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Das wohl bekannteste Fest des Jahreskreises ist das oft mit Samhain verwechselte Halloween. Moment, „verwechselt“? Ja, denn „Halloween“ ist nicht einfach nur ein anderer Name für das Jahreskreisfest. Vielmehr ist Halloween ein sehr weit entfernter Verwandter von Samhain. Es ist Zeit, die Verwandtschaft einmal (mit einer stilechten Kürbislaterne) zu beleuchten.

Samhain ist eines der vier Hochfeste des keltischen Jahreskreises und darin das Gegenstück zu Beltane. Der Name ist gleichzeitig die irische Bezeichnung für den Monat November. Im Kalender von Coligny wird Samhain als das keltische Neujahresfest bezeichnet. (In juristischen Texten wird manchmal auch Beltane als das Neujahresfest benannt.)

Dieser Artikel ist Teil einer (zu Teilen kommenden) Serie über keltische und neuheidnische Jahreskreisfeste und deren Hintergrund. Die anderen Artikel der Serie findet Ihr im Laufe des Jahres hier:

Die historischen Hauptfeste des keltischen Jahreskreises:

 

Die vier Jahreszeitenfeste:

  • Ostara, Frühjahrestagundnachtgleiche
  • Litha, Sommersonnenwende
  • Mabon, Herbsttagundnachtgleiche
  • Jul, Wintersonnenwende

Samhain

Von allen irisch-keltischen Festen ist Samhain das am besten belegte. Es wird beschrieben als eine Zeit des Übergangs, bei denen es Menschen möglich war, die Anderswelt zu sehen oder sogar zu betreten. Alle Schranken zur Anderswelt sind aufgehoben, und die Botinnen der Götter können auserwählte Sterbliche herüberholen. Samhain ist auch der Übergang zwischen den Jahren. Dieser geschieht nicht fließend, sondern das alte Jahr endet, danach erst beginnt das das neue Jahr.

Samhain war ein Pflichtfest, welches drei Tage lang mit Speise, Trank und Spielen begangen wurde.  Das Fest selbst war eher ausgelassen, deshalb wird heute davon ausgegangen, dass es sich nicht um ein Trauerfest gehandelt hat. Es hatte allerdings wahrscheinlich hohe religiöse Signifikanz. Dies wird daraus abgeleitet, dass Samhain nicht zu begehen bei Todesstrafe verboten war.

Es ist nicht gesichert, wie häufig Samhain begangen wurde. Während einige Quellen von einem jährlichen Fest berichten, beschreiben Chroniken des Königshofes von Tara nur ein Fest alle sieben Jahre. Neuere Theorien gehen davon aus, dass die Häufigkeit der Feierlichkeiten mit der Wichtigkeit des Hofes gekoppelt war, und dass es durchaus möglich ist, dass in Tara tatsächlich nur alle sieben Jahre gefeiert wurde, während regionale Herrscher das Fest jährlich ausrichteten.

In der keltischen Vorstellung waren viele Zeitspannen gleichbedeutend. Dies ist heutzutage nur schwer zu verstehen. Kern der Vorstellung war, dass ein Tag, ein Jahr oder gar die Ewigkeit durchaus die gleiche Zeitspanne sein konnte. Samhain liegt zwischen den Jahren, nach dem Ende des alten Jahres und vor dem Beginn des neuen. Dieser Moment ist in der keltischen Zeitvorstellung gleichzeitig endlos und vergänglich. Dadurch war die kurze Zeitspanne des Samhain-Festes gleichzeitig die Ewigkeit der Anderswelt, und die Grenzen verschwammen.

Indogermanischer Glaube

Im indogermanischen Urglauben bewegt sich die Sonne andauernd zwischen dem Göttertor im Norden und dem Menschentor im Süden hin und her. An Samhain erreicht sie das Menschentor, vollendet damit ihre Bahn und beginnt sofort von neuem, zum Göttertor zu ziehen, welches sie an Beltane erreicht.

Auch hier stellt Samhain den Abschluss der alten und den Beginn der neuen Bahn dar, den Übergang zwischen zwei Jahreskreisen.

Es heißt oft, dass die Kelten an Samhain fürchteten, dass ihre Toten durch den Schleier treten könnten, und dass sie versuchten, mit Masken und Kostümen ausgestattet, die ruhelosen Geister zu vertreiben. Diese Interpretation von Samhain ist jedoch historisch nicht belegt.

