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Das Königreich des Halbmondes ist in Gefahr, doch nur ein alternder Ghuljäger und sein Gehilfe scheinen es zu bemerken. Mit einer kleinen Gruppe von Abenteurern versuchen sie, das drohende Unheil abzuwenden: Saladin Ahmeds erster Roman erzählt altbekannte Geschichten vor einer traumhaften Kulisse wie aus tausendundeiner Nacht.

Es muss sich nicht immer alles zwischen England und Italien abspielen. Und es muss auch nicht immer alles von Artur, Siegfried und Co. inspiriert sein. Gerade in letzter Zeit werden in der Genreliteratur viele Konventionen gebrochen, und Das Schwert der Dämmerung wird als eines der Paradebeispiele für phantastische Literatur mit nicht-westlichem Setting gelobt. Lohnt es sich da, näher hinzusehen?

Story

In Dhamsawaat, dem Juwel von Abassen und der Königin aller Städte, brodelt das Leben. Bettler und Edelmänner, Händler und Magier, Kurtisanen und Gelehrte, alle zieht es in die morgenländische Metropole. Seit Jahrhunderten regieren die Kalifen von hier aus mit eiserner Hand das Königreich des Halbmondes und trotzen Intrigen und politischen Unruhen. Hier genießt Doktor Adoulla Machslûd, der letzte verbliebene Ghuljäger, seinen Lebensabend. Auf die Bitte einer Jugendliebe hin lässt er die Annehmlichkeiten von Teehäusern und süßen Mandelnestern ein letztes Mal zurück, um zusammen mit seinem jungen Gehilfen Rasîd, einem heiligen Krieger des Derwischordens, eine Reihe brutaler Morde aufzuklären.

Aufgrund des gemeinsamen Ziels schließt sich ihnen rasch die Gestaltwandlerin Samia an, letzte Überlebende eines Wüstenstammes, die den Mörder ihrer Verwandten sucht. Während der über alle Maßen fromme und tugendhafte Rasîd in ihr bald seine größte Herausforderung erkennt, beschleichen Adoulla Vorahnungen und Zweifel: Wer ist der unbekannte Ghulbeschwörer, der seine Jäger umgehend zur Beute macht? Was verbirgt sich hinter dem schakalgesichtigen Monster Mouw Awa? Hat sein Auftrag am Ende gar etwas mit dem Falkenprinzen zu tun, einem Banditenanführer und selbsternannten Beschützer der Armen, der in den Straßen Dhamsawaats für Unruhe sorgt?

Spätestens, als sein eigenes Haus keinen Schutz mehr bietet, weiß der Doktor, dass es kein Zurück gibt. Wenn seine Heimatstadt gerettet werden soll, ist er nicht der einzige, der aus dem Ruhestand zurückkehren muss. Verstärkt durch seine ehemaligen Kampfgefährten, den Magus Dawoud und die Alchemistin Litas, versucht die kleine Gruppe von Abenteurern, das Schlimmste zu verhindern …

Das Schwert der Dämmerung möchte vor allem eins: ein herkömmliches phantastisches Abenteuer erzählen, dessen Welt stärker als gewöhnlich an den arabischen Raum angelehnt ist. Diesen Selbstanspruch erfüllt es vollkommen. Das Königreich des Halbmondes ist durchsetzt mit Elementen, die einerseits eher selten in phantastischen Erzählungen auftauchen, den Lesern aber andererseits aus klassischen Settings bestens vertraut sein dürften. So erlebt etwa der Derwisch Rasîd genau den inneren Konflikt zwischen fanatischem Glauben und aufkeimendem romantischen Interesse, den zahllose Mönche, Paladine und andere Kleriker vor ihm durchmachen mussten. Und so lehnt sich der Falkenprinz in bester Robin Hood Manier eben nicht gegen einen König auf, sondern gegen einen Kalifen. Das kann ein Vor- oder Nachteil sein, je nachdem, welche Lesevorlieben man hat. Wer sich in erzählten Welten gerne sofort zu Hause fühlt, wird mit dem Roman glücklicher sein als jemand, der auf der Suche nach innovativem Worldbuilding ist, welches das Genre neu erfindet.

Ähnliches gilt für die Figuren. Doktor Adoulla Machslûd, der gealterte Protagonist, ist eine willkommene Abwechslung von den jungen Heldinnen und Helden, welche für gewöhnlich die Phantastik bevölkern, und als solche wirklich interessant. Seine Charakterentwicklung im Roman ist subtil, denn jemand, der auf ein ereignisreiches Leben zurückblickt, hat klischeehafte Selbstfindungsversuche wie die seiner jüngeren Begleiter nicht nötig. Andererseits hängt ihm die Frage nach, ob es möglich ist, auch im Alter die Weichen ein letztes Mal neu zu stellen und etwas zu verändern. Was an sich ein spannendes Thema ist, wird aber ständig unterbrochen, wenn die Geschichte sich Rasîd und Samia zuwendet. Beide haben sehr einfache Motivationen – Tugendhaftigkeit und Rache –, sehr erwartbare Konflikte und obwohl sie wirklich sympathisch sind, sieht man hinter ihnen doch immer die Stereotype, auf denen sie basieren. Das muss nicht zwingend so negativ sein, wie es klingt, denn es erzeugt auch manchmal das Gefühl, die Figuren schon lange zu kennen, kann aber durchaus etwas anstrengen.

