Geschätzte Lesezeit: 9 Minuten

Im letzten Monat konnten wir gut sehen, wie ein Legacy-Band umgesetzt werden muss, damit er funktioniert: Er sollte die Vergangenheit des Helden respektieren, aber eine Geschichte erzählen, für die man keinerlei Vorerfahrung braucht. Dieses Kunststück haben diesen Monat einige neue Autoren versucht. Der Say-Anything-Sänger Max Bemis nimmt sich Moon Knight an, der wie er selbst an einer psychischen Erkrankung leidet. Mark Waid arbeitet wieder mit Chris Samnee zusammen und versucht, wie einst bei Daredevil, Captain America neu zu beleben. Zusätzlich übernimmt Donny Cates nach seiner Arbeit an Thanos nun Doctor Strange. Welchem dieser Autoren ein besonders guter Neustart geglückt ist, erfahrt ihr natürlich hier.

Moon Knight #4 – Der ewige Kampf

Moon Knight ist einer der wenigen Helden, bei denen sich Autoren auslassen können. So hat Warren Ellis 2014 einen sehr minimalistischen Run hingelegt, der hauptsächlich visuell und selten durch Text erzählt. 2016 konnte Jeff Lemire eine großartige Geschichte erzählen, die zum größten Teil in einer Nervenklinik spielt. Man kann bis heute nicht genau sagen, welche Teile der Handlung nun dem Kopf der Hauptfigur entsprungen sind. Denn was Marc Spector alias Moon Knight von anderen Helden unterscheidet, ist seine Geistesstörung. Er hat drei unabhängige Persönlichkeiten entwickelt, die in seinem Kopf oft in Dialog zueinander stehen. Dann gibt es da noch Khonshu, die altägyptische Gottheit, die ihn einst vor dem Tod bewahrte und auch zu ihm spricht.

Der neue Band startet geschickterweise in der Nervenheilanstalt und porträtiert zunächst Doktor Emmet. Diese hat einen neuen Patienten, der sie stark an ihren früheren Fall Marc Spector erinnert. Sie versucht ihre Erkenntnisse aus der Behandlung von Moon Knight auf den neuen Fall anzuwenden. Dies ist eine geschickte Annäherung an den Charakter, da der Leser die Hauptfigur durch die Augen einer anderen Figur sieht. Doch schon bald muss Moon Knight wieder zum weißen Ritter werden, da die Behandlung furchtbar schief läuft. Auch sein Erzfeind Bushman tritt schnell auf den Plan.

In der Geschichte geht es viel um Wahnsinn, aber auch um die alten Gottheiten und deren Prinzipien. Hier wird ein Dualismus heraufbeschworen, der einen ganz anderen Blick auf Moon Knight ermöglicht. Teilweise wirkt es aber auch so, als ob vergangene Ereignisse ganz neu oder zumindest anders interpretiert werden als es in früheren Reinkarnationen der Fall war. Erklärbar ist das immer dadurch, dass nie ganz klar ist, was nun Realität und was Wahnsinn ist. Dies macht bei Moon Knight aber auch viel des Reizes aus.

Die Zeichnungen von Jacen Burrows sehen gut aus, wirken aber wahnsinnig langweilig. Kein Vergleich zu Declan Shalvey oder Greg Smallwood, die aus vergangenen Moon-Knight-Comics wahre Kunstbände gemacht haben. Burrows großes Faible für Blut wird schon auf dem Cover deutlich und ist mir persönlich etwas zu viel. Die Hintergründe wirken dagegen enttäuschend detailarm.

Der Comic macht viel richtig, hat aber auch einige Macken. Er versucht häufig klüger zu sein, als er ist. Dabei kratzt er zu oft nur an der Oberfläche. Potenzial nach oben ist auf jeden Fall vorhanden. Dennoch gibt es schöne Wendungen und eine kurzweilige Geschichte um Wahnsinnige und Götter, von denen niemand so genau sagen kann, ob sie eigentlich existieren. Der Band lohnt sich gerade für Leute, die bisher noch keine Berührungspunkte mit Moon Knight hatten und Interesse an nächtlichen Rächern wie Batman oder Daredevil haben.

Die harten Fakten

  • Autor(en): Max Bemis
  • Zeichner(in): Jacen Burrows
  • Seitenanzahl: 148
  • Preis: 16,99 EUR
  • Bezugsquelle: Panini Shop, Amazon

 

Doctor Strange #7 – Duell der Meisterzauberer (Highlight des Monats)

Loki ist der neue oberste Zauberer, Bewohner des Sanctum Sanctorum und Träger des roten Levitationsmantels. Steven Strange dagegen arbeitet jetzt als Tierarzt und hat einen Zauber auf einen Hund gelegt, um mit ihm sprechen zu können. Was ist passiert? Was hat Loki vor? Das sind die Fragen, die dieser Comicband stellt. Im Laufe des Bandes kommt es natürlich zu einem großen Konflikt zwischen Doctor Strange und Loki, in den auch noch Sentry eingebunden wird.

