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Der bisher vornehmlich für Adventures bekannte tschechische Indy-Entwickler CBE software legt mit Someday You’ll Return sein neustes Spiel vor. Offiziell wird es als Horror-Abenteuer bezeichnet. Wird Daniel seine Tochter finden? Und was ist mit dem Wald wirklich los? Oder mit ihm selbst? Wir haben uns in die tschechischen Wälder gewagt.

Unter Adventure-Spielern ist das kleine Entwicklerteam CBE spätestens seit U.L.I.A. ein Begriff. Als bereits vor einigen Jahren Someday You’ll Return angekündigt wurde, war weder den Entwicklern, noch den Spielern klar, welchen Umfang das Projekt annehmen würde. Jetzt wurde es veröffentlicht – und beim Spielen muss man sich des Öfteren daran erinnern, dass dieses Spiel von nur drei Leuten geschaffen wurde.

Die Ankunft im Wald © CBE software
Die Ankunft im Wald © CBE software

Der Hintergrund

Das Spiel startet geheimnisvoll: In der Introsequenz spielt man eine nicht näher beschriebene Person, die aus einer Anlage zu entkommen versucht, die stark an einen Bunker erinnert. Der Versuch misslingt, und hier setzt der Vorspann des Spieles ein.

Während des Vorspanns wird die eigentliche Spielfigur, Daniel, vorgestellt. Wir werden mitten in die Situation hineingeworfen: Er ist auf der Autobahn unterwegs und telefoniert, vermutlich mit seiner Frau. Anscheinend ist die Tochter weggelaufen, und Daniel ist unterwegs, um sie zu suchen. Die genaueren Umstände werden im Verlauf des Spiels thematisiert und sollen hier nicht vorweggenommen werden.

Daniel erreicht ein Waldstück, in dem er das Handy seiner Tochter, Stela, ortet. Nachdem sein Auto an einer Schranke gestoppt wird, muss er zu Fuß weiter in den Wald. An dieser Stelle übernimmt der Spieler die Steuerung.

 

Open Wald

Das erste, was auffällt, ist die extrem detailverliebt gestaltete Umgebung. In First-Person-Sicht durchwandert man eine Spielwelt, die von realen tschechischen Wäldern inspiriert wurde. Das Spiel ist so realistisch, dass es durchaus auch als reiner „Walking Simulator“ ohne weitere Story funktionieren würde. Youtuber Gronkh nannte dies liebevoll ein „Open Wald Environment“.

Im Wald gibt es Wanderwege des tschechischen Wanderweg-Netzes, inklusive Wegmarkierungen, Rastplätzen, Aussichtspunkten und Informationstafeln an Knotenpunkten. Die Wege entsprechen nicht ganz der realen Geographie, wirken aber absolut authentisch.

 

Darüber hinaus gibt es im Wald viele reale Sehenswürdigkeiten, die im Spiel teilweise als Locations oder Wegpunkte eine Rolle spielen. Diese sind auf den Infotafeln beschrieben und tragen meist auch QR-Code-Tafeln. Die Codes funktionieren und leiten bei Benutzung auf eine Karte, in der die tatsächliche Position der Sehenswürdigkeit in der realen Welt eingezeichnet ist.

Im späteren Spiel verändert sich die Umgebung, die Bewegungsfreiheit wird deutlicher eingeschränkt. Das Gefühl der offenen Spielwelt bleibt aber trotzdem erhalten, nur ganz wenige Passagen fühlen sich wie ein Schlauchlevel an.

© CBE software
© CBE software

Beeindruckende Lost Places

Nicht nur der Wald wirkt authentisch, auch die im Wald verstreuten Orte wirken sehr lebensecht wie ein frisch verlassener Lost-Place. Es ist den Entwicklern gelungen, diese Orte glaubhaft und nachvollziehbar zu gestalten. Das motiviert zusätzlich, die Ereignisse, die sich an diesen Orten abgespielt haben, zu rekonstruieren.

