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Mit seiner Metal-/Dark-Cabaret-Band Samsas Traum ist Alexander π. Kaschte schon lange für düstere, unheimliche Musik bekannt. Er führt aber auch Insektenhaus, einen Indie-Verlag für avantgardistische Comics. Nun kombiniert er beides: Kann es Kaschte gelingen, in Trauma Tales Sammelband 1 seine Lieder in ebenso gruselige Horror-Comics zu verwandeln? Paul berichtet.

Alexander π. Kaschtes Insektenhaus-Verlag hatte uns schon einiges zu bieten: Düstere Märchen, den Schrecken des Krieges, Giallo-Sexploitation, klassische Literatur-Adaptionen und fast vergessene Folklore. Mit den Trauma Tales führt Kaschte selbst ein ganz besonderes Experiment durch: Aus den Liedern seiner Band macht er Horrorcomics im Stile der legendären Tales from the Crypt und der deutschen Gespenster Geschichten.

Handlung

Trauma Tales Sammelband 1 ist ein Anthologieband, der drei Einzelhefte beinhaltet. Er enthält zusätzlich zu den fünfzehn Geschichten aus den Einzelheften, die bis auf zwei für sich allein stehen, noch die Bonusgeschichte „Den Wolken näher“ sowie eine alternative, textlose Version der ersten Geschichte „Ode an Epiphanie“ von einer anderen Zeichnerin. Wie in alten Horrorcomics gibt es auch hier eine Erzählfigur, die „Pussy of Death“. Die verwesende, einäugige Zombiekatze mit Schlapphut bietet zu vielen, aber nicht allen, Geschichten einleitende Worte und zum Ausklang fiese, flache Witze. So gehört sich das nun einmal für klassische Horrorcomics.

Alle Geschichten sind nach Liedern von Samsas Traum benannt, und viele zitieren Textzeilen in Dialogen oder Erzählboxen. Die Inhalte der Geschichten orientieren sich aber nur teilweise an den Liedern. „Ode an Epiphanie“ zum Beispiel verbinden nur wenige Worte mit dem Lied, „Stromausfall im Herzspital“ folgt der Geschichte des Liedes nah – mit der Addition von Sid Vicious und Nancy Spungen als Protagonisten.

Die Geschichten decken eine breite Vielfalt von Horrorunterarten ab. Es gibt brutalen Splatter, historischen Horror, Werwölfe, eifersüchtige Haustiere, Geister, Tierhorror, aber auch Geschichten ohne übernatürliche Aspekte: Psycho-Thriller, Beziehungskrisen und sogar Elemente von Sozialsatiren. Allen gemein ist, wieder typisch für klassische Horror-Anthologien, die überraschende, oft ironische Wendung am Ende. Inhaltlich erinnern die Geschichten öfters an Stephen King, auch da immer wieder Kinder eine Rolle spielen – gleichermaßen als Helden, Opfer, aber auch Bedrohung.

Durch das Anthologieformat sind die Geschichten für moderne Verhältnisse relativ kurz geraten, meistens um die neun Seiten. Besondere Komplexität oder Tiefe kann hier also nicht erwartet werden. Im Großen und Ganzen wird der begrenzte Platz aber gut genutzt, um solide Horrorgeschichtchen zu erzählen. Richtig herausragend, überraschend oder schockierend wird es aber leider nicht.

Eine Schwäche ist auch die etwas unklare Absicht: Sollen es wirklich unheimliche Horrorgeschichten sein oder ironisch-trashige Reminiszenzen an die oft unfreiwillig albernen Comics von früher? „Schlaf in den Flammen“ oder „Das Lächeln eines Toten“ wirken zum Beispiel eindeutig ernst gemeint, „Tod + Tod = Tod“ eher satirisch übertrieben. Manche, wie „Ich, dein Wolfsblut“ oder „Da unten starben Tiere“, wirken aber eher „ernst“, bis auf wenige Elemente, bei denen aber nicht klar ist, ob sie beabsichtigt oder unfreiwillig lustig sind.

Zu dieser Unklarheit trägt auch der Text bei. Insgesamt ist Trauma Tales auf eine leicht schnodderige Art gut geschrieben. An ein paar Stellen kontrastieren plötzliche Schimpfwörter jedoch auf unfreiwillig komische Art mit dem restlichen Ton der Geschichte. Und was wirklich gar nicht geht: Charaktere sagen „wtf“. Ja, Internetkürzel wie lol und wtf sind mittlerweile in Soziodialekten angekommen. Ein „wtf“ in einem gedruckten Dialog zu lesen ist aber immer noch extrem seltsam und reißt aus dem Werk heraus, besonders wenn es nicht einmal zur Charakterisierung der Figur passt.

WTF

Am Ende der Anthologie steht die Bonusgeschichte „Den Wolken näher“. Hier hat Kaschte den Text seines Liedes direkt in die Erzählboxen geschrieben. Das zeigt aber vor allem, dass sich Liedtexte mit ihrer oft sehr blumigen Ausdrucksweise und der ständigen Wiederholung von Refrains nur sehr bedingt eignen, um eine Geschichte in einem anderen Medium zu erzählen. Das Narrativ ist zwar verständlich, allerdings nicht angenehm zu lesen. Die Bilder wechseln zwischen klar verständlichen Einzelbildern, die ohne Text besser wirken würden, und surrealen Kompositionen, die ohne den Text nicht zu verstehen sind. Insgesamt wirkt der Comic wie ein Storyboard für ein Musikvideo. Was in einem Video mit Musik, Bewegung und Überblenden funktioniert, klappt aber nicht in Tinte auf Papier.