Ab etwa dem 16. Jahrhundert ist das Verkleiden als Teil der irischen Tradition belegt. Zu diesem Zeitpunkt war Irland schon lange christianisiert, deshalb ist dies zwar eine Tradition, die dem Monat Samhain zugeordnet werden kann, jedoch keinen Bezug zum keltischen Samhain hat. Der Brauch, verkleidet aus dem Haus zu gehen und sich gegenseitig Nüsse und andere Lebensmittel zu schenken, geht wahrscheinlich eher auf eine Vermischung von Erntedank mit Allerheiligen zurück. Die verkleideten Menschen nahmen Opfer im Namen der Geister an, und verschenkten selbst Opfergaben an andere Geister.

Natürlich lud die Verkleidung auch zu Streichen ein, was ebenfalls schon im 16 Jahrhundert belegt ist. In einigen Regionen Irlands bürgerte sich sogar der Name „Mischief Night“ für die Samhain-Nacht ein.

Allerheiligen

Allerheiligen ist ein Feiertag der katholischen Kirche. Als klar wurde, dass auf Dauer nicht für jede heiliggesprochene Person ein dedizierter Feiertag ausrufen werden konnte, begannen die Kirchen, Sammelfeiertage einzuführen. Die Ostkirche legte diesen auf den ersten Sonntag nach Pfingsten, während in Rom das Fest vom jeweiligen Papst zunächst auf den Freitag nach Ostern, später auf den 1. November gelegt wurde. Ab circa dem achten Jahrhundert verbreitete sich die allen Heiligen geweihte Feier zunächst im heutigen Frankreich, danach im Rest von Westeuropa. Dieser Termin wurde dann 835 von Papst Gregor IV verbindlich für die gesamte Westkirche festgelegt.

Allerheiligen
depositphotos ©Milous

An dieser Stelle sollte klar werden, dass die Entstehung von Allerheiligen unabhängig vom keltischen Samhain ist und deshalb keine simple „Übernahme“ des keltischen Feiertages darstellt.

Allerheiligen ist ein Hochfest der römisch-katholischen Kirche und in vielen Ländern ein gesetzlicher Feiertag.

Allerseelen

Mit Allerheiligen verbunden ist das am darauffolgenden 2. November liegende Allerseelen. Der Tag geht zurück auf ein Dekret von Odilio von Cluny, der den Feiertag per Dekret im Jahre 998 in ihm unterstellten Klöstern einführte. Ab dem 14. Jahrhundert finden sich Quellen für Allerseelenfeiern in Rom. Heute ist Allerseelen hauptsächlich in der Westkirche verbreitet und dient dem Gedenken an alle verstorbenen Gläubigen.

Manchmal wird auch der Seelen im Fegefeuer gedacht, die nach dem Volksglauben an diesem Tag kurz aufsteigen und sich ausruhen dürfen. Im südlichen deutschsprachigen Raum bildete sich daraus die Tradition, den Seelen eine Stärkung in Form von Gebäck an die Gräber zu legen.

Im westlichen Christentum ist es auch üblich, die Friedhöfe mit Kerzen zu schmücken, die unter anderem das Fegefeuer ins Gedächtnis rufen sollen.

Manchmal wird auch die für Allerseelen vorgesehene Gräbersegnung bereits an Allerheiligen begangen, da Allerseelen kein gesetzlicher Feiertag ist. Ebenso findet das Schmücken der Friedhöfe mit Kerzen meist schon an Allerheiligen statt, weil die Menschen an diesem Tag die Zeit haben, die Friedhöfe zu besuchen. Der Zusammenhang zu Allerseelen ist aus dem Alltagswissen weitgehend verschwunden, weswegen die Kerzen inzwischen als Allerheiligentradition angesehen werden.

All Hallows‘ Eve

Früher wurden Tage noch nicht von Mitternacht bis Mitternacht gerechnet. Stattdessen wurde vom Abend bis zum nächsten Abend gezählt. Die Nacht gehörte also fest zum folgenden Tag und wurde nicht, wie heute, hauptsächlich als Verlängerung des vorhergehenden Tages gesehen.

Diese Tradition findet sich auch heute noch bei vielen bedeutenden kirchlichen Feiertagen, beispielsweise mit der Osternacht oder auch bei der Entstehung von Heiligabend, dem Vorabend des Weihnachtsfeiertages.

Da auch Allerheiligen ein hoher Feiertag der katholischen Kirche ist und war, begannen auch hier die Feierlichkeiten oft schon am Abend davor. Aus dieser Tradition entstand im angelsächsischen Sprachraum der All Hallows‘ Eve, also der „Vorabend von Allerheiligen“. Interessant dabei ist, dass Allerheiligen selbst nicht „All Hallows‘ Day“, sondern „All Saints Day“ heißt.

