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In Durchgeblättert werfen wir regelmäßig einen kritischen Blick auf Neuerscheinungen, Geheimtipps oder Klassiker aus der vielfältigen Welt der Graphic Novels. Diese Ausgabe widmet sich den Gefahren der Wissenschaft, welche im zweiten Teil von H.G. Wells Der Unsichtbare, dem Untergang unserer modernen Zivilisation oder den Abenteuern eines bekannten Naturforschers auftreten können.

So faszinierend die Welt der Wissenschaft auch sein kann, so viele Gefahren können von ihr ausgehen. Besonders eindrucksvoll wird dies in den drei Bänden dieser Ausgabe von Durchgeblättert dargestellt, wenngleich auf eine völlig andere Weise. So behandelt beispielsweise der Abschlussband von H.G. Wells Der Unsichtbare die Gefahr des Einsatzes einer revolutionären Entdeckung durch eine amoralische Person. Nach der Apokalypse geht sogar noch einen Schritt weiter – kann der wissenschaftliche Fortschritt unsere bloße Existenz an den Rand der Auslöschung bringen? Und natürlich ist auch nicht die Gefahr zu vergessen, in welche sich Forscher und Entdecker regelmäßig selbst im Namen des Fortschrittes begeben. So wie Alexander Humboldt, der sich auf eine letzte große Reise in die undurchdringlichen Weiten Amazoniens begibt …

Wir hoffen, ihr habt beim Lesen dieser Kritiken ebenso viel Spaß, wie uns das Lesen der rezensierten Werke bereitet hat. Über Fragen oder Diskussionen in den Kommentaren freuen wir uns ebenso wie über generelles Feedback zu unserem Format Durchgeblättert!

H.G. Wells Der Unsichtbare 2/2

Dürfte man nur zwei Begriffe zur Beschreibung des zweiten Bandes von H.G. Wells Der Unsichtbare verwenden, so wären diese Exposition und Eskalation. Während der erste Teil des Sci-Fi-Klassikers langsam Figuren und Schauplätze etablierte, wird man hier direkt in die Handlung geworfen.

Nach der Flucht des unsichtbaren Protagonisten in die Praxis von Doktor Kemp wird schnell deutlich, dass die beiden Männer einander bekannt sind. Es erfolgt eine Konversation zwischen den Wissenschaftlern, wodurch die Hintergründe über die prekäre Situation des Unsichtbaren beleuchtet werden.

Diese Exposition bringt dem Leser die Hauptfigur und ihre Motive näher, nimmt ihr aber gleichzeitig etwas Wirkungskraft. Ein Reizfaktor des ersten Bandes war das Mysterium des Unsichtbaren. Was ist seine Herkunft? Was sind seine Motive? Wie kann man ihn aufhalten? Somit sollte die Antwort auf diese Fragen eigentlich befriedigend sein. Jedoch gelingt das nur ansatzweise. Zum einen findet durch die Aufteilung der Geschichte in zwei Bände ein leichter Bruch der Dramaturgie statt. Am Höhepunkt der Neugier im ersten Band endet dieser und man muss zunächst wieder neu in den zweiten Band einsteigen.

Zum anderen weicht die Exposition sehr schnell der Eskalation dieses Bandes und hat deswegen auch nicht die Möglichkeit lange zu wirken. Hier muss man aber zugutehalten, dass der Übergang zwischen diesen beiden Leitmotiven von Der Unsichtbare sehr gut erfolgt. Das vermittelte Hintergrundwissen lässt den Höhepunkt als glaubwürdig erscheinen und auch in seiner Dramaturgie nicht übertrieben wirken. Denn die finale Konfrontation greift alle zuvor behandelten Themen von Moral und Verantwortung mit wissenschaftlichem Fortschritt gelungen auf.

Somit hinterlässt dieser zweite Band nicht mehr ganz den Eindruck seines Vorgängers, ist aber dennoch ein unterhaltsames Lesevergnügen. Der Spannungsaufbau der Geschichte weicht einem brachialen Überlebenskampf aller Beteiligten. Dieser vermag zu fesseln, auch wenn nicht mehr das mysteriöse Flair des ersten Bandes erreicht wird. Jedoch ist auch dieser Abschluss des Werkes von H.G. Wells eine durchwegs würdige Adaption.

