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Bunt, laut und literarisch – Das ist das LiteraturCamp in Heidelberg. Doch wer und was steckt eigentlich hinter der Veranstaltung, und für wen ist sie geeignet? Was hat das Ganze mit Twitter zu tun, und wieso reden alle von diesem Einhorn? Diese und andere Fragen beantwortet Orga-Mitglied Susanne Kasper.

Bereits zum dritten Mal fand im Juni diesen Jahres das LiteraturCamp in Heidelberg statt. Das LitCampHD ist dabei Begründer einer neuen Barcamp-Reihe, die sich ausschließlich auf die Literaturszene fokussiert. Seit dem zweiten Jahr sind die Teilzeithelden treue LitCamp-Besucher. Während 2017 Redakteurin Marie noch alleine vor Ort war, wurde sie 2018 von Redakteurin Julia begleitet – beide hat das LitCamp-Fieber gefasst. Julia nahm ihre Begeisterung gleich zum Anlass, um ein Interview mit Initiatorin und Orga-Mitglied Susanne Kasper zu führen.

In der Literaturszene ist Susanne Kasper keine Unbekannte. Im Jahr 2000 gründete sie die Literaturplattform Literaturschock, auf der sich Leser über Bücher austauschen können oder an Leserunden und Vorablese-Aktionen teilnehmen. Als Informatikerin bietet sie ihre Website-Kompetenzen unter social reading auch Autorinnen und Autoren an und hilft ihnen, sich online zu präsentieren. Damit nicht genug, rief sie 2006 eine weitere Literatur-Plattform ins Leben. Leserunden.de ist ein Forum, das sich ganz auf autorenbegleitete Leserunden fokussiert und in dieser Form einzigartig ist. Zusätzlich zum jährlichen LiteraturCamp in Heidelberg, welches 2016 zum ersten Mal stattfand, betreut Susanne Kasper auch die im September 2017 gegründete Phantastik-Bestenliste.

© LitCamp
© LitCamp

Interview

Teilzeithelden: Hallo Suse, fast einen Monat ist es nun her, dass das dritte LiteraturCamp in Heidelberg stattgefunden hat. Wie geht es dir inzwischen? Bist du wieder in der Realität angekommen?

Suse von der LitCamp Orga
Suse von der LitCamp Orga

Suse: Ich war nie weg aus der Realität. Als Orga-Mitglied erlebt man so eine Veranstaltung ganz anders als die TeilgeberInnen. Man bekommt nur Bruchstücke von Sessions mit – vor allem dann, wenn ein Kabel fehlt oder irgendwas mit der Technik nicht stimmt. Vorher ist so viel zu tun, dass man an den beiden Veranstaltungstagen selbst so müde ist, dass man sich am liebsten irgendwo hinlegen und das Wochenende verschlafen will.

Teilzeithelden: Ja, ich kann mir gut vorstellen, dass die Durchführung einer solchen Veranstaltung mit viel Stress für die OrganisatorInnen verbunden ist. Doch fangen wir einmal ganz vorne an, schließlich gibt es bestimmt noch einige, die das LiteraturCamp gar nicht kennen. Also: Was ist das LitCamp und für wen ist es gedacht?

Suse: Das LitCamp ist für Menschen, deren Herz für Literatur schlägt und die ihr Wissen mit anderen teilen möchten. Es ist ein klassisches Barcamp mit Themenschwerpunkt, was bedeutet, dass das Programm nicht vorher feststeht, sondern gemeinsam samstags und sonntags morgens gestaltet wird. Jede/r kann also ein Thema mitbringen und erhält dann von der Orga Raum und Zeit.

Teilzeithelden: Das LitCamp in Heidelberg war ja das erste seiner Art und somit ein absoluter Vorreiter. Doch wie kam die Idee zum LitCamp? Und wieso habt ihr euch für ein Barcamp-Format entschieden?

Suse: Schon als Studentin besuchte ich die KIF und KoMa, die ähnliche Formate sind. Ich liebe Barcamps und es fehlte ein Barcamp mit dem Themenschwerpunkt Literatur. Da ich schon immer eher die Macherin war und nicht so sehr die Einstellung „Abwarten, irgendwann macht das schon jemand“ habe, vergingen von der ersten Idee bis zur Umsetzung nur wenige Wochen.