Zeichenstil

Die Zeichnungen von Julia Zhuravleva in den ersten fünf und letzten sechs Geschichten sind sehr gut ausgefallen. Leicht cartoonig vereinfachte Figuren und Objekte mit geraden Linien, die aber immer klar charakterisiert und zu erkennen sind. Yusuf Idris zeichnet in den mittleren fünf Geschichten mit mehr runden und geschwungenen Linien, die gute Bilder ergeben. Alles in allem gute Arbeit, mit nur zwei Schwächen: Zum einen ist die Komposition insgesamt ziemlich schwach. Die Bildkomposition ist durchgängig Standard, routinierter Standard, aber eben auch nicht mehr. Die Panelanordnung ist gleichermaßen solide und funktioniert, ist aber auch steif und schafft es, unmodern zu sein, ohne altmodisch zu wirken.

Die andere Schwäche ist die Kolorierung: An sich ist auch diese gut ausgeführt. Immer wieder gibt es so etwas wie einen leichten Filter, der die Farben verzerrt oder die Druck-Punkte künstlich vergrößert darstellt, um einen Retro-Eindruck zu erzeugen. Insgesamt sind die Farben aber oft etwas zu kräftig und klar, was leider besonders bei Zhuravleva für einen zu cartoonigen Eindruck sorgt. Alles zusammen führt zu dem ärgerlichen Resultat, dass alle Zeichner*innen an und für sich fähige und gute Arbeit geleistet haben – nur leider passt das Endergebnis nicht zu einem Horrorcomic.

Erscheinungsbild

Wie für Insektenhaus typisch ist die Verarbeitung von Trauma Tales Sammelband 1 sehr überzeugend. Man bekommt hier einen richtigen Wälzer, mit dickem, festem Einband und starkem, hochwertig beschichteten Papier. Die Druckqualität ist hervorragend, alle Zeichnungen sind klar und deutlich mit kräftigen Farben.

Die Front ziert ein gemaltes Bild vom italienischen Kult-Zeichner Emanuele Taglietti. Abgebildet ist die Pussy of Death auf einem Thron, um den mehrere barbusige Frauen sowie ein großer Waran drapiert sind. Den beabsichtigten Eindruck von etwas trashigen 70er-Comics erweckt das Bild auf jeden Fall. Der Thron und die Frauen lassen jedoch etwas mehr an Zeichner wie Frank Frazetta oder Boris Vallejo denken, die eher für Conan der Barbar-artige Sword-&-Sorcery-Bilder als für Horror bekannt sind. Insgesamt ist das Cover jedoch schön und stimmt direkt auf den Inhalt ein.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Insektenhaus
  • Autor*in(nen): Alexander π. Kaschte, Anfissa Sophia Kaschte, Anastasia Kaschte
  • Zeichner*in(nen): Julia Zhuravleva, Yusuf Idris, Bryan Valenza
  • Erscheinungsjahr: 2022
  • Sprache: Deutsch/Englisch
  • Format: Hardcover
  • Seitenanzahl: 164
  • Preis: 29,95 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo, Insektenhaus

 

Bonus/Downloadcontent

Es liegt ein laminierter Druck des Einbandbilds bei, signiert von Zeichner Emanuele Taglietti.

Fazit

Trauma Tales Sammelband 1 enthält die ersten drei Hefte Trauma Tales aus Alexander π. Kaschtes Insektenhaus-Verlag. Hier adaptiert Kaschte Lieder seiner Band Samsas Traum als Horrorgeschichten. Die Idee ist durchaus nett, und für Fans von Samsas Traum wird sich der Trauma Tales Sammelband bestimmt lohnen, auch wenn die Lieder teils sehr lose adaptiert sind.

Für Nicht-Fans stellt sich die Sache etwas komplizierter dar: Die Geschichten sind insgesamt auf dem typischen Niveau des klassischen Horrorcomic-Genres. Das bedeutet aber auch, dass sie sich nicht sonderlich über diesen Durchschnitt heben. Einige Geschichten scheinen eine Hommage an diese alten Klassiker darzustellen, immer wieder gibt es jedoch Stellen, die auf moderne Art unfreiwillig komisch sind. Eine klarere Selbsteinordnung hätte hier helfen können: Sind die Trauma Tales „ernsthafte“ Gruselgeschichten oder absichtlich trashige Parodien, wie die Horrorschocker der WEISSBLECH Comics? Dazu kommen die Zeichnungen, die an sich gut sind, aber für Horror und erst recht für eine Parodie trashiger 70er-Comics zu klar und zu gerade sind.

Für Fans von Horrorcomics sollte der Trauma Tales Sammelband insgesamt aber interessant sein. Der Inhalt ist in Ordnung, wenn auch nicht überragend. Aber die Menge an Inhalt in der Insektenhaus-typischen hochwertigen Verarbeitung ist zu diesem Preis praktisch ein Schnäppchen.

  • Klassische Horrorcomics
  • An sich gut gezeichnet
 

  • Mittelmäßige Geschichten
  • Zeichenstil nicht passend für Horror
  • Stellenweise schlechter Stil

 

Artikelbilder: © Insektenhaus, depositphotos ©frenta
Layout und Satz: Annika Lewin
Lektorat: Simon Burandt
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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