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Nach dem grandiosen Erfolg der Rollenspiele zu den narrativen Art Books von Simon Stålenhag Tales from the Loop werfen wir nun einen Blick auf die Brettspiel-Adaption. Kann auch diese Variante mit erzählerischer Tiefe überzeugen und uns in die 80er zurückversetzen?

Ich behaupte gerne, ein Kind der 80er-Jahre zu sein. Das mag aufgrund meines Geburtsdatums auch stimmen, doch wirklich miterlebt habe ich diese Zeit nicht. Dennoch hat mich diese – in der heutigen Popkultur – sehr populäre Dekade immer fasziniert, insbesondere die Musik. Daraus lässt sich auch die Faszination für moderne Adaptionen wie Stranger Things ableiten. Und auch die Rollenspiele zu den Art Books von Simon Stålenhag haben mich in ihren Bann gezogen. „Die 80er, die es nie gab“ sind in ihren in den Vereinigten Staaten, Schweden und auch in Deutschland spielenden Varianten hoch interessante Rollenspielerfahrungen, und auch die Serie bei Amazon Prime ist durchaus einen Blick wert.

Dank der Magnetrin-Technologie ist intelligente Robotik und ähnliches in der Welt des Spiels keine Zukunftsmusik. Das gesamte Setting vermittelt durch die Darstellung dieser retrofuturistischen Technik sehr passend das Gefühl, in einer alternativen Zeitlinie zu sein und nicht lediglich in einem Jahrzehnt, das dem realen Pendant um einige Jahre voraus ist.

Im Brettspiel-Ableger, den wir uns hier ansehen, begeben wir uns erneut nach Schweden, genauer gesagt auf die Mälar-Inseln. Wir schlüpfen in die Rolle von Kindern, die diese faszinierende Welt erkunden – ihre Mysterien, Geheimnisse, Gefahren ebenso wie die eigene Familie, Freunde und das Schulleben.

Eines der Kinder und die detaillierten Maschinen-Minis
Eines der Kinder und die detaillierten Maschinen-Minis

Spielablauf

Zu Beginn jeder Partie wird eines der vorgegebenen Szenarien ausgewählt. Sollten die Hauptszenarien durchgespielt sein, bietet Tales from the Loop auch einen Sandbox-Modus, also ein Szenario mit zufälligen Ereignissen und Handlungssträngen.

Durch die Wahl des Szenarios wird auch definiert, wie das Spiel gewonnen werden kann. Zwar muss man zumeist erst in der Geschichte voranschreiten, um die endgültigen Bedingungen zu erfahren, aber die ersten Etappenziele sind bereits zu Anfang bekannt. Man sollte jedoch immer die beiden wichtigen Anzeigen für Insight und Enigma im Auge behalten. Erstere Anzeige ist fast immer für positive Verläufe, Enigma entsprechend für negative Auflösungen zuständig.

Um zu den jeweiligen Zielen zu gelangen, werden mehrere Tage (Runden; wie viele, bestimmt das Szenario) gespielt, die aus je drei Phasen bestehen. Zu Beginn steht immer die Schulphase. Ist der zu spielende Tag ein Montag, erhalten alle Kinder ihre Chores, also persönliche Aufgaben, die zu erfüllen sind. An einem Wochentag werden alle Figuren der Kinder auf das Feld der Schule gestellt, am Wochenende auf das jeweils eigene Zuhause. Zudem kommen neue Gerüchte auf den Spielplan, denen man nachgehen kann, und alle Kinder bekommen ihre verbrauchten und verfügbaren Zeitmarker zurück. Wenn es kein Wochenende gibt, wird ein Schulereignis abgehandelt.

Zwei mögliche Schulereignisse
Zwei mögliche Schulereignisse

Anschließend werden alle Maschinen aktiviert. Sie werden bewegt, und je nachdem, an welche Orte sie grenzen, in den Routine-Modus oder den wesentlich aggressiveren Alert-Modus versetzt. Welcher Modus nun zutrifft, hängt vom Ort ab, an den die Maschinen angrenzen. Dies ist manchmal gar nicht so einfach zu erkennen und nachzuvollziehen. Ebenso wie die Bewegung der Maschinen. Diese verläuft anders als später bei den Kindern nicht von Ort zu Ort, sondern von Quadrant zu Quadrant, und diese sind auf dem Spielfeld nicht immer gut auszumachen.

