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Wer für seinen LARP-Charakter eine nachvollziehbare Weiterentwicklung sucht, wer mehr als nur punktuelle Abenteuer erleben will, schließt sich gerne Kampagnen an. Auch Orgas erzählen gerne Fortsetzungsgeschichten. Aber Achtung: Für beide Seiten lauern Fallen, die schwer zu umgehen sind und im Zweifelsfall dem Hobby LARP eher schaden als nutzen.

Dieser Artikel spiegelt die Erfahrungen und Meinungen der Autorin wider, welche sich über die letzten Jahre gebildet haben. LARP ist vielfältig, es mag viele geben, die etwas völlig Anderes erlebt haben, daher freuen wir uns, wenn ihr eure Erfahrungen mit uns teilt.

In den letzten Jahren hat sich die LARP-Szene enorm vergrößert. Das einstige Nischen-Hobby gewinnt immer mehr an allgemeiner Akzeptanz und Beliebtheit. Eine steigende Anzahl an Spielern führt zu Konkurrenzsituationen zwischen verschiedenen Orgas und diese müssen sich immer mehr einfallen lassen, um Spieler an sich zu binden, damit ihre liebevoll ausgedachten Plots nicht im Schrank verstauben. Ein Mittel der Wahl ist es, eine Geschichte langfristig anzulegen, um Spieler im besten Fall auf Jahre hinaus zu beschäftigen. Mindestens eine, wenn nicht gar zwei oder drei Veranstaltungen im Jahr werden angesetzt, die Termine stehen schon weit im Voraus fest, damit sie sich jeder Gewillte rechtzeitig im Kalender blocken kann. Was nach einer wunderbaren Gelegenheit zur Charakterentwicklung und Kontinuität im Spiel klingt, hat aber auch einige Nachteile, sowohl für die Spieler als auch für die veranstaltenden Orgas. Ein gut gemeinter Plan, der eigentlich eine Win-Win Situation sein sollte, kann schnell nach hinten losgehen und beide Seiten am Ende verlieren lassen

Tücken für Orgas

Wie viel Mühe und Sorgfalt es erfordert, eine stimmige Hintergrundwelt auch nur für eine einzige Con zu entwickeln, ist vielen Larpern hinlänglich bekannt. Und dann muss sich aus dieser Hintergrundwelt noch ein nachvollziehbarer Plot speisen, der zumindest der Mehrzahl der Spieler schöne Spielansätze gibt und zu einem sinnigen Ende führt. Diese Mühe und Sorgfalt werden für eine Kampagne noch einmal potenziert und es wird nicht leichter mit den Jahren. Denn schließlich tragen auch die Spieler zum Plot bei, tun andere Dinge als erwartet und sorgen so für überraschende Wendungen.

Von Labyrinthen und Kaugummis – der Plot

Eine kluge Orga plant deshalb nicht allzu lange und zu fest voraus, geht auf den Input der Spieler ein, sodass sie sich nicht wie bloße Statisten in einem längst schon fertig inszenierten Stück vorkommen. Aber am Ende muss man diesen Sack voll Flöhe namens Spieler, die alle ihre eigenen Vorstellungen von den momentanen Ereignissen haben, irgendwie mit dem großen Plan in Einklang bringen.

Zwei Gefahren lauern insbesondere in dieser Situation. Die erste Gefahr besteht darin, dass man pro Veranstaltung immer weniger geschehen lässt, damit auch ja auf den Input eingegangen werden kann. Das ist zwar ein lobenswerter Ansatz, aber es kann unter den Spielern zum Eindruck führen, dass der Plot stagniert und sich neben den üblichen, immer wiederkehrenden Zutaten wie „Finde Element x, beschütze Element y und wehre Angriffe der bösen Schergen z ab“ nicht mehr viel bewegt. Der Plot zieht sich wie Kaugummi und man verliert das Interesse daran, überhaupt noch etwas beitragen zu wollen, weil es ja scheinbar sowieso nicht voran geht.

Der sich wiederholende Plot zieht sich wie Kaugummi in die Länge und der Spieler verliert das Interesse.