Die Geschichte ist kein Meilenstein der Comicgeschichte, aber weiß auf jeden Fall zu unterhalten. Sie funktioniert wunderbar als Einführung in die magische Welt des Marvel-Universums. Loki, der selbst keine Regeln kennt, und Doctor Strange, der gelernt hat, dass alles immer seinen Preis hat, geben sehr gute Kontrahenten hab. Die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen schnell. Denn wo Licht ist, ist auch immer Schatten.

Die Zeichnungen gefallen mir außergewöhnlich gut. Sie haben irgendwie etwas Dreckiges und Verwaschenes, was Farbnuancen besonders zur Geltung bringt. Doctor Strange erinnert zeitweise mehr an John Wick als an den großen Magier. Das könnte aber auch an dem Hund liegen. Nicht so gut gelungen sind die Gesichter. Die Emotionen der Charaktere kommen dennoch gut zur Geltung.

Ich habe das Gefühl, dass dieser Band eher für Loki-Fans als für Freunde von Doctor Strange geeignet ist. Dennoch bekommen beide Figuren große Anteile der Erzählung, und auch die Nebenfiguren Sentry und Zelma wirken lebendig.

Der Comicband ist nicht so fantastisch wie andere Doctor-Strange-Geschichten, sondern bleibt erfrischend auf dem Boden. Er macht dabei aber genau das richtig, wofür ein Band der Legacy-Initiative stehen sollte: Er greift alte Handlungsfäden auf und verknotet sie so geschickt, dass etwas Neues entsteht. Etwas, das auch ein Neuleser einfach versteht. Gleichzeitig macht er neugierig auf das, was noch kommen mag und auf Erzählungen, die bereits zurück liegen. Somit ist dieser Band nicht überragend, hat aber die Höchstwertung aus Mangel an Kritikpunkten würdevoll verdient.

Die harten Fakten

  • Autor(en): Donny Cates
  • Zeichner(in): Gabriel Hernandez Walta
  • Seitenanzahl: 116
  • Preis: 13,99 EUR
  • Bezugsquelle: Panini Shop, Amazon

 

Old Man Logan #7 – Mond über Madripoor

Der Logan aus der alternativen Zukunft zieht durch die düsteren Straßen Tokios. Alles, was er will, ist ein wenig Ruhe und ein Bier. Doch er gerät in eine Kneipenschlägerei, bei der seine Gegner unnatürliche Heilungsfähigkeiten haben, die selbst seine eigenen weit übertreffen. Nun muss er wissen, was dahintersteckt. Doch auch die Hand greift nach diesen Möglichkeiten. So kommt es unweigerlich zum Konflikt mit Gorgon. Aber dieser hat eine ganz besondere Person aus Wolverines Vergangenheit heraufbeschworen.

Die Geschichte beginnt wie ein guter Noir-Thriller. Sie geht dann aber sehr schnell in knallharte und sehr brutale Massenkämpfe über. Hier hätte ein wenig mehr Detektivarbeit besser zur Handlung gepasst und das Ganze abgerundet. Der Konflikt mit dem Schatten aus Logans Vergangenheit ist eine gute Idee, wird aber viel zu schnell wieder aufgelöst. Allgemein krankt die Handlung am Ende an dem viel zu dummen Antagonisten. Die Helden mussten gar nicht so viel tun, um die Hand zu besiegen.

Zum Verständnis der Handlung ist es vorteilhaft, wenn man mit Figuren wie Gorgon, Mariko und dem Silver Samurai etwas anfangen kann. Das Wichtigste wird aber auch durch den Kontext deutlich. Logan ist Wolverine durch und durch und man fragt sich, warum sich so viele Fans den alten (jüngeren) Wolverine zurückwünschen.

Der erste Teil der Geschichte wurde von Mike Deodato gezeichnet und besticht durch eine Rastertechnik, die man bereits aus z. B. Original Sin kennt. Ich bin ein großer Fan dieses sehr bedrohlichen Zeichenstils, der gut zu der Geschichte passt. Der zweite Teil von Ibraim Roberson hat auch seinen Reiz, wirkt dabei aber sehr viel klarer und detailreicher. Optisch gibt es hier nichts zu bemängeln.