Eine Übersichtskarte für eine Maschine
Eine Übersichtskarte für eine Maschine

Anschließend dürfen die Kinder ihre Aktionen ausführen. Hierfür verwenden sie die ihnen zur Verfügung stehenden Zeitmarker. In der Regel hat man sechs dieser Würfel zur Verfügung. Leiden die Kinder jedoch an einem oder mehreren der Zustände Hausarrest, Erschöpft, Aufgebracht, Verängstigt oder Verletzt, stehen entsprechend weniger Aktionen zur Verfügung.

Die möglichen Aktionen sind sehr vielfältig und werden sehr übersichtlich auf dem eigenen Charaktertableau aufgelistet. Allein, um sich von Ort zu Ort zu bewegen, gibt es mehrere Möglichkeiten. Man kann zu Fuß zu einem angrenzenden Ort laufen, oder man nimmt den Bus um zwischen zwei Orten, die durch Haltestellen miteinander verbunden sind, hin und her zu reisen. Oder, wenn man in der Gunst der eigenen Eltern noch hoch im Kurs steht, kann man sich von diesen zu einem beliebigen, nicht gesperrten Ort fahren lassen.

Zwei Charaktertableaus. Einmal in der 2–3- und einmal in der 4–5-Personen-Variante
Zwei Charaktertableaus. Einmal in der 2–3- und einmal in der 4–5-Personen-Variante

Um aber wirklich Kind sein zu können und Abenteuer zu erleben, bedarf es mehr, als nur den Bewegungsdrang zu stillen. Daher kann man auch Maschinen auskundschaften, um Informationen über deren Firewall zu erhalten, oder Gerüchte, bevor man sich mit der Untersuchen-Aktion an einer Probe versucht. Eine solche Probe besteht aus einem Würfelwurf auf eine bestimmte Eigenschaft. Standardmäßig dürfen für eine Probe drei Würfel verwendet werden, und eine Sechs zählt als Erfolg. Sind andere Kinder vor Ort, können bis zu zwei Kinder helfen und so maximal zwei zusätzliche Würfel beisteuern. Besitzt man ein Item, dessen Farbe zur Probe passt, erhöht dies ebenfalls den Pool um einen Würfel. Zudem besitzen die Kinder je eine besondere Stärke und eine Schwäche. Je nach Spielendenzahl erhält man für eine Probe der eigenen Stärke mehr, für eine Probe der eigenen Schwäche weniger Würfel. Dies wird auf dem Charaktertableau durch einen sehr praktischen, wendbaren Marker angezeigt, sodass man immer den Überblick behält, bei wie vielen Personen wie viele Würfel genommen werden dürfen. Eine Probe kann automatisch bestanden werden, wenn man zwei Items besitzt, die eine bestimmte Combo ergeben. So kann ein Gerücht nach einer bestimmten Probe oder beispielsweise der Combo Explosive verlangen. Besitzt man nun Items mit den Eigenschaften Fire und Battery ist es möglich, die Combo zu bilden und die Probe automatisch zu gewinnen. Ein Bestehen der Gerüchte-Proben triggert in den meisten Fällen ein Steigen der Insight-Anzeige, ein Fehlschlag das der Enigma-Anzeige. Das kann jedoch von Szenario zu Szenario variieren und ist leider nicht sehr intuitiv.

Die möglichen Combos hier sind Reach und Interface.
Die möglichen Combos hier sind Reach und Interface.

Um möglichst effektiv die erwähnten Combos bilden zu können, gibt es die Aktionsmöglichkeit des Tauschens. Das aktive Kind gibt hierbei einen Zeitmarker aus und kann damit einen Gegenstandstausch zwischen allen an diesem Ort befindlichen Kindern initiieren.

