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Spätestens seit The Ring ist der Gruselfaktor von kleinen, untoten Mädchen in unserer westlichen Kultur wohlbekannt. Was passiert, wenn man dieses Stilmittel mit Elementen von Shellys Frankenstein und Lovecrafts Cthulhu-Mythos kombiniert? Es entsteht eine Graphic Novel im Stile von Die lebende Tote!

Dem Tod zu trotzen ist seit Jahrhunderten ein Traum der Menschheit. Durch die Zeitalter hinweg wurden mythische Rituale, alchemistische Versuche und medizinische Experimente durchgeführt, um den Traum vom ewigen Leben Wirklichkeit werden zu lassen. Der zunehmende technische Fortschritt und Verfahren wie das Klonen lassen uns mittlerweile undenkbare Taten vollbringen. Doch sollte alles technisch Mögliche tatsächlich durchgeführt werden? Welche Gefahren bergen die Konsequenzen?

Diese Frage bildet die Prämisse der Graphic Novel Die lebende Tote. Kann es sich der Mensch erlauben, Gott zu spielen?

Handlung & Charaktere

Auf dem Mars ist der Biologe Joachim aufgrund seiner illegalen Forschungen ein verurteilter Verbrecher. Somit ist eine Reise zur verwüsteten Erde als Gast der geheimnisvollen Martha eine willkommene Chance für einen Neuanfang. Doch alles hat seinen Preis: Die distanzierte Frau erwartet von ihrem Gast nichts Geringeres als die Wiedererweckung ihrer Tochter Lise. Das Mädchen verunglückte bei einer Ausgrabung und ihre Mutter setzt jedes zur Verfügung stehende Mittel ein, um sie wieder in ihre Arme schließen zu können. Dabei soll Joachims Wissen im Bereich des Klonens beitragen.

Auf einem verlassenen Schloss nimmt sich der Wissenschaftler der Herausforderung an. Neben Martha leisten ihm der Cyborg Hugo und einige mutierte Spinnen Gesellschaft. Joachim verbringt seine Zeit dabei nicht nur mit der ihm gestellten Aufgabe, sondern auch mit Nachforschungen über seine Mitbewohner. Besonders das bessere Verständnis für Hugo und dessen technische Möglichkeiten sind ihm im Laufe der Handlung von Nutzen. Doch niemand kann ahnen, welche Konsequenzen seine Arbeit gegen den Tod tatsächlich hat. Denn nach dem Erwachen des Klons wird schnell klar, dass diese neue Lise kein harmloses Mädchen wie das Original ist.

Das Lovecraft’sche Design bei manchen der Wesen ist augenfällig.

Wenngleich Die lebende Tote in der Zukunft spielt, erhält man als Leser wenig Einblick in deren Zustandekommen. Augenscheinlich ist die Menschheit weitestgehend auf dem Mars angesiedelt. Zusätzlich konnten wichtige Errungenschaften in der Schöpfung von künstlichem und genetisch modifiziertem Leben gemacht werden. Das war es bereits an Hintergrundwissen. Die Handlung konzentriert sich mit der Wiederauferstehung von Lise und der Interaktion der Beteiligten auf das Wesentliche. Dadurch entsteht das Gefühl einer Horrorgeschichte im Stile von Frankenstein. Das liegt besonders an dem viktorianisch angehauchten Stil der Umgebung, den düsteren Farben und der behandelten Materie. Darüber hinaus fließen Elemente von Lovecraft in die Handlung ein, besonders aufgrund des Designs einiger Wesen. Aufgrund von Spoilergefahr werden mehr Informationen vermieden.

Die Anzahl an wichtigen Charakteren ist mit vier Akteuren (Lise, Joachim, Martha und Hugo) sehr übersichtlich. Deren einzelne Persönlichkeiten sind nachvollziehbar ausgearbeitet, wodurch keiner den anderen die Show stiehlt. Generell ergibt sich eine glaubwürdige Dynamik zwischen den Akteuren, wobei die Beziehung zwischen Joachim und Martha den deutlichsten Wandel erlebt. Die ursprüngliche Lise hat aufgrund ihres Ablebens zu Beginn einen kurzen Auftritt, wenngleich ihr Charakter der Antrieb für die gesamte Geschichte ist. Jedoch muss ich zugeben, dass die wenigen Panels mit ihr den Eindruck eines liebenswürdigen Kindes schaffen konnten.

Aufgrund dieser vielversprechenden Ausgangslage ist es schade, dass Die lebende Tote auf der Zielgeraden an Faszination verliert. Am Ende bleibt das Gefühl einer überhasteten und unvollständigen Geschichte. Tatsächlich musste ich zunächst prüfen, ob nicht ein Nachfolgeband geplant ist. Denn das Ende ist so offen gestaltet, dass mehr Fragen verbleiben als beantwortet werden. Das kann leider auch nicht mit Interpretationsfreiheit durch den Leser begründet werden.

Zeichnungen & Kolorierung

Die Zeichnungen von Alberto Varanda sind wundervoll anzusehen. Der Einsatz von Schraffuren lässt die Bilder stimmungsvoll und geheimnisvoll wirken. Dabei gelingen sowohl reine Charakter-Szenen, als auch imposante Landschaftsbilder. Ebenso mangelt es nicht an Action. Doch der wahre Protagonist im Hinblick auf die Stimmung ist das Schloss. Im Stile von Neuschwanstein gestaltet, liefert es aufgrund seiner befremdlichen Ausdehnung die perfekte Umgebung für diese düstere Geschichte.

Ebenso muss die Farbgebung von Olivier Patine als wichtiger Faktor erwähnt werden. Der Einsatz der dunklen Farbpalette sorgt im Zusammenspiel mit dem Zeichenstil von Varanda für ikonische Bilder. Kontrastreiche und helle Szenerien sind selten, werden aber bewusst platziert, um deren Bedeutung für die weitere Geschichte hervorzuheben.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Splitter
  • Autor: Olivier Vatine
  • Zeichner: Alberto Varanda
  • Sprache: Deutsch
  • Seitenanzahl: 72
  • Preis: 18,00 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Fazit

Die lebende Tote dürfte die Gemüter spalten. Während Zeichnungen und Kolorierung über alle Zweifel erhaben sind, sorgt die Handlung für Diskussionsbedarf. Wobei das nicht an der Ausgangslage, den Charakteren oder zweifelhaften erzählerischen Motiven liegt. Tatsächlich ist es die Entscheidung, wie viel Interpretationsspielraum dem Leser überlassen wird. Die lebende Tote gewährt diesen in großem Maße, indem darauf verzichtet wird, in tiefe Details über die Hintergrundwelt zu gehen. Für mich persönlich war es keine gute Entscheidung, diesen Freiraum auch bei dem Ende der Geschichte zu gewähren. Der finale Eindruck war unbefriedigend, da ich nach dem grandiosen Beginn der Erzählung auch einen finalen Abschluss haben wollte. Doch vielleicht liegt genau darin der Reiz für einige andere Leser?

 

Artikelbilder: © Splitter, Bearbeitung: Melanie Maria Mazur
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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