Geschätzte Lesezeit: 7 Minuten

Am 9. Mai startet Marvel’s Runaways auf SYFY. Der perfekte Zeitpunkt also, sich die mit dem Eisner Award ausgezeichnete Comicvorlage genauer anzuschauen. Wir zeigen euch, warum dieses Buch ein Must-Read und die Geschichte um jugendliche Ausreißer keine x-beliebige Coming-of-Age-Story ist.

Autor Brian K. Vaughan (Saga, Y: The Last Man) schuf im Jahr 2003 zusammen mit dem Zeichner Adrian Alphona diesen Comic im Marvel-Universum. Zuerst erschien er unter dem Label Tsunami, welches damals von Marvel geschaffen wurde, um Mangaleser als neue Käufer zu gewinnen. Dieses Vorhaben scheiterte zwar, dennoch konnte der Band viele Preise abräumen und vor allem die Kritiker überzeugen. Panini hat nun den kompletten Run in einem Megaband erstmals auf Deutsch veröffentlicht. Vieles hieran wirkt wenig wie eine typische Superhelden-Geschichte. Aber vielleicht ist das auch nur ein Indiz dafür, dass die Zielgruppe dieses Comics nicht so darauf aufmerksam wurde, wie die Runaways es vielleicht verdient hätten. Ob ihr zur Zielgruppe gehört, erfahrt ihr in dieser Rezension.

Handlung

Denkt nicht jeder Jugendliche manchmal, dass die eigenen Eltern Bösewichte sind? Doch was, wenn sich herausstellt, dass sie in Wirklichkeit sogar Superschurken sind? Würdest du sie aufhalten wollen? Und würdest du nicht wegrennen, wenn sie wissen, dass du ihr Geheimnis erkannt hast? Das ist die Grundprämisse dieser Geschichte.

Alex, Chase, Gertrude, Karolina, Molly und Nico sind ganz normale, aber völlig unterschiedliche Jugendliche. Wobei „normal“ sehr weit gefasst werden muss: Sie leben in Malibu, und ihre Eltern sind wirklich steinreich. Die Eltern treffen sich regelmäßig zu Spenden-Partys und nehmen ihre Kinder dorthin mit. Diese können auch sehr wenig miteinander anfangen, und bei einem dieser Treffen langweilen sie sich so, dass sie ihren Eltern nachspionieren und dabei mitbekommen, wie diese augenscheinlich ein Mädchen opfern. Ihnen ist sofort klar, dass sie die Kinder von Superschurken sind. Also graben sie tiefer.

Spoiler

Sie finden Waffen ihrer Eltern und lernen, wie man sie einsetzen kann. So werden einige der Gruppe zu Superhelden. Doch dabei werden sie von ihren Eltern erwischt, und es kommt, wie es kommen muss: Sie reißen aus. In ihrem Versteck planen sie, wie sie ihre Eltern aufhalten können. Doch was sie nicht wissen: Einer von ihnen ist ein Verräter, der geheime Botschaften an seine Eltern schreibt. Aber auch sie tappen, wie der Leser, im Dunkeln, welcher der sechs es wohl sein könnte.

[Einklappen]

Es liest sich unglaublich erfrischend, dass man hier nicht den x-ten Spider-Man-Klon geboten bekommt und es nicht darum geht, mit neu gefundenen Kräften umzugehen oder diese mit einem normalen Leben zu vereinen. Hier geht es nur darum, wie sich Jugendliche von ihren Eltern abkapseln und ihre Unabhängigkeit entdecken, und das in der denkbar krassesten Form: indem sie gegen ihre Erzeuger agieren. Wie der Titel schon sagt, ist es eine Geschichte von Ausreißern. Diese Variation einer Originstory wirkt auch Jahre nach der Erstveröffentlichung immer noch frisch.

Auch positiv anzumerken ist die Tatsache, dass sie in einer Art Mikrokosmos agieren, in denen andere Marvel-Figuren immer mal wieder erwähnt werden, aber nur zwei halbwegs bekannte Figuren einen Cameo-Auftritt abgeben: Cloak & Dagger. Es ist kein Zufall, dass es sich hierbei um die anderen bekannten jugendlichen Ausreißer im Marvel-Universum handelt. Ihr Auftritt war meiner Meinung nach überflüssig, aber er fügt sich sehr gut in die Geschichte ein.

Was ich besonders spannend fand, war die Frage, ob sich in den Reihen der Runaways ein Verräter befindet und wer es sein könnte. Man hat irgendwann seine Favoriten, aber der Autor schafft es, dass einem alle sechs so ans Herz wachsen, dass man es gleichzeitig allen oder niemandem zutrauen würde.

Charaktere

Die Runaways auf einen Blick – eine bunte Mischung an Charakteren.

