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Wenn deine Spieler*innen erst kurz vor dem schon lange ausgemachten Termin absagen (oder auch einfach nicht erscheinen), dann hat eure Spielrunde ein Problem. Spielt ihr einfach ohne sie weiter, etwas anderes oder gar nicht? In diesem Artikel findest du eine kurze Übersicht über die Alternativen.

Einleitung – Ein Spieleabend, der so nicht stattfand

Für alle Rollenspieler*innen, die schon etwas länger spielen, tut sich irgendwann dieses Problem auf: Was macht man, wenn die Gruppe nicht vollzählig versammelt ist und spielfreudig den Abend beginnen möchte? Allzu oft kommen Hindernisse wie berufliche, familiäre und anderweitige Verpflichtungen zwischen dich und das beste Hobby der Welt. Eine jede Runde muss die Frage, ob in einem solchen Fall überhaupt gespielt werden soll, über kurz oder lang für sich beantworten. Manche Runden leiden darunter sehr, manche überhaupt nicht, für die meisten Spielrunden wird es ein lästiges, zu vermeidendes Ärgernis sein.

In diesem Artikel möchte ich die ein oder andere Hilfestellung zu diesem Problem geben. Vielleicht ist für euch eine Anregung darunter, die man probieren könnte.

Uns wen’ge, uns beglücktes Häuflein Brüder – wenn nur ein*e Spieler*in fehlt

„Zum Tode ausersehn, sind wir genug
Zu unsers Lands Verlust; und wenn wir leben,
Je klein’re Zahl, je größres Ehrenteil.
Wie Gott will! Wünsche nur nicht einen mehr!“

Shakespeare, Heinrich V., Rede zum St. Crispianustag

Jede*r hat sich auf den Spieleabend gefreut, ist – mehr oder weniger – pünktlich erschienen und bereit zu spielen. Alle, bis auf eine*n. Ein*e Spieler*in hat es nicht geschafft, wird heute nicht mitspielen, und ebenso wenig der gespielte Charakter. Blöderweise ist gerade dieser Charakter der*die Spezialist*in für die Aufgabe, welche sich an diesem Abend stellen wird. Sei es ein Einbruch in einer gesicherten Einrichtung, eine geschickte Verhandlung mit einem wichtigen NSC, ein großer Schaukampf vor zahlreichem Publikum oder unzählig viele Möglichkeiten mehr. Es ist immer dann besonders schade, wenn ein Charakter fehlt, wenn die nächste Szene genau für diesen Charakter (oder Spieler*in) passend wäre.

Viele Runden spielen gerechtfertigt trotzdem an dem Abend. Auch ohne den Charakter und den*die Spieler*in. Dies kann aus unterschiedlichen Gründen so entschieden werden. Zum einen wäre es ungerecht gegenüber den anderen Spieler*innen, die es zum gemeinsamen Abend geschafft haben, einfach nicht zu spielen. Schließlich will und kann ein Großteil der Runde eine Geschichte erleben. Zum nächsten ist es ein gewisser Anreiz für „volatilere“ Zeitgenoss*innen, sich doch noch um ein rechtzeitiges Erscheinen zu bemühen, wenn sie wissen, dass die Geschichte auch ohne sie stattfinden kann. Schließlich ist es eine Möglichkeit, für andere Spieler*innen und ihre Charaktere, zu glänzen, obwohl es vielleicht nicht ihr bevorzugtes Fachgebiet ist. Im „echten Leben“ kommt es ebenfalls oft genug vor, dass eine Gruppe improvisieren muss. Und vielleicht ist genau das eine Gelegenheit für die anwesenden Charaktere, neue Seiten an sich zu entdecken.

Jedenfalls solltet ihr euch als Gruppe schon zu Beginn eures Spiels darauf geeinigt haben, was geschieht, wenn eine gewisse Anzahl – eine*r, zwei oder gar mehr – an Spieler*innen nicht an einem Abend mitspielen kann. Die Kampagne für den Abend auszusetzen ist genau so legitim wie weiterzuspielen, nur sollte es für alle klar kommuniziert worden sein.

Eine andere Option für die Wagemutigen unter euch wäre der folgende Ansatz.

Wir spielen, egal was kommen mag!

Ein Weg für die hartgesottensten Purist*innen unter euch. Wenn man zum Beispiel gegen Vampirfürst Strahd von Zarovich ohne Kleriker*in und die dazu gehörige Heilfertigkeiten ins Feld ziehen möchte, ist das möglich – wenn auch selbstmörderisch. Oder wenn ihr ein anderes Mal in eine magisch gesicherte Villa in der Stadt Ravnica ohne eine*n ausgefuchste*n Dieb*in einbrechen will, kann das natürlich gut gehen. Kann. In den meisten Fällen (und ja, beide Beispiele wurden so ausgespielt) wird die Abwesenheit eines*r Experten*in in der Gruppe allerdings zu einem unterwältigenden Spielerlebenis und möglicherweise lange anhaltendem Frust in der Gruppe führen, der sich negativ auf die nächsten Spielabende und die Kampagne selbst auswirken wird. Warum also sollte man überhaupt ohne vollzählige Gruppe spielen?