Großen Anteil hat daran wieder die visuelle Gestaltung von Chris Regnault. Abermals sind Mimik und Gestik der Charaktere das Highlight und vermitteln gekonnt die Gefühlslagen der Betroffenen. Geschickt erfolgt auch die Abgrenzung von Handlungen in der Vergangenheit und der Gegenwart durch die Farbgebung. So weisen beispielsweise die Hintergrundinformationen zum Unsichtbaren einen charakteristischen Braunton auf, der dem Leser die zeitliche Einordnung erleichtert. 

Und auch bei der Darstellung von temporeichen Actionszenen wird eine fesselnde Dynamik erzeugt. Regnault versteht es hier besonders durch das Andeuten und das Nicht-Zeigen von Gewalttaten ein Gefühl der Anspannung zu erzeugen. Denn gerade durch das Auslassen der detaillierten Darstellungen und den Einsatz von Schatten und einzelnen Farben wird die Vorstellungskraft des Lesers hierzu angeregt.

Zusammenfassend erreicht der zweite Teil von Der Unsichtbare nicht ganz die Klasse seines Vorgängers, da dessen mysteriöser Charme abgeht. Dennoch fasziniert die zeitlose Science-Fiction-Geschichte auch in ihrem zweiten Band durch eine temporeiche Erzählweise und imposante Bilder. Ein würdiger Abschluss und Pflichtkauf für jede Sammlung phantastischer Graphic Novels.

Die harten Fakten

  • Verlag: Splitter
  • Autor(en): H.G. Wells, Dobbs
  • Zeichner(in): Chris Regnault
  • Seitenanzahl: 56
  • Preis: 15,80 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Nach der Apokalypse

96 Jahre sind seit der Apokalypse vergangen. In den Ruinen der einstigen Metropolen schlagen sich die überlebenden Menschen in kleinen Stämmen durch, ständig bedroht von mutierten Tieren und konkurrierenden Clans. Giala und ihr Stamm sind hierbei keine Ausnahme, wenngleich es das Schicksal aktuell mit ihnen gut gemeint hat. Eine erfolgreiche Jagd verspricht, die hungrigen Mägen für mehrere Mahlzeiten mit frischem Fleisch zu füllen.

Das Glücksgefühl hält jedoch nur kurz an. Eine Gruppe von Sklavenjägern überfällt Giala und ihre Begleiter. Im folgenden Kampf fallen die Männer des Stammes, während die Frauen verschleppt und die Kinder in einem nahegelegenem Gebäude eingesperrt werden.

Als Giala kurz darauf die Flucht gelingt, ist sie die Einzige, die den Nachwuchs aus der misslichen Lage befreien kann. Die Reise zurück führt jedoch durch eine gefährliche Welt, in der Giala die Hilfe einer Gruppe Ausgestoßener benötigt…

Nach der Apokalypse kombiniert ein dystopisches Setting mit Pulp-Elementen im Stile von Conan. Am deutlichsten zeigt sich das beim Design der Charaktere, welche einen sehr „urzeitlichen“ Flair versprühen. Überzeichnung ist dabei ein wichtiger Faktor der visuellen Gestaltung – die Männer weisen riesige Muskelberge auf, während die weiblichen Charaktere allesamt Sanduhrformen mit schmalen Taillen und ausladenden Oberkörpern und Hüften aufweisen. Diese Simplifizierung in der Darstellung der Gesellschaft verdeutlicht, dass die Technologie der Vergangenheit verloren gegangen ist und sich die Menschheit wieder auf ihre Urtriebe zurück entwickelt hat.

Dieser Eindruck hält jedoch nur kurzfristig an. Im Laufe der Geschichte wird die Bedeutung der Technologie, auch im Hinblick auf den Ursprung der Apokalypse, zu einem treibenden Faktor der Handlung. Und leider ist dies genau der Moment, in dem die Erzählung ihren roten Faden verliert.

Die Bilder sind farbenprächtig trotz apokalyptischer Atmosphäre.

Denn während zu Beginn das Schicksal der Kinder noch im Fokus steht, ändert Nach der Apokalpyse etwa nach der Hälfte seinen Ansatz. Es tritt die Exposition über die Auslöser des Weltuntergangs in den Vordergrund und die Charaktere werden weniger wichtig. Diese Entscheidung finde ich schade. Meiner Meinung nach hätte es der Geschichte besser getan, die Hintergründe des Kataklysmus im Dunklen zu lassen und sich komplett auf den Überlebenskampf der Protagonisten zu fokussieren. Gegen Ende des Bandes hat man das Gefühl der Unvollständigkeit, da weder die übergreifende, noch die individuelle Geschichte einen befriedigenden Abschluss erhalten.

Wo es allerdings keinen Grund zur Kritik gibt, ist die visuelle Gestaltung. Zeichnungen und Kolorierung von Juzhen überzeugen besonders mit der Charaktergestaltung und der intensiven Farbgebung. Während viele apokalyptische Welten mit einer sehr düsteren Farbpalette aufwarten, gelingt Juzhen die Schaffung einer tristen Atmosphäre, aber gleichzeitig farbenprächtigen Szenerien.

Die meiste Arbeit wurde erkennbar für Charaktere und Kreaturen aufgewandt. Gesichter und Bewegungsabläufe wirken dynamisch und authentisch, was gerade in den Kampfszenen die Intensität der Bilder erhöht. 

Zwar gibt es im Laufe des Bandes leichte Wechsel hinsichtlich des Stils (der beispielsweise von klaren Konturen zu einem leichten Pastell-Stil wechselt), die Qualität bleibt jedoch durchgehend erhalten.

Zusammenfassend hinterlässt Nach der Apokalpyse einen zwiespältigen Eindruck. Während die visuelle Gestaltung kaum Kritikpunkte liefert, verliert die Handlung nach der Hälfte ihren Fokus. Gerade zu Beginn ist das Schicksal einzelner ein wichtiger Motivationsfaktor für Protagonisten und Leser, der im darauf folgenden Meta-Plot seine Bedeutung verliert. Das Ergebnis ist eine kurzweilig zu lesende Geschichte, der jedoch ein befriedigender Abschluss fehlt.

Die harten Fakten

  • Verlag: Splitter
  • Autor(en): Laurent Queyssi
  • Zeichner(in): Juzhen
  • Seitenanzahl: 88
  • Preis: 18,80 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Humboldts letzte Reise

Die Nachricht eines verschollenen Freundes motiviert den inzwischen im Ruhestand befindlichen Naturforscher Alexander von Humboldt zu einer letzten Reise. Einziger Anhaltspunkt ist ein vergilbtes Tagebuch, welches auf ein Geheimnis im dichten Dschungel Amazoniens hinweist. Noch kann Humboldt nicht ahnen, dass diese Reise ein ganz besonderes Abenteuer wird. Denn verfolgt von seinem Konkurrenten Carl Ritter müssen beide erkennen, dass der Dschungel die Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit verwischen lässt.

Humboldts letzte Reise ist eine besondere Graphic Novel, die den Leser selbst zu einem Forscher werden lässt. Denn die Handlung wird nicht auf einem Silbertablett serviert, sondern es werden geschickt platzierte Hinweise, Andeutungen und visuelle Details eingesetzt. Fand die gerade gelesene Szene wirklich statt oder nur in einer Traumwelt? Lebt der Charakter überhaupt noch? Ist in der Handlung eine Stunde oder ein Jahr gegangen? Solche und andere Fragen stellen sich mehrfach bei der nicht immer einfachen Lektüre.

Der Weg ist das Ziel: der Leser wird aktiv als Forscher eingebunden.

Denn neben der sehr bruchstückhaften Erzählweise fällt es auch schwer, einen Fokus der Handlung auszumachen. Erscheint zu Beginn des Bandes die Suche nach dem vermissten Freund Humboldts als Hauptmotiv des Bandes, verblasst diese Einschätzung bereits nach wenigen Seiten. Gegen Ende hat man sogar den Eindruck, dass der ursprüngliche Katalysator der Reise komplett in den Hintergrund gerückt ist. Vielmehr wirkt es, dass der Weg selbst das Ziel ist. Es geht nicht darum, etwas bestimmten zu finden, sondern die visuellen Eindrücke von Humboldts Reise in diesem Band zu erleben und zu genießen.