Wer sich für Noir-Thriller interessiert, findet hier ein gelungenes Exemplar vor. Gegen Ende fängt der Band aber an zu schwächeln. Die Spannungskurve kann nicht aufrechterhalten werden. Zu platt wirkt dabei die Lösung aller Probleme. So gelingt es dem wirklich stark gezeichneten Band nicht, beim Leser den Wunsch nach mehr hervorzurufen. Somit bleibt ein guter, wenn auch nicht überragender Comic, der gut unterhält, aber nicht überrascht.

Die harten Fakten

  • Autor(en): Ed Brisson
  • Zeichner(in): Mike Deodato Jr., Ibraim Roberson
  • Seitenanzahl: 116
  • Preis: 13,99 EUR
  • Bezugsquelle: Panini Shop, Amazon

 

Captain America #6 – Land der Tapferen

Als Mark Waid im Jahr 2011 Daredevil übernommen hatte, war die Figur Matt Murdock vollkommen am Boden. Sie hatte alles verloren und war kurz davor, zu einem Superschurken zu werden. Doch Waid gab ihm die Leichtigkeit zurück und machte seinen Daredevil-Run zu einer humorvollen Angelegenheit. Bei Captain America ist es momentan ähnlich. Red Skull schrieb die Realität um und machte Steve Rogers so zum Anführer von Hydra. Doch Secret Empire ist nun vorbei – und wer anders als Mark Waid sollte Cap wieder aus diesem Loch holen?

Für die Handlung ist alles, was bisher passiert ist, unwichtig. Steve Rogers war ein Supersoldat, gefangen im Eis, und wurde wieder aufgetaut, um erneut zum Superhelden zu werden. Mehr muss man nicht wissen. Aufgrund des Legacy-Vorspanns wird einem diese Vorgeschichte sogar gleich zweimal erzählt. Allgemein ist dieser Comic unglaublich altmodisch. So sehr, dass man sich teilweise nicht mehr sicher ist, ob es nun eine Hommage oder eine Parodie ist. Captain America tritt zuerst gegen eine Gruppe Nazis an, dann verprügelt er einen neuen Swordsman, muss sich Kraven stellen und landet zuletzt in der Zukunft.

Die einzelnen Episoden sind ganz charmant, aber auch sehr ermüdend. Nichts wirkt hier wirklich frisch, sondern alles irgendwie aufgewärmt. Der Captain America, von dem hier erzählt wird, ist ein Klischee: Patriotisch, mit dem Herz am rechten Fleck und immer bereit, die Schwachen zu beschützen. Es mag Leute geben, die sich Abenteuer mit so einem Helden wünschen, doch ich gehöre nicht dazu. Der Geschichte fehlt jegliche Ambivalenz. Wie der Held ist der ganze Band komplett aus der Zeit gefallen.

Im Vergleich zu den alten Golden- oder Silver-Age-Comics der 40er-70er hat dieser hier schönere Zeichnungen und einen besseren Spannungsaufbau. Doch sonst wirkt er, als ob die komplette Entwicklung der letzten Jahrzehnte nichtig gemacht wäre. Ich will damit nicht sagen, dass dieser Comic schlecht ist, aber die Zielgruppe sollte überschaubar sein. Wer sich auf eine wirklich altmodische Geschichte mit Nostalgiefaktor einlassen will, findet hier einen kleinen Schatz. Wer aber ein wenig mehr will als nur eine Hommage und amerikanischen Patriotismus (auch mit Humor) nur schwer genießen kann, wird mit diesem Band keine Freude haben.

Die harten Fakten

  • Autor(en): Mark Waid
  • Zeichner(in): Chris Samnee
  • Seitenanzahl: 148
  • Preis: 16,99 EUR
  • Bezugsquelle: Panini Shop, Amazon

 

Fazit des Monats

Die Neustarts der Reihen sind größtenteils geglückt. Jeder der hier vorgestellten Bände ist grundsätzlich für Neueinsteiger geeignet, und keiner erfordert große Vorkenntnisse. Am originellsten ist aber ganz klar das Duell der Magier in Doctor Strange #7 um den neusten obersten Magier Loki. Captain America #6 dagegen weiß nichts Neues zu erzählen und zitiert nur aus der langen Vergangenheit des Superhelden-Comics. Moon Knight #4 und Old Man Logan #7 sind brutalere Interpretationen der Marvel-Charaktere, bei denen man gerne einen Blick riskieren darf, wenn einem die jeweilige Thematik zusagt.

Artikelbilder: Panini Comics
Diese Produkte wurden kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein