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Museen, Orte der Hochkultur und des Verbrechens: Immer wieder verschwinden berühmte Kunstwerke, seltene Bücher oder einzigartige Antiken aus öffentlichen Sammlungen. Nicht nur in Hollywood regen diese Fälle die Fantasie an, auch im Rollenspiel dienen sie als beliebter Plot-Aufhänger. Doch ist Kunstdiebstahl wirklich so glamourös wie im Film?

Für undurchsichtige Auftraggebende einzigartige Kulturgüter aus berühmten Ausstellungen oder Museumsdepots zu „liberieren“ und damit vielleicht sogar reich zu werden ist ein Plan, der Charakteren nicht nur in Shadowrun einfallen könnte. Das Motiv ist schließlich auch in der Popkultur schon häufig genutzt worden. Doch es lauern ungeahnte Fallstricke in der Ausführung, die Spielleitende zum Abenteueraufbau nutzen können. Eine Betrachtung anhand realer Fälle.

Triggerwarnungen

Keine typischen Triggerwarnungen

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Ist das Kunst oder kann das weg?

Bunt leuchtende Bewegungsmelder, durch die sich eine Person in hautengem, antistatischen Catsuit hindurchwindet, bevor sie mit hochmodernem Gerät und technischer Unterstützung aus dem unauffällig vor dem Museum geparkten schwarzen Van die elektronische Sicherung des Gemäldes deaktiviert, das sie sodann vorsichtig von der Wand nimmt. Die ganze Aktion war natürlich von der Bande, angeführt von einem genialen Mastermind, von langer Hand geplant. So oder so ähnlich stellt sich Hollywood einen Kunstraub vor. Davon inspiriert bieten zahlreiche Rollenspielsysteme Möglichkeiten an, ihre Charaktere in einen Museumsheist zu schicken. Allein in diesem Jahr erschien der Datapuls: 10 Museen für Shadowrun im Pegasus Verlag, in dem zehn ausgewählte Sammlungen in der ADL als Ziele für einen Run vorgestellt werden. Ebenfalls neu erschienen ist der Quellenband Vive la Résistance im System Achtung!Cthulhu 2D20 von Modiphius, in dem ebenfalls ein Museumsheist als Abenteuer vorgeschlagen wird.

In Film, TV und Rollenspiel sind Museumsdieb*innen oft faszinierende, wenn nicht gar anziehende Charaktere, wird ihnen doch ein hohes Bildungsniveau und eine gewisse Kunstsinnigkeit unterstellt. Ebenso gilt ihr Vorgehen als weitgehend gewaltlos, wenn man von durch mit Drogen versetztes Fleisch Schlafen gelegten Wachhunden einmal absieht. Es wundert also nicht, wenn Spielende selbst in die Rollen dieser kultivierten Meisterverbrecher*innen schlüpfen wollen, um einzigartige Kunstwerke aus hochgesicherten Bildungseinrichtungen zu entwenden und damit reich zu werden. Doch wie nah an der Realität ist diese Vorstellung wirklich? Ein paar legendäre Museumsdiebstähle des 20. und 21. Jahrhunderts können Aufschluss – und möglicherweise Ideen für Rollenspielabenteuer – geben.

Diebe ohne Doktortitel

Hier erst mal eine Spoiler-Warnung: Das Klischee vom Gentleman-Dieb à la Arsène Lupin bewahrheitet sich im Allgemeinen eher nicht. Viel eher steht Kunstraub als ein Unterpunkt im Portfolio von Berufsverbrecher*innen. Besonders raffiniert muss bei dem Einbruch in ein Museum zudem auch nicht vorgegangen werden. Museen sind nun mal keine hochgesicherten Banktresore, auch wenn die in ihnen aufbewahrten Kulturgüter schnöden Goldbarren oder Wertpapieren an Wert oft in nichts nachstehen. Der Grund dafür ist schlicht, dass dem Kultursektor in jedem Land der Welt das Geld fehlt, in ausgeklügelte Sicherheitssysteme und gut ausgebildetes Wachpersonal zu investieren. Man braucht also keine*n fassadenkletternde*n Meisterdieb*in mit einem Doppelstudium in Kunstgeschichte und IT-Technik für den Job. Im Allgemeinen reichen ein paar motivierte Individuen mit wenig Skrupeln. Schnelligkeit ist von Vorteil, Gewaltverzicht hingegen optional.

