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In Durchgeblättert werfen wir regelmäßig einen kritischen Blick auf Neuerscheinungen, Geheimtipps oder Klassiker aus der vielfältigen Welt der Graphic Novels. Diese Ausgabe widmet sich freiwilligen und unfreiwilligen Helden – sei es eine Marine im Kampf gegen Aliens, ein einsamer Wanderer auf Rettungsmission in fremder Dimension oder klassische Superhelden im erzwungenen Exil.

Wikipedia beschreibt einen Helden als „Person, die eine Heldentat, also eine besondere, außeralltägliche Leistung vollbringt“. Bereits in Mythen antiker Zivilisationen haben Heldenepen wie Gilgamesch ihren Platz in der Literatur gefunden. Und auch in unserer modernen Zeit haben solche Geschichten ihren Reiz nicht verloren, wenngleich bei uns nun Superhelden diese Rolle übernehmen. Doch auch diese Übermenschen sind nicht vor Schicksalsschlägen gefeit, wie es beispielsweise die Protagonisten des Einstiegsbandes von Black Hammer erfahren müssen.

Doch nicht nur das eigene Schicksal kann als Ansporn für heldenhafte Taten dienen. Der Kampf für die Rückkehr einer geliebten Person kann Berge versetzen – oder wie im Falle von Oblivion Song sogar eine Rettungsmission in einer feindseligen Paralleldimension zur Folge haben. Und nicht zuletzt ist es natürlich der Kampf um das eigene Überleben, was zu großen Leistungen anspornen kann, eindrucksvoll dargestellt in Aliens: Defiance.

Wir hoffen, ihr habt beim Lesen dieser Kritiken ebenso viel Spaß, wie uns das Lesen der rezensierten Werke bereitet hat. Über Fragen oder Diskussionen in den Kommentaren freuen wir uns genauso wie über generelles Feedback zu unserem Format Durchgeblättert!

Aliens: Defiance Band 1

Das Schicksal meint es nicht gut mit Private Zula Hendricks. Von einer Kriegsverletzung schwer beeinträchtigt macht sie sich mit einer Gruppe Sicherheitsandroiden der Weyland-Yutani Corporation auf zu einer Untersuchung eines verlassenen Raumschiffes. Bald wird der Grund für den fehlenden Kontakt ersichtlich – eine Gruppe gefährlicher Aliens (H.R. Gigers berühmte Xenomorphen) hat sich auf dem Schlepper ausgebreitet. Doch bald wird Private Hendricks klar, dass hier mehr als nur ihr Leben auf dem Spiel steht. Denn die Pläne der Weyland-Yutani Corporation könnten eine Gefahr für die gesamte Menschheit darstellen …

Trotz der näheren Namensähnlichkeit zum actionlastigeren zweiten Teil der Alien-Filme, erinnert der Einstiegsband von Aliens: Defiance mehr an das beklemmende Gefühl von Ridley Scotts Auftakt der Reihe. Denn obwohl es actionreiche Szenen gibt, legt der Band aus der Feder von Brian Wood viel Fokus auf düstere und spannungsgeladene Momente. Diese haben dabei nicht immer etwas mit den Aliens zu tun. Tatsächlich ist auch Hendricks Interaktion mit den Androiden von Weyland-Yutani ein wichtiger Faktor der Entwicklung der Geschichte. Interessanterweise macht der Anführer dieser Gruppe sogar eine tiefgehendere Charakterentwicklung durch als die menschliche Protagonistin.

Denn diese lernt man im Laufe der sechs Kapitel tatsächlich nur limitiert kennen. Bis auf einen kurzen Ausschnitt über ihre Militärlaufbahn erfährt man wenig über Hendricks’ Vergangenheit. Hauptmotivation dieses Charakters ist definitiv das Überstehen und Überwinden der Komplikationen durch ihre Verletzung.

Gesamtheitlich gesehen versteht die Geschichte jedoch zu fesseln. Der Wechsel von Schauplätzen lässt die Ereignisse nie verbraucht wirken, und actionreiche Passagen wechseln sich stimmig mit ruhigeren Momenten voller Exposition, Charakterentwicklung oder Dialogen ab. Dabei kommt man mit einer sehr limitierten Anzahl an Akteuren aus und setzt diese geschickt zum Spannungsaufbau ein.