Dieser Eindruck wird durch den vielfachen Einsatz von verbalen und visuellen Metaphern verstärkt. So gibt es beispielsweise ein Streitgespräch zwischen zwei Charakteren auf dem Weg durch den dichten Dschungel. Während man die Inhalte dieser Diskussion der beiden menschlichen Protagonisten in Textform präsentiert bekommt, erfolgt die visuelle Darstellung anhand eines „Kampfes“ zweier Vögel innerhalb des Dschungels. Kurz danach wechselt die Szene zurück zu den beiden Männern, während einer der beiden Vögel noch im Bild zu sehen ist.

Ingesamt ist die visuelle Gestaltung ein essentieller Faktor. Denn dank der Zeichnungen von Vincent Froissard übt Humboldts letzte Reise eine Faszination aus, der man sich nicht einfach entziehen kann. Der Stil erinnert an Farbstiftschraffuren und Skizzen, die auch direkt aus den Aufzeichnungen eines Naturforschers vergangener Zeiten stammen könnten.Beispielsweise verschwinden Hintergründe und ganze Panels in verwaschenen Andeutungen, während einige Panels davor detaillierte Skizzen verschiedenster Tiere zu finden sind. Selbst die Charaktere weisen nur wenige Striche auf, sind dabei aber doch differenziert genug gezeichnet. Und auch die limitierte Farbpalette aus hauptsächlich Grau- und Brauntönen verschafft der Graphic Novel eine simple Eleganz ohne trist oder lieblos zu wirken.

Somit wirkt es für mich angemessen, zum Vergleich einen Bildband heranzuziehen. Mit Freude wird man ihn ein – oder zweimal ausführlich genießen, um das Gesamtwerk schätzen zu können. Anschließend holt man den Band aber vielleicht nur noch vereinzelt hervor, um sich ausgewählte Lieblingsbilder anzusehen. Und ähnlich ist es mit dieser grafischen Novelle.

Humboldts letzte Reise ist deswegen für alle Leser zu empfehlen, die einen ungewöhnlichen Zeichenstil schätzen, der durch eine simple Eleganz begeistern kann. Gleichzeitig sollte man sich nicht scheuen, für das Verständnis der Handlung etwas Zusatzaufwand betreiben zu müssen, um die verschiedenen Details in Einklang zu bringen.

Die harten Fakten

  • Verlag: Knesebeck Verlag
  • Autor(en): Étienne Le Roux
  • Zeichner(in): Vincent Froissard
  • Seitenanzahl: 160
  • Preis: 24,95 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon, Knesebeck Verlag

 

Zwischenfazit des Monats

Eine Gemeinsamkeit der Gefahren der Wissenschaft der in dieser Ausgabe behandelten Bände ist eindeutig: Sie alle sind der Katalysator für die Schaffung von spannenden und kurzweiligen Geschichten. Denn wie langweilig wäre es für den Leser, wenn Graphic Novel nicht durch wahnsinnige Wissenschaftler (Der Unsichtbare), furchterregende Technologien (Nach der Apokalypse) und unbezwingbaren Tatendrang (Humboldts letzte Reise) unsere eigene Neugier erregen würden?

In der nächsten Ausgabe erkunden wir ein düsteres Superhelden-Universum, sowie eine weitere triste Welt aus der Feder von Robert Kirkman, dem Schöpfer von The Walking Dead. Und darüber hinaus wagen wir eine Begegnung mit dem wahrscheinlich unheimlichsten Wesen der Science-Fiction-Geschichte: Dem von H.R. Giger geschaffenen Xenomorph. Bis dahin wünschen wir wie üblich: „Frohes Lesen!“.

Artikelbilder: © Splitter, Knesebeck Verlag, Bearbeitung: Melanie Maria Mazur
Diese Produkte wurden kostenlos zur Verfügung gestellt.

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