Diese Rekonstruktion ist zentraler Bestandteil des Spiels. Während der Protagonist seine Tochter sucht, findet er Dinge über sie, über sich selbst und über den Wald heraus, die sich zu einer immer dichteren Geschichte verweben.

Der Horror des Spieles folgt nach Aussage der Entwickler eher der Tradition von Silent Hill, und so setzt das Spiel nicht auf Jumpscares, sondern zum einen auf die Stück für Stück aufgedeckte Hintergrundgeschichte und zum anderen auf eingestreute albtraumhafte Sequenzen, die allerdings meistens auch eher durchschlichen werden müssen, um nicht die Aufmerksamkeit der dort anwesenden Gestalten zu erregen.

 

Rätselhaftes

Die Adventure-Tradition des Herstellers kann Someday You’ll Return nicht verleugnen. So gibt es etwa ein Inventar, in dem Dinge auch manipuliert werden können. Um Gegenstände mit sich herumtragen zu können, findet Daniel einen Rucksack. Später findet er noch Werkzeug, mit er weitere Manipulationen vornehmen kann.

Schön ist auch die Übernahme von sogenannten Blaupausen ins Inventar. Wenn Daniel weiß, dass er etwas bauen muss, erhält er eine Blaupause, die zeigt, was er braucht und wie weit der Gegenstand schon fertiggestellt ist. Mithilfe dieser Blaupause und eingesammelter Materialien kann der Gegenstand dann gebaut werden.

Die Interaktion mit der Welt übernimmt ein simples Hotspot-System. Bewegt sich Daniel in die Nähe von Hotspots, leuchten diese auf und zeigen genau eine mögliche Interaktion an. Wenn die Interaktion noch nicht möglich ist, weil dazu noch Gegenstände im Inventar fehlen, wird dies durch ein Fragezeichen angezeigt. Ist der Gegenstand verfügbar, benutzt Daniel ihn automatisch an der Stelle, das Auswählen des vermeintlich richtigen Gegenstandes entfällt.

Es gibt aber auch zwei Arten von Welt-Rätseln. Zum einen gibt es zusammenhängende Hotspots in der Welt, mit denen in bestimmter Art und Weise interagiert werden muss. Zum anderen gibt es Hotspots, die bei Interaktion als „Welt-Gegenstand“ im Inventar angezeigt werden und dort mit anderen Inventargegenständen oder dem Werkzeug bearbeitet werden können.

 

Darüber hinaus bietet das Spiel im weiteren Verlauf noch ein einfaches Crafting-System für Tränke, genannt Kräuterkunde („Herbalism“). Hierzu findet man Rezepte in der Welt, deren Inhalte Pflanzen und Pflanzenbestandteile sind. Die Pflanzen kann man ebenfalls in der Welt sammeln, um sie dann mit dem „Herbalism Kit“ zu zerschneiden, zu pulverisieren oder zu kochen. Wenn man die richtigen Schritte in der angegebenen Reihenfolge durchführt, bekommt man eine Trankdosis, die bei Einnahme das Spiel beeinflusst. Einige Tränke sind optional, einige muss man brauen, um im Spiel weiterzukommen.

Die Tagebücher

Im Spiel gibt es zwei Tagebücher. Zum einen Daniels Tagebuch, in dem er sich seine aktuellen Aufgaben notiert und gefundene Texte und/oder Codes sammelt. Mit diesen kann man andere Texte oder Zeichen in der Spielwelt entschlüsseln. Später findet man noch Stelas Tagebuch, dessen Seiten man aber zunächst nicht lesen kann. Diese werden erst durch Ereignisse im Spiel lesbar gemacht.

Zusätzlich zu den Hauptaufgaben gibt es mehrere Open-World-typische Sammelquesten. Man findet beispielsweise regelmäßig an die Steine gemalte Hinweise auf sogenannte „Stashes“, wo ein wenig Ausrüstung verborgen liegt. Einige dieser Stashes sind in die Story eingebunden, andere kann man einfach so suchen, um Verbrauchsgegenstände zu erhalten. Natürlich gibt das Sammeln aller Stashes eine Errungenschaft.