Halloween

Das Halloween, was wir heute kennen, birgt selbst keinerlei religiöse Grundlage mehr. Ursprünglich haben irische Einwanderer die Traditionen rund um das christliche Allerheiligen und All Hallows‘ Eve mit nach Amerika gebracht. Die Bezeichnung All Hallows‘ Eve wurde mit der Zeit zu Halloween verschliffen. Heute wird davon ausgegangen, dass tatsächlich christliche Traditionen, gemischt mit irischer Folklore, die Grundlage für Halloween sind. Annahmen, Halloween sei eine Fortführung des keltischen Samhain wurden zwar geäußert, gelten aber heute als entkräftet.

Halloween
depositphotos ©yellow2j

Eine beliebte Halloween-Tradition sind ausgehöhlte und mit Kerzen beleuchtete Kürbisse. Diese haben jedoch nichts mehr mit den Grabbeleuchtungen von Allerseelen zu tun, sondern gehen stattdessen auf eine irische Volkssage zurück. Im englischen Sprachraum heißen diese Laternen Jack-O-Lanterns, was ein Verweis auf die Sage von Jack Oldfield ist. Der soll es geschafft haben, den Teufel einzufangen. Um ihn wieder freizulassen, rang er dem Teufel das Versprechen ab, ihm nicht mehr in die Quere zu kommen. Da Jack Oldfield aber kein guter Mensch war, konnte er nach seinem Tod nicht in den Himmel kommen. In die Hölle konnte er aber auch nicht, da der Teufel sich immer noch betrogen fühlte. Deshalb war er verdammt, für immer durch das Dunkel zu schreiten. Der Teufel hat ihm jedoch ein Licht geschenkt in Form einer brennenden Kohle, die Jack in eine ausgehöhlte Rübe legte. Auf genau diese Rübe spielt die Bezeichnung Jack-O-Lantern an. An All Hallows‘ Eve wurden solche Laternen gebastelt und für Jack Oldfield aufgestellt, um seinen Weg durchs Dunkel zu beleuchten.

In Amerika standen schlicht und einfach viel mehr Kürbisse als Rüben zur Verfügung, weswegen die Laternen dort mit Kürbissen gebaut wurden. Als die Tradition dann von dort nach Europa zurückkehrte, waren es unter anderem die einheimischen Kürbisbauern, die die Tradition der ausgehöhlten Kürbisse gerne aufgriffen und weiterverbreiteten.

Die Verkleidungen an Halloween sind ebenfalls noch nicht allzu alt und haben nichts mit dem keltischen Samhain zu tun. Sie gehen auf die irischen Bräuche im 16. Jahrhundert zurück. Richtig populär sind sie allerdings erst ab dem zweiten Golfkrieg, durch den 1991 die Karnevals-Saison ausgefallen ist. Dies nahmen entsprechende Hersteller zum Anlass, für eine Art Karneval rund um Halloween zu werben – und das sehr erfolgreich.

An Halloween werden die Kostüme oft damit begründet, dass damit ruhelose und rachegesinnte Geister der Toten verscheucht werden sollen. Die Idee des Vertreibens der Geister entstammt wahrscheinlich einer Vermischung mit aus dem germanischen Raum stammenden Jahreswechselbräuchen, aus denen sich auch die Idee des heute bekannten Silvester-Feuerwerks gebildet hat.

Der Día de los Muertos in Mexiko

Aus Mexiko kennen wir ein weiteres Totenfest, welches durch die Popkultur bekannt gemacht wurde: Den Día de los Muertos. Anders als manchmal in Filmen oder Comics dargestellt ist allerdings auch dieser Tag nur ein entfernter Verwandter des amerikanischen Halloween.

Der Umgang mit dem Tod war schon immer Teil der mexikanischen Kultur. Im Glauben der Azteken folgten Leben und Tod in einem unendlichen Kreislauf aufeinander. Deshalb wurde der Tod auch nicht als etwas schlimmes angesehen.

Mit der Conquista, der Eroberung Südamerikas, kamen europäische Traditionen wie Allerheiligen nach Mexiko und wurden dort mit dem bisherigen Totenglauben vermischt. Aus dieser Mischung entstand der eigentlich drei Tage andauernde Día de los Muertos. Das Datum und das Grundthema der Feierlichkeiten stammen dabei von Allerseelen, die tatsächlichen Bräuche allerdings eher der mexikanischen Kultur.

Zentraler Aspekt der Feierlichkeiten ist auch hier der Glaube, dass die Trennung zwischen der Welt der Verstorbenen und der Welt der Lebenden in diesen Tagen dünn ist. Die Verstorbenen werden hier zu den Feierlichkeiten eingeladen, beispielsweise zu festlichen Speisen. Ein Teil der Feierlichkeiten findet auf den Friedhöfen statt. Dies kann als Hinweis auf einen Bezug zu den irisch-christlichen Samhain-Bräuchen sein.

