sie eine Nacht betrunken in einem Hotel und am nächsten Abend versuchten sie einen Doppelselbstmord durch Ertränken. Tanabe ist dabei gestorben, Dazai jedoch überlebte. Er wurde verhört, aber wegen der Prominenz seiner Familie und Annahme, dass er als junger Mann von hoher Geburt nicht für den Tod einer Frau, insbesondere einer Bardame, verantwortlich gemacht werden könne, sofort freigelassen. Er selbst sagte, dass der unmittelbarste Grund für seinen Selbstmordversuch seine Entfremdung von seiner Familie aufgrund der „Hatsuyo-Affäre“ war. Inzwischen hatte er von seinem Bruder die Erlaubnis erhalten, sie zu heiraten.

1935 kehrte Dazai nach Kamakura zurück, dem Schauplatz seines Doppelselbstmordes von 1930, und versuchte sich nach eigenen Angaben zu erhängen. Zurück in Tokio erlitt er zwei Wochen später einen schweren Blinddarmanfall und erhielt die Diagnose Tuberkulose. Während der Behandlung, die Aufenthalte in verschiedenen Krankenhäusern und großzügige Verschreibungen von Schmerzmitteln umfasste, entwickelte Dazai eine Drogensucht.

Trotz seines literarischen Erfolgs verschlechterte sich sein körperlicher und finanzieller Zustand. Die Überweisungen, die er von zu Hause erhielt, sowie die Einnahmen aus seinen Veröffentlichungen verschwendete er an Drogen. Auf Drängen seines Mentors, des Schriftstellers Ibuse Masuji, ließ sich Dazai in ein Krankenhaus einweisen. Der Schock darüber, dass er sich in einer Zelle einer psychiatrischen Anstalt wiederfand, wo er einen Monat lang untergebracht war, erschütterte sein Vertrauen in seine Freunde.

1937 fand Dazai heraus, dass Hatsuyo während seines Krankenhausaufenthalts eine Affäre mit einem Bekannten von ihm gehabt hatte. Ein vierter missglückter Selbstmordversuch, diesmal zusammen mit Hatsuyo, fand im März statt, gefolgt von einer endgültigen Trennung.

Bis 1938 lebte Dazai allein, sah nur wenige Freunde, trank und grübelte über sein öffentliches Image. Als er aus diesem zeitweiligen Ruhestand zurückkehrte, leitete er eine neue Periode ein. Stabilität und Gesundheit gehörten von nun an zu seinem öffentlichen Erscheinungsbild. 1939 heiratete er Ishihara Michiko, mit der er zwei Kinder hatte und zwei Jahre lang schrieb Dazai fröhlichere, weniger intensive Werke.

Nach dem Krieg versuchte er sich seiner Familie anzunähern. Dies blieb erfolglos, da seine Großmutter und Mutter gestorben waren und jene Geschwister, die überlebt haben, nichts von ihm wissen wollten. Wieder gab er sich dem Alkohol und den Frauen hin. Seine Affäre mit Ôta Shizuko, die er Jahre zuvor begonnen und 1947 wieder aufgenommen hatte, führte dazu, dass er seinen Roman „The Setting Sun“ schrieb, der auf ihrem Tagebuch basierte. Dazai begann auch, sich mit Yamazaki Tomie zu treffen, einer Kriegswitwe, die in einem Schönheitssalon arbeitete. Während er mit ihr zusammen war, schrieb er einen weiteren Roman, „No Longer Human“ (Dt. Gezeichnet). Nun spielte er erneut mit dem Gedanken an einen Doppelselbstmord, der dazu führte, dass sie beide am 16. Juni 1948 starben.[2]

Die harten Fakten:

  • Verlag: Egmont Manga
  • Autor: Kafka Asagiri
  • Zeichenr: Sango Harukawa
  • Erscheinungsjahr: 2017
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Taschenbuch 180 mm (Höhe) x 124 mm (Breite)
  • Seitenanzahl: 196
  • Preis: 7,50 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Fazit

Bungo: Stray Dogs Vol. 1 ist ein anständiger Start zu dem, was eine interessante Serie sein könnte. Es bietet eine gute Reihe von Haupt- und Nebenfiguren, zusammen mit einem anständigen Bösewicht. Das Tempo ist zugegebenermaßen etwas schwankend, da die Dinge an manchen Stellen einfach zu schnell voranschreiten. Die Leser*innen hätten besser in die Welt eingeführt werden können, denn erklärt wird über diese kaum etwas. Auch ist der Handlungsort unbekannt. Der Hinweis auf den Fluss Tsurumi hingegen lässt darauf schließen, dass es in Yokohama spielt.

Positiv aufgenommen wurde der Anhang im Manga. Normalerweise stellt sich auf den letzten Seiten der*die Mangaka vor und die Leser*innen erfahren Details über Charaktere und deren Besonderheiten. Hier allerding wird der Mangaka als schüchterne Person beschrieben, die seinen Charakteren Atsushi und Dazai den Auftrag gibt, ihn vorzustellen und Fragen zu dem Manga zu beantworten.

Was ich an dieser Stelle gerne kritisieren würde, ist der Umgang mit Dazais suizidalen Tendenzen, denn diese werden humoristisch genutzt. Dies finde ich im Hinblick auf die tragische Geschichte der literarischen Person verwerflich. Auch in Anbetracht der Tatsache, dass die Reihe und der Anime auch ein junges Publikum erreicht, sollte hier mehr Aufklärung stattfinden und die humoristischen Szenen in denen Dazai sich umbringen will, nicht kommentarlos stehen gelassen werden.

Für Kenner*innen der japanischen Literatur könnten die Anspielungen auf die verschiedenen Autoren und ihre Werke Pluspunkte sein, die zusätzliches Interesse an der Manga Reihe entfachen. Es besteht allerdings eine Gefahr für Leser*innen, die bisher kaum oder zumindest wenige Berührungspunkte mit der japanischen Literatur hatten. Denn erste Themen und ernstzunehmende Persönlichkeiten werden hier banalisiert und albern dargestellt. Jedoch kann behauptet werden, dass auch oder vielleicht sogar vor allem ohne Vorwissen zur japanischen Literatur Bungo Stray Dogs als eigenständiger Manga sehr gut funktioniert. 

 

  • Interessante Handlung
  • Literaten als Hauptfiguren

 

  • Unverantwortlicher Umgang mit dem Thema Suizid
  • Chaotische Action Panel

 

Fußnoten:
[1] Ueda, Makoto (1976): Modern Japanese Writers and the Nature of Literature. Stanford University Press.
[2] Wolfe, Alan Stephen (1990): Suicidal Narrative in Modern Japan – The Case of Dazai Osamu. Princeton Legacy Library.

 

Artikelbilder:
Layout und Satz: Verena
Lektorat: Denise Hollas
Dieses Produkt wurde kostenfrei zur Verfügung gestellt.

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