Eher unnötig ist die Möglichkeit, überall im Wald Bonbon-Papiere oder Pfadfinder-Abzeichen zu finden und aufzuheben. Es scheint, diese Sammelquesten dienten dazu, interessierte Spieler zum Durchsuchen des gesamten Spielgebietes zu animieren, so dass sie alle eingebauten Sehenswürdigkeiten entdecken.

Möchte man dort hineingehen? Sollte man dort hineingehen? © CBE software
Möchte man dort hineingehen? Sollte man dort hineingehen? © CBE software

Nichts für schwache Nerven!

Someday You’ll Return ist ein Horror-Spiel, und dieser Aspekt wird mit fortschreitender Story auch immer stärker in den Vordergrund gerückt. CBE software verzichtet dankenswerterweise weitestgehend auf Jumpscares, Der Horror wird hier eher auf Spannung aufgebaut. Nichtsdestotrotz wird das Spiel an einigen Stellen grafisch sehr explizit. Die Kombination aus den Wald kontrastierenden klaustrophobischen Umgebungen, dem exzellenten Soundtrack und Entdeckungen sowohl in der Welt als auch in Daniels eigener Vergangenheit sind nicht für jeden Konsumenten geeignet. Die Aussage der Entwickler, das Spiel stehe „in der Tradition von Silent Hill“, ist auf jeden Fall wahr.

 

Die Steuerung

Someday You’ll Return wird in First-Person-View gespielt und wahlweise per Maus und Tastatur oder per Gamepad bedient. Sehr schön: Die Steuerung muss dafür nicht umgestellt werden, man kann fließend zwischen beiden Eingabemethoden wechseln. Dies ist schön, um beispielsweise mit dem Gamepad durch den Wald zu laufen, aber komplexe Interaktionen im Inventar mit der Maus durchzuführen.

Die Figur selbst bewegt sich absolut flüssig und lässt sich mit beiden Methoden sehr präzise steuern. Das einzige, was ein wenig ungewohnt ist: Die Spielfigur kann nicht springen. Zugegeben: Sie muss auch nicht springen können – aber es fühlt sich ungewohnt an.

Hotspots leuchten bei Annäherung auf, und bei weiterer Annäherung werden mögliche Aktionen eingeblendet. Diese „weitere Annäherung“ muss jedoch teilweise recht nah an die Hotspots herankommen, was ein wenig an Grim Fandango erinnert: Man muss teilweise richtig stehen, um sie auszulösen zu können.

Dadurch, dass ein Hotspot immer nur eine Funktion erfüllt, haben einige Gegenstände, die mehr Aktionen zulassen, dort keine Auswahl, sondern mehrere Hotspots. Beispielsweise gibt es ein Rad, welches man sowohl drehen als auch mitnehmen kann. Hier ist die Gefahr gegeben, dass der Spieler einen der Hotspots und damit die zweite Option übersieht.

Einige Controllerbelegungen, beispielsweise der Knopf fürs Inventar, sind ungewöhnlich, aber nicht unbenutzbar. Ein Manko in der Steuerung ist die Handhabung der Achsenumkehr für die Y-Achse. Wenn diese umgekehrt ist, gilt dies auch für die Benutzung des Ingame-Smartphones, so dass man dort nach oben drücken muss, um den Stift nach unten zu bewegen. Dies gilt für Maus und Tastatur gleichermaßen.

Bei der Gamepad-Steuerung gibt es ein weiteres Manko: Dialog-Tasten wie „Weiter“ oder „Zurück“ werden nicht an Gamepad-Tasten gebunden, wie generell üblich. Stattdessen muss mit dem Gamepad der Mauszeiger auf die Tasten bewegt werden, um danach zu klicken.

