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Kopfgeldjagd im Weltraum – ein Konzept, das selten langweilig wird. Sei es Boba Fett aus Star Wars, Samus Aran (Metroid) oder eben die Cowboys um Spike Spiegel von der Bebop: Coole Sprüche und eine Menge Action sind garantiert. Einer der berühmtesten Animes überhaupt ist nun als Rollenspiel erschienen.

Cowboy Bebop ist ein Space-Western mit Elementen von Noir, Comedy oder auch Cyberpunk. Es ist ein Mixtape der Genres und Themen – musikalischer wie inhaltlicher. Einer der besten Animes aller Zeiten handelt nicht nur von Einsamkeit und Existenzkrisen, sondern auch von Kapitalismus oder Umweltschutz. Westerntypische Ballereien sind an der Tagesordnung, wie auch Verfolgungsjagden und ungeahnte Verstrickungen in der Vergangenheit der Charaktere. All das wird in ein musikalisches Bett gelegt, das von Yoko Kanno und ihrer Band Seatbelts aufgestellt wurde. Die Musik, also der Blues und Jazz, bricht typische Western-Vertonungen und beeinflusst den gesamten Stil der Serie.

Dieser musikalische Fokus spiegelt sich auch im Rollenspiel wider. Wie die einzelnen Folgen heißen auch die Kopfgeldjagden Sessions, Charaktere haben einen Groove, und zahlreiche andere Begriffe sind nicht rollenspieltypisch benannt, darunter Rhythm, Jam oder Tab. Das kann zu Beginn etwas verwirren, entspricht aber dem Spirit von Cowboy Bebop außerordentlich gut.

Triggerwarnungen

Gewalt, Mord, Tod, Gewalt gegen Kinder, Gewalt gegen Tiere, Alkohol, Drogen

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Die Spielwelt – Are You Living In The Real World?

Die Bühne für Cowboy Bebop ist unser Sonnensystem, aber im Jahr 2071. Über die Astral Gates (Hyperraumtore) können von Merkur bis Pluto zahlreiche Orte angesteuert werden – jeder mit anderen Bedingungen. Die Inseln auf der Venus, die über der Wüstenoberfläche schweben, bieten natürlich ganz andere Schauplätze als die Monde Jupiters oder Raumstationen wie das „Spiders From Mars“-Casino.

Kern des Spiels ist die Jagd nach Kopfgeldern. Dabei treffen die Charaktere nicht nur ihresgleichen, sondern auch auf Verbrecher*innen aller Art, von Menschenhändler*innen über Mörder*innen bis hin zu Gangs. Alte Feind*innen tauchen auf oder eine verflossene Liebschaft steht im Mittelpunkt. Neben den Bountys spielen Behörden und Offizielle eine Rolle, große Konzerne oder gar religiöse Gruppen.

Da die Spielwelt auf einem im Kern lediglich 26 Folgen umfassenden Anime basiert, ist sie zwar bunt, aufregend und vielfältig, aber nicht bis ins letzte Detail ausgearbeitet, wie man es aus manch anderem Rollenspiel gewohnt ist. Für die Rollenspielumsetzung gab man sich dennoch Mühe, Optionen zu bieten, das Sonnensystem von 2071 in die Hände der SL zu legen, und hat das auch gut umgesetzt.

Humor und Action gehen Hand in Hand.
Humor und Action gehen Hand in Hand.

Über die konkreten Hinweise hinaus wurden die wichtigsten Elemente, die das „Feeling“ der Serie ausmachen, zusammengefasst: Cyberpunk und die besondere Coolness, die Familie wider Willen und der spezielle Humor formen die Spielwelt. Dazu kommt der Spagat zwischen Vergangenheit und möglicher Zukunft, die das Hier und Jetzt immer beeinflussen. Wem das nicht reicht, der erhält Genreverwandtschaften an die Hand, um damit die Welt weiterzuspinnen: Akira, Johnny Mnemonic oder The Outer Worlds zum Beispiel können Inspiration bieten.