Ein LitCamp für alle

Teilzeithelden: Du sagst, das LitCamp ist ein Barcamp mit dem Themenschwerpunkt Literatur. Ist das LitCamp zusätzlich auch auf ein bestimmtes Genre fokussiert? Bzw. gibt es klare Genretendenzen bei den Anwesenden?

Suse: Die Inhalte machen die Anwesenden. Wir steuern da nichts. Im ersten Jahr waren viele SelfpublisherInnen da, inzwischen immer mehr VerlagsautorInnen – oder eben auch die Mischform. Der bisherige Schwerpunkt lag eher auf der Belletristik, aber wie schon erwähnt: Wenn nun mehr Fach- und Sachbuch-AutorInnen oder -verlage zur Veranstaltung kommen, dann kann sich das schnell ändern. Die Genres selbst sind bunt gemischt.

Teilzeithelden: Also würdest du sagen, es lohnt sich auch, das LitCamp zu besuchen, wenn man einfach nur gerne liest? Man muss also kein/e BloggerIn oder AutorIn sein, um Spaß zu haben? Lohnt es sich vielleicht sogar für Leute aus der Lyrik-Szene, das LitCamp zu besuchen?

Suse: Das hoffe ich doch sehr! Ich wünsche mir künftig mehr literarische Themen. Aber es ist schon so, dass der Fokus von Barcamps bisher auf digitalen Themen liegt.

© LitCamp
© LitCamp

Von OrganisatorInnen und SponsorInnen

Teilzeithelden: Das Kernteam der LitCampHD-Orga besteht ja aus dir und drei weiteren Personen. Doch habt ihr mit der Zeit noch viele andere helfende Orga-Hände dazu bekommen. Wie hat sich die Orga gebildet und kann heute jeder Orga-Mitglied werden?

Suse: Der größte Teil der Orga kam vom wunderbaren Barcamp Rhein-Neckar, das in diesem Jahr nach einem Jahr Pause zum Glück wieder stattfindet. Einige Mitglieder kamen dann später dazu. Das Kernteam aus Dirk, Nathan, Nils und mir besteht aber von Anfang an. Nicht jeder kann ins Team. Wir haben häufig Anfragen und Hilfsangebote, aber inzwischen sind wir schon sehr eingespielt und es fallen auch nicht so viele zusätzliche Arbeiten an. Wo wir immer Hilfe brauchen können, ist in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit oder auch gerne bei der Sponsorengewinnung. Ansonsten gibt es vor Ort für die „Engel“ immer viel zu tun.

Teilzeithelden: So eine Veranstaltung erfordert viel Zeit, Geld und Organisationsgeschick. Nicht selten steht man Problemen gegenüber, die man nicht hat kommen sehen. Welche Hürden musstet ihr nehmen?

Suse: Die Buchbranche an sich ist sehr schwerfällig. Es ist in jedem Jahr – trotz des unglaublichen Erfolges – immer wieder ein Kampf um Sponsorengelder. Da wir die Ticketpreise sehr niedrig ansetzen (für 15 EUR pro Person und Tag erhält man komplette Verpflegung, Sessions, Örtlichkeit, Kinderbetreuung usw.), ist das Sponsoring das, was uns hilft, die Veranstaltung durchzuführen. Einer unserer ersten Sponsoren war die GLS Bank. Kein Verlag. Das finde ich immer noch erstaunlich und traurig für die Branche. Schön ist andererseits, dass der Klett-Cotta Verlag, Tolino Media, der Uschtrin Verlag und Netgalley seit dem ersten LiteraturCamp an unser Format glauben und als Sponsor mit an Bord sind.

Teilzeithelden: Allerdings. Etwas mehr Initialeinsatz der Verlage wäre schön. Kannst du absehen, welche Hürden noch auf euch zukommen werden?

Suse: Die Hürden, Sponsoren zu gewinnen, sind fast genauso hoch. Auch müssen wir uns der Frage stellen, ob wir das LiteraturCamp weiterhin in der gleichen Location veranstalten wollen bzw. können. Wir könnten wachsen, die Tickets sind inzwischen innerhalb von wenigen Stunden (zuletzt sogar Minuten) weg. Doch in das Dezernat16 dürfen wegen Brandschutz nur 199 Menschen gleichzeitig.