Das Porträt des Duke of Wellington von Francisco de Goya wurde nur 19 Tage nachdem es erstmals öffentlich ausgestellt wurde, gestohlen. © Wikimedia Commons, National Gallery
Das Porträt des Duke of Wellington von Francisco de Goya wurde nur 19 Tage nachdem es erstmals öffentlich ausgestellt wurde, gestohlen. © Wikimedia Commons, National Gallery

Ein berühmter Fall aus dieser Sparte ist der Raub im Isabella Stewart Gardner Museum in Boston im Jahr 1990. Subtil gingen die Täter hier sicher nicht vor: Sie drangen nachts in das Gebäude ein, bedrohten und fesselten die Nachtwächter und bedienten sich dann an den Kunstwerken in dem exquisiten Privatmuseum, darunter nicht wenige einzigartige Gemälde alter holländischer Meister. Die Polizei bemerkte bis zum nächsten Morgen nichts von dem Vorfall: Es war die Nacht vom 17. März, also des St. Patrick’s Day, der im stark irisch geprägten Boston gern mit ausgedehnten Feiern begangen wird, und in diesem Jahr auch noch ausgerechnet auf einen Samstag fiel. So waren die Einsatzkräfte in der Nacht gut ausgelastet.

Wer die Kunstwerke gestohlen hat, ist bis heute unbekannt. FBI und lokale Polizeikräfte verdächtigten sowohl die irische wie auch die italienische Mafia in den Vereinigten Staaten, zeitweise sogar die IRA – aber keine der Spuren führte zum Ziel. Eine der gängigen Theorien lautet, dass ein hochrangiges Mitglied des organisierten Verbrechens die Gemälde als Sicherheitspfand aufgehoben hatte, um im Falle einer Verhaftung einen besseren Deal auszuhandeln. Freilich ist es, falls die These stimmt, nach 33 Jahren durchaus möglich, dass alle, die von dem Versteck wussten, inzwischen längst eines natürlichen oder weniger natürlichen Todes gestorben sind, und die Kunstwerke damit wohl für immer verschwunden bleiben.

Ein spektakulärer Fall von Kunstdiebstahl schaffte es tatsächlich aus der realen Welt direkt nach Hollywood – wenn auch nicht so, wie er tatsächlich ablief. Am 2. August 1961 stellte die National Gallery am Londoner Trafalgar Square erstmals das Porträt des Duke of Wellington des spanischen Malers Francisco Goya aus. Das Ölgemälde von 1814 zeigt den britischen General und Staatsmann mit den Orden und Auszeichnungen, die ihm als Sieger über Napoleon verliehen wurden. Nicht einmal drei Wochen nachdem es in der National Gallery aufgehängt worden war, wurde das Porträt gestohlen. Die Polizei vermutete zunächst eine*n Expert*in hinter der Tat, da das Gebäude mit für diese Zeit hochmodernen elektronischen Alarmanlagen gesichert war. Als im darauffolgenden Jahr 1962 der Film James Bond jagt Dr. No erschien, erlaubten sich die Verantwortlichen eine Referenz auf das Tagesgeschehen, indem sie eine Kopie des verschwundenen Werkes in Dr. Nos Unterschlupf stellten – was Bond (Sean Connery) dann auch prompt bemerkt.