Visuell ist Aliens: Defiance überaus düster gehalten, was angesichts der vermittelten Handlung nicht unerwartet ist. Jedoch hat man besonders in einigen Actionsequenzen durch die fehlende Farbpalette Schwierigkeiten, alle Details des Geschehens in der Bildgestaltung auszumachen. Insgesamt zeigen sich drei Zeichner für die sechs Kapitel verantwortlich, wobei der Großteil von Tristan Jones gestaltet wurde. Seine Zeichnungen weisen insgesamt auch den größten Detailgrad auf, während die übrigen Kapitel stellenweise eine gröbere Strichführung und fehlende Tiefe haben. Für mich ist das dritte Kapitel der größte Schwachpunkt, da sich hier über einige Seiten hinweg der Zeichenstil stark vom Rest des Bandes unterscheidet und damit einen gewissen Bruch der Konsistenz darstellt.

Zusammengefasst liefert Aliens: Defiance einen gelungenen Auftakt, der besonders durch abwechslungsreiche Einzelkapitel und interessante Charakterentwicklungen für Neugier sorgt. Actionreichere Passagen wechseln sich mit atmosphärisch dichten, aber dennoch ruhigen Momenten ab. Gegen Ende erhält der Leser ein stimmungsvolles Gesamtwerk, das Interesse auf mehr macht. Einziger Wermutstropfen sind die Konsistenzbrüche in der Qualität der Zeichnungen, die sich besonders im dritten Kapitel bemerkbar machen.

Die harten Fakten

  • Verlag: Cross Cult
  • Autor(en): Brian Wood
  • Zeichner(in): Tristan Jones, Riccardo Burchielli, Tony Brescini
  • Seitenanzahl: 160
  • Preis: 18,00 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Oblivion Song I

Nach The Walking Dead liefert Robert Kirkman mit Oblivion Song abermals eine Geschichte, die sich um das Überleben in einer menschenfeindlichen Umgebung dreht. Tatsächlich sind es dieses Mal aber keine Untoten, sondern eine ganze Paralleldimension, die für einen erbitterten Überlebenskampf sorgt.

Doch zurück an den Anfang. Vor etwa 10 Jahren verschwanden plötzlich Teile Philadelphias und mit ihnen 300.000 Einwohner spurlos. Erst nach einiger Zeit wurde klar, dass diese an einem Ort namens Oblivion gelandet sind, der durch eine mutierte Flora und Fauna große Gefahren bereit hält. Rettungsversuche der Regierung verloren mit der Zeit an Effektivität, sodass nach einigen Jahren die verbliebenen Menschen in Oblivion ihrem Schicksal überlassen wurden.

Dies ist jedoch eine Entscheidung, die Nathan Cole nicht hinnimmt. Auf eigene Faust macht er sich regelmäßig auf nach Oblivion, um die verbliebenen Überlebenden zurück auf die Erde zu bringen. Für viele ist er ein einsamer Held, doch auch kritische Stimmen werden laut. Macht er es nicht doch aus eigensinnigen Motiven? Oder ist er vielleicht der seltsamen Geräuschkulisse der Parallelwelt, dem titelgebenden Oblivion Song, erlegen?

Oblivion Song liefert die Geschichte eines Überlebenskampfes der anderen Sorte. Zum einen steht hier die Darstellung der Hinterbliebenen im Vordergrund, die den Verlust geliebter Angehöriger verkraften müssen. Zum anderen wird der eigentlichen Bedrohung, der Welt von Oblivion, sehr wenig Platz eingeräumt. So dreht sich dieser Einstiegsband tatsächlich mehr um die Charakterentwicklungen in Folge der stattgefundenen Katastrophe. Und das überaus gelungen.

Denn Kirkman gibt sich sehr viele Mühe, seinen Protagonisten Tiefgang zu verleihen. Motivation und Eigenheiten von Nathan Cole und seiner Crew werden anhand von Dialogen und Flashbacks ausführlich beleuchtet und erleichtern das Verständnis ihrer Handlungen. Und auch die psychische Belastung aller Charaktere durch das Ereignis in Philadelphia wird anhand mehrerer Sequenzen ausführlich dargestellt.

