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Worker Placement ist ein Mechanismus, der so oft benutzt wird, dass neue Spiele ein auffälliges Alleinstellungsmerkmal benötigen, um erfolgreich zu werden. Bei Chimera Station ist dies das Zusammenbauen von kleinen Alien-Figuren als Teil der Spielmechanik. Doch ein Gimmick allein macht kein gutes Spiel. Wie sieht es mit dem Rest aus?

Um zu erahnen, ob Chimera Station auch ohne die niedlichen Steckfiguren ein gutes Spiel wäre, sollten wir uns erst einmal ansehen, wie das Spiel überhaupt funktioniert:

Spielablauf

Jeder der zwei bis vier Spieler stellt ein Alienvolk dar. Je nach verwendeter Seite der Spielertableaus sind diese zu Spielbeginn alle gleich oder verfügen über unterschiedliche Startvorteile und auch einzigartige Fähigkeiten. Eine Mischung ist hier nicht vorgesehen, sodass man sich gemeinsam für eine Option entscheiden sollte. Für den Anfang bietet es sich an, die symmetrische Variante zu spielen und so gemeinsam das Spiel zu lernen, um dann später auf die etwas anspruchsvollere Variante mit den Spezialfähigkeiten zu wechseln.

Die gespielten Aliens bauen alle gemeinsam an einer Raumstation und versuchen dabei, jeweils besser zu sein als die Gegner. Wie in den meisten Spielen bedeutet dies, dass man am Ende die meisten Siegpunkte haben will.

Gespielt wird Chimera Station in fünf Spielrunden, jede Runde ist unterteilt in mehrere Spielzüge. Ist ein Spieler mit seinem Zug an der Reihe, so setzt er eine seiner Spielfiguren auf ein noch freies Feld auf dem Spielplan und erhält dadurch die Aktion dieses Feldes. Dies kann Geld oder Nahrung sein, das Erlangen von Komponenten zum Einbau in die eigenen Figuren, Forschung, direkte Siegpunkte, der Bau eines Modules, die Aktivierung eines Kommandomoduls oder eben auch die Möglichkeit, Komponenten in die gesetzte Figur einzubauen. Gerade die letzten drei Optionen sind dabei zentrale Elemente des Spiels.

Nur durch den Bau neuer Module kommen auch weitere Felder und somit weitere Möglichkeiten ins Spiel. Der Bau der Module kostet Geld und gibt nicht nur einmalig Siegpunkte und einen Platzierungsbonus, sondern erlaubt auch meistens, das soeben gebaute Modul sofort zu benutzen. Bauen ist also oftmals eine ziemlich attraktive Option.

Kommandomodule, von denen es anfangs nur eines gibt, ab Runde drei noch ein zweites, sind eine wichtige Quelle für Siegpunkte. Denn wer ein Kommandomodul besetzt, bekommt die Siegpunkte jedes Feldes, das von einer gegnerischen Figur besetzt ist. Das können mitunter eine ganze Menge sein. Der Trick ist hier, den richtigen Moment abzupassen, da es am Anfang der Runde noch keine oder nur wenige Punkte gibt. Später aber könnte das Feld bereits besetzt sein …

Aber auch das Spleißlabor – so der Name des Feldes, auf dem man Komponenten einbauen darf – ist sehr gefragt. Denn nicht nur werden die spielstarken Komponenten hierdurch ins Spiel gebracht, sondern die eingesetzten Figuren werden am Ende der Runde auch noch auf dem restlichen Spielplan eingesetzt und bekommen so noch einmal eine weitere Aktion.

Es gibt vier verschiedene Komponenten, und im Normalfall kann eine Figur maximal zwei Komponenten tragen.