Die Figuren entsprechen dem klassischen Breakfast-Club-Muster. Wir haben: Alex, den Anführer, der die Richtung vorgibt und auch am meisten Informationen über die Geheimorganisation ihrer Eltern sammelt. Nico, das Goth-Mädchen, das langsam aber auch Interesse an Jungs bekommt. Chase, die Sportskanone, die wenig Interesse daran hat, Pläne auszuhecken. Gert (eigentlich Gertrude), das Außenseiter-Mädchen mit Nerd-Attitüde und einem Fable für alte Filme. Karolina, das vegane It-Girl, die eigentlich noch nie aus der Reihe getanzt ist. Und Molly, das Nesthäkchen, das noch sehr mädchenhaft rüberkommt und eine große Begeisterungsfähigkeit an den Tag legt.

Das Konzept funktioniert, und mir waren alle Charaktere sympathisch. Sie verhalten sich nachvollziehbar und ihre unterschiedlichen Lebensauffassungen treffen eher früher als später aufeinander. Dennoch müssen sie sich miteinander arrangieren und lernen, mit der neuen Situation umzugehen. So wachsen sie an ihren Aufgaben und entwickeln sich alle ein Stück weiter. Wer wenig mit den Problemen von Jugendlichen anfangen kann, wird mit dieser Figurenzusammenstellung nicht glücklich. Aber gerade aufgrund des gelungenen Humors habe ich sehr schnell Sympathie zu den Runaways entwickelt.

Zeichenstil

Figuren mit Schwächen und Emotionen, zeichnerisch ebenso wie erzähltechnisch in Perspektive gesetzt.

Die Zeichnungen sind nicht jedermanns Geschmack, doch sie passen zur Geschichte. Es sieht mehr nach einer realistischen Geschichte über Jugendliche als nach einem Superheldencomic aus. Und genau das möchte dieser Band auch sein. Wir sehen hier Figuren mit Schwächen und Emotionen und keine überladenen Actionszenen oder Helden mit stählernen Körpern in attraktiven Posen. Und auch wenn die Gesichter aus wenigen Linien bestehen, können sie doch die Emotionen der Figuren sehr gut vermitteln.

Die Linienführung ist sehr fein, sodass die Bilder ohne die Kolorierung flach aussehen würden. Es wird zwar viel mit Perspektive gearbeitet, dennoch wirken die Bilder eher statisch. Da aber gefühlt jedes zweite Panel ein Porträt ist, macht dies nichts. Die digitale Kolorierung ist in realistischen Farben gehalten und passt ebenfalls sehr gut zum Rest des Bandes.

Erscheinungsbild

Das Buch ist ein dicker Wälzer. Der Preis von 39 EUR mag recht hoch erscheinen. Gemessen an der Seitenzahl ist das aber gerechtfertigt. Denn Panini hat hier mit über 430 Seiten einen der dicksten Megabände überhaupt herausgebracht. Sie haben sich entschieden, den kompletten Run auf einmal zu veröffentlichen. Lange kann man das Buch nicht in der Hand halten, denn es ist wirklich schwer. Hier wäre es vermutlich schöner gewesen, wenn es in zwei oder mehr Bänden herausgekommen wäre. So kann man sich aber freuen, dass man eine vollständige Geschichte an einem Stück in einem sehr gut verarbeiteten Buch bekommt.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Panini Comics
  • Autor: Brian K. Vaughan
  • Zeichner: Adrian Alphona
  • Erscheinungsjahr: 2018
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Softcover
  • Seitenanzahl: 436
  • Preis: 39,00 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon; Panini-Comics

 

Fazit

Ist einer der Runaways eventuell ein Doppelagent?

An diesem Comic gibt es nur wenig zu meckern. Höchstens vielleicht, warum er erst jetzt in Deutschland erschienen ist. Wir haben hier eine sehr untypische Heldengeschichte. Es gibt keinen Mentor, keinen klassischen Antagonisten, sondern eine Gruppe proaktiver Jugendlicher, die versuchen, ihre Eltern bei deren bösartigen Plänen aufzuhalten. Die Entwicklung der Figuren ist spannend zu verfolgen und man möchte als Leser gar nicht glauben, dass eine der Figuren eventuell ein Maulwurf sein könnte. Ob dem so ist und was eigentlich der Plan der Eltern ist, wird hier aber nicht verraten.

Gerade Fans von Jugendabenteuern werden gut unterhalten, und auch Einsteiger finden sich sehr schnell ein. Man sollte keine Verquickungen mit dem großen Marvel-Universum erwarten, aber auch keine Geschichte, die auf dem Boden bleibt. Es finden sich doch etliche phantastische Elemente in der Handlung, auf die man sich einlassen muss, die aber den geneigten Leser zum Lächeln bringen. Eine gute Prise Humor und viel Spannung runden das Gesamtwerk ab und lassen mich mit dem Gefühl zurück, dass ich mehr von den Runaways lesen oder sehen möchte. So kann ich nur hoffen, dass dies nicht der einzige Run bleiben wird, der in Deutschland veröffentlicht wird.

 

Artikelbilder: © Panini Comics, Bearbeitung: Melanie Maria Mazur
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein