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Ghost Towns für Savage Worlds/Deadlands Reloaded führt den geneigten Leser durch sieben quer über den unheimlichen Westen verstreute kleine und größere Städte, deren Herausforderungen und Geheimnisse leichtsinniger Westernheroen harren. Konzeptionell Boomtowns für Deadlands Classic ähnlich, können sie als Schauplatz und Handlungsfutter für einzelne Abenteuer oder Mini-Kampagnen dienen. Zudem stellt der Quellenband dem Marshal einen Zufallsgenerator zur Verfügung, der es ihm ermöglichen soll, auf die Schnelle ein merkwürdiges Örtchen im Westen zusammenzustellen, um fix einen Rahmen angenehmer Abendunterhaltung in die Menge zu werfen.

Erscheinungsbild

Auf 129 Seiten präsentiert sich das PDF mit gewohnt farbig-stimmungsvollem Seitenhintergrund, großer, gut lesbarer Schrift und hübschen, aber nicht bemerkenswerten Bildern. Das 6.5″ x 9″ Format sorgt auf Bildschirmen und Tablets, sogar großen Smartphones, für bequeme Lesbarkeit. Freunde bedruckten Papiers können das Dokument durch Ausblenden einzelner Ebenen in eine druckerfreundliche Version umwandeln.

Die harten Fakten:

  • Format: pdf
  • Verlag: Pinnacle Entertainment
  • Erscheinungsjahr: 2012
  • Sprache: Englisch
  • Preis: 14,99 USD (PDF)
  • Bezugsquelle: DriveThruRPG.com (Klick)

Inhalt

GhostTowns_Covers

Wieder einmal sorgt eine Ausgabe des Tombstone Epitaph, dem beliebtesten Boulevardblatt der Freunde des Obskuren, für die Einstimmung. Neben einem Überblick über allgemein zugängliche Informationen rund um die Orte des Geschehens finden sich weiterführende Ansätze, die den Weg ins Abenteuer bahnen können; je nach Ansatz können Spieler die entsprechenden Artikel zum Einstieg in die Geschichte erhalten. Leider trübt der vorherrschende nüchtern-rationale Stil das Lesevergnügen – ein flapsiger Ton wie in anderen Epitaph-Einleitungen hätte auch Ghost Towns sicher gutgetan.

Die Darstellungen der Städte selbst folgen einem im Wesentlichen vereinheitlichten Format. Nach der Beschreibung der Lokalität, ihrer Geschichte und ihrer verborgenen Besonderheiten werden die wichtigen Bewohner des Ortes vorgestellt; im Anschluss daran knüpfen Savage Tales (Abenteuervorschläge), mal grob, mal feinkörnig ausgeformt, Handlungsfäden durch den Schauplatz. Merkwürdige Kreaturen und besondere Antagonisten schließlich sind ans Ende des Bandes verbannt worden. Was nun Potential und Ausarbeitungsgrad der Siedlungen angeht, so unterscheiden sich die vorgestellten Orte ganz erheblich.

Devil´s Backbone (Kalifornien) wäre noch immer ein träge vor sich hin vegetierendes Städtchen, wenn das große Beben es nicht auf einen Felskamm gehoben und beachtliche Mengen wertvollen Geistersteins freigelegt hätte. Seither sorgen scheußliche Kreaturen, Banditen und der erschwerte Zugang zur Stadt dafür, dass sich bei den Einwohnern keine Langeweile ausbreitet und Helden etwas zu tun hätten. Die beiden zugehörigen Savage Tales gießen alle wesentlichen Handlungsstränge in Abenteuer – sie können und sollten meiner Ansicht nach verknüpft werden, um eine hinreichend interessante Story zu erschaffen, die wohl eine Spielsitzung füllt. Damit allerdings sind die Optionen, die Devil´s Backbone bietet, bereits erschöpft; kaum mehr als ein kurzes vorgefertigtes Abenteuer also, das indes wenig zusätzliche spielleiterische Arbeit erfordert. Eine Ungereimtheit sorgt zudem für Stirnrunzeln. Dass der große Geistersteinfund über einen beachtlichen Zeitraum hinweg kaum Aufmerksamkeit erregt hat, lässt sich vor dem Deadlands-Hintergrund nur mühsam rechtfertigen und strapaziert meines Erachtens arg die Glaubwürdigkeit.