Weil das Spiel umso mehr Spaß macht, je größer das Hindernis war. Einen Einbruch beispielsweise kann jede*r professionelle Dieb*in begehen, schließlich ist dies das ureigenste Metier dieser Klasse. Umso größer kann die Freude der Spieler*innen sein, wenn man es ohne den*die Spezialisten*in geschafft hat. Das soll keineswegs die Leistung der spezialisierten Klassen schmälern. Aber jeder Spielrunde wird es über kurz oder lang passieren, dass die Spezialist*innen nicht dabei sind. Und dann heißt es improvisieren…

Aber wie gesagt, dieser Ansatz ist nur etwas für Gruppen, die auch ein Scheitern verkraften können. Allzu viele Runden vertragen Rückschläge nur in geringen Dosen und werfen dann dem*der abwesenden Person vor, warum man nicht anwesend war. Wenn man sich als Spielleitung diesen Schritt (noch) nicht zutraut, sind vielleicht andere Möglichkeiten passender.

Wir spielen eine spezielle Szene für die Anwesenden

Eine Möglichkeit für eine temporär verkleinerte Spielrunde ist das Ausspielen bestimmter Szenen, für welche die gesamte Gruppe zu groß oder einfach unpassend gewesen wäre. Die sogenannte Sidequest kann das probate Mittel der Wahl darstellen, mit deren Hilfe man erstens das Problem des*der abwesenden Spielers*in überspielen kann, und zweitens den anwesenden Spieler*innen ein wenig wohl verdientes Rampenlicht zukommen lassen kann.

Improvisieren will geübt sein. © Depositphotos | alistairjcotton
Improvisieren will geübt sein. © Depositphotos | alistairjcotton

Bieten sich vielleicht Möglichkeiten für die anwesenden Charaktere, ihre Stärken in einer eigenen Szene ausspielen zu können? Möchte die Spielleitung eventuell das Fehlen eines Charakters nutzen, um die Spieler*innen genau diese Lücke in der Gruppe spüren zu lassen? Was geschieht, wenn der*die Magier*in, der*die Krieger*in, die Kundschafter*innen oder der*die Bard*in ihre speziellen Talente nicht beisteuern können? Dieses Fehlen kann zu durchaus spannenden Szenen führen.

Der Nachteil an diesem Ansatz ist, dass er von der Spielleitung viel Improvisationstalent verlangt und sich kaum vorbereiten lässt (außer, die Abwesenden haben ihr Nichtkommen schon etwas länger angekündigt. In diesem Fall kann man als Spielleitung natürlich etwas Entsprechendes vorbereiten). Für erfahrene Spielleitungen, welche einen Werkzeugkoffer voller möglicher Szenen und Handlungsstränge parat haben, ist das natürlich kein großes Problem. Man sollte allerdings Acht geben, dass die abwesenden Charaktere entweder immer noch bei der Gruppe sein werden oder irgendwo sinnvoll zwischen geparkt wurden. Wenig macht mehr Ärger, als eine Gruppe wieder mühsam zusammenführen zu müssen.

Wir haben das schon ewig nicht mehr gespielt…

Wenn das Rollenspiel nicht stattfinden kann, weil bestimmte Spieler*innen fehlen, und niemand eine Sidequest absolvieren möchte, alle Anwesenden trotzdem in Spiellaune sind, ist es durchaus an der Zeit, mal das Brettspielregal abzustauben und ein paar alte Bekannte zu besuchen. Die allermeisten von uns werden wahrscheinlich ein viel zu volles Spielregal und zu selten gespieltes Brettspiel ihr eigen nennen, das sie gerne wieder einmal spielen würden. Und da eine Rollenspielrunde so gut wie immer für etwas mehr als drei Stunden angesetzt ist, sollte die Mehrzahl aller Brettspiele durchaus in dieser Zeit schaffbar sein. Es sei denn, man möchte die ganz großen Spiele wie Western Empires, Eclipse oder Diplomacy auspacken, dann könnte es natürlich ein wenig länger dauern.

Das Brettspiel muss hier nicht einmal als „Ersatz“ betrachtet werden. Ihr habt euch schließlich getroffen, um eine schöne Zeit miteinander zu verbringen. Wenn diese Zeit jetzt nicht mit einer bestimmten Geschichte, sondern einem anderen Spiel verbracht wird, ist das nichts weniger Schönes. Und die Spielleitung hat wieder etwas mehr Zeit zur Vorbereitung für den nächsten, besseren Spieleabend gewonnen.

