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Was, was, was? Scythe mit Kindern spielen? In der Welt von My Little Pony? Da bin ich doch dabei! Okay, für die Pony-Lizenz hat es am Ende nicht gereicht, aber die Geschichte, wie das Spiel entstand, und die Erlebnisse im Königreich Pomme sind beachtlich, vor allem für ein Familienspiel!

Das Königreich von Pomme ist das Kronjuwel der sieben Tierkönigreiche und heiß begehrt als Quelle von knackigen roten Äpfeln und magischen Edelsteinen. Jedes Jahr entsenden diese sieben Tierkönigreiche ihre vielversprechendsten Entdeckergeschwister, die die Sicheln zücken, um am Ernteturnier teilzunehmen. Das erste Geschwisterpaar, dass in diesem vier Trophäen gewinnt, wird zum neuen Regentenpaar in Schloss Immerfrei im Herzen von Pomme gekrönt.

Bereits bei zwei Erweiterungen zum namensgebenden Scythe hat Stonemaier Games Ideen aus der Fan-Gemeinde genutzt und in Zusammenarbeit mit der Community in die Veröffentlichung gebracht. Bei My Little Scythe ist das komplette Spiel aus Ideen der damals sechsjährigen Vienna Chou entstanden und mit ihrem Vater Hoby Chou entwickelt worden, bis es als Print&Play-Variante bei Boardgamegeek veröffentlicht wurde. Nach sehr positiver Resonanz bei den Scythe-Fans wurde das Spiel 2017 nach einiger Überarbeitung offiziell von Stonemaier Games veröffentlicht. Mehr zu dieser schönen Entstehungsgeschichte ist in einem Interview mit Hoby Chou und Jamey Stegmaier nachzulesen. 2018 hat die Spieleschmiede mit knapp 500 Unterstützenden für eine Veröffentlichung in deutscher Sprache gesorgt.

Als Scythe-Fan habe ich mich gefreut, die Familienvariante mit meinen Kindern, die vier und sechs Jahre alt sind, zu testen. Um das Spiel, und besonders die Altershürden, angemessen zu beleuchten, werde ich auch das Urteil der beiden einbeziehen.

Die Anlehnung an die Spielabläufe des großen Bruders Scythe ist beachtlich, denn es wird auf die schnellste Erreichung von vier Zielen gespielt (sechs bei Scythe) und in jeder Spielrunde genauso eine Aktion auf einem eigenen Spieltableau ausgewählt, die dann in der nächsten Runde nicht wiederholt werden darf. Auch wenn Scythe sicher in vielen Bereich komplexer ist, kann das kleine Scythe mit vielen ähnliche Mechaniken aufwarten: Das Tableau kann aufgewertet werden, es wird über ein Sechseckspielfeld bewegt, Rohstoffe gesammelt und Abenteuer erlebt. Sollte eine gegnerische Spielfigur daherkommen, wird diese bekämpft, hier allerdings mit einer stilechten Kuchenschlacht. Aber der Reihe nach:

Spielablauf

Bis zu sechs Mitspielende wählen zu Beginn ein Geschwisterpaar eines der sieben Tierkönigreiche (Tiger, Affen, Moschusochsen, Bären, Wölfe, Adler oder Wildschweine) aus. Für alle gibt es eine kurze Hintergrundgeschichte, die bei der Auswahl helfen kann, und Farbvorschläge für die Bemalung. Die am Ernteturnier teilnehmenden Geschwisterpaare errichten ihre Basislager am Rand des Königreichs, in dessen Mitte Schloss Immerfrei thront.

Die Platzierung der Startressourcen erfolgt über die zufällige Drehung dieses Sechsecks.

Von ihren Basislagern aus brechen die Wettstreitenden auf, die nötigen vier Trophäen zu erspielen. Dafür gibt es acht verschiedene Möglichkeiten, die jeder je einmal nutzen kann:

  • Lieferung von 4 Äpfeln nach Immerfrei
  • Lieferung von 4 Edelsteinen nach Immerfrei
  • Acht geschlossene Freundschaften
  • Drei Zauberkarten besitzen
  • Zwei Verstärkungsplättchen besitzen
  • Zwei Abenteuer bestehen
  • Acht Kuchen besitzen
  • Eine Kuchenschlacht gewinnen

In jedem Spielzug wird reihum eine von sechs möglichen Aktionen auf dem eigenen Spieltableau gewählt, jedoch kann nicht zweimal die gleiche Aktion in Folge genutzt werden.

