Geschätzte Lesezeit: 8 Minuten

Anfang des Jahres ging erneut eine große Kontroverse um Korsetts in Film und Fernsehen durch die Kostüm-Community. Auch viele Larper*innen tragen dieses kontroverse Stück als Teil ihrer Gewandung. Was also hat es mit diesem besonderen und viel diskutierten Kleidungsstück auf sich – und was nicht?

Der folgende Artikel beschäftigt sich zum Teil mit kostümgeschichtlichen Gegebenheiten und Darstellungen im historischen Kontext. Daher werden hier im Bezug auf die zur entsprechenden Zeit verwendeten Rollenbilder die Begriffe „Mann“ und „Frau“ verwendet.

Wer kennt sie nicht, die eine Szene in gefühlt jedem Kostümfilm, egal ob Fantasy oder (Pseudo-) Historie, in der die zumeist weibliche Heldin sich japsend an den Bettpfosten klammert, während sie – meist von einer anderen Frau – mit Gewalt in das patriarchalische Folterinstrument schlechthin geschnürt wird: ein Korsett. Obligatorisch wird sie sich dann gegen diese archaische Praktik aussprechen, um dem Publikum zu zeigen, dass sie nicht wie die Anderen ist. Oberflächlich betrachtet ein kurzes, prägnantes Stilmittel, um mit Umgebung und Charakter vertraut zu machen.

Nicht selten orientieren sich auch Liverollenspielende an ihren Lieblingsfilmen oder -Büchern des jeweiligen Genres, wenn es an die Charakter-Entwicklung und auch an die Gewandung geht.

Gerade die Verwendung eines Korsetts in einem oder beiden dieser Prozesse verlangt aber doch einiges an Fingerspitzengefühl in der Darstellung einer starken Frauenrolle.

Triggerwarnungen

Body-Shaming, Tight-lacing, Atemnot, Körper-Dysmorphie, Misogynie, Fehlgeburt

[Einklappen]

Was ist eigentlich ein Korsett?…

Auch moderne Kleider bedienen sich ähnlicher Techniken für die perfekte Silhouette – mit tollem Ergebnis

Eingangs sei direkt gesagt: Betrachtet man die Frage vom reinen Standpunkt der Kostümgeschichte aus, gibt es so etwas wie „das Korsett“ nicht. Dennoch wird in der Folge zur Vereinfachung das Wort „Korsett“ als Sammelbegriff für alle verwandten Kleidungsstücke verwendet. Von den ersten verstärkten Kleidungsstücken, bis zu dem, was wir heute als Korsett sehen, finden sich unzählige Variationen. Die große Gemeinsamkeit ist, dass es sich zuvorderst um ein strukturgebendes, stützendes Kleidungsstück aus verstärktem Textil handelt, das von Frauen getragen wurde, um der Oberbeleidung der jeweiligen Epoche den gewünschten Sitz zu geben. Die ersten Vertreter seiner Art waren auch zum Verformen der Figur überhaupt nicht geeignet. Es taucht in verschiedensten Formen und „Härtegraden“ auf, und ist in seiner zeitgenössischen Brisanz am ehesten vergleichbar mit dem heutigen konventionellen BH. Eher unspektakulär also. Das Tragen eines gut passenden Korsetts sorgte für eine gerade Haltung, Stütze der Brust und eine angenehme Verteilung des Gewichts der anderen Kleidungsstücke. Diese konnten recht schwer wiegen, da es in der Vergangenheit in der Hauptsache darum ging, eine gewünschte Silhouette zu erreichen. Das, was wir heute unter Konfektionsgröße verstehen, war eher nebensächlich. Es kam also zum Einsatz einiger Schummelei für den gewünschten Effekt, sei dieser nun Sanduhr-Silhouette oder ausladende Gesäßpartie. Im Gegensatz zum heutigen Mode-Korsett war es dazu auch kaum zu sehen, da es sich schlicht um Unterwäsche handelte. Also an sich keine so große Sache, oder?

…und was ist es nicht?