Die Regeln – Easy Come, Easy Go…

Cowboy Bebop ist ein erzählerisches Rollenspielsystem. Für jedes Problem gibt es verschiedene Lösungsansätze (Approach), die thematisch passend mit musikalischen Begriffen in Verbindung gebracht werden. Ein solcher Approach kann ein Rock Approach sein, bei dem man sich etwas Übermächtigem widersetzt, oder ein Jazz Approach, mit dem man die Umgebung nutzt, um ein Problem zu lösen. Fünf Herangehensweisen werden so beschrieben, womit alle Situationen, in denen gewürfelt werden muss, kreativ angegangen werden können. Als Inspiration für das System werden unter anderem Monsterhearts und Blades in the Dark genannt, aber es handelt sich nicht um ein PbtA-System, sondern eine Eigenkreation.

Eine Session soll circa zwei Stunden in Anspruch nehmen, also eher kurz sein. Dabei werden drei Arten von Sessions unterschieden: klassische, „Filler“ und „Season Breakpoints“ – sehr filmisch also. Die Erzählung wird immer in drei Tabs geteilt, die jeweils eigene Ziele und Abläufe haben: Eine Art Einführung, in der auch die ganze Vorbereitung für die Kopfgeldjagd läuft, die Jagd an sich, in der auch das Geheimnis der Zielperson gelüftet wird, und zuletzt das große Finale.

Mit sogenannten „Clocks“ können die Spielenden ziemlich genau ausmachen, wann ein Wendepunkt in der Geschichte naht, gleichzeitig wird die Handlung damit in Segmente geteilt, die nachvollziehbar sind. Jede „Clock“ ist an ein Ereignis gebunden, und es gibt sie mit verschiedener Sektorenanzahl. Manche können über Sieg und Niederlage des Tabs entscheiden, andere weisen auf weniger wichtige, aber nicht weniger spannende Story-Elemente hin. In jedem Fall treiben sie das Geschehen voran.

Jedes Bounty hat ein Secret, das sich im Laufe der Session offenbart.
Jedes Bounty hat ein Secret, das sich im Laufe der Session offenbart.

Trotz aller Erzählfreude muss ab und zu gewürfelt werden. Für einen Würfelwurf sollte die Situation bedeutsam sein, also sowohl ein wichtiges Ziel für die Handlung formuliert werden als auch eine ernsthafte Konsequenz drohen. Kommt es dazu, dass eine Probe fällig wird, bildet man einen Würfelpool aus W6, mit dem ein Zielwert von 5 im ersten Tab, 10 im zweiten Tab und 15 im dritten Tab erreicht werden muss. Nicht nur der Zielwert erhöht sich, sondern auch die Würfelanzahl. So hat man bis zu drei Würfel je nach Tab und ergänzt einen, wenn ein passender Trait (Gegenstände, körperliche Merkmale, kybernetische Verbesserungen, …) eingesetzt wird, sowie einen weiteren, wenn der Approach mit dem Genre der Session übereinstimmt.

Am Ende eines Wurfes stehen immer „Hits“ und „Shocks“, eine Art Währung für beide Parteien: Damit werden die „Clocks“ vorangetrieben oder zukünftige Proben erleichtert beziehungsweise erschwert. Eingesetzte Traits können für den Rest der Session unbrauchbar gemacht werden, oder die Vergangenheit holt den Charakter ein. So werden Proben nicht sinnlos gewürfelt, sondern haben kurz- sowie langfristig Konsequenzen.

Ein Würfelwurf dauert niemals lange, ist immer stark in die Erzählung eingebunden und unterbricht die actionlastige Spielweise nicht.

Charaktererschaffung – Do You Have A Comrade?

Das offene und leichtgewichtige Regelsystem erlaubt eine schnelle Charaktererschaffung. Wenn man sich mit den Begriffen bekannt gemacht hat, dauert es keine 15 Minuten, einen Charakter auf den Bogen zu bringen. Die Spielleitung („Big Shot“, benannt nach der Informationssendung für Kopfgeldjäger*innen mit Punch und Judy) muss natürlich vorher festgelegt werden, alle anderen erschaffen Kopfgeldjäger*innen. Es gibt also keine Klassen oder ähnliches.