Der Fall klärte sich erst im Jahr 1965, als der Dieb sich stellte und das Gemälde freiwillig zurückgab. Er trug keinen Doktortitel, war kein Bond-Bösewicht und auch kein ausgefuchster Meisterdieb, sondern ein pensionierter Busfahrer aus Newcastle namens Kempton Bunton. Aus Protest dagegen, dass Kunstgalerien und Museen umsonst öffentlich zugänglich waren, während selbst ökonomisch Benachteiligte wie Arbeitslose oder Rentner*innen für die öffentlichen Rundfunksender der BBC bezahlen mussten, hatte er das Werk gestohlen. Fünf Wochen nach der Tat schickte er ein Erpresserschreiben an die Nachrichtenagentur Reuters, in dem er eine Summe von 140.000 Pfund als Spende für TV-Lizenzen für Ärmere forderte. Nachdem er sich gestellt hatte, wurde Bunton zu drei Monaten Haft verurteilt. Laut eigenen Angaben hatte er durch Gespräche mit dem Wachpersonal erfahren, dass die Alarmanlage morgens abgeschaltet wurde, um die Reinigungskräfte ihre Arbeit tun zu lassen. Er habe das Gemälde dann einfach von der Wand genommen und sei durch das Fenster im Erdgeschoss entkommen. Nicht glamourös, aber effektiv.

Auch der Raub im Isabella Stewart Gardner Museum hat eine popkulturelle Referenz bekommen, wenn auch an weniger prominenter Stelle als in einem Bond-Film: Das wohl berühmteste der damals geraubten Gemälde, Christus im Sturm auf dem See Genezareth von Rembrandt, wird in der Netflix-Serie The Blacklist in einer Szene dem Protagonisten, einem klassischen Mastermind-Verbrecher, zum Kauf angeboten. Er lehnt ab, da ihm der Stil nicht zusagt. In der Realität würde er es wohl eher ablehnen, weil er nicht von jedem Besuch sofort mit einem der bekanntesten Raubüberfälle der jüngeren Geschichte in Verbindung gebracht werden möchte.

Das Problem mit dem Schwarzmarkt

Und darin liegt auch schon das Problem mit der geraubten Kunst: Sie ist nur sehr schwer weiterzuverkaufen. Berühmte Gemälde wie Edvard Munchs Der Schrei, welches tatsächlich schon mehrmals gestohlen wurde, lassen sich auf dem Kunstmarkt schlecht weiterverkaufen, denn sie sind viel zu leicht als Diebesgut zu erkennen. Dasselbe gilt für Werke, die nach der Tat in den Medien verbreitet wurden wie das Porträt des Duke of Wellington. Antiken und seltene Bücher sind etwas weniger leicht wiederzuerkennen, aber auch hier gibt es einzigartige Stücke, die zwar sehr wertvoll, aber doch kaum verkäuflich sind. Und natürlich haben diese häufig Inventarnummern oder andere Besitzmarken von den Museen und Sammlungen, aus denen sie stammen. Wenige Kunsthändler*innen wollen sich mit derart offensichtlich heißer Ware erwischen lassen.

Charing Cross Bridge: Fog on Thames, ein Bild aus Claude Monets London-Serie, wurde nach seinem Raub aus der Rotterdamer Kunsthal höchstwahrscheinlich verbrannt. © Creative Commons
Charing Cross Bridge: Fog on Thames, ein Bild aus Claude Monets London-Serie, wurde nach seinem Raub aus der Rotterdamer Kunsthal höchstwahrscheinlich verbrannt. © Creative Commons

Das heißt allerdings nicht, dass diejenigen, die die Werke gestohlen haben, das auch wissen. So kommt es zu Fällen wie dem Raub in der Rotterdamer Kunsthal im Jahre 2012. Die Kunsthalle besitzt keine eigene Sammlung, sondern veranstaltet jährlich circa 25 wechselnde Sonderausstellungen. Im Herbst 2012 wurde dort eine Schau impressionistischer Gemälde aus einer privaten Sammlung gezeigt. In der Nacht zum 16. Oktober brach eine Gruppe durch eine Hintertür in die Kunsthalle ein und stahl sieben Bilder im Schätzwert von 65 Millionen Euro, darunter zwei Monets, einen Picasso, einen Matisse, einen Gauguin und zwei Werke weniger bekannter Künstler.