Grant´s Pass (umstrittene Territorien, südlich der Sioux-Nationen) liegt inhaltlich sozusagen in den Ausläufern des großen Eisenbahnkrieges. Geführt wird die geteilte Gemeinde von einer fragilen Allianz aus desertierten Kämpfern des chinesischen Kriegsherren Kang einerseits und Loyalisten von Union Blue, der großen Eisenbahngesellschaft des Nordens andererseits. Die entsprechende Savage Tale präsentiert in einem Mini-Abenteuer einen kleinen Einstieg ins Setting. Ansonsten erwarten die Helden in dem augenscheinlich ruhigen Szenario etliche NSC mit – natürlich – finsteren Absichten und Zukunftsplänen. Ganz im Gegensatz zu Devil´s Backbone aber bleibt es größtenteils dem Marshal überlassen, daraus Geschichten zu schmieden.

Die Beschreibung von Culverton führt uns in eine große, boomende Stadt am Ufer des Mississippi. Einst diente sie einem nahezu legendären Piraten als Unterschlupf, bis ihn die Texas Ranger abserviert haben; der Schatten des Schurken aber liegt über der Zukunft der aufstrebenden Stadt. Zwei in unterschiedliche Richtungen gehende Abenteuer, in denen wenig so ist, wie es scheint, deuten bereits an, dass der Hintergrund von Culverton breiter angelegt ist. In der Tat finden sich vielfältige Ansätze, um aus dem Material so einige Geschichten zu erspielen, denen ein (für DL:R-Verhältnisse) erhöhtes Maß an Subtilität gemeinsam ist.

Düstere Legenden ranken sich um Josephine (im weiten Nordwesten), ein, wie es heißt, verfluchtes Provinznest, dessen Einwohner ihre Türen verrammeln, wenn die Dunkelheit hereinbricht. Ähnlich Devil´s Backbone könnte sie zum Schauplatz einer oder mehrerer verknüpfter Geschichten werden, bis die Helden ihr nett verpacktes Geheimnis gelüftet haben.

Hope Falls im wilden Südwesten ringt trotz der erstaunlichen Verfügbarkeit von Elektrizität in weiten Teilen der Gemeinde ebenfalls mit einer zügig fallenden Einwohnerzahl. Mancher glaubt nicht an die Mär von der sauberen Energie, aber, von ein paar vernachlässigbaren Todesfällen abgesehen, ist das sicher nur Geschnatter abergläubischer Fortschrittsverweigerer. Hier erwartet den Leser wieder ein vielschichtiger Hintergrund, der eine Heldentruppe mit abwechslungsreichen Ansätzen für kleine Storys beschäftigen könnte.

Mit Rulamer inmitten des Great Maze, einer verborgenen Piratenstadt, entfernt sich das Buch langsam von gängigen Stereotypen in die Gefilde des Exotischen. In der Stadt bzw. mit den zugeordneten Savage Tales läßt sich der Maze zwischen den sie beherrschenden konkurrierenden Banden und weiteren „Interessengruppen“ aus einer etwas anderen Perspektive erleben, der der Unterwelt. Rulamer legt ein schönes Fundament für abwechslungsreiche, vielleicht sogar epische Geschichten, und bietet Marshals in der Beschreibung wie den Abenteuern zahlreiche interessante Anregungen.

Es bleibt exotisch: Wagonsend, irgendwo im nirgendwo, ist Städtchen und niedergelassener großer Zirkus zugleich, eine Art skurriler West-Vergnügungspark der Prä-Disneyland-Ära. Das Unterhaltungsprogramm hinter den Kulissen aber sollte, den obligatorischen sinistren Umtrieben sei dank, auf ein erwachsenes, aber sensationslüsternes Publikum beschränkt bleiben – Gerüchte rund um verschwundene Menschen, Poltergeister und bösartige Clowns gehören im unheimlichen Westen nämlich quasi zwingend dazu. Interessante Charaktere und Geschichten runden das Gesamtbild eines sehr gelungenen Schauplatzes ab, der sich wohltuend von monoton wiederholten Standards abhebt. Das Hauptabenteuer führt in einer detektivischen Story elegant vom unbefangenen Zirkusvergnügen weg in die dahinter – natürlich – lauernden Abgründe.