Das Löwentableau: Sechs Aktionen in drei Gruppen „Bewegen“, „Entdecken“ und „Fabrizieren“ unterteilt.

Am häufigsten werden sicherlich die Geschwister bewegt, da hiermit Äpfel und Edelsteine auf dem Spielfeld eingesammelt und zum Schloss gebracht, Abenteuer erlebt sowie Kuchenschlachten ausgetragen werden können.

Die Abenteuerkarten, jede lädt zu einer kleinen Geschichte ein.

Für ein Abenteuer muss ein passender Marker aufgesammelt und eine Abenteuerkarte gezogen werden. Jede dieser Karten hat eine nette blaue Lösung, die meist Ressourcen kostet und andere Vorteile wie Freundschaft oder Kuchen bringt. Die rote Lösung ist meist unvorteilhaft für die anderen Mitspielenden, bringt ähnliche Vorteile auf Kosten von Freundschaft ein. Die dritte Option ist, das Abenteuer auszuschlagen und nur einen kleinen Vorteil zu bekommen, allerdings gilt das Abenteuer für die Trophäe dann nicht als bestanden, da die Karte abgeworfen wird.

Neue Äpfel, Edelsteine und Abenteuermarker werden über die beiden „Entdecken“-Aktionen in Pomme verteilt. Dabei werden Würfel für das Platzieren von Äpfeln, Edelsteinen und Abenteuermarkern geworfen, je nach gewählter Aktion einer zusätzlich für Äpfel oder Edelsteine. Sehr schön ist dabei die Mechanik, dass Freundschaften geschlossen werden, wenn die entdeckten Ressourcen auf Felder mit Figuren anderer Mitspielenden gelegt werden.

Die Farben der Zielregionen auf den Entdeckungswürfeln sind für Farbenschwache etwas schwer zu erkennen.

Die Farbe des Symbols auf dem Würfel gibt vor, in welchen der sechs Bereiche Pommes die neuen Marker gelegt werden müssen.

Wer bereits einige Ressourcen gesammelt hat, kann über die drei „Fabrizieren“-Aktionen Kuchen, Zauberkarten oder Verstärkungsplättchen herstellen. Ressourcen werden wie im großen Scythe auf dem Spielplan gesammelt. Das heißt, die Marker bleiben auf dem Brett und können mit den Geschwistern transportiert werden, was aber verlangsamt und dazu führt, dass durch Kuchenschlachten Äpfel und Edelsteine gestohlen werden können.

Für die Trophäe müssen drei Zauberkarten gesammelt werden, in Kuchenschlachten haben sie die aufgedruckten Werte.

Die Zauberkarten haben die Werte zwei bis fünf.
Verstärkungsplättchen haben sehr unterschiedliche Effekte für die Aktionen.

Die Verstärkungsplättchen verbessern die Aktionen „Bewegen“ oder „Fabrizieren“. Beim Kauf eines Plättchens wird für eine der Aktionen eines aus drei gezogenen ausgewählt, das ab dann die Aktionen in diesem Bereich verbessert. Sind beide Aktionen auf diesem Weg verbessert, gewinnt das Geschwisterpärchen eine Trophäe.

Was ist denn jetzt mit den Kuchenschlachten? Treffen sich zwei gegnerische Turnierteilnehmende, findet auf einem Feld eine Kuchenschlacht statt. Beide Seiten entscheiden geheim, wie viele ihrer Kuchen sie werfen und ob sie zusätzliche eine Zauberkarte einsetzen wollen. Die eingesetzten Kuchen und die Zahl auf der Zauberkarte werden zusammengezählt und die höhere Gesamtzahl gewinnt. Wer verliert, muss sich in sein Basislager zurückziehen, erhält als Entschädigung aber entweder eine Zauberkarte oder zwei Kuchen. Wer gewinnt, bekommt die Kuchenschlacht-Trophäe und gegebenenfalls Äpfel und Edelsteine, die auf dem Feld liegen.