Die zweite Gefahr speist sich aus dem gegenläufigen Ansatz. Im Bemühen, einerseits den Input einzuflechten und andererseits immer wieder Neues und Spannendes zu bringen, verzweigt sich der Plot so stark, dass selbst ein langjähriger Kampagnenteilnehmer irgendwann nur noch mit Fragezeichen auf der Stirn dasteht und sich denkt: „Was passiert hier eigentlich? Worum geht es? Wozu ist mein Charakter eigentlich hier?“

Beide Gefahren können dazu führen, dass auch langjährige ‚Getreue‘ die Lust an der Kampagne verlieren und sich anderweitig orientieren. Und je weiter der Plot fortgeschritten ist, desto schwieriger wird es auch, Neuspieler zu integrieren. Zu viele Dinge, die man wissen müsste, verschenken wertvolle Zeit des Spiels, was wiederum zu Lasten der eigentlichen Plotlösung geht.

Mit Speck fängt man Mäuse – Spieleranzahl

Kampagnen mit guten Ansätzen, mit genau jenem Mix aus kampf- und plotlastig, die es in den ersten Jahren schaffen, für eine breite Masse an Spieler- und Charaktertypen einen Anreiz zu bieten, sprechen sich schnell herum. Einmal zum Geheimtipp avanciert, lässt sich der Run auf die Tickets kaum noch aufhalten. Ein schöner Erfolg für die Orga, aber auch hier lauern Gefahren. Am Anfang mag es ein guter Weg sein, die Spieleranzahl sukzessive zu erhöhen, zuzulassen, dass auch die Anzahl der Spieler pro Gruppe sich erhöht. Doch einerseits erhöht sich nun nicht nur der Organisationsaufwand, auch mehr NSCs müssen angeworben werden, um ein Gleichgewicht herzustellen, mehr Spieler brauchen mehr Plot, damit sich niemand langweilt.

Die Frage stellt sich: Wie viel ist zu viel? Was als Kleincon mit dichter Atmosphäre angefangen hat, wird zur mittelgroßen Con, die zwar noch viel von der alten Bedrohungslage in sich trägt, aber je mehr Spieler es werden und je mehr sich das Gleichgewicht von Plot- und NSC-Dichte verschiebt, desto schwieriger wird es für die Orga nicht zu enttäuschen. Immersionsspieler fühlen sich von den Ereignissen nicht mehr betroffen, da sie von den vielen kleinen Plots so gut wie nichts mehr mitbekommen. Plotjäger werden frustriert, da sich Wissen verliert, das wichtig wäre, zentrale Lagerbesprechungen müssen aufgeteilt werden. Wo man zuvor bei jedem Schritt über Plot stolperte, kann man ihm jetzt so gekonnt aus dem Weg gehen, dass man sich am Ende fragen könnte: „War da was, außer, dass man hin und wieder zu den Waffen gerufen wurde, wenn die NSCs in Großstärke antraten?“ Auch Spieler, die gerne kämpfen, mögen sich da manches Mal wie Majestix auf seinem Schild fühlen, wenn sich die Gallier mit den Römern schlagen. „Hebt mir doch mal einen hoch, lasst mich auch mal!“

Wenn Spieler dadurch verprellt werden, löst sich natürlich das Problem zu vieler Spieler automatisch, aber sicher nicht auf eine angenehme Weise.

Tücken für Spieler

Man mag es nicht geplant haben, wirklich tief in einer Kampagne zu stecken. Meistens geht der Spieler einfach aus Neugier auf eine Con und schaut erst einmal, ob der Plot und die Spielphilosophie ihm zusagen. Hat er aber einmal Blut geleckt, vielleicht gar neue Freunde gefunden und steht mit einem Mal mit beiden Beinen im Plot, dann fällt es ihm schwer sich wieder zu lösen. Das bleibt nicht ohne Folgen.

„Aber ich kann sie doch nicht alleine lassen!“ – Psychologischer Druck

In eine Kampagne einzusteigen ist für viele Spieler attraktiv, die ihren Charakteren eine kontinuierliche Geschichte geben wollen, sie nicht wieder bei jeder Con zurück auf Anfang setzen wollen. Es ist schwierig, all jene Impulse von verschiedenen Cons zu einem stimmigen Gesamtkonzept zu formen, eine Kampagne macht es leichter. Hier wird immer wieder an gleiche Elemente angeknüpft: Was vor einem Jahr den Spieler betroffen hat, darauf kann er Bezug nehmen im Spiel und der ‚Code‘ wird von all jenen verstanden, die ebenfalls damals dabei waren. Ein schwerer Rückschlag, ein wichtiger Sieg, all das schreibt nicht nur die Plotgeschichte fort, sondern auch die Geschichte des Charakters. Wer sich gerne am Plot beteiligt, der steht bei Kampagnen schnell mittendrin im Geschehen.

