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In Japan bereits etabliert und populär, in Deutschland noch relativ unbekannt: Mit Golden Kamuy erschuf der Mangaka Satoru Noda ein Werk voll mit Gagfeuerwerken, lebendiger Geschichte und wildem Goldrauschabenteuer. Wir haben einen Blick in die ersten 4 Bände geworfen.

Wer gedacht hat, schon alle Geschichten über die Suche nach einem Schatz zu kennen, der bekommt in Golden Kamuy noch eine Schippe drauflegt: zwei Figuren, deren Welten unterschiedlicher nicht hätten sein können, auf der Suche nach dem gestohlenen Gold eines indigenen Volkes, hinter dem schließlich sogar die Armee her ist. Das gefährliche Abenteuer stellt sie immer wieder auf die Probe und verlangt dabei alles von ihnen ab.

Wie im Goldrausch

In Golden Kamuy begleiten wir den Kriegsveteran Sugimoto Saichi, der nach einer unehrenhaften Entlassung aus der Armee sein Glück mit der Goldschürferei in Hokkaido, weit im Norden Japans, versucht. Doch damit hat er nur wenig Erfolg, bis er durch einen ehemaligen Häftling von einem legendären Goldschatz hört. Die Ainu, ein indigenes Volk aus Hokkaido, hatten Gold angehäuft, welches ihnen von einem Dieb gestohlen und versteckt wurde. Dieser Verbrecher mit dem Namen Nopperabou wurde zwar von der Polizei geschnappt, doch hält er Stillschweigen über den Verbleib des Schatzes. Es existiert allerdings eine Karte zum Versteck. Der Haken: Die Karte wurde auf die Rücken von 24 Sträflingen tätowiert, die sich bei einem Gefängnisausbruch im ganzen Norden verteilt haben.

Mit dem Goldschürfen hat der Kriegsveteran Sugimoto nur wenig Erfolg. Doch er benötigt schnelles Geld für eine wichtige Sache, die ihm am Herzen liegt.

Sugimoto entschließt sich, die Tattoos zu suchen, um das Gold zu finden. Hilfe bekommt er dabei von Asirpa, einem jungen Ainu-Mädchen, dessen Vater von Nopperabou ermordet wurde. Die beiden machen sich gemeinsam auf in ein Abenteuer, welches nach und nach immer gefährlicher für die Helden wird. Denn die Aussicht auf schnellen Reichtum lockt weitere Parteien auf den Plan, die ebenfalls hinter der Karte her sind.

Da wäre einmal das wandelnde Kriegstrauma Oberleutnant Tsurumi mit seiner 7. Division, die bei ihrer Suche nach den Gefangenen über Leichen gehen und zum anderen der legendäre Hijikata Toshizou, der auch zu den ehemaligen Häftlingen gehört und sich mit seiner Gruppe auf die Jagd gemacht hat. 

Ein spannender Wettlauf gegen die Zeit beginnt, in dem es sich schon bald nicht mehr nur um das Gold selbst, sondern auch um die Zukunft Hokkaidos dreht.

Der Manga erscheint wie eine Zeitreise zum Beginn des 20. Jahrhunderts, in einen Abschnitt und an einen Ort, die besonders für deutsche Leser etwas ganz Neues darstellen. Dass Japan und Russland sich Anfang 1900 in einem Krieg befunden haben, wird wohl den Wenigsten bekannt gewesen sein. Ein paar Jahre danach spielt Golden Kamuy. Dementsprechend wird der Krieg in Form einiger Kriegsveteranen, zu denen auch Sugimoto gehört, sowie politischer Haltungen immer wieder thematisiert.

Neben der eigentlichen Handlung scheint es dem Mangaka Satoru Noda ein großes Anliegen zu sein, dem Leser nicht nur Hokkaido als wilden Nordens Japans nahezubringen, sondern auch die langsam verloren gehende Kultur der Ainu. Diese sind ein indigenes Volk, die bis in die jüngere Vergangenheit noch als traditionelle Jäger und Sammler lebten. Um die verschiedenen Facetten dieser Kultur zu thematisieren, reiste er immer wieder durch Hokkaido und sammelte eine ganze Reihe an Recherchematerial, die Noda als Wissensgrundlage diente.

Geht´s auch ohne Genre?

Der Schatz hat sich bereits herumgesprochen. Sogar die Armee beginnt danach zu suchen und wird zu einem gefährlichen Konkurrenten.

Auch wenn Golden Kamuy zunächst wie ein Geschichts-Manga daherkommt, ist es schwierig, ihn vollends in ein vorgeschriebenes Genre einzuordnen. Tatsächlich geht es dem Autor auch nicht darum, sich irgendwie festzulegen. Wer durch den Manga blättert, findet auf der einen Seite die detaillierte Zubereitung eines Ainu-Gerichts, bei dem einem buchstäblich das Wasser im Mund zusammenläuft (zum Beispiel „Citatap“, ein Fleischgehacktes, das im Verlauf des Mangas immer wiederkehrt). Auf der anderen Seite folgt dann der blutige Kampf gegen einen Bären und bei wieder einer anderen sitzt man lachend auf dem Boden, wenn die Tollpatschigkeit einiger Charaktere im Vordergrund steht.