Hier beginnt die Kontroverse. Denn das Bild, das sich in der Populärkultur verankert hat – das des frauenverachtenden Folterwerkzeugs, wir erinnern uns – hat seinen Ursprung ausgerechnet in ausgesprochen frauenfeindlichen Ansichten.

Die ersten Darstellungen des Korsetts als körperverformendes Objekt, das Organe quetscht, Rippen bricht, und zu Fehlgeburten führt, stammen von Menschen, die nie selbst eines getragen haben. Jene männlichen Ärzte nämlich, die zur selben Zeit, zu der diese Klischees entstanden, auch auf Quecksilber-Behandlungen bei Geschlechtskrankheiten und Lobotomien bei psychischen Erkrankungen schworen. Und deren Beurteilungen über weibliche Körper wir heute teilweise noch für bare Münze nehmen.

Ein gut sitzendes Korsett half den Träger*innen, ohne Einschränkungen Sport zu treiben und körperlicher Arbeit nachzugehen, ohne dabei Schmerzen zu haben oder durch schlecht sitzende Kleidung eingeschränkt zu sein. Tätigkeiten also, die nicht wenig zur Emanzipation der Frau beitrugen. Jene übertrieben schlanken Sanduhr-Figuren, die wir heute aus Modefotografien des 19. und frühen 20. Jahrhunderts kennen, sind, ähnlich wie heutige Bilder, stark retuschiert. Kleiderpolster und ausladende Röcke taten ihr Übriges – wir sollten also auch hier nicht alles glauben, was wir sehen. Zwar gab es, wie zu jeder Zeit, Individuen, die die Mode auf die Spitze trieben und durch sogenanntes Tightlacing (oder Taillen-Training) eine ungesund winzige Taille erzielten, dies war jedoch nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Dennoch erliegen wir der Versuchung, ganze Generationen nach diesen zu beurteilen, und ein Kleidungsstück zu dämonisieren.

Eine weitere zweifelhafte Darstellung ist das Tragen des Korsetts auf der bloßen Haut. Ein Korsett besteht aus mehreren, durch Stäbchen oder Kordeln verstärkte, Lagen Stoff und ist schlecht waschbar, weshalb es immer über einem Leibhemd, der sogenannten Chemise, getragen wurde. Szenen, in denen eine Person das eng geschnürte Korsett von der nackten Haut nimmt, wo es rote Abdrücke hinterlässt, sind ein weiteres Stilmittel, das zeigen soll, wie um der Eitelkeit willen gelitten wurde.

Die Kontroverse um das Korsett kommt also recht perfide unter dem Deckmantel der Emanzipation daher, und nutzt dabei frauenfeindliche Argumente wie Eitelkeit und Schlankheitswahn vergangener Epochen, um das Kleidungsstück und jene, die es trugen, im modernen Bewusstsein herabzusetzen. Denn natürlich fühlen wir uns vergangenen Generationen gegenüber gern überlegen, die scheinbar mit Hilfsmitteln ihren Körper unter Schmerzen in eine modische Form pressten – schließlich passen wir heute lieber den Körper direkt der gewünschten Kleidung an, statt umgekehrt, und sehen lieber den Körper geformt, statt der Silhouette. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Was hat das Ganze mit Larp zu tun?

Aber was hat die ganze Korsett-Kontroverse mit Liverollenspiel zu tun?

Auch im Liverollenspiel möchten wir gern einen ganz bestimmten Eindruck mit unserem Charakterkonzept erzielen und orientieren uns dabei an Historie und deren Darstellung in den Medien, die wir konsumieren. Fantasie braucht immer Inspiration. Dabei bedienen wir uns an Stilmitteln, von denen wir wissen, dass sie den gewünschten Eindruck machen.

Die Gewandung eines Charakters und ihre Einzelteile sind dafür ein integrales Instrument.