  • Klauen erlauben es, die Spielfiguren anderer Spieler von bereits besetzten Feldern zu verjagen und so bereits besetzte Felder zu benutzen. Mit einer Klaue kann man Figuren mit maximal einer Komponente verjagen, mit zwei Klauen beliebige Figuren.
  • Tentakel verbessern das Sammeln von Ressourcen. Wann immer eine Figur mit Tentakeln eine Aktion nimmt und dabei Geld oder Nahrung bekommt, erhält der Spieler davon eine Einheit mehr. Mit zwei Tentakeln gilt dies auch für Komponenten.
  • Blätter sorgen dafür, dass Aliens sich von Licht ernähren. Mit einer Komponente braucht die Figur selbst keine Nahrung mehr. Mit zwei Blättern erzeugt sie sogar zwei Nahrung und kann damit andere Figuren mitversorgen.
  • Gehirne erlauben es, mehr Siegpunkte zu generieren. Wird eine Figur mit Gehirn auf ein Feld mit Siegpunktewert gesetzt, bekommt der Besitzer diese Siegpunkte gutgeschrieben. Zwei Gehirne erlauben es, die eigenen Figuren mitzuwerten, wenn eines der Kommandomodule besetzt wird.

Sind alle Figuren gesetzt, endet die Runde. Alle Figuren kehren zu den Spielern zurück, für jede eigene Figur muss eine Nahrung gezahlt werden, und dann beginnt die nächste Runde. Einen automatischen Startspielerwechsel gibt es nicht, aber das bereits erwähnte Kommandomodul, das ab Runde eins verfügbar ist, erlaubt es auch, Startspieler zu werden, wodurch der Wechsel nahezu in jeder Runde dennoch passieren wird.

Das klingt erst einmal nach einer erheblichen Menge Regeln. Dazu kommen dann über die Forschung noch Karten, die man bekommen kann und die passive Effekte verleihen oder Module erzeugen, die man nur selbst belegen darf. Nimmt man all dies zusammen, zeigt sich eine relativ hohe Komplexität. Diese wird dadurch noch ein wenig erhöht, dass die meisten Spieleffekte nur durch Symbole auf den Modulen dargestellt sind. Diese Symbole sind nicht immer eindeutig zu lesen, und so manches Mal muss man noch einmal in den Regeln nachschlagen, wie das Modul denn nun eigentlich genau funktioniert.

Dieses Nachschlagen funktioniert jedoch recht gut, denn alle Karten und Module sind im hinteren Teil der Regeln erklärt. Dabei gibt es aber das eine oder andere Modul, das selbst mit dieser Erklärung nicht ganz klar wird. Dies liegt an der deutschen Übersetzung der Regeln, denn dieselben Karten und Module werden im Englischen absolut eindeutig erklärt.

Trotz der relativ hohen Komplexität ist das Spiel an sich relativ einfach, und schon nach kurzer Zeit werden die meisten Spieler verstanden haben, wie es funktioniert. Interessant ist dabei, dass die Partien durch das unterschiedliche Auftauchen der Module und Karten extrem unterschiedlich verlaufen können. Eine Strategie, die in einer Partie dominiert, muss in einer anderen nicht unbedingt funktionieren. Hier ist sowohl Planung als auch Anpassungsfähigkeit erforderlich.

Diese Variabilität sowie die beiden unterschiedlichen Seiten der Spielertableaus bieten eine Menge Raum für massiv unterschiedliche Partien und damit einen hohen Wiederspielanreiz.

Chimera Station skaliert dabei insgesamt relativ gut über die möglichen Spielerzahlen. Je mehr Spieler teilnehmen, desto weniger Figuren erhält jeder zu Spielbeginn. Zu Beginn sind immer 8 (zwei oder vier Spieler) oder 9 (drei Spieler) Figuren vorhanden, sodass die Felder ähnlich ausgelastet sind. Dennoch spielt sich das Spiel mit mehr oder weniger Spielern signifikant anders, da viele Module sich nur auf eigene oder nur auf fremde Figuren beziehen und damit unterschiedlich gut werden. Es funktioniert aber in jedem Fall insgesamt ähnlich gut.

Ausstattung

Das Spielmaterial ist ein ziemlicher Hingucker. Nicht nur die kleinen Plastikaliens mit den angesteckten Komponenten, sondern auch die Bilder auf den Modulen und Karten sind liebevoll gestaltet und erzeugen ein niedliches, leicht abstruses Gesamtbild. Nahrung wird durch kleine Burger dargestellt, vertriebene Arbeiter kommen in die Lounge, die durch ein Sofa symbolisiert wird, etc.

