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Die Welt von Gloomhaven bleibt präsent im Brettspielbereich. Mit Die Pranken des Löwen erschien eine Standalone-Version, die dazu diente, spielerisch die Regeln des Spiele-Schwergewichts zu erlernen. Als Jaws of the Lion ist diese nun als DLC für das digitale Gloomhaven erschienen. Gelingt der Übergang als Contenterweiterung auf dem Rechner?

Gloomhaven, der Behemoth für den heimischen Tisch, bleibt weiterhin im Gespräch. Mit dem neuen Ableger Frosthaven in Entwicklung, und mittlerweile von Verlag und Autor unterstützten Fan-Erweiterungen wie The Crimson Scales oder Ablegern wie Gloomholdin‘ scheint kein Ende der Content-Entwicklung in Sicht. Auch unser Brettspiel-Ressort hat schon sehr häufig Artikel über die von Isaac Childres erschaffene Welt Gloomhaven geschrieben. Eine Rezension des Brettspiels, Interviews mit Autor und Verlag, Ersteindruck und Update-Check der digitalen Umsetzung sowie ein Test der eigenständigen Erweiterung Die Pranken des Löwen. Die beiden letztgenannten Punkte wurden diesen Mai nun zusammengeführt, und somit ist Jaws of the Lion, wie der Ableger auf Englisch heißt, als DLC für das Computerspiel erschienen. Wie es sich spielt und ob sich der DLC lohnt, haben wir uns für euch angesehen. Auf Spoiler wird weitestgehend verzichtet.

Geschichte

Die Pranken des Löwen sind eine berüchtigte Söldner*innentruppe in der Welt von Gloomhaven. Die Leerehüterin, der Rotgardist, der Axtwerfer und die Sprengmeisterin sind über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt. Nun sieht sich die Stadt einer neuen Bedrohung ausgesetzt. Nacht für Nacht verschwinden immer mehr Leute. Die Gerüchte halten sich, dass die Einwohner*innen unmenschliches Heulen und merkwürdige Stimmen vernehmen und aus dem Nichts plötzlich Flüsse aus Blut die Straßen hinabfließen. Überall sind plötzlich nicht nur Ratzen, sondern auch vermummte Gestalten anzutreffen.

Die Karte, auf der wir unser Abenteuer bestreiten. © Asmodee Digital / Twin Sails Interactive

Der DLC Jaws of the Lion bietet eine stattliche Menge an neuen Inhalten für das eh schon vollgepackte Grundspiel. 25 Szenarien entführen die Spielenden in eine düstere Geschichte rund um Gloomhaven und seinen Untergrund. Vorher unbekannte Monster, wie die bedrohlichen Chaosdämonen, neue Gegenstände für den Händler und epische Bosse kommen hinzu. Zwischen den einzelnen Szenarien innerhalb der Stadtmauern warten auch exklusive Stadtereignisse darauf, die Charaktere vor schwierige Entweder-Oder-Entscheidungen zu stellen. Aber allen voran sind es die vier Charaktere, die nun zur Verfügung stehen, die ganz neue taktische Möglichkeiten bieten. Alle vier stehen schon von Beginn an bereit, um für uns in die Verliese der Welt zu steigen – sowohl in der Kampagne als auch im Gildenmeister-Modus.

Das eigenständige Brettspiel Die Pranken des Löwen lief lange unter dem Arbeitstitel Gloomhaven light. Dies lag daran, dass es als eine zugänglichere Variante des Brettspiel-Molochs entwickelt wurde. In den ersten Szenarien wurden die Regeln Schritt für Schritt erklärt und eingeführt. Dies ist im Computerspiel nicht notwendig, da es ein dezidiertes Tutorial für diesen Vorgang gibt. Daher sind die neuen Szenarien des DLC auch in der Kampagne erst nach Abschluss der zweiten Hauptmission verfügbar. Hiernach sollte man laut Spiel die Grundzüge verstanden haben. Es scheint jedoch so zu sein, dass dies nur beim allerersten Start einer Kampagne mit der Erweiterung der Fall ist. Im Test wurde eine neue Kampagne gestartet, bei der das erste DLC-Szenario sofort freigeschaltet war. Ob dies ein Bug oder gewollt ist, können wir nicht beantworten.

Eine Auswahl der Monster-Portraits. © Asmodee Digital / Twin Sails Interactive

Entsprechend wurden die ersten paar Szenarien auch in ihrem Ablauf und Schwierigkeitsgrad angepasst. Die Änderungen fügen sich jedoch nahtlos in das Spielempfinden ein und sind somit auch für Kenner*innen der analogen Variante wie ein Wiedersehen.

Features

Anders als andere DLCs erweitert Jaws of the Lion das Spielerlebnis nicht durch neue Mechaniken oder dergleichen, sondern liefert schlicht mehr guten Content. Wer noch einmal das Grundprinzip verinnerlichen will, dem ist der Artikel von Redakteur Niko sehr ans Herz zu legen.

Hinzugekommen sind ein paar Hausregel-Einstellungen, die dem Spiel mit Unerfahreneren sehr zugutekommen. Um ein bisschen mehr in die Geschichte der vier Neuen einzusteigen, gibt es auch charakterspezifische Szenarien, die auf die Hintergrundgeschichten eingehen.

Leider hat exakt ein solches Szenario auch gezeigt, dass das Studio bei der Programmierung entweder nachlässig war oder einfach nicht mit den Ideen der Spielenden gerechnet hat:

Ein Beispiel aus dem Szenario der Sprengmeisterin

Im Szenario der Sprengmeisterin geht es darum, einzelne Räume zu sprengen, indem die Säulen in diesen Räumen zerstört werden. Man kann jedoch schon vorher in andere Räume laufen, und das ist auch notwendig, da man sonst massiven Schaden erleidet und in den nächsten Raum gezwungen wird. Sollte es keinen direkt angrenzenden Raum im Falle einer Zerstörung geben, stürzt das Spiel leider ab. Der Fehler konnte mehrfach reproduziert werden.

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Die Technik

Auch sonst hat das Spiel seine technischen Probleme. Oftmals wirkt es so, dass bei der Einleitung einer Angriffssequenz das Spiel eingefroren ist. Stattdessen scheinen die Berechnungen für die Zufallselemente im Hintergrund viel Zeit in Anspruch zu nehmen, sodass es passieren kann, dass fünf bis zehn Sekunden auf die Ausführung eines Angriffs gewartet werden muss. Das ist sowohl auf einem Steam Deck als auch auf einem Office-, und einem Gaming-PC aufgetreten. Es liegt also eher nicht an der Hardware. Bei mehr als sechs Charakteren (inklusive der Monster) auf dem Bildschirm fängt das Spiel leider auch stark an zu ruckeln, vermutlich durch die sehr atmosphärischen und schön anzusehenden Idle-Animationen. Hier sackt die Framerate nicht selten auf unter 10 FPS.

Das ist insofern bedauerlich, da die Charakter- und Monstermodelle wirklich schön anzusehen und auch die Animationen überraschend hochwertig sind. Besonders die quirlige Sprengmeisterin hat ein sehr hübsch programmiertes Moveset.

Die deutsche Übersetzung ist sehr gut, hat aber ebenfalls noch mit einigen Bugs zu kämpfen. So sind nicht an allen Stellen die Charakternamen übersetzt. Somit kann es passieren, dass in einem Zug sowohl die Leerehüterin als auch die Voidwarden angreift.

Nach dem Angriff des Rotgardisten war es das für diese Ratze. © Asmodee Digital / Twin Sails

Das Sounddesign ist minimalistisch, aber treffsicher. Die Dungeon-Geräusche sind dezent, aber bedrohlich. Die Vertonung der Charaktere und Monster hat mehr als positiv überrascht. Zwar gibt es in erster Linie nur Kampfschreie und Schmerzensgrunzen und keine kompletten Sprachzeilen, aber diese sitzen perfekt.

Das Spiel funktioniert auch über einen passablen Multiplayer-Modus. Will man diesen auf die „gewöhnliche“ Weise spielen, benötigen alle Spielenden Grundspiel und DLC. Es reicht nicht, wenn nur eine Person den DLC hat. Es hat sich im Test jedoch gezeigt, dass die Remote Play Together-Funktion von Steam hier funktioniert. Die Züge laufen dadurch leider nicht parallel, was die Spielzeit in die Länge zieht, aber das ist ein verkraftbarer Minuspunkt.

Die neuen Charaktere

Die Sprengmeisterin ist eine mächtige Nahkämpferin, deren Angriffe verheerende Ausmaße annehmen können. Trotz ihrer Körpergröße ist sie mit ihrem Angriffsarsenal eine wahre Naturgewalt, für die insbesondere Hindernisse auf dem Spielfeld ein gefundenes Fressen darstellen. Sie besitzt nur wenige Karten, aber muss diese fast nie verbrennen. Aufgrund ihrer besonderen Spielweise wirkte sie immer wie ein Charakter, der fast hauptsächlich für den analogen Die Pranken des Löwen-Ableger designt wurde. Für den DLC wurde sie nun extra von Autor Isaac Childres etwas angepasst, um universeller einsetzbar zu sein.

Veränderungen an der Sprengmeisterin

Im Großen und Ganzen wurden vor allem viele ihrer Effekte, die im analogen Spiel Zielobjekte betrafen, in Effekte gegen Hindernisse umgewandelt.

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© Asmodee Digital / Twin Sails Interactive

Mit einem besonderen Mechanismus des Lieblings ausgestattet schmeißt der Axtwerfer mit seinen Waffen nur so um sich. Seine Fernkampfangriffe sind schnell und vor allem darauf aus, seine Ziele möglichst mit einer Aktion zu töten. Auch seine Mobilität greift das Thema des unerbittlichen Jägers sehr gut auf. Wenn dann noch der Liebling zum Einsatz kommt und ein Monster markiert, sollte es sich bereit machen, seiner Schöpfung zurückgeführt zu werden.