Soll ein Charakter aus einer Epoche dargestellt werden, in der ein Korsett oder ein artverwandtes Kleidungsstück obligatorisch war, sollten Spielende sich im Vorfeld zumindest kurz damit auseinandersetzen, ob und wie sie eines tragen wollen. Denn ein schlecht sitzendes oder falsch getragenes Korsett führt genau zum Kern der eingangs erwähnten Kontroverse, dass Korsetts grundsätzlich unbequem und einschränkend seien. Es mag amüsieren, doch in diesem Punkt ähneln die Vorurteile, mit denen Korsett und Schnürbrust daherkommen, denen, die sich jahrelang und in der Populärkultur noch heute über die Plattenrüstung hielten und noch halten.

Genau wie in eine gute Rüstung, wird man auch in ein gutes Korsett möglicherweise investieren müssen. Soll es gemäß einem historisch inspirierten Zweck getragen werden, sollte es auch an den*die Träger*in angepasst, und im Vorfeld etwas eingetragen sein. Ein Maßkorsett, ähnlich wie eine Maßrüstung, kostet – aber genau wie im Falle der letzteren, sollte hier im eigenen Interesse nicht gespart werden. Wer sich an das Tragen einmal gewöhnt hat, wird feststellen, dass Bewegungsfreiheit und Atem entgegen der Klischees nicht eingeschränkt werden, und Ohnmachtsanfälle nicht plötzlich zur Tagesordnung gehören.

Soll das Korsett als Accessoire sichtbar getragen werden, um einen bestimmten Eindruck zu erwecken, welcher von frivol bis knallhart reichen kann, begeben wir uns oft in den Bereich des Modekorsetts, wie wir es heute kennen. Damit kommt dann auch manches mal der Faktor der Figur-Verformung hinzu. Hier ist Fingerspitzengefühl gefragt. Auch bei Modekorsetts gilt, besser ein hochwertigeres Modell, das gut sitzt und etwas eingetragen wurde, als ein günstiges von der Stange. Wer die Taille akzentuieren möchte, sollte dies mit großer Vorsicht tun und wissen, was der eigene Körper mitmacht, und was nicht. Gerade auf Sommer- und Groß-Cons gilt immer: Gesundheit vor Optik.

Als Statement getragen, unterstreicht ein Modekorsett das Charakterkonzept

Abseits der reinen Ästhetik kommt mit der Entscheidung für – oder gegen – das Korsett als Kleidungs- und Stilmittel auch das Bild, das vom jeweiligen Charakter gezeichnet werden soll. Wird es gemäß seinem ursprünglichen Zweck als strukturgebendes Kleidungsstück getragen, verleiht es dem Charakter Tiefe, denn es beeinflusst unweigerlich Körperhaltung und Sitz der Kleidung. Dies kann besonders edel und vornehm wirken und sich lohnen, sich darauf einmal einzulassen. Trägt der Charakter es als Teil der Oberbekleidung, ist die Botschaft eine andere, der Charakter betont einen besonders weiblich gelesenen Aspekt des Körpers, nämlich die schmale Taille. Je nachdem, wie die restliche Gewandung ausfällt, kann dies sowohl das Konzept eines kriegerischen, als auch eines besonders femininen, sexy Charakters unterstreichen. In dieser Anwendung ist das Korsett dann schon beinahe ein Stilmittel für Emanzipation.

Knallhart im Korsett

Zuletzt bleibt, und hier schließt sich der Kreis, der vollständige Verzicht auf ein Korsett oder artverwandtes Kleidungsstück. Im Mittelalter- und Fantasy-Larp ist dies wohl der Regelfall und hat meist auch gar nichts mit dem Charakterkonzept zu tun. Sollte sich aber die Gelegenheit ergeben, die unabhängige Gesinnung des eigenen Charakters im Gespräch zu unterstreichen, so tut es vielleicht gut, einen Moment an das Beispiel vom Anfang zu denken. Worauf möchte ich meine Charakterisierung aufbauen? Möchte ich zeigen, dass ich nicht wie die Anderen bin? Und möchte ich dies auf dem (eingeschnürten) Rücken anderer Personen tun?

Artikelbilder: © Nabil hanano
Layout und Satz: Annika Lewin
Lektorat: Giovanna Pirillo
Fotografien: Nabil Hanano

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein