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Die Brettspiel-Community verbringt zurzeit viele Stunden in der endlich ausgelieferten Welt von Frosthaven. Während wir auf die Veröffentlichung der hoffentlich erscheinenden digitalen Variante warten, haben wir uns noch einmal in die Welt von Gloomhaven gewagt und die Gloomhaven – Solo Scenarios: Mercenary Challenges

Isaac Childres dürfte langsam seinen Platz im Olymp der Brettspielschaffenden gefestigt haben. Vor kurzem zog ein Beben durch BoardGameGeek: sein Opus Magnum Gloomhaven wurde erstmals seit sehr langer Zeit vom Thron gestoßen. Es muss sich „nur noch“ mit dem dritten Platz hinter Brass: Birmingham und Pandemic Legacy begnügen. Nun schickt sich der Nachfolger Frosthaven an, wieder den Platz an der Sonne zu erobern.

Während des Wartens der Community auf diese monumentale Auslieferung der Kickstarter-Version, konnte sich immerhin mit der digitalen Variante von Gloomhaven die Zeit vertrieben werden. Dank des ebenfalls sehr starken ersten DLCs Jaws of the Lion mangelte es absolut nicht an Content zum Spielen.

Triggerwarnungen

Gewalt, Abscheulichkeiten, Spinnen

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Genaueres Setting/Geschichte

Der DLC Gloomhaven – Solo Scenarios: Mercenary Challenges basiert, wie schon das Grundspiel und die erste Erweiterung, auf dem analogen Pendant.

Er bietet 17 brandneue Soloszenarien, die die eigenen Fähigkeiten im Umgang mit den Charakteren auf die Probe stellen, wenn diese ganz auf sich allein gestellt sind. Jedes der Szenarien ist auf die Besonderheiten und Mechaniken des Charakters ausgelegt und soll testen, wie gut wir mit der Figur umgehen können. Dadurch haben wir noch mehr als beim Grundspiel das Gefühl, dass es sich oft eher um ein Puzzle-Spiel denn einen Dungeon Crawler handelt. Am Ende des jeweiligen Szenarios gibt es einen besonderen Gegenstand, der nur für diesen Charakter gedacht ist. Diese können nicht verkauft oder nachträglich erworben werden. Die Gegenstände wurden im Vergleich zu den analogen Gegenparts leicht verändert, um besser in die digitale Welt zu passen.

Die Übersicht über das Szenario
Die Übersicht über das Szenario

 

Spoiler

Ein Beispiel ist die Flüsterklinge für die Schurkin. In der digitalen Variante erhält die Schurkin mit diesem Gegenstand bei jeder Attacke Durchstechen 1. Vorher war dies auf Nahkampfattacken beschränkt.

Um diese Waffe zu erhalten, muss sie sich durch eine Waffenkammer mit unzähligen Wachen und Golems kämpfen, und zum Schluss wartet auch noch schweres Geschütz. Zu Beginn des Szenarios steht ihr dabei auch ein NSC zur Verfügung, der immer mit einer Initiative von 49 die Aktion Bewegung 4, Angriff 4 ausübt. Das Ziel der Schurkin ist es, die Schatzkiste zu stehlen und danach alle Monster zu besiegen. Sie muss dabei sehr auf ihre ergänzenden Fähigkeiten mit Statuseffekten setzen, denn die Wachen und Golems haben stärkere Schilde als ihre normalen Varianten.

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Features

Um die Solo-Challenges zu starten, kann entweder eine neue Kampagne begonnen oder der DLC einem bestehenden Speicherstand hinzufügt werden. Hier kommt das größte Problem der Erweiterung zum Tragen: Bei der Entwicklung der Soloszenarien wurde nur an den Singleplayer-Modus gedacht. Die Möglichkeit, dass viele Besitzer*innen des Spiels auch Mehrspieler-Kampagnen haben, wurde nicht mitgedacht. Das Studio hat in einem Statistik-Update erst vor kurzem dargestellt, dass von circa sieben Millionen Spielstarts mehr als 6,2 Millionen Solo bestritten wurden, daher ist die Priorisierung erklärbar. Doch das ist absolut keine Entschuldigung dafür, dass die Aktivierung des DLC zu einer Korrumpierung des Speicherstandes führen kann, wenn Personen beitreten, die den DLC nicht besitzen. Bei Jaws of the Lion gab es noch eine Warnung, dass die Inhalte nicht gespielt werden können. Zudem kommt es seit der Einführung der Erweiterung dazu, dass gespeicherte Regel-Sets für Mods nicht gespeichert werden, respektive einfach verschwinden.

In diesem Test war es beispielsweise der Fall, dass der Speicherstand, der schon für den Test des ersten DLCs hergehalten hat, wunderbar geeignet gewesen wäre für einen direkten Einstieg in die Soloszenarien. Einige Charaktere auf Level 5 waren bereits vorhanden. Leider hat es diesen Speicherstand zerschossen, sodass für den Test eine neue Kampagne begonnen werden musste. Dies war nicht nur ein Grund für enormen Frust, sondern auch dafür, dass diese Rezension erst nach Release des DLCs erscheint.