Die bereits angesprochenen Proben sind nicht nur bei Gerüchten nötig. Auch die bereits angesprochenen Schulereignisse oder Chores können solche Proben beinhalten. Sind es in diesen Beispielen jedoch meistens einzelne Proben auf eine einzige Eigenschaft, ist das Hacken von Maschinen schon wesentlich umfangreicher. Das Hacken ist eine Aktion, die die Kinder so viele Zeitmarker kostet, wie die Maschine Firewall-Marker besitzt. Und jeder dieser Marker erfordert eine eigene Probe. Hier sind entweder wieder die bekannten Eigenschaften nötig oder je nach Maschine besondere Trigger. Waren bislang alle Aktionen eher knackig und schnell zu erledigen, kann hier der Spielfluss durchaus etwas ins Stocken geraten. Es kann sich jedoch oftmals lohnen, dieses Risiko einzugehen, denn eine gehackte Maschine kann für die eigene Fortbewegung genutzt werden und hilft so, größere Strecken zurückzulegen.

Als letzte freiwillige Aktion steht es den Kindern frei, sich während ihres Zuges auszuruhen. Hierbei darf man sich einen Zeitmarker von einem Zustand (außer Hausarrest) für die nächste Runde zurückholen. Um den eigenen Tag abzuschließen, müssen die Kinder nach Hause. Je nach letzter Position kostet es unterschiedlich viele Zeitmarker, sich nach Hause zu bewegen. Wenn man diese Kosten nicht bezahlen kann, muss man an Ort und Stelle bleiben.

Ist die Abenteuerphase abgeschlossen, geht es ans Rundenende. Sollte man mehr als vier Items besitzen, muss man entsprechend viele abwerfen. Kinder, die rechtzeitig zum Essen zu Hause waren, dürfen in der Gunst ihrer Eltern aufsteigen. Böse Kinder fallen entsprechend und werden bei der niedrigsten Gunststufe in den Hausarrest versetzt. Marker auf der Verletzt-Leiste rücken weiter oder wandern zurück in den eigenen Pool. Nun prüfen alle Kinder, ob sie die Voraussetzungen ihrer persönlichen Aufgabe erfüllt haben. Ist dies der Fall, darf die positive Auswirkung ausgeführt werden. Ist auf der Wochenleiste der Tag mit der Aufschrift Chores erreicht und die persönliche Aufgabe wurde nicht erfüllt, gibt es negative Konsequenzen.

Mögliche Chores. Lästige Hausarbeiten
Mögliche Chores. Lästige Hausarbeiten
In diesem Szenario endet das Spiel spätestens Ende der zweiten Woche.
In diesem Szenario endet das Spiel spätestens Ende der zweiten Woche.

Diese Phasen werden so oft wiederholt, bis entweder das positive oder das negative Szenarioziel erreicht oder das Ende einer bestimmten Woche gespielt wird. Welche Woche dies ist, wird zu Beginn des Szenarios erläutert.

Ausstattung

Das Material des Spiels ist sehr stimmungsvoll und immersiv. Alles an dem Artwork und der Aufmachung schreit das liebevolle Retro-Feeling quasi heraus. Die Grafiken von Simon Stålenhag beweisen erneut, dass sie für verspielte Medien wie gemacht sind. Alles hat in der Box durch ein gut durchdachtes Sortiersystem seinen Platz, lediglich die szenariospezifischen Marker müssen etwas improvisiert in Tütchen gelagert werden. Die Miniaturen der Maschinen sind zweckmäßig, aber in der „normalen“ Version eher Standardwerk. In der Deluxe-Version mit den vorbemalten Minis bietet sich jedoch ein wunderschöner Anblick, denn die Farbwahl fügt sich nahtlos in die Gesamtoptik ein.

Ein Blick in die Box
Ein Blick in die Box

Ein im ersten Moment eher unscheinbares Highlight verbirgt sich hinter den Dual-Layer-Charaktertableaus. Neben den Grundinformationen wie Name, Heimatort und Porträt finden sich hier alle möglichen Aktionen kurz und knapp aufgelistet. Die Zeitmarker können wunderbar in den Vertiefungen platziert werden, um ausgegebene Aktionen oder Zustände ohne Angst vor Verrutschen anzuzeigen. Die Idee des wendbaren Markers, um Stärken und Schwächen je nach Personenzahl in Erinnerung zu rufen, ist so einfach wie genial. Manchmal braucht es keine Doktorarbeit, um Spielende glücklich zu machen.