Derartiges Festhalten an Erzählkonventionen hindert die Handlung leider eine ganze Weile daran, Fahrt aufzunehmen. Das ändert sich aber schlagartig, wenn Adoullas alte Gefährten zu der Gruppe stoßen. Dawoud und Litas sind eigenständige und interessante Figuren und treiben den Plot entschieden voran. Wer sich geduldig durch die erste Hälfte des Romans hat treiben lassen, wird in der zweiten Hälfte definitiv belohnt: Die Ereignisse spitzen sich zu, nehmen mehrere unerwartete Wendungen und steuern geradewegs auf ein ebenso temporeiches wie cleveres Finale zu, an dem man plötzlich nur noch kritisieren kann, dass es viel zu schnell vorbei ist. Eine Fortsetzung wurde bislang nicht angekündigt, der Roman ist aber auf keinen Fall so sehr in sich geschlossen, dass keine möglich wäre.

Schreibstil

Das Schwert der Dämmerung ist ein Erstlingswerk, und das merkt man auch durchaus, vor allem an der nicht ideal ausbalancierten Handlungsstruktur. Der Schreibstil ist allerdings hervorragend gelungen, weder zu einfach noch zu ausladend und einer kurzweiligen Abenteuergeschichte, die gleichzeitig ein gewisses Niveau halten will, durchaus angemessen. Die Orts- und Landschaftsbeschreibungen sind liebevoll gestaltet, aber nicht ausladend. Wie bei allen personalen Erzählungen, in denen Hauptfiguren abwechselnd das Zentrum von Kapiteln bilden, gibt es natürlich Passagen, die einen mehr oder auch weniger interessieren. Da die Figurenzahl im Roman überschaubar ist, entsteht aber zumindest keinerlei Verwirrung, zumal auch die auftretenden Nebenfiguren einen hohen Wiedererkennungswert haben. Zudem verweilt die Erzählung nie so lange bei den Gedanken einer Figur, dass es langweilig werden würde, sondern kehrt immer recht schnell zur eigentlichen Handlung zurück.

Auch die Übersetzung von Simon Weinert ist gelungen. Eine Reihe von Sprechweisen, wie zum Beispiel „Tantchen“ als durchaus respektvolle Anrede für eine ältere Frau, mögen etwas befremdend wirken, sind aber durchaus Absicht. Das gleiche gilt für die häufig religiösen Grußformeln, die übrigens der einzige Hinweis darauf sind, dass der Autor nicht nur eine arabische, sondern auch eine muslimische Fantasygeschichte schreiben wollte. Über den tatsächlichen Glauben der Figuren erfährt man allerdings so wenig, und dieses Wenige ist wiederum so allgemein, dass man fast den Eindruck erhält, er habe sich dann doch nicht richtig getraut. Das Vorhandensein von Himmel, Hölle und Engeln ist ja sozusagen der kleinste gemeinsame Nenner aller Schriftreligionen und kein Alleinstellungsmerkmal des Islam.

Was wenig zur Handlung beiträgt und gewissermaßen reiner Selbstzweck zu sein scheint, sind die Horror-Elemente im Roman. Die Erzählung setzt zunächst bei einem geheimnisvollen Gardisten an, der in mehreren über die Handlung verteilten Episoden grausamste Folterszenen mit ansehen muss. Ich hebe den Aspekt hervor, weil ich in dieser Hinsicht zwar recht gleichgültig bin, es aber einigen Leuten in meinem Umfeld zu sehr „torture porn“ war. Wer tendenziell empfindlich auf so was reagiert, sei also hiermit gewarnt.

Was ich außerdem noch loswerden muss: Der Titel der deutschen Ausgabe hat bei mir für große Verwirrung gesorgt. Manche Verlage neigen dazu, ihren Büchern möglichst stereotype Fantasy-Titel zu geben, aber für gewöhnlich haben diese dann trotzdem irgendwas mit dem Inhalt zu tun. Selbst, wenn der Fehler bei mir liegt und ich die Stelle, an der das titelgebende Schwert eine Rolle spielte, irgendwie überlesen haben sollte, bliebe es rätselhaft, weshalb ein so unwichtiges Element der Geschichte herausgegriffen wurde. Für wahrscheinlicher halte ich es aber, dass der Titel von jemandem gewählt wurde, der das Buch nicht gelesen hat, weil Schlagwörter wie „Schwert“ und „Dämmerung“ die Verkaufszahlen steigern. Derartige Entscheidungen finde ich schon ziemlich unnötig. Titel der Originalausgabe ist Throne of the Crescent Moon, und das Buch hätte mich bestimmt nicht weniger interessiert, wenn er einfach ins Deutsche übertragen worden wäre.