Der Anfang ist direkt recht ungewöhnlich, denn zuerst erschafft man das Mutterschiff, die weltraumdurchquerende Heimat der Kopfgeldjäger*innen. Später kann jeder Charakter noch ein Zipcraft beziehungsweise MONO („Machine Operation Navigation of Outer-Space“) erstellen, das für individuelle Ausflüge, Verfolgungsjagden oder andere Einsätze genutzt werden kann. Im Anime entsprechen diese Raumschiffe der Bebop als Mutterschiff und zum Beispiel der Swordfish II von Spike Spiegel.

Maßgeblich beeinflusst wird der Charakter von seinem Groove, einem Spezialtalent wie Lone Wolf oder Scrap Master, die sowohl regelmechanische als auch erzählerische Auswirkungen haben. Dazu kommt das Concept, welches mit nur einem Satz den Charakter beschreiben soll. Das kann ein Veteran sein, ein Weiser oder ein ehemaliges Gangmitglied – was immer einem einfällt.

Nicht zu verwechseln ist das mit der Memory. Ebenfalls nur ein Satz, der die Vergangenheit beschreibt, vor der der Charakter zu fliehen versucht. In Cowboy Bebop geht es auch immer um die Zeit vor der Kopfgeldjagd. Danach folgt die Verteilung der Traits: drei unterschiedliche und dann einen in einen beliebigen Bereich. Die fünf Bereiche sind Rock, Blues, Jazz, Dance und Tango. Wie bei den Regeln bereits erläutert, stellen sie unterschiedliche Herangehensweisen an Problemsituationen dar.

So starten alle Charaktere mit vier Traits, manche mit einer Verteilung von vier unterschiedlichen und manche mit zwei in dem gleichen Bereich und zwei weiteren. Jet Black hat zum Beispiel seine Deep Voice als Blues-Trait, mit der der Ex-Cop sich Gehör verschafft. Seine weiteren Traits sind der kybernetische Arm als Jazz-Trait und die zwei Tango-Traits „Beard and Sideburns“ und „Old Photos“. Schnell merkt man, dass die Traits den Charakter stark mitformen.

Das angesprochene MONO und ein Name fehlen noch zum Abrunden. Besonders interessant ist, dass man natürlich auch „Haustiere“ spielen kann – so wie den Welsh Corgi Ein. Der Data Dog hat aber natürlich besondere Fähigkeiten, und so kann ein Charakter als Haustier auch spannend sein, selbst wenn dessen Kommunikationsmöglichkeiten beschränkt sind. Als Beispielcharakter hat Ein nur drei Traits, was bei einem selbst erstellten Charakter nicht der Fall sein sollte.

Die Crew der Bebop in all ihrer Coolness.
Die Crew der Bebop in all ihrer Coolness.

Eine Crew zu erstellen ist ein Gemeinschaftsprojekt, das weder lange dauert noch langweilig oder kompliziert ist. In einer halben Stunde bis maximal einer Stunde ist eine gesamte Gruppe mit Mutterschiff spielfertig erstellt. Dazu kommt, dass es direkt zahlreiche Ansätze für die Mitspielenden (inklusive dem Big Shot) gibt.

Neben der normalen Charaktererstellung ist für Fans des Animes die Crew der Bebop komplett als ausgearbeitete Charaktere erstellt und jede Session der Serie für das Rollenspiel aufbereitet worden. Eine ganz neue Art, den Held*innen der Serie zu folgen.

Erscheinungsbild – Life Is But A Dream…

Cowboy Bebop hat wohl eine der höchsten Illustrationsdichten unter allen Rollenspielwerken. Aus jeder Folge des Animes gibt es Bilder, und wer das Regelwerk durchgelesen hat, wird die meisten Szenen wiedererkennen. Das liegt natürlich an der hervorragenden Vorlage, sodass man nicht noch neue Illustrationen in Auftrag geben musste.