Damit wird auch eine Erwartungshaltung aufgebaut, die zu Druck werden kann, auch wenn das nicht beabsichtigt ist. Man will ja weiter an der Geschichte mitstricken, man will ja betroffen sein und bleiben. Also was tut man, wenn man einmal nicht zu einer Veranstaltung kann? Wenn die Arbeit keinen Urlaub bewilligt oder etwas Familiäres dazwischen kommt? Die daraus resultierende Frustration und das Gefühl, die Mitspieler im Stich zu lassen, mag dazu führen, dass man LARP allgemein viel zu ernst nimmt, dass man verbissen versucht, alles dem Hobby unterzuordnen und sich schlecht fühlt, wenn es nicht klappt. Doch LARP soll Spaß machen, nicht zu Depressionen führen. Es gelingt nicht immer, rechtzeitig die Zeichen zu erkennen und einen nötigen Schritt rückwärts zu tun.

Wie viele Wochenenden hat das Jahr? – Terminnot

LARP lockt mit vielen unterschiedlichen Settings und viele Spieler haben weit mehr als einen Charakter, den sie gerne bespielen wollen. Und selbst wenn viele für eine Dreitagescon keinen Urlaub nehmen müssen, so gibt es verschiedene andere Faktoren, die einen in Terminnot bringen. Eine Kampagne blockiert auf Anhieb gleich schon einmal eine gewisse Anzahl an Terminen im Kalender, die dann nicht für andere Veranstaltungen zur Verfügung stehen. Dieses Problem haben auch Orgas anderer Cons, die ihre Spielerplätze nicht voll bekommen, weil die Kampagnen viele Spieler binden.

Doch für Spieler ist das Problem noch einmal tiefgreifender, wenn sie sich vor die Entscheidung gestellt sehen, welchen Charakter sie vielleicht pausieren müssen, welche Geschichte nicht weitergehen kann, weil die Kampagnen-Geschichte zu viel Raum im Terminkalender einnimmt. Das beschränkt auch die Kreativität der Spieler und mag im schlimmsten Fall dazu führen, dass sie die Lust am larpen ganz verlieren, wenn die Conreihe, auf die sie so viel Energie verwendet haben, ihre Bedürfnisse nicht mehr erfüllen kann, aus einem der bereits genannten Gründe.

Ein Charakter nimmt Auszeit bevor er schlimmstenfalls unspielbar wird.

Nur ein Schritt vor dem Abgrund – Wenn Charaktere unspielbar werden

LARP-Charaktere sind meistens Ausnahmesituationen ausgesetzt, denn wenn Dämonen, Untote und böse Magier ihr Unwesen treiben, dann ist es schwer, nicht in Panik zu verfallen. Mancher Charakter mag ein Veteran sein, hat schon viel erlebt und überlebt, doch gerade Kampagnen warten durch ihre durchgängige Geschichte mit besonderen Tücken auf. Bedrohungen kehren genauso wieder wie feste Charaktere der Gegenseite, zu denen man eine persönliche Feindschaft aufbauen kann. Man sieht sich nicht nur einmal im Leben und obsiegt, manche Traumata bleiben hängen. Das daraus generierte Spiel kann in seiner Intensität süchtig machen. Man sammelt wie bei Call of Cthulhu innerlich Wahnsinnspunkte und freut sich bereits auf die nächste intensive Szene. Treibt man es allerdings zu weit, befindet man sich irgendwann in Erklärungsnot, weshalb der Charakter inzwischen nicht längst an dem, was er erlebt hat, zerbrochen ist. Zu viel kontinuierliches Bedrohungsspiel, gerade wenn man auf Kontinuität aus ist, führt früher oder später in eine Sackgasse. Und sei es, weil der Charakter inzwischen viel zu abgestumpft ist.