Mit Kuchenschlachträdern werden die Einsätze geheim eingestellt und gleichzeitig aufgedeckt.

Sobald ein Geschwisterpaar vier Trophäen erspielt hat, haben die anderen noch jeweils einen Zug. Wer danach vier Trophäen hat, gewinnt das Spiel. Bei Gleichstand gewinnt das Geschwisterpaar mit den meisten Freundschaften.

Ausstattung

My Little Scythe liegt mit 45 Euro aktuell im preislichen Mittelfeld, bei Kinderspielen sicherlich mindestens im oberen Mittelfeld. Allerdings ist es dafür ordentlich ausgestattet, wie man es von Stonemaier Games gewohnt ist. 14 schöne Miniaturen, die zum Anmalen einladen, werden von reichlich Karten, Markern und schicken Apfel- und Kristallspielsteinen begleitet, die zum Spielen auffordern.

Das mitgelieferte Insert ist von Game Trayz und deutlich besser als Standardeinsätze. Im Grundspiel sind bereits Fächer für die Erweiterungsfiguren vorgesehen. Allerdings hält das Insert die Komponenten leider nicht an ihrem Platz, wenn das Spiel aufrecht oder auf dem Kopf getragen wird.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Stonemaier Games
  • Autor*innen: Hoby Chou, Vienna Chou
  • Erscheinungsjahr: 2017
  • Sprache: Deutsch
  • Spieldauer: 45-60 Minuten
  • Spieler*innenzahl: 1 2 3 4 5 6
  • Preis: ca. 45 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon

 

Erweiterung/Varianten/­Bonus/Downloadcontent

Um die Abwechslung zwischen den Partien zu erhöhen, kann mit den Eigenschaftskarten gespielt werden. Jedes Geschwisterpaar erhält zufällig eine der acht Eigenschaften und damit eine der Trophäen einfacher. Gerade in den ersten Partien geben die Eigenschaften etwas Orientierung, was hilfreich sein kann.

Die 8 Starteigenschaften senken jeweils die Anforderungen einer der acht Trophäen.

Wie bei Stonemaier Games gewohnt, gibt es auch bei My Little Scythe Regeln für das Solospiel. Auch die „Automountie“-Regeln stammen wieder aus dem Hause Automa Factory. Diese Regeln steuern einen automatisierten Gegenspieler über 21 Karten. Dieser kann bei Bedarf in einem Spiel mit mehreren Mitspielenden verwendet werden und bietet die Möglichkeit, in fünf Schwierigkeitsstufen eingestellt zu werden.

Material der Erweiterung „Kommt ein Kuchen geflogen“ (2020).

Mit der Erweiterung Kommt ein Kuchen geflogen (knapp 400 Unterstützende in der Spieleschmiede) aus 2020 wird die Idee von der Scythe-Erweiterung Kolosse der Lüfte von 2018 aufgegriffen. Mit Füchsen und Eulen treten zwei neue Geschwisterpaare zu Turnier an und mit dem Luftschiff kommt eine weitere Miniatur für alle ins Spiel. Das Spiel wird darüber hinaus mit einer weiteren Trophäe für jede Spielfarbe noch ein wenig verlängert, man braucht nun fünf der acht Trophäen, um das Spiel zu beenden.

Um das Spiel noch abwechslungsreicher zu machen, bekommen alle Mitspielende eine der zehn Spielermattenerweiterungen für die Luftschifffähigkeiten. Diese werden entweder zufällig verteilt oder es wird mit den Geschwisterpaaren zugeordneten Fähigkeiten gespielt.

Spielertableau der Löwen mit Luftschiffergänzung der Erweiterung.