Skeptisch war ich ein wenig, was die Haltbarkeit der Komponenten angeht. Denn das ständige Anstecken und Entfernen der Komponenten erfordert eine erhebliche Krafteinwirkung, und auf Dauer, so meine Vermutung, könnte das dem Plastik nicht guttun. Aber auch nach einigen Partien zeigen die Komponenten noch keine sichtbare Materialermüdung.

Die Karten sind ebenfalls von hoher Qualität und auch der Karton, aus dem die Module und Marker für Geld und Nahrung bestehen, sind sehr fest.

Die Spielertableaus sind aus dem gleichen Material wie die Karten. Hier wäre eine festere Pappe wünschenswert gewesen, aber da die Tableaus selbst nur dazu dienen, Dinge daraufzulegen, sind sie auch keiner hohen Belastung ausgesetzt, sodass sie in ihrer jetzigen Form absolut ausreichen.

Was die Sprachen angeht, ist Chimera Station in verschiedenen Kombinationen erhältlich. Leider wurden hier nicht Englisch und Deutsch zusammengefasst, sondern Deutsch und Italienisch.

Die meisten Dinge sind dabei allerdings Sprachneutral. Die Namen der Module und Karten sind in jeder Fassung Englisch, und lediglich das Regelheft und die Spielhilfen sind in die jeweilige Sprache übersetzt.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Game Brewer
  • Autor(en): Mark Major
  • Erscheinungsjahr: 2017
  • Sprache: Deutsch/Italienisch
  • Format: 32 x 22,8 x 9,2 cm
  • ISBN/EAN: B076B6DB57
  • Preis: ca. 55-60 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Bonus/Downloadcontent

Auf der Seite des Herstellers selbst gibt es das Regelheft in allen möglichen Sprachen zum Download. Neben Deutsch finden sich hier Regeln auf Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch und Niederländisch.

Fazit

Der relativ unbekannte belgische Verlag Game Brewer liefert mit Chimera Station einen wahren Augenschmaus. Die Aliens stechen sofort ins Auge und laden sofort dazu ein, sich zu fragen, was man damit im Spiel so alles anstellen kann. Dieser Gimmick erfüllt seinen Zweck damit absolut: Er sorgt dafür, dass das Interesse der Spieler geweckt ist und sie das Spiel ausprobieren wollen.

Doch auch wenn man diesen Aspekt ignoriert, entdeckt man schnell, dass Chimera Station eine Menge zu bieten hat. Der Gimmick ist kein bloßer Gimmick, sondern essenzieller Bestandteil des Spiels, und fügt sich organisch in den Spielablauf ein.

Es gibt unterschiedliche Strategien, die zum Sieg führen können, und abhängig von den Mitspielern, aber auch durch die unterschiedlichen Module, die früh, spät oder sogar gar nicht auftauchen können, sind in jeder Partie andere Strategien stark oder schwach. Dies macht Chimera Station zu einem Spiel, das den Geist der Spieler jedes Mal aufs Neue herausfordert und somit lange spannend bleibt.

Je nach Wunsch können die zwei bis vier Spieler dabei entscheiden, ob sie eine symmetrische und etwas einfachere Variante oder mit den variablen Fähigkeiten der vier Fraktionen spielen wollen, was das Spiel für jede dieser Fraktionen maßgeblich verändert und somit die Komplexität nicht unerheblich erhöht.

Spieler, die Spaß daran haben, die effektivste Strategie für das Platzieren ihrer Arbeiter zu finden, und denen es genügt, mit anderen primär dadurch zu interagieren, dass man ihnen wichtige Aktionen blockiert oder frei lässt, werden ihre wahre Freude an diesem Spiel haben.

Artikelbilder: Game Brewer, Board Game Geek
Dieses Produkt wurde vergünstigt zur Verfügung gestellt.

 

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