© Asmodee Digital / Twin Sails Interactive

Der Rotgardist ist der flexibelste der neuen Gruppe. Seine Kartenhand bietet eine große Vielfalt an Initiativewerten, sodass der Zug sehr gut geplant werden kann. Mit einem großen Arsenal an Fähigkeiten mit Flächenschaden und vielen Möglichkeiten, Schilde zu ignorieren, kann der Rotgardist auch mal in eine Gruppe Monster geschickt werden. Mit seinen mächtigen Schildfähigkeiten hält er die eine oder andere Runde durch. Seine Kettensichel als Waffe hilft ihm dabei, das Spielfeld zu kontrollieren, indem er die gegnerischen Horden sehr viel Ziehen und Schieben kann, um ihre Position für die Mitstreitenden zu verbessern.

© Asmodee Digital / Twin Sails Interactive

Wer auf komplexe Charaktere steht, w ählt die Leerehüterin. Ihre Fähigkeiten sind nicht einfach zu meistern und zu organisieren, aber wer die Zeit investiert, wird mit einem der stärksten Support-Charaktere des gesamten Spiels belohnt. Nicht nur kann sie der eigenen Gruppe durch ihre Fähigkeiten zusätzliche Aktionen bieten, sondern durch ihre Kontrolle der Leere ist sie ebenfalls im Stande, die Gedanken der Monster zu kontrollieren und diese aufeinanderzuhetzen. Ihr Handkartenlimit von 11 bietet große Flexibilität, aber viele ihrer Karten müssen nach dem Nutzen verbrannt werden. Dies führt dazu, dass man sich mit der Leerehüterin sehr oft daran erinnern sollte, dass jede Karte auch Standardaktionen besitzt. Sonst ist diese mächtige Söldnerin schneller erschöpft als einem lieb ist.

© Asmodee Digital / Twin Sails Interactive

Die harten Fakten:

  • Entwicklerstudio: Flaming Fowl Studio
  • Publisher: Asmodee Digital / Twin Sails Interactive
  • Plattform: PC, MAC OS
  • Sprache: Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch (mehr durch Mods möglich)
  • Mindestanforderungen:
    • Betriebssystem: Win 10 64bits
    • Prozessor: Intel Core i5-3470, AMD Ryzen 3 1200, oder höher
    • Arbeitsspeicher: 8 GB RAM
    • Grafik: GeForce GTX 760, Radeon R9 280, oder höher
    • DirectX: Version 11
    • Speicherplatz: 10 GB verfügbarer Speicherplatz
  • Genre: Rundenbasiertes, taktisches RPG
  • Releasedatum: 17.05.2022
  • Spielstunden: > 25
  • Spieler*innen-Anzahl: 1 – 4
  • Altersfreigabe: ab 14 Jahren
  • Preis: 17,99 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Steam

 

Fazit

Mit dem DLC Jaws of the Lion hat Flaming Fowl Studio genau ins Schwarze getroffen. Schon die analoge Umsetzung hat mich überzeugt. Vor allem der Rotgardist hat es mir angetan. Die Erweiterung für das PC-Spiel bietet wieder einige Stunden Spielspaß mit einer atmosphärischen Nebenstory in den Straßen und im Untergrund von Gloomhaven. Die Charaktere sind mir alle sehr ans Herz gewachsen und zeugen auch in ihrer Digital-Version einmal mehr davon, wie liebevoll und vor allem spielbar Isaac Childres Figuren erschaffen kann.

Die Anpassungen, die im Vergleich zur analogen Variante vorgenommen wurden, machen sehr viel Sinn. Gerade die Sprengmeisterin wäre sonst nicht allzu spaßig in DLC-fremden Szenarien gewesen. Als jemand, der die ersten Szenarien „vom Brett“ kennt, war der angezogene Schwierigkeitsgrad der eigentlich als Lern-Kapitel ausgelegten Level ein kurzer, aber angenehmer Schock. Wie auch beim Hauptspiel ist das Scheitern in einem Szenario der digitalen Variante wesentlich angenehmer als auf dem Tisch, da der Computer das Aufräumen übernimmt.

Wären da nicht die technischen Mängel und der im Vergleich zum Grundspiel zu hohe Preis, wäre der DLC ein klarer Fall für die Höchstwertung gewesen.

  • Üppige Content-Erweiterung
  • Vier neue, spaßige Charaktere
  • Sinnvolle Anpassungen an die analoge Vorlage
 

  • Viele technische Aussetzer und Lags
  • Im Vergleich zum Grundspielpreis zu teuer

 

Artikelbilder: © Asmodee Digital / Twin Sails Interactive
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Rick Davids
Screenshots: Tim Billen
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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