Zeit, die Klassiker zu entstauben... © Depositphotos | VadimVasenin
Zeit, die Klassiker zu entstauben… © Depositphotos | VadimVasenin

Aber es ist doch Lockdown! Wir spielen nur online.

Gerade in Seuchenzeiten spielt eine große Anzahl von Runden vernünftiger- oder auch gezwungenerweise sowieso online. Wenn die Spieler*innen nicht vor Ort sind und jemand kurzfristig absagt, ist die Versuchung natürlich größer, sich kein Ersatzprogramm zu suchen und wieder auseinanderzugehen bzw. sich ein eigenes Unterhaltungsprogramm zu suchen (praktischerweise sitzt man ja schon vor der Unterhaltungsmaschine Computer). Aber wie auch in jeder anderen Lage bietet das Internet eine mögliche Lösung: Mittlerweile sind genügend Alternativen für gepflegtes gemeinsames Brettspiel übers Internet vorhanden, sodass man einen nicht stattfindenden Rollenspielabend auch bei einer Partie Hive oder Carcassonne verbringen kann. So wie die Rollenspieler*innen Roll20 oder andere Plattformen zum gemeinsamen Spielen haben, bieten Seiten wie beispielsweise https://boardgamearena.com/ eine unglaubliche Vielzahl an Möglichkeiten, gemeinsam Brett- und andere Spiele zu bestreiten.

Wir spielen nicht, wir reden nur.

Wenn die Anwesenden sowieso nicht wirklich in Spiellaune, sondern vor allem der Gesellschaft wegen anwesend sind (wie es in vielen Spielrunden der Fall sein dürfte), kann man den angebrochenen Abend durchaus mal bei einem gemeinsamen Getränk und gemütlichen Plaudern ausklingen lassen. Rollenspiel ist schließlich immer noch eine Freizeitbeschäftigung und keine Verpflichtung. Diese Variante ist auch gegenüber den Leuten, die ohne eigenes Verschulden nicht kommen konnten, sehr fair, schließlich versäumen sie nichts von der gespielten Geschichte.

Gerade in Runden, die ansonsten ohnehin nicht allzu viel Zeit für ihr Spiel aufbringen können, ist das eine erfrischende Gelegenheit, über das Spiel abseits des Spieles zu reden – was einem bis jetzt gut oder schlecht gefallen hat, was man wieder gerne oder niemals wieder erleben möchte oder was man sich für das zukünftige gemeinsame Spiel erhofft. Das Austauschen von Wünschen, Ideen und Vorstellungen kann zu ganz unerwarteten Entwicklungen der Runde führen, die ansonsten vielleicht gar nicht aufgekommen wären.

Es ist aber ebenso legitim, mit den anderen Menschen, mit denen man doch einen erklecklichen Teil seiner Freizeit verbringt (und das in den meisten Fällen freiwillig), über andere Sachen als Pen-and-Paper Rollenspiel zu plaudern. Fühlt euch nicht dazu gezwungen, dass man über das Spiel sprechen muss. Es kann auch einfach eine schöne Gelegenheit sein, interessante (denn alle Rollenspieler*innen sind interessante Persönlichkeiten) Menschen näher kennen zu lernen.

Fazit

In jedem Fall ist es eine gute Idee, die Alternativen für einen ausgefallenen Spieleabend im Vorhinein zu besprechen. Kurzfristige Absagen können geschehen und Vorwürfe sind nicht immer angebracht. Wollt ihr lieber nur mit allen gemeinsam spielen, gibt es eine Ausfallquote, unter der auf jeden Fall gespielt wird, gibt es spezielle Charaktere, die auf jeden Fall für die Queste dabei sein müssen? Oder wird einfach mit allen, die da sind, gespielt, und alles weitere ergibt sich von alleine?

Jeder der beschriebenen Ansätze ist legitim und wird von vielen Runden gerne genutzt. Womit ihr euch am wohlsten fühlt, sollte aber idealerweise schon ziemlich zu Beginn der Spielrunde besprochen worden sein. Ad hoc-Entscheidungen der Spielleitung können mitunter zu bösem Blut führen, wenn das Fehlen eines Charakters zur Pause führt, bei der Abwesenheit eines anderen Charakters aber munter gespielt wird. Wenn einzelne Charaktere besonders wichtig für eine Szene sind, sollte man das bei der Begründung einer Absage als Spielleitung erwähnen.

Seht einen entfallenen oder anderweitig genutzten Spieleabend nicht als verloren an. Es gibt eine Vielzahl an Möglichkeiten, wie man mit lieben Mitspieler*innen die verplante Zeit nutzen kann. Der Sinn und Zweck von Pen-and-Paper Rollenspiel ist gemeinsamer Spaß, und den kann man auch mit anderen Konstellationen und Spielen haben.

Viel Spaß bei eurem Spieleabend!

 

 

Artikelbilder: © Depositphotos | stocksnapper
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat: Jessica Albert

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