Genutzt wird das Luftschiff bei den „Entdecken“-Aktionen mit einem eigenen weiteren Würfel. Mit diesem bewegt das aktive Geschwisterpaar das Luftschiff bei einem gewürfelten Boost sechs Felder oder so viele Felder, wie ihm noch Trophäen fehlen, über die Karte Pommes. Wo das Luftschiff anhält, kann entweder ein Apfel oder ein Edelstein in den Lagerraum der eigenen Luftschiffmatte geladen oder die Fähigkeit der Matte genutzt werden. Wird dabei einem anderen Mitspielenden etwas gestohlen, bezahlt das Geschwisterpaar dafür zwei Freundschaften. Die eingeladenen Rohstoffe können dann später für „Fabrizieren“-Aktionen, Lieferungen oder Abenteuer genutzt werden, unabhängig davon, wo das Luftschiff sich gerade befindet.

Die unterschiedlichen Luftschifffähigkeiten, einige bringen noch zusätzliche Spielmarker mit.

Fazit

Nachdem jetzt die meisten Produkte der Scythe-Familie besprochen sind, bin ich ein bisschen traurig darüber, dass es keine weiteren Mitglieder geben soll. Denn jeder Titel daraus hat mir viel Freude bereitet, so auch My Little Scythe. Auch wenn meine Kinder noch etwas jung für die angegebenen „ab 8 Jahren“ sind, hat es mir und ihnen Spaß gemacht, in das Königreich Pomme einzutauchen. Die Altersangabe ist gut gewählt, da das Spiel mit Lesen, Addieren, Bluffen, Spielmaterial geheim halten, Konfrontation und taktischen Entscheidungen schon einige Anforderungen an junge Mitspielende stellt. Da das Thema und das Spielmaterial aber sehr kindgerecht sind und es sich mit Kompromissen gut unterstützen lässt, war der Spielspaß für Alt und Jung in allen vier Spielrunden groß. In den angegebenen 45-60 Minuten waren unsere Partien immer durchgespielt. Durch die acht unterschiedlichen Trophäenziele können die Kids unterschiedliche Wege in neuen Partien ausprobieren, was gut ankam.

Meinem sechsjährigen Sohn haben vor allem die Abenteuer, zu deren Bildern er sich eine kurze Geschichte überlegen konnte, und die Zauberkarten gut gefallen. Er mochte es, in jeder Partie neue Varianten auszuprobieren. Auszusetzen hatte er an dem Spiel nichts.

Meiner Vierjährigen haben vor allem die Kuchenschlachten, über die natürlich jedes Mal kräftig gekichert werden musste, gefallen. Es flogen immer alle Kuchen und Zauberkarten, Ergebnis egal! Ebenso hat sie den Spielzeugfaktor auch nach den Partien voll ausgekostet, die Geschwisterpaare auf dem Brett alle einander vorgestellt, Äpfel und Edelsteine gestapelt sowie Zauber und Abenteuer ausgesucht.

An die Erweiterung haben wir uns bislang erst einmal gewagt. Da das Spiel dadurch länger wird, sprengt es den Rahmen für jüngere Kids doch etwas. Wir werden es aber auf jeden Fall bald wieder auf den Tisch bekommen, da das Ausprobieren des Luftschiffs und der neuen Fähigkeiten die beiden neugierig macht. My Little Scythe füttert also weiter meine Hoffnung, dem Spielnachwuchs weiter Nahrung zu geben und ihn motiviert bei diesem schönen Hobby halten zu können.

Für Jugendliche könnte das Thema irgendwann zu niedlich sein, dann ist bestimmt die Zeit gekommen zum großen Bruder Scythe zu wechseln, vor allem wenn in jungen Jahren bereits mit My Little Scythe geübt werden konnte.

Ich gebe „nur“ vier von fünf Punkten, da die Konkurrenz im Kinderspielmarkt hoch ist und ich, gerade mit der Erweiterung, den Preis etwas hoch finde für ein Familienspiel.

  • Spielmaterial
  • Einstieg in komplexere Spiele
 

  • Preis (für ein Kinderspiel)

 

 

Artikelbild: © Stonemaier Games
Fotografien: Niko Kwekkeboom, Tobias Wörenkämper
Layout: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Jessica Albert
Dieses Produkt wurde als Rezensionsware zur Verfügung gestellt.

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