Marvel-Comics gibt es seit 80 Jahren, die aktuelle Kontinuität seit fast 60 Jahren. Da ist es unmöglich, jeden einzelnen Comic zu kennen, der relevant sein könnte. Doch nun haben wir einen Band, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die ganze Geschichte des Marvel-Universums abzubilden.
Wer mit Marvel-Comics anfängt, fühlt sich manchmal überfordert. Wer ist denn nun dieser Charakter? Was ist ein Celestial? Und was war eigentlich zuerst da: Die Nazis oder Hydra? Manche Enthusiasten empfehlen dann, mit Fantastic Four #1 anzufangen und sich langsam durch die Marvel-Geschichte zu lesen. Doch gerade die alten Texte von Stan Lee wirken heute wie aus der Zeit gefallen. Da ist es doch viel schöner, einfach irgendwo anzufangen. Wer mehr über ein bestimmtes Thema oder eine Figur erfahren will, kann später noch die entsprechende Origin lesen.
Eine gute Geschichte über die Chronologie des Marvel-Universums gab es bisher im gerade erst neu aufgelegten Marvels von Kurt Busiek und Alex Ross. Hier sieht man die Ereignisse aus der Perspektive eines Fotojournalisten. Mit Marvel Comics 1000 gab es zum Jubliäumsjahr dann einen schönen Anthologieband, durch den man auf unterhaltsame Weise einiges über die Verlagsgeschichte erfahren kann. Doch keiner dieser Bände hat es sich zur Aufgabe gemacht, allumfassend zu sein. Zwar gibt es immer wieder Lexikon-Ausgaben, doch ist die Idee neu, diese in Comicform zu verpacken. Mark Waid hat sich getraut, eine große Recherche zu betreiben. Wir haben uns diese Enzyklopädie im Comic-Format angeschaut und sagen euch, für wen sie sich lohnt.
Inhaltsverzeichnis
Handlung
Am Ende der Zeit ist Galactus kurz vor seinem Tod. Neben ihm sitzt Franklin Richards, der Sohn von Reed und Susan und einer der mächtigsten Mutanten des Universums. Bevor Galactus vergeht, erzählt er dem Menschen alles, was er weiß. Vom Urknall bis zum letzten Tag. Diese Rahmenhandlung nimmt nur wenig Raum ein, denn eigentlich geht es hier um eine chronologische Erzählung der wichtigsten Ereignisse im Marvel-Universum bis zum heutigen Tag.
Es beginnt mit der Entstehung der Welt und der Erschaffung der ersten Wesen. Diese werden hier zum ersten Mal komplett in eine Chronologie gebracht. Durch die ständigen Autorenwechsel des Verlags ist es erschreckend, wie viele uralte Wesen schon durch die Comics spaziert sind. Die meisten davon bekommen gerade einmal ein Panel und es geht weiter zum nächsten Ereignis. Beliebte Figuren wie Wolverine bekommen schon mal eine komplette Seite spendiert. Aber letztendlich geht es Schlag auf Schlag.
Die zweite Hälfte des Bandes besteht aus Fakten. In diesen werden alle Ereignisse noch einmal separat in Textform aufgearbeitet, mit Abbildungen aus alten Comics und vielen Quellenverweisen. In diesem Teil sieht man, welch großer Aufwand es gewesen sein muss, dieses Werk zu schreiben und zu entscheiden, welche Geschichte es wert ist, dass sie erwähnt wird. Als Käufer sollte einem aber klar sein, dass der Comicteil nach der Hälfte vorbei ist und man eben auch für die Anhänge bezahlt.
Charaktere
Es kommen alle wichtigen Figuren des Marvel-Universums vor. Die bedeutendsten Helden sind aufgeführt, und selbst Figuren wie das Power Pack haben eine Erwähnung verdient. Mangels durchgehender Handlung findet aber niemals irgendeine Form der Charakterisierung statt. Der Band kann nur dazu dienen, jede Figur immerhin einmal gesehen zu haben.
Zeichenstil
Das, was diesen Comic von einfachen Text-Lexika abhebt, sind die Zeichnungen von Javier Rodriguez. Diese sind kreativ und einzigartig. Es macht Spaß, die Bilder zu betrachten. Klassische Panels benutzt er nicht, stattdessen wirkt jede einzelne Seite wie ein individuelles Kunstwerk. Koloriert ist das Ganze in vielen bunten Farben, die für einige auch zu viel des Guten sein könnten, für andere aber genau das ausmachen, was einen Superhelden-Comic auszeichnet. Die Anzahl der Informationen pro Seite ist enorm, und es lohnt sich, länger in den Bildern zu verweilen, um alle Details wahrzunehmen.
Erscheinungsbild
Der Comic hat einen stabilen Einband und ist nicht zu schwer. Das Cover von Steve McNiven zeigt Galactus und einige der ältesten Marvel-Charaktere. Es gibt dadurch gut wieder, was man im Band finden kann: Eine Ansammlung vieler Details ohne größeren Zusammenhang.
Die harten Fakten:
- Autor: Mark Waid
- Zeichner: Javier Rodriguez
- Erscheinungsjahr: 2020
- Seitenanzahl: 244
- Preis: 26 EUR
- Bezugsquelle: Fachhandel, Panini-Comics, Amazon, idealo
Fazit
Der Comic ist schwer zu bewerten. Wer bei einem Comic Handlung und einen Spannungsbogen erwartet, sollte besser zum Klassiker Marvels greifen. Wer diesen Band bereits besitzt, muss sich fragen, was einem Die Geschichte des Marvel-Universums Neues bietet. Rein unter quantitativen Aspekten wird vom besprochenen Band mehr abgedeckt. Unter anderem sind die Frühgeschichte und die jüngsten Ereignisse vorhanden. Dies geht aber zu Lasten einer eigenen Handlung und in die Tiefe gehender Details. Der Rahmen um Galactus und Franklin ist nicht wirklich präsent. Aber das muss er auch nicht sein. Für die richtigen Kunden ist dieser Comic eine wahre Fundgrube an Informationen.
Daher sehe ich den Band als eine Comicentsprechung einer Enzyklopädie, die nicht alphabetisch, sondern chronologisch geordnet ist. Auch sollte man die umfangreichen Anhänge beachten. Diese helfen, alle Informationen einzuordnen und bieten Querverweise auf alte Comics. Man muss aber auch bedenken, dass diese Fakten nicht am Stück gelesen werden. Das Lesevergnügen endet also voraussichtlich bei der Hälfte des Bandes. Wer bereits tief im Marvel-Universum steckt wird wohl nur wenig Neues erfahren. Für Neueinsteiger bietet der Band maximal einen Grobüberblick. Am ehesten ist die Zielgruppe des Comics also ein Fan des Kosmos, der sich an den tollen Zeichnungen von vielen Querverweisen erfreuen kann. Damit ist er am ehesten mit Marvel Comics 1000 zu vergleichen und bekommt von mir dieselbe Wertung wie dieser.
Artikelbilder: Panini Comics
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Ricardo Davids
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.
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