Häuser, Friedhöfe und Städte werden festlich geschmückt. Das am häufigsten benutzte Motiv ist dabei die Skelettdame „La Catrina“. Menschen kleiden und schminken sich basierend auf diesem Motiv.

La Catrina
depositphotos ©sunsinger

Auf den ersten Blick sieht es so aus, als hätten diese ausgelassenen Feierlichkeiten die amerikanische Halloween-Kultur maßgeblich beeinflusst. Tatsächlich ist der Einfluss allerdings sehr gering. Je tiefer aber der Einblick in die Traditionen der beiden Feiertage ist, desto deutlicher werden die Unterschiede. Die Feierlichkeiten auf den Friedhöfen gab es in Mexiko beispielsweise schon vor der Conquista, diese wurden nicht als Teil der Allerheiligen/Allerseelen-Traditionen übernommen. Wichtigster Unterschied ist jedoch das Feiern mit den Verstorbenen am Día de los Muertos, während Halloween sich auf eine (anscheinend erfundene) Tradition beruft, die bösen Geister Verstorbener abzuwehren.

Die Bräuche zum Día de los Muertos sind so umfangreich, dass sie diesen Artikel sprengen würden. Eventuell behandele ich sie in einem späteren Artikel, den wir dann hier verlinken werden.

Samhain in neuheidnischen Religionen

Im Wicca und anderen neuheidnischen Religionen ist Samhain der Beginn des neuen Jahres. Es markiert den Beginn der dunklen Jahreshälfte, die mit Beltane endet. Das neue Licht erwacht erst wieder an Jul, darum ist Samhain auch die dunkelste Zeit des Jahres.

Die Samhain-Feierlichkeiten markieren wörtlich und spirituell das Ende der der Erntezeit. Dies ist eine gute Zeit, um über das vergangene Jahr nachzudenken, erreichte und nicht erreichte Ziele zu würdigen und auch neue Pläne zu machen. Manchmal werden unliebsame Eigenschaften oder Angewohnheiten, die in der Selbstreflexion aufgedeckt werden, auf kleine Papierschnipsel geschrieben und in einem nächtlichen Feuer verbrannt, um sich ihrer symbolisch zu entledigen.

Die Feierlichkeiten selbst knüpfen nicht nur an die keltische Tradition an, sondern übernehmen auch den Gedanken von Allerseelen. Oft wird ein sogenannter Ahnenaltar zum Gedenken an Vorfahren und Verstorbene errichtet. Hier werden Fotos oder andere Erinnerungsstücke zum Gedenken gesammelt.

Ein wichtiger Punkt der Feierlichkeiten ist ein gemeinsames Essen. Meist wird es so organisiert, dass alle etwas für die gemeinsame Tafel mitbringen. Die mitgebrachten Dinge haben dabei oft einen Bezug zu den eigenen Vorfahren oder erinnern an Verstorbene. Manchmal werden auch Gegenstände auf einem gemeinsamen Ahnen-Altar platziert. Obwohl es eine gemeinsame Feier ist, wird das Mahl oft schweigend und nachdenklich verbracht. Die eigene Stimme soll schweigen, damit man die Stimmen der Verstorbenen hören kann.

Damit schließt die Betrachtung zu Halloween. Im Artikel zu Imbolc habe ich drei Feiertage beschrieben, die ihre Traditionen vermischt haben und quasi nur verschiedene Sichtweisen auf den gleichen Feiertag darstellen. Zu Samhain geschieht das Gegenteil: Drei (mit dem Día de los Muertos vier) unterschiedliche Feiertage werden fälschlicherweise als eine Einheit betrachtet. Auch die Traditionen der Feiertage werden dabei zusammengelegt und gedanklich unter einen Hut gebracht, was jedoch im historischen Kontext nicht stimmt.

Wer sich mit dem Weltenbau für eigene Kampagnen oder Geschichten beschäftigt, wird irgendwann auch zu dem Komplex „Glaube und Religion“ kommen. Hier kann es sich lohnen, komplexe Zusammenhänge wie den von Samhain, Allerheiligen/Allerseelen, Día de los Muertos und Halloween zu analysieren und auf ähnliche Feste in der Welt zu übertragen. Dadurch können vermeintliche Gemeinsamkeiten zwischen Glaubensrichtungen aufgebaut werden, die sich bei genauerem Hinsehen als falsch entpuppen. Auch ist es möglich, durch das Nachvollziehen von Traditionen gemeinsame Wurzeln bei verfeindeten Völkern nachzuweisen. Dies kann, je nach Verwendung, für interessante Erkenntnisse oder sogar Plot Twists innerhalb der Erzählung dienen.

Titelbild:  depositphotos ©LarioTus
Layout und Satz: Annika Lewin
Lektorat: Nina Horbelt

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