Angesichts der Unterschiedlichkeit der beschriebenen Örtlichkeiten fallen mir zusammenfassende Worte relativ schwer. Bei allen qualitativen Schwankungen der Stadtbeschreibungen lässt sich festhalten, dass viele tragende Säulen leider arg konventionell geraten sind. Zumeist spielen die Ortsbeschreibungen/Szenariovorschläge mit sattsam bekannten Versatzstücken aus dem Deadlands-Hintergrund und fügen selten neues hinzu. Ein wenig zu häufig sind es Agenten der üblichen Verdächtigen aus dem Schurken-Repertoire des unheimlichen Westens, die als Aufhänger der Handlung herhalten müssen. Erst mit Hope Falls, Rulamer und insbesondere Wagonsend scheint das Buch schließlich Fahrt aufzunehmen und Energie zu entwickeln. Unbefriedigend finde ich es auch, wenn sich manche Stadtbeschreibung im Ergebnis als nicht mehr als ein einzelnes, sehr überschaubares Abenteuer entpuppt.

Nach all dieser Nörgelei seien aber die positiven Seiten des Quellenbandes ebenso deutlich herausgestellt. Das Format der Stadtbeschreibungen spielt im Buch nämlich auch seine Stärken aus; es lässt DL:R-Spielrunden innerhalb der übersichtlichen urbanen Schauplätze die Handlung ohne „ablaufendes Programm“ frei erspielen. Die Savage Tales geben daneben genügend Hilfestellungen, um auch Anfängerrunden bei der Ausgestaltung nicht mit unüberwindbaren Hindernissen zu konfrontieren. Die Versatzstücke sind außerdem flexibel genug gehalten, um recht universell einsetzbar zu sein; so laden sie geradezu zur Plünderung ein, um Eigenentwürfe mit Orten, Personen und Handlungssträngen auszustatten. Auch wenn ich also eine gewisse Ideenarmut bemängele, Dynamik steckt in dem Buch: Marshals erhalten mit den Ghost Towns-Städten trotzdem einen breit ausgestatteten Baukasten, dessen Inhalte auf vielfältige Art Storys inspirieren, gestalten oder ergänzen können.

Den Abschluss des Buches bildet der Strange Locales Generator, der an Hand von Tabellen und Pokerkarten die zufällige Erschaffung von Siedlungen ermöglicht. Vergleichbare Generatoren mit jeweils regionalem Bezug fanden sich bereits in den Kampagnen The Flood und The Last Sons. Wert und Farbe der gezogenen Karten bestimmen über die einzelnen Aspekte der Stadt, angefangen bei der Größe über mundane und übernatürliche Probleme hinweg bis hin zu Komplikationen, die sich im Verlauf der Story ergeben sollen. Dieser Ansatz zur Erstellung eines Handlungsrahmens entspricht, offen gesagt, nicht meinem bevorzugten Spielstil. Gleichwohl zeigt der Feldtest, dass es leicht fällt, die vom Generator gelieferten Stichworte zu einer sinnvollen, möglicherweise spannenden Geschichte zu verbinden – auch wenn die zentralen Ideen letztlich doch aus dem Hirnschmalz des Spielleiters entstehen, nicht aber aus dem Generator selbst. Marshals, die Anschub brauchen können, damit die Ideen ins Rollen geraten, werden also möglicherweise wertvolle Unterstützung erhalten.

Preis-/Leistungsverhältnis

Gegenüber anderen DL:R-Produkten mit gleichem Preis hat Pinnacle Entertainment diesmal die Seitenzahl merklich reduziert. Einerseits enthält Ghost Towns zwar einen vielfältig einsetzbaren Baukasten, der ohne Aufblähungen auskommt; andererseits aber warten viele PDFs anderer Verlage mit einer weitaus höheren Textdichte pro Seite auf.

Leider verfestigt sich so mein Eindruck, dass sich Pinnacle Entertainment bei den Neuerscheinungen im oberen Preissegment positioniert.

Fazit

Leider vermisse ich bei aller Brauchbarkeit des Materials mehr zündende, interessante Ideen; für meinen Geschmack verharrt das Buch zu stark darin, sattsam bekannte Elementen des unheimlichen Westens zu rekombinieren, ohne ihnen neue Facetten abzugewinnen. So bleibt Ghost Towns im Schnitt handwerklich solides, gut verwertbares Spielmaterial, aber mit zu wenigen echten Höhepunkten. Vor dem Hintergrund der Preisentwicklung kann ich eine gewisse Enttäuschung nicht verhehlen, denn das Niveau von beispielsweise Return to Mani­tou Bluff erreicht das Buch als Ganzes nicht.

Daumen3maennlich

 Artikelbilder: Pinnacle Entertainment

 

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