Teilzeithelden: Du sagst ja selbst, dass sich das LitCamp hauptsächlich über Sponsoren finanziert. Wie reagieren diese denn auf die Anfrage, Geld dafür zu geben, dass eine Gruppe Leute ein Wochenende über Bücher diskutieren kann?

Suse: Es kommt ganz darauf an. Im ersten Jahr gab es von purem Entsetzen „Was ist, wenn da niemand eine Session vorschlägt?“ bis hin zu Begeisterung alles. Inzwischen haben wir so viel Vorarbeit geleistet, dass das Format „Literaturcamp“ so bekannt ist, dass sich weitere Ableger gebildet haben. Den wenigsten Menschen in der Buchbranche muss man das Literaturcamp noch erklären. Aber die Branche tut sich nach wie vor schwer, mal wegzukommen von dem üblichen Modell, tausend kostenlose Bücher im Gießkannenprinzip auf den Markt zu streuen. Besser wäre es meiner Meinung nach, AutorInnen als Marke aufzubauen und das kann man nachhaltig durch gutes Netzwerken, wie auf einem Literaturcamp.

Teilzeithelden: Wenn man euch als Sponsor unterstützen möchte, welchen Weg muss man nehmen? Können nur Firmen Sponsoren werden oder ist es auch für Privatpersonen möglich?

Suse: Auf unserer Website gibt es immer die aktuellen Sponsorenpakete. Privatpersonen können entweder ein Ticket kaufen und den Preis nach oben korrigieren oder uns vor Ort etwas spenden. Das hilft uns natürlich immer sehr.

Teilzeithelden: Es gibt bestimmt einige, die das LitCamp unterstützen möchten, jedoch kein Geld haben. Wie können sie helfen?

Suse: Redet über das LitCamp! Obwohl wir inzwischen keine Werbung mehr brauchen, um die Tickets loszuwerden, ist es immer noch ein Problem, die Veranstaltung zu finanzieren. Wenn ihr also jemanden bei der Presse kennt oder selbst etwas über das LitCamp schreiben wollt (gerne auch als Interview mit einem Orga-Mitglied), dann go for it!

© LitCamp
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Viele kleine LitCamp-Ableger

Teilzeithelden: Das LitcampHD war das erste Literaturcamp und hat mittlerweile eine Reihe „Ableger“ gebildet. Viele schwärmen davon und markieren sich die Tage im Kalender, an denen es Tickets gibt, um es nicht zu verpassen. Macht es dich stolz, so etwas ins Leben gerufen zu haben?

Suse: Ich war es ja nicht alleine. Da hängen so viele andere tolle Menschen dran. Das ganze Orgateam und natürlich auch die Community. Mich hat schwer begeistert, dass das Grundrauschen auf Twitter in diesem Jahr schon so früh begann und sich die Leute zig verschiedene Hashtags dafür ausgedacht haben. Und wenn mich dann am LitCamp-Wochenende jemand mit strahlendem Gesicht umarmt und sich für die Veranstaltung bedankt, dann ist Freude statt Stolz ein besserer Ausdruck.

Teilzeithelden: Stimmt, mit vorn dabei war auf Twitter der Hashtag #LitcampundSex. Da kamen ja wirklich die lustigsten Beiträge zusammen. Doch kommen wir noch einmal auf die LitCamp-Ableger zu sprechen. In welcher Verbindung steht das LitcampHD zum LitcampHH oder dem Litcamp in Bonn? Und sind noch weitere Literaturcamps geplant?

Suse: Gar nicht. Wir kennen uns, aber ansonsten haben wir nichts miteinander vorher besprochen.
In Berlin entsteht ein Litcamp, aber dafür gibt es noch keinen Termin. Nachdem das anfangs ein bisschen drunter und drüber ging, unterstützt Nathan nun Victoria.

Teilzeithelden: Kann eigentlich jeder ein Literaturcamp ins Leben rufen?