Die Wache gehört ausgeschaltet
Die Wache gehört ausgeschaltet

Um die Soloszenarien freizuschalten, muss der entsprechende Charakter auf Level 5 gebracht werden, was allein schon eine Leistung ist, und für ein gewisses Verständnis der Figur oder für sehr gute Mitsöldner*innen steht. In den Szenarien selbst bleibt die Engine des Spiels nahezu identisch. Der kleine Unterschied ist, dass die Solomissionen die einzigen Spielmomente sind, in denen mit nur einer einzigen Figur angetreten werden kann, respektive darf. Sonst braucht es immer mindestens zwei. Und hier wurde die Gewichtung eines Spielelements sehr deutlich. Bei unseren Attacken wird wie gewohnt eine Karte vom Modifikator-Deck gezogen. Dieser RNG (Random Number Generator, also zu Deutsch Zufallszahlengenerator) ist auch im analogen Spiel vorhanden durch das Mischen des Decks. Dieses Deck ist auch eines der Hauptelemente, welches wir anpassen und verbessern können, wenn wir Stufen aufsteigen. Im analogen Spiel ist das Deck auch nachvollziehbar, denn es liegt vor uns, und im besten Fall haben wir es selbst gemischt.

In der digitalen Variante ist es oft der Fall, dass kritische Fehlschläge von A durch eine Rettungstat von B ausgeglichen werden konnten. Dieses Fallnetz haben die Soloszenarien nicht. Da macht sie digital frustrierend. Gloomhaven in all seinen Facetten ist konzipiert, um schwer zu sein, quasi das Soulslike der Brettspiele. Doch anders als die digitalen Vorreiter geht es hier nicht darum, Bewegungsabläufe zu studieren. Die Lösung eines zu erkundenden Dungeons muss ermittelt werden. Durch das sehr exakte Balancing bleibt also nicht viel Raum für Fehler. Wenn nun das angesprochene Fallnetz durch die Mitspielenden wegfällt, fühlt es sich beim dritten Scheitern eines Szenarios, weil der eigene kritische Fehlschlag oder der kritische Treffer der Monster zur falschen Zeit kommt, schnell von der Technik nach Verhohnepipeln an, da es auch keine Möglichkeit gibt, das Deck zu kontrollieren. Das geht ja sogar im Tabletop Simulator.

Die harten Fakten:

  • Entwicklerstudio: Flaming Fowl Studios
  • Publisher: Twin Sails Interactive
  • Plattform: Windows, MacOS
  • Sprache: Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch
  • Mindestanforderungen:
    • Setzt 64-Bit-Prozessor und -Betriebssystem voraus
    • Betriebssystem: Win 10 64bits
    • Prozessor: Intel Core i5-3470, AMD Ryzen 3 1200, oder höher
    • Arbeitsspeicher: 8 GB RAM
    • Grafik: GeForce GTX 760, Radeon R9 280, or above
    • DirectX: Version 11
    • Speicherplatz: 14 GB verfügbarer Speicherplatz
  • Genre: Rollenspiel, Dungeon Crawler
  • Releasedatum: 22. September 2022
  • Spielstunden: 30 Minuten pro Szenario
  • Spieler*innen-Anzahl: 1
  • Altersfreigabe: 12+
  • Preis: 4,99 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Steam

 

Fazit

Die digitale Variante von Gloomhaven und ihr erster DLC Jaws of the Lion haben nicht nur unsere, sondern auch die starken Steam-Bewertungen absolut verdient. Und auch die Solo Challenges wären eigentlich ein Kandidat für eine mittlere bis gute Bewertung – wenn da nicht diese massiven Knackpunkte wären. Preislich ist der DLC im Rahmen, auch wenn in vergleichbaren Segmenten für diese Menge an zusätzlichem Content auf Steam geringere Preise eher die Regel sind.

 

Klar ist die große Menge an neuen Szenarien mit jeweils mindestens einer halben Stunde Spielzeit für regulär 4,99 EUR vollkommen in Ordnung, aber neue Level sind auch über den integrierten Editor erstellbar, und dann fühlt sich eine Erweiterung, die „nur“ 17 Level und Gegenstände integriert, etwas zu teuer an. Wenn man nun noch bedenkt, dass ein großer Teil der Spielzeit daraus resultiert, dass die RNGs beim Ziehen der Modifikator-Karten in unserem Test immer zur absolut falschen Zeit zugeschlagen haben, wird es irgendwann frustrierend und fühlt sich an manchen Stellen fast nicht mehr wie Zufall an. Die Solo-Szenarien der analogen Variante fühlten sich an wie echte Tests, ob der Charakter wirklich verinnerlicht wurde, und ein Scheitern animiert, das eigene Deck für dieses Szenario zu perfektionieren. Hier fühlte es sich einfach nur nach Arbeit an. Die Belohnungen in Form der Gegenstände sind zwar häufig praktisch und gut auf den Charakter abgestimmt, aber die Knochenmühle eigentlich nicht wert.

Dass dann auch noch hinzukommt, dass der DLC nicht nur Multiplayer-Speicherstände korrumpiert, bei denen nicht alle Teilnehmenden die Erweiterung erworben haben, sondern auch Spielstände, die gar nichts mit dem DLC zu tun haben (unter anderem hat es im Test Speicherstände von gemoddeten Kampagnen einfach gelöscht und aus der Steam-Cloud entfernt) ist schlicht inakzeptabel.

Es bleibt zu hoffen, dass gerade der letzte Punkt noch durch Bugfixes ausgebessert wird. Denn dann kann für die Vollständigkeit bei einem Steam Sale dennoch bedenkenlos zugegriffen werden.

Doch der aktuelle Entwicklungsstand lässt mich nur 2 von 5 Zufallszahl-Ratzen vergeben.

  • Rundet das Erlebnis ab
  • Szenarien testen das Verständnis des Charakters
 

  • RNG frustriert
  • Gefahr, dass Speicherstände korrumpieren
  • Belohnungen nur bedingt lohnenswert

 

 

Artikelbilder: © Twin Sails Interactive
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Rick Davids
Screenshots: Tim Billen
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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