Es gelingt Noda, einen besonderen Manga zu kreieren, der mit verschiedenen Richtungen spielt und damit eine Atmosphäre aufbaut, die eine ständige Spannung erzeugt. Für einige Leser kann der stetige Mischmasch etwas überfordernd sein, da man sich kaum wirklich darauf einstellen kann, was nun als Nächstes kommt. Denn Golden Kamuy thematisiert auch emotionalere Themen, wie den Krieg und dessen brutale Veränderungen, die er in den Menschen hervorruft. Gleiches gilt für die verschiedenen Gründe für die Morde, die die tätowierten Straftäter begangen haben, hinter denen die Protagonisten her sind. Dann aber werden genau diese ernsten Themen mal mehr als überspitzt dargestellt – zum Teil fast schon als eine Art Parodie. Zudem darf man logischerweise kein Werk erwarten, das in allen historischen Aspekten korrekt ist. Noda hat sich im Zuge der Dramaturgie einige Freiheiten gelassen, die jedoch kaum auffallen. Allein die Figur des Hijikata Toshizo sticht dadurch ins Auge, dass er eigentlich schon mit 34 gestorben ist, im Manga aber überlebt hat und als alter Mann auftritt.

Von Ainus und Kriegsgezeichneten

Eine der großen Stärken der Reihe sind eindeutig ihre Charaktere und ihre bunt gemischten Persönlichkeiten. Der Manga bietet von knallharten Verbrechern bis hin zu treudoofen Weggefährten eine ganze Palette an interessanten Figuren, mit denen man mitfiebert. Besonders das Protagonistenteam aus dem ehemaligen Soldaten Sugimoto Saichi, der jungen Ainu-Jägerin Asirpa und dem später hinzustoßenden „Ausbrecherkönig“ Shiraishi bietet eine einmalige Dynamik, die es einem leicht macht, mit ihnen mitzufühlen.

Sugimoto mag zwar eine gefährliche Kriegsmaschine sein, gilt er doch noch immer in Soldatenkreisen als der „Unsterbliche Sugimoto“, eine Bezeichnung, die immer in den verrücktesten Situationen wiederkehrt. Doch er hat ein großes Herz, denn sein eigentliches Ziel ist nicht, an großen Reichtum zu kommen. Man erfährt recht früh, dass er seinen besten Freund im Krieg verloren hat und mit einem Teil des Ainu-Goldes dessen Witwe helfen will, die nur mit einer teuren Augen-Operation in Amerika vor der Erblindung gerettet werden kann. All die Erfahrungen und auch Traumata aus dem Krieg haben Sugimoto gezeichnet und verfolgen ihn immer und immer wieder, sodass er nicht nur mit der Suche nach den Tattoos, sondern auch mit seinen inneren Dämonen kämpfen muss.

So wie Sugimoto die Ainu-Kultur kaum versteht und sich Nachhilfe bei dem jungen Mädchen Asirpa holt, hat sie selbst ebenfalls Verständnisschwierigkeiten, wenn es um die Essgewohnheiten des Durchschnittsjapaners geht.

In Asirpa hat er eine Mitstreiterin gefunden. Das kleine Mädchen ist als Ainu in Hokkaido geboren und lebt ihre Kultur durch und durch. Ihr Vater war einer der Männer, die von dem Versteck des Goldes wussten und deshalb von Nopperabou umgebracht wurden. Es geht ihr nicht wirklich um das Gold als mehr darum, die Wahrheit über den Tod ihres Vaters herauszufinden. Die aufgeweckte Jägerin führt Sugimoto und macht ihn auf der Reise mit ihrer Kultur bekannt. Mit ihr hat der Manga eine starke Frauenfigur, die sich nicht hinter Sugimoto verstecken muss. Im Gegenteil, sie hilft ihm immer wieder aus der Patsche, und die beiden lernen im Laufe der Zeit immer mehr, aufeinander zu vertrauen. Allein ist man eben im Wettlauf um die Karte zum Gold ein leichtes Ziel.

Das ohnehin schon dynamische Duo bekommt noch mehr Unterstützung durch den „Ausscheidungs– äh … Ausbrecherkönig“ Shiraishi. Er ist ein Ex-Sträfling, der dafür bekannt ist, ein absoluter Nichtsnutz zu sein, es sei denn es geht um das Ausbrechen und Abhauen aus jedem Gefängnis Japans. Da er selbst einer der tätowierten Häftlinge ist, bildet er die Informationsquelle zu den Fährten weiterer Kartenstücke. Aber seine übergeordnete Rolle ist es, besonders Sugimoto und Asirpa immer wieder auf die Palme zu bringen, was den Leser mehr als häufig zum Lachen verführt.

Neben den Protagonisten gibt es eine ganze Reihe an Charakteren, die in Golden Kamuy auftauchen und auch langfristig eine bedeutende Rolle spielen. Daher sollte man auch einen Blick auf die Konkurrenz von Asirpa und Sugimoto werfen.