 

Sound und Musik

Someday You’ll Return bietet eine sehr realistische Soundkulisse. Die Vögel im Wald hören sich so echt an, dass man manchmal nicht sicher ist, ob diese zum Spiel gehören oder im eigenen Garten sitzen.

Das Spiel verzichtet auf durchgehende musikalische Untermalung. Die nur gezielt eingesetzte Musik trägt dadurch umso mehr zur Stimmung bei. Die simplen, aber kraftvollen Arrangements mit starken traditionellen Einflüssen fallen besonders auf.

Die Sprachausgabe ist englisch und beschränkt sich auf Kommentare des Hauptcharakters zu Umwelt und Aktionen sowie wenige Dialoge. Generell ist die Sprache sehr gelungen, nur in wenigen Fällen nervt die Wiederholung der gleichen Artikulation, beispielsweise beim „Locked“ als Kommentar für verschlossene Türen.

Die harten Fakten:

  • Entwicklerstudio: CBE software
  • Publisher: CBE software
  • Plattform: PC
  • Sprache: Englisch (Texte & Sprache), Tschechisch (Nur Texte)
  • Mindestanforderungen: Core i5, GTX 970, 4 GB Ram, 13 GB Disc, Win7 x64, DX 11
  • Empfohlen: Core i7, GTX 1060, 8 GB Ram, 13 GB Disc, Win7 x64 Bit, DX 11
  • Genre: Horror, Abenteuer, Indie
  • Releasedatum: 05.05.2020
  • Spielstunden: 20+ (Open World)
  • Spieleranzahl: Einzelspieler
  • Altersfreigabe: keine USK- oder PEGI-Angabe*
  • Preis: 29,99 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Steam

*) Entwicklerangabe: „Dieses Spiel enthält möglicherweise Inhalte, die nicht für alle Altersklassen oder zum Ansehen am Arbeitsplatz geeignet sind: Häufige Darstellung von Gewalt, Blut oder Verstümmelung, Allgemeine nicht jugendfreie Inhalte“

 

Fazit

Someday You’ll Return liefert gut gemachten psychologischen Horror in der Tradition von Silent Hill. Direkte Konfrontationen sind selten und in der Regel tödlich. Der Spieler erkundet eine wunderschön gestaltete virtuelle Version der tschechischen Wälder, die sich phasenweise mit Albtraumlandschaften abwechselt. Dabei lernt er Stück für Stück die Hintergrundgeschichte kennen. Dies geschieht hauptsächlich durch das Untersuchen von Handlungsorten und das Auffinden von Hinweisen. Dialoge sind selten, da im Spiel nur wenige andere Charaktere vorkommen.

Man merkt CBE die Wurzeln im Adventure-Genre an. Im Spiel gibt es zahlreiche gut gemachte Rätsel und ein Inventar samt der Möglichkeit, Dinge zu kombinieren oder zu manipulieren. Darüber hinaus gibt es ein simples System, um mit gesammelten Kräutern Tränke zu brauen, die im Spiel weiterhelfen.

Es gibt einige kurze Action-Sequenzen sowie einige Sequenzen, in denen der Spieler unbemerkt durch Gebiete schleichen muss. Wer als Spieler überhaupt keine Erfahrung mit Ego-Schleichern oder zumindest Ego-Shootern hat, könnte hier Probleme haben. Deshalb können die Schleichsequenzen seit einem Patch durch Einnahme eines Unsichtbarkeits-Trankes deutlich vereinfacht werden.

Insgesamt bietet Someday You’ll Return gute Unterhaltung für ca. 20 Spielstunden, mit einer ordentlich geschriebenen Story und einer Inszenierung, die nicht auf Jumpscares beruht. Der Preis von 29,99 EUR ist dafür mehr als gerechtfertigt.

Achtung! Auch, wenn dies bei einem Horror-Spiel impliziert sein sollte: Das Spiel ist nichts für schwache Nerven.

Artikelbilder: © CBE software
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Simon Burandt
Screenshots: Henning Lechner
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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