Doch das stylische Hardcover mit dem hochwertigen, gestrichenen Papier macht alles richtig: Es ist gut strukturiert, übersichtlich aufgebaut und setzt auf ein vernünftiges Inhaltsverzeichnis sowie ein Glossar. Das Layout vermittelt das Gefühl des Animes, spiegelt Action wider und lädt zum Entdecken ein. Trotz der zahlreichen Bilder ist der Inhalt nicht durcheinandergewürfelt oder anstrengend zu lesen – einfach rund.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Mana Project Studio, Don’t Panic Games
  • Autor*in(nen): Davide Milano, Marta Palvarini
  • Erscheinungsjahr: 2023
  • Sprache: Englisch
  • Format: Hardcover, PDF
  • Seitenanzahl: 272
  • ISBN: 9791280109583
  • Preis: 49,95 EUR (Hardcover), 18,40 EUR (PDF)
  • Bezugsquelle: Fachhandel, DriveThruRPG

 

Bonus/Downloadcontent

Wie so oft gibt es spezielle Würfel für Cowboy Bebop zu erwerben: Das Swordfish II-Set ist satt rot mit weißen Zahlen und hat Spiegels Schiff anstelle der 6 eingeprägt.

Fazit – See You Space Cowboy

Cowboy Bebop ist eine große Nummer und damit kein einfaches Projekt. Ausgerechnet ein italienischer Publisher hat sich dessen angenommen und in Zusammenarbeit mit einer französischen Firma ein besonders schönes Rollenspielbuch geschaffen. Doch stellt man sich direkt die Frage, ob die Optik allein ausreicht, um der Vorlage gerecht zu werden.

Kopfgeldjagd, Action und die teils dramatische Vergangenheit der Charaktere spielen ebenso eine Rolle wie soziale Themen, gewalttätige Kriminelle und skrupellose Konzerne. Dazu kommt eine ordentliche Ladung Humor. All das kann man im Regelwerk von Cowboy Bebop wiederfinden – sei es anhand der Charaktere aus dem Anime oder mit neuen. Man hat den Ton der Vorlage getroffen.

See You Space Cowboy.
See You Space Cowboy.

Es gibt zwar Lücken, die andere Regelbücher vielleicht gefüllt hätten, aber es braucht keine bis in die Haarspitzen ausformulierte Welt, weil das Handwerkszeug da ist. Die Regeln sind leicht zugänglich und unterstützen all das, was man in einem Spiel dieser Art sucht. Cowboy Bebop ist nicht nur für Anime-Fans etwas oder für Liebhaber*innen gepflegter Weltraum-Action. Es ist ein kurzweiliger Höllentrip durch alles, was das Genre gut macht.

Wer also zu den 300.000 Kopfgeldjäger*innen im Sonnensystem gehören will, macht hier nichts falsch. See you Space Samurai…

Das Cowboy Bebop Roleplaying Game ist im Moment relativ schwierig zu bekommen – zumindest als Hardcover. Teilzeithelden hat es auf der SPIEL Essen 2023 direkt von Mana Project Studio erhalten. Für Journey to Ragnarok hat Mana Project Studio für den deutschen Markt mit Ulisses Spiele zusammengearbeitet. Vielleicht ist das auch für Cowboy Bebop zu erwarten.

Der Ersteindruck basiert auf der umfangreichen Lektüre, intensiven Gesprächen mit Mitarbeitenden von Mana Project Studio und der Vorbereitung einer Tischrunde. Dafür wurden Charaktere erstellt und zahllose Ideen geschmiedet.

 

  • Hervorragende Umsetzung der Vorlage
  • Einfaches, actiongeladenes System
  • Durchweg großartig illustriert und strukturiert

 

  • Musikbegriffe für Regelmechaniken etwas gewöhnungsbedürftig

 

Artikelbilder: © Mana Project Studio, Bildmaterial aus dem Anime lizensiert von SUNRISE, INC für Don’t Panic Games
Layout und Satz: Mika Eisenstern
Lektorat: Rick Davids
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