Denn auch die erzeugte Bedrohung lebt davon, dass Spieler diese als Bedrohung bespielen. Nach Dämon Nummer 132 und Untotenwelle 3212 mag es einem schwerfallen, den Charakter eben nicht abgebrüht zu spielen. Damit wirkt man aber auch auf alle anderen Spieler ein, und das führt nicht selten dazu, dass Bedrohungsszenarien an den Charakteren zerschellen.

 Und Welche Lösungen gibt es?

Gefahr erkannt – Gefahr gebannt? Wer sich, ob als Spieler oder als Orga, in eine oder mehrere dieser Fallen begeben hat, möchte tunlichst wieder hinauskommen, um weiterhin Spaß an diesem so vielfältigen und schönen Hobby zu haben. Aber auf diesem Weg mögen einige unangenehme Entscheidungen warten, die man nicht ohne Weiteres zu fällen bereit ist. Kampagnen sind gewachsene Organismen, oft lässt sich „die“ eine Ursache für den Wandel zum Schlechteren nicht genau ausmachen. Trotzdem folgen hier ein paar Anregungen.

Für Orgas

Kann an den oben dargestellten Problemen überhaupt etwas gemacht werden, wenn sie einmal in Gang gekommen sind? Es ist nie leicht „back to the roots“ zu gehen und eine Entwicklung radikal zu stoppen. Wie soll man Spielern klar machen, dass die Conplätze, die inzwischen ohnehin fast so schnell vergriffen sind wie Festivaltickets, nun wieder reduziert werden und es keine Ausnahmen, keine Kulanz mehr gibt? Wie soll man einen sich vergaloppiert habenden Plot wieder einfangen? Das mag für manche Orgas der Grund sein, die Probleme auszusitzen und einfach weiterzumachen wie bisher, auch wenn sie damit den Unmut der Spieler auf sich ziehen.

Allerdings ist es nie verkehrt, ein waches Ohr am Feedback zu haben, das die Spieler entweder direkt oder indirekt geben, und wenn unzufriedene Stimmen immer lauter werden, ist vielleicht der Zeitpunkt für eine Umorientierung gekommen. Passt der ursprüngliche Plan der Kampagne noch in die heutigen Gegebenheiten? Riskieren wir langjährige Spielergruppen zu verlieren oder überdenken wir vielleicht doch unser Konzept? Was ist uns wichtiger, unsere Geschichte zu erzählen oder die Spieler daran teilhaben zu lassen? Wie können wir wieder eine klare Linie finden, welche uns liebgewordenen Plotstränge müssen wir vielleicht über Bord werfen, weil sie einfach nicht zu funktionieren scheinen?

Oder, auch wenn der Gedanke schmerzt, ist der Zeitpunkt vielleicht gekommen, die Kampagne ganz zu beenden?

Für Spieler

Treffen einige der angesprochenen Punkte auf den Spieler zu, ist es vielleicht angebracht, sich einmal näher mit dem Gedanken zu beschäftigen, aus besagter Kampagne auszusteigen. Doch das ist wie immer leichter gesagt als getan. Zu viele Dinge mögen noch geplant sein, zu sehr hat man sich darauf verlassen, aus dem Plot der Kampagne Spiel und Hintergrund für den Charakter zu gewinnen.

Wer diesen radikalen Schritt nicht gleich in Gänze gehen will, mag vielleicht über eine reine Pause nachdenken. Eine Con oder zwei aussetzen und sich mit dem Charakter erst einmal anderweitig orientieren, ihn neue Abenteuer bestehen lassen, die ihn auf andere Weise formen können. Vielleicht können die neuen Erfahrungen ihm sogar beim etwaigen Wiedereinstieg in die Kampagne wertvolle Hilfe sein.

Zu erkennen, dass etwas schief läuft, erfordert sowohl für Spieler als auch Orgas einen wachen, analytischen Blick auf sich und das Umfeld, und es kostet Energie, diese Probleme anzugehen, Energie die viele vielleicht nicht aufbringen können oder wollen. Im Endeffekt aber prägen auch unangenehme Entscheidungen die LARP-Landschaft weiter und helfen somit dabei, dass die Szene lebendig und kreativ bleibt. Gerade in einer Phase, in der viele darüber klagen, dass LARP Mainstream zu werden droht, ist es vielleicht Zeit, einige gewachsene Bindungen auf den Prüfstand zu stellen.

Artikelbilder: depositphotos – lightsourceSIphotographyMajorgainekontur-vid

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