Neben der leider nicht gut strukturierten Anleitung gibt es auch ein Begleitheft. Dieses hilft dabei, sich in die Welt des nun zu spielenden Kindes hineinzuversetzen. Gerade für Personen, die bislang keine Berührungspunkte mit der Serie hatten, ist das ein toller Service.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Free League Publishing
  • Autor*in(nen): Rickard Antroia, Martin Takaichi
  • Erscheinungsjahr: 2022
  • Sprache: Englisch
  • Spieldauer: 90 bis 180 Minuten
  • Spieler*innen-Anzahl: 1 2 3 4 5
  • Alter: ab 14 Jahren
  • Preis: ca. 70 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, idealo

 

Bonus/Downloadcontent

Auf der Webseite von Free League Publishing gibt es das Regelheft zum Download.

Fazit

Tales from the Loop – The Board Game hinterlässt mich an einigen Stellen sehr zwiegespalten zurück. Das Spiel macht sehr viel richtig und bietet gerade für Fans der Serie eine wunderbare Erfahrung, die nicht der Vorbereitung eines Rollenspiels bedarf. Die kurzen und knackigen Flavour-Texte der Karten helfen der Immersion, und das Artwork hat eine fast schon melancholisch-hypnotische Wirkung. Die grundsätzlichen Regeln und der Spielablauf sind trotz der nicht gut geschriebenen und eher chaotischen Anleitung sehr schnell verinnerlicht, und die Spielhilfen und Charaktertableaus sorgen dafür, dass niemand verloren sein muss. Es ist jedoch ratsam, eine Person zu bestimmen, die während des gesamten Spiels die Regeln für das Erhöhen und Verringern der Insight- oder Enigma-Anzeige überwacht. Sowohl die Grundregel für das Erhöhen durch Gerüchte als auch die szenarioeigenen Regeln sind absolut nicht intuitiv und stehen in fast schon dramatischem Kontrast zum Rest des Regelwerks. Aber auch nur fast, denn übertrumpft wird dies noch durch die Regeln für die Maschinen. Schon die Bewegung ist wie oben beschrieben durch die nicht klare Kennzeichnung der Quadranten ein merkwürdiger Akt. Und auch im nächsten Schritt versagt die Anleitung, denn wann eine Maschine zu einem Ort angrenzt oder nicht, habe ich bis heute nicht endgültig verstanden. Das Hacking der Roboter ist im Vergleich zu den anderen Schwächen nicht so kompliziert, aber dadurch, dass mehrere Proben benötigt werden, nimmt dieser Mechanismus im Vergleich zum Rest des Spiels sehr viel Raum ein. All dies hinterlässt in vielen Zügen das Gefühl, eher die Maschinen zu verwalten als ein eigenes Abenteuer zu erleben.

Aber – und das will ich betonen – ist das alles Jammern auf sehr hohem Niveau. Denn wenn ich erstmal meinen Charakter von einem Kurz-Abenteuer in das nächste jage, kommt das 80er-Jahre-Feeling zurück und erweckt das neugierige und begeisterungsfähige Kind in mir. Und sich auf diese Erfahrung einzulassen, ist allein schon Grund genug, um Tales from the Loop nicht nur eine weitere Chance, sondern einen Platz in meinem Herzen zu geben.

  • Dank einfacher Grundregeln schneller Einstieg
  • Stimmungsvolle Aufmachung und Flavour-Texte
  • Material weiß vollends zu überzeugen.
 

  • Etwas fummelige Regeln für Insight und Enigma
  • Schwache Anleitung
  • Das Hacking fordert im Vergleich zu anderen Aktionen zu viel Raum

 

Artikelbilder: © Fria Ligan
Layout und Satz: Roger Lewin
Fotografien: Tim Billen
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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