Ganz offensichtlich ist da der Oberleutnant der 7. Division Tokushirou Tsurumi, der im Krieg gegen Russland den Frontallappen seines Gehirns eingebüßt hat und nun mit seinem Wahnsinn anderen das Leben zur Hölle macht. Er vereint eine ganze Reihe von Soldaten hinter sich, die für ihn sterben würden und alles daran setzen, für ihren Leutnant an die Tattoos zu kommen. Doch auch in seinen loyalen Reihen gibt es Verräter …

Mit Hijikata Toshizou bekommen es Asirpa und Sugimoto mit einem besonders prominenten Mann zu tun. Der ehemalige Vizekommandant der Samurai-Schutztruppe „Shinsengumi“ aus der alten Ära existierte wirklich, doch in Golden Kamuy hat er seinen letzten Kampf überlebt und musste Jahrzehnte in einem Gefängnis in Hokkaido ausharren, bis er fliehen konnte. Der alte Samurai trägt selbst eine Tätowierung auf dem Rücken und hat sich mit anderen Häftlingen und einem alten Kameraden zusammengeschlossen.

Gesichter zum Schreien

Satoru Noda hat in Golden Kamuy wirklich einen Spielplatz an Möglichkeiten genutzt, um sich kreativ auszutoben. Sein besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem individuellen und detaillierten Design seiner Charaktere, die er besonders gerne in lustigen Situationen mit Gesichtern ausstattet, die wirklich verrückter nicht sein könnten. Allein die kleine Asirpa beweist immer wieder, wie eindringlich sie ihr Missfallen per Gesichtsakrobatik ausdrücken kann.

Ein Freund in jeder Lebenslage: Mit Shiraishi bekommen Asirpa und Sugimoto von einem Profi-Ausbrecher Unterstützung.

Da Golden Kamuy ein Seinen-Manga ist, also ein Manga, der sich an junge Erwachsene richtet, werden auch die weniger lustigen Aspekte sehr detailliert ausgearbeitet. Für zartbesaitete Menschen ist daher der Manga nicht zu empfehlen, da immer wieder auch besonders blutige Szenen gezeigt werden, zum Beispiel wie einem Mann von einem Braunbären das Gesicht auseinandergerissen wird. Man darf letztendlich nicht vergessen, dass der Manga sich an ein älteres Publikum wendet. Jedoch machen diese Szenen nicht den Hauptpunkt des Mangas aus und kommen daher nur vereinzelt vor.

Wer durch den Manga blättert, dem wird schnell auffallen, dass Noda auch viel Arbeit in die Hintergründe steckt. Sei es ein dichtbewachsener Wald oder eine pulsierende Stadt, zum Teil sind die Bilder, die er bietet, postkartenverdächtig und helfen dabei, den Leser wie bei einer Zeitreise ins Hokkaido von Anfang 1900 zu katapultieren. Gleiches gilt für die Tier- und Pflanzenwelt sowie die Ainu-Kultur, die wiederkehrend im Manga thematisiert und erklärt wird. Jedes einzelne Detail ist penibel gezeichnet, mit hohem Anspruch daran, dem Leser ein gutes, realistisches Abbild zu präsentieren.

Insgesamt erschafft Satoru Noda ein beeindruckendes Gesamtbild, in dem deutlich wird, wie viel Arbeit der Zeichner in sein Werk gesteckt hat.

Fazit

Golden Kamuy ist ein wahrer Geheimtipp neben den großen Titeln, der leider in Deutschland noch eher unbekannt ist. Doch es lohnt sich, der Reihe eine Chance zu geben, ist sie doch erfrischend anders als andere Seinen-Mangas. Man wird nicht nur von einem kreativen und detaillierten Zeichenstil beeindruckt, sondern auch von einer spannenden Geschichte mitgerissen.

Auch wenn die Suche nach einem Schatz ein immer wiederkehrendes Thema ist und schon sehr häufig von Autoren aufgegriffen wurde, schafft es Satoru Noda, in seinem Manga eine erfrischend neue Richtung einzuschlagen, ohne seinen Manga dafür mit Fantasy-Elementen ausstatten zu müssen.

Besonders die sympathisch verrückten Charaktere und die bunte Mischung verschiedener Individuen, die gemeinsam der Schatzkarte hinterherjagen, sind seine großen Stärken. Wer sich neben der eigentlichen Geschichte auch auf eine Lehrstunde in Sachen Ainu-Kultur und Wissenswertes über Hokkaido einlassen kann, der wird mit Golden Kamuy vielleicht sein neues Lieblingswerk finden.

Artikelbilder: ©CrossCult

Lisa (aka Kabuki Cosplay) schreibt als Redakteurin für das Ressort Cosplay. Sie selbst ist seit 2013 als Cosplayerin in der Szene aktiv. Ihr Herz schlägt neben Animes und Mangas auch für Geschichte, Videospiele und Filme.

 

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