Tatsächlich ist die Frage zu stellen, ob der Fokus auf die Charakterisierung nicht auf Kosten des Fortschritts der Handlung gegangen ist. Bis zu den letzten Seiten hat man den Eindruck, dass eigentlich nicht viel geschehen ist, wodurch der Band an einige Stellen etwas langatmig wirken kann. Möglicherweise handelt es sich hier aber um eine Investition in künftige Bände, da man bereits den Ansatz unterschiedlicher Konflikte und Handlungsbögen erkennen kann.

Optisch befindet sich Oblivion Song auf höchstem Niveau. Viele der Bilder wirken sehr dynamisch und erinnern dabei an Extremity, einem weiteren Werk aus Kirkmans Comic-Schmiede Skybound. Neben der Charaktergestaltung merkt man, dass besonders viel Arbeit in die Ausgestaltung von Oblivion geflossen ist. Die Folge dessen ist die Schaffung einer Umwelt, die bedrohlich und fremdartig zugleich wirkt. Das macht die Ereignisse in der Paralleldimension nochmals interessanter, da sie auch durch die faszinierende Optik unterstützt werden.

Abgesehen von den stellenweise langatmigen Passagen der Handlung handelt es sich bei Oblivion Song um ein unterhaltsames Endzeit-Szenario mit einem besonderen Twist. Dieser besteht daraus, dass der Hauptfokus nicht auf die verschwundenen Überleben gerichtet wird, sondern die zurückgebliebenen Angehörigen. In Kombination mit den starken Charakteren und der dynamischen Visualierung erhält man hier eine sehr ansprechende Graphic Novel.

Die harten Fakten

  • Verlag: Cross Cult
  • Autor(en): Robert Kirkman
  • Zeichner(in): Lorenzo de Felici
  • Seitenanzahl: 144
  • Preis: 22,00 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Black Hammer Band 1: Vergessene Helden

Den Abschluss des Monats Mai bildet mit Black Hammer Band 1: Vergessene Helden ein eher ungewöhnliches Exemplar von Superhelden-Comics. Denn der Fokus liegt nicht auf der Bewältigung von Bedrohungen und der Vollbringung von Heldentaten. Vielmehr lautet die Frage dieser Graphic Novel: Wie reagierst du, wenn du aus deinem ursprünglichen Leben gezwungen wirst?

Denn in eben einer solchen Lage befinden sich Abraham Slam und seine Mitstreiter auf einer entlegenen Farm. Eigentlich sind sie alle (ehemalige) Superhelden, bis sie nach einem Kampf gegen den Anti-Gott aus Spiral City verschwanden und sich gefangen in einer Kleinstadt wieder finden. Denn aus nicht erfindlichen Gründen können sie diese nicht verlassen und auch keinen Kontakt zur übrigen Außenwelt aufnehmen.

Doch damit nicht genug. Im Laufe der Geschichte von Black Hammer lernt man nach und nach alle Bewohner der Farm und einige bedeutende der nahegelegenen Kleinstadt kennen. Und hierbei wird schnell ersichtlich, dass oftmals mehr als nur der Zugang zu der eigentlichen Heimat verloren wurde. Besonders die Hintergrundgeschichten der Charaktere Golden Gail und Madame Dragonfly hinterlassen Eindruck, wobei man insgesamt der Charakterisierung Tribut zollen muss.

Denn Black Hammer gelingt das Kunststück, Charakterentwicklung und Fortschritt der Handlung sehr erfolgreich zu verbinden. Das erfolgt auf Basis einer Kombination aus Rückblenden, Dialogen und Eskalationen. Jedes der Kapitel stellt dabei einen anderen Charakter mehr oder weniger in den Vordergrund. Durch deren sehr verschiedenen Wesenszüge und Hintergründe wird damit automatisch Abwechslung in der Erzählung gewährleistet. Gleichzeitig achtet Autor Jeff Lemire darauf, in jedem Abschnitt auch die Entwicklung der Haupthandlung fortschreiten zu lassen, meist durch den eben vorgestellten Charakter.