Obwohl der Alarm losging und die Polizei nur fünf Minuten später vor Ort war, konnte sie die Verantwortlichen nicht mehr stellen. Auch hier vermutete die Presse zunächst eine Bande kunstsinniger Spezialist*innen, doch auch hier war es in Wirklichkeit anders: Im Januar 2013 nahm die Abteilung für organisierte Kriminalität der rumänischen Polizei drei Männer fest, nachdem einer von ihnen die Gemälde unwissentlich einem Polizeiinformanten zum Kauf angeboten hatte. Es stellte sich heraus, dass die Bande zwar durchaus Ahnung von Einbrüchen hatte, jedoch wenig von Kunst und noch weniger vom Kunsthandel.

Um ihren Sohn vor den Ermittlungen zu schützen, verbrannte die Mutter des Anführers der drei die Kunstwerke in ihrem heimischen Ofen. Verurteilt wurde die Bande dennoch, der Anführer zu sechseinhalb Jahren Haft, seine beiden Komplizen zu kürzeren Strafen. Als mildernder Umstand wirkte sich aus, dass die Kunsthal „keine angemessenen Sicherheitsmaßnahmen ergriffen habe“, was dazu führte, dass die Angeklagten nicht auch noch die Versicherungssumme von 18.1 Millionen Euro als Schadensersatz zahlen mussten.

Fazit: Aus der Realität an den Spieltisch

Hochmotivierte, jungdynamische Sicherheitskräfte wie diese stellen im Allgemeinen den größten Widerstand bei einem Museumsraub dar. © Pegasus Spiele
Hochmotivierte, jungdynamische Sicherheitskräfte wie diese stellen im Allgemeinen den größten Widerstand bei einem Museumsraub dar. © Pegasus Spiele

Zunächst die gute Nachricht: Um Museen zu berauben, müssen eure Charaktere keine hochspezialisierten Kunstkenner*innen sein. Sie brauchen auch kein teures technisches Equipment oder einen raffinierten Masterplan. Im Allgemeinen reichen ein Moment, in dem Polizei und Sicherheitskräfte abgelenkt sind, und brachiale Gewalt. Die schlechte Nachricht lautet dann allerdings, dass aus Museen geraubte Kulturgüter auf dem freien Markt so gut wie unverkäuflich sind. Das hält motivierte Individuen natürlich nicht immer ab und kann interessante Spielansätze bieten, wenn die Spielleitung dieses Detail vor ihren Spielenden zurückhalten sollte.

Alternativ bieten sich Abenteuer an, in denen die geraubte Kunst gar nicht weiterverkauft werden soll, sondern von vornherein als Auftragsarbeit, oder aus irgendeinem nicht-monetären Grund gestohlen wird. Noch realistischer sind solche Szenarien, in denen die Kunstwerke als Sicherheit eingelagert werden, um der Polizei gegenüber ein gutes Argument im Verhaftungsfall zu haben, oder sie gegen ihre Versicherungssumme an das geschädigte Museum zurückzuverkaufen. Gerade im Umfeld des organisierten Verbrechens sind dies keine ungewöhnlichen Praktiken. Ein Einbruch in einer Kunstgalerie oder einem Museum bietet sich also auch für Gruppen an, die sonst aus nicht eben allzu kultivierten Berufsverbrecher*innen bestehen.

Das Thema Museumsheist als Abenteuerplot hat trotz der oben erwähnten Einschränkungen durchaus seinen Reiz – nur eben mit weniger Klischees.

 

Artikelbilder: wie angegeben, Titelbild: © Pegasus Spiele
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Giovanna Pirillo

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