Der Autor

Saladin Ahmed wurde 1975 in Detroit, Michigan geboren. Er studierte American Studies und Englisch. Nachdem er zunächst vor allem Lyrik verfasste, wandte er sich bald der phantastischen Literatur zu und veröffentlichte 2009 seine erste Kurzgeschichte, Where Virtue Lives. Mit Das Schwert der Dämmerung (Throne of the Crescent Moon) legte er 2012 seinen ersten Roman vor, der in den USA für mehrere renommierte Preise nominiert wurde und einen „Locust Award for Best First Novel“ gewann.

Thematisch wird Ahmed stark von der internationalen Herkunft seiner Familie beeinflusst. Neben libanesischen und ägyptischen hat er auch irische und polnische Vorfahren. Seine Kurzgeschichten sind in Originalsprache unter dem Titel Engraved on the Eye als kostenloses E-Book verfügbar. Auf eine Romanfortsetzung wird man aber noch eine Weile warten müssen, denn aktuell steht er als Autor der neuen Black-Bolt-Reihe bei Marvel unter Vertrag.

Erscheinungsbild

Das Cover gibt fast so viele Rätsel auf wie der Titel. Durch zwei gelbliche, von Ornamenten gezierte Torflügel flutet helles Licht, und in diesem Licht steht ein blonder junger Mann mit einer Art Speer über der Schulter. Das Bild korrespondiert weder mit einer Szene im Roman noch mit dem deutschen Titel, täuscht sowohl über das arabische Setting als auch über das Aussehen der Protagonisten hinweg und scheint mir persönlich völlig unangemessen, weil es fast schon gezielt falsche Erwartungen weckt.

Ansonsten ist an der Aufmachung wenig auszusetzen. Dass auch der für ein Taschenbuch recht robuste Einband nach der Lektüre einige Gebrauchsspuren aufweist, ist nicht anders zu erwarten. Mit 430 Seiten wirkt das Buch recht umfangreich, aber das ist zum Teil auch der verhältnismäßig großen Schrift geschuldet.

Bis auf eine Karte vom Königreich des Halbmondes, die dem Text vorangestellt ist, gibt es keine Illustrationen oder sonstigen Schmuck. Die Karte selbst dient eher der generellen Ästhetik als der tatsächlichen Orientierung, da sich die Handlung fast vollständig in Dhamsawaat abspielt.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Heyne
  • Autor: Saladin Ahmed
  • Erscheinungsjahr: 2016
  • Sprache: Deutsch/Englisch
  • Format: Taschenbuch
  • Seitenanzahl: 430
  • ISBN: 978-3453315891
  • Preis: 12,99 EUR (Druck), 9,99 EUR (E-Book)
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Fazit

Saladin Ahmed paart gekonnt klassische Elemente der phantastischen Literatur mit Aspekten, die von arabischer und muslimischer Tradition inspiriert sind. Gewürzt mit ein bisschen Horror ergibt sich daraus ein kurzweiliges Abenteuer, dessen zweite Hälfte recht gut über die Startschwierigkeiten hinwegtröstet. Die Welt, in der Das Schwert der Dämmerung spielt, ist eine erfrischende Abwechslung und vermag durchaus zu begeistern. Leider sind nicht alle Figuren ganz rund, und da sich die Handlung zudem die meisten ihrer Stärken bis zum Finale aufspart, ist das Buch „nur“ gute Unterhaltung statt ein Meilenstein der phantastischen Literatur.

Der merkwürdige deutsche Titel und das etwas irreführende Cover sind zwar ärgerlich, können aber schwerlich dem eigentlichen Roman als Fehler angelastet werden.

Sollte Autor Saladin Ahmed also jemals nach Dhamsawaat zurückkehren wollen, wäre ich persönlich definitiv an Bord für eine zweite Runde. Viel mehr als die Begeisterung für seine Welt im Allgemeinen ist es die auf jeder Seite zu spürende Liebe zu dieser phantastischen Stadt, die dem Roman Leben einhaucht. Und während die Geschichte von Doktor Adoulla Machslûd nicht die größte sein mag, die je geschrieben wurde, so denkt man doch gerne zurück an Gassen und Marktplätze, Türme und Paläste, und ertappt sich während des Lesens bei einem erstaunlichen Appetit auf Pistazien und Kardamomtee.

Artikelbild: Heyne
Dieses Produkt wurde privat finanziert.

 

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