Und tatsächlich ist man als Leser auch sehr an mehr Hintergrundwissen über die Charaktere, die alle über Ecken und Kanten verfügen, interessiert. Einen Anteil daran hat, dass viele der Helden deutliche Anspielungen an beliebte kostümierte Vigilanten aus dem Hause Marvel oder DC sind. Jedoch sind diese sehr charmant abgewandelt, sodass man immer gespannt auf die nächste Anspielung ist. Beispielsweise ist Abraham Slam in seinen jungen Jahren nicht in den Wehrdienst für den Kampf gegen die Nazis aufgenommen worden, da er die körperlichen Voraussetzungen nicht erfüllte. Sein Leben änderte sich aber, als er einen Fitness-Trainer kennenlernte, der ihm beim Aufbau eines muskulösen Körpers unterstütze. Erinnert euch das an einen gewissen Captain America? Davon sind jedoch nicht nur die Protagonisten betroffen. So ist beispielweise der oben erwähnte Anti-Gott eine deutliche Kombination aus Darkseid und Galactus.

Auch die visuelle Darstellung ist eine große Hommage an Comics aus dem goldenen Zeitalter der Dreißiger bis Fünfziger. Dies wird auch innerhalb von Black Hammer oftmals offenkundig angedeutet, beispielsweise wenn als Zeitangabe bei Rückblenden „The Golden Age“ angegeben wird. Und auch bei Gestaltung der Covers der einzelnen Kapitel ist der Einfluss nicht zu übersehen. Diese orientieren sich offenkundig an den Comicbänden eben jenes goldenen Zeitalters und warten mit typischen Zeichenstilen, Schriftarten und Wortwahl auf. Am deutlichsten ist es jedoch bei der Auswahl der Heldenkostüme und der Darstellung der Gegenspieler zu erkennen.

Dabei schaffen es die Zeichnungen von Dean Ormston, mit wenigen Strichen eine Fülle an Details und Gefühlsregungen zu vermitteln. Gerade bei einer Geschichte mit einem solchen Fokus auf die Empfindungen der Charaktere und deren Entwicklung ein wichtiger Faktor. Denn dem Leser sollte auch bewusst sein, dass Black Hammer beinahe keine Action- oder Kampfszenen aufweist, sondern hauptsächlich durch Interaktionen Konflikte und Spannungen aufbaut und wieder löst.

Gegen Ende der Lektüre der etwas über 150 Seiten möchte man eigentlich direkt weiterlesen. Vergessene Helden ist der fulminante Auftakt der Black Hammer-Reihe, die mit tiefgründigen Charakteren, einem sehr gut gestalteten Spannungsbogen und wunderschönen nostalgischen Zeichnungen zu überzeigen weiß. Eine klare Empfehlung an alle Liebhaber von Graphic Novels im Allgemeinen und von tiefgehenden Superheldengeschichten im Stile von Watchmen im Speziellen.

Die harten Fakten

  • Verlag: Splitter
  • Autor(en): Jeff Lemire
  • Zeichner(in): Dean Ormston, Dave Stewart
  • Seitenanzahl: 184
  • Preis: 19,80 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Abschlussfazit des Monats

Von der Welt der Wissenschaft in der letzten Ausgabe von Durchgeblättert hat es uns in dieser Ausgabe in die Welt der (Super-)Helden verschlagen. Jedoch weisen die vorgestellten drei Bände allesamt die Besonderheit auf, sehr stark durch die Entwicklung ihrer Charaktere getrieben zu sein und Action und Kämpfe in den Hintergrund zu stellen. Dass dies in einem sehr faszinierenden Maße gelingen kann, zeigt die durchgehende Vergabe unserer beiden besten höchsten Noten.

In der nächsten Ausgabe werden wir unter anderem wieder in ein düsteres Setting entführt – die kompromisslose Welt von Dark Souls. Bis dahin wünschen wir wie üblich: „Frohes Lesen!“.

Artikelbilder: Splitter, Cross Cult, Bearbeitet von Verena Bach
Diese Produkte wurden kostenlos zur Verfügung gestellt.

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