Suse: Uns ist wichtig, dass mit dem Namen „Literaturcamp“ kein Kommerz betrieben wird und auch, dass es ein echtes Barcamp ist. Wir haben gewisse Ansprüche an die Organisation und damit ich da auch die Hand draufhabe und notfalls einschreiten kann, habe ich den Namen als Wortmarke schützen lassen. Jeder kann trotzdem ein Litcamp ins Leben rufen, allerdings sollte man auch ein bisschen den Kopf vorher einschalten. Es bringt nichts, wenn nun alle 50 km ein Litcamp stattfindet. So viele Sponsoren gibt es nicht – und auch nicht so viele Termine im Jahr.

Von politischen Themen über toxische Beziehungen in Romanen bis zu skurrilen Covern: Die Sessions

Teilzeithelden: Viele Barcamps sind politisch neutral und fassen auch keine kritischen Themen ins Auge. Verfolgt das LitCamp eine bestimmte Intention, sei es politisch, menschlich oder in sonst eine Richtung?

Suse: Jein. Das LitCamp verfolgt keine bestimmte Intention, hat aber durch das Orgateam eine bestimmte Einstellung. Wir sind alle politisch sehr weit links und viele von uns sind politisch aktiv. Sei es auf Demonstrationen, in der Gewerkschaft oder in der Geflüchtetenhilfe. Wir positionieren uns gegen Rechtsextremismus, Sexismus, achten auf Diversität etc. Julia Schönborn macht Öffentlichkeitsarbeit für gemeinnützige Vereine und soziale Initiativen. Nathan legt sich schon mal mit der AfD an.

Teilzeithelden: Auf dem LitCamp 2018 gab es einige Diskussionen zum Thema „Toxische Beziehungen in Romanen“, „Tropes“ und, dass Autoren, Blogger, Leser und Verlage für kritische Themen sensibilisiert werden sollten. Wie wichtig ist es euch als Veranstalter, dass solche Themen ihren Raum finden?

Suse: Sehr! Ich kann es gar nicht genug betonen.

Teilzeithelden: Natürlich finden auch lustige Sessions ihren Raum. So zum Beispiel deine Cover-Session, die nun schon das zweite Jahr in Folge eine beliebte Session gewesen ist. Die Cover sind teilweise einfach nur bescheuert, teilweise etwas verstörend. Wo findest du die Beiträge für die Coversession?

Suse: Eigentlich wollte ich die Session in diesem Jahr ausfallen lassen, aber das rief einen kleinen Sturm der Entrüstung hervor und ich wurde mit zahlreichen neuen Covern via Twitter und E-Mail gefüttert. Ansonsten finde ich das immer mal wieder beim Surfen. Ein gezieltes Vorgehen habe ich dafür nicht.

Teilzeithelden: Du hast bereits erwähnt, dass das Grundrauschen zum LitCamp dieses Jahr auf Twitter sehr früh begann. Twitter und LitCamp; das ist eine Verbindung, die untrennbar scheint. Kannst du dir erklären, woher der Twitter-Hype auf dem LitCamp kommt? Ist es eine Barcamp-Tradition oder sind die Leute einfach Twitter-süchtig?

Suse: Twitter funktioniert generell sehr gut für Veranstaltungen. Ich liebe Twitter und die meisten des Orga-Teams auch. Unser Twitter-Account wird auch regelmäßig von drei Leuten bespielt (Dirk, Nils und ich machen das). Die meisten Barcamps twittern nur ein paar Wochen vor Beginn der Veranstaltung und dann flaut es wieder ab. Wir füttern unsere Community aber das ganze Jahr über. Man muss also schon ein bisschen was dafür tun. So hat unser Account inzwischen fast so viele Follower wie das legendäre Barcamp Stuttgart – das schon viel länger existiert und keinen Themenschwerpunkt hat.

Teilzeithelden: Ähnlich wie Twitter ist auch das LitCamp-Einhorn ein fester Bestandteil der Veranstaltung und nicht wenige fragen sich: woher kommt es und hält es irgendwann auch mal eine Session?

Zentrales Fotomotiv: das Litcamp-Einhorn! Auch Gastredakteur Léo, Redakteurin Julia und Jung-Autorin Francis konnten nicht widerstehen.
Zentrales Fotomotiv: das Litcamp-Einhorn! Auch Gastredakteur Léo, Redakteurin Julia und Jung-Autorin Francis konnten nicht widerstehen.

Das Einhorn braucht einen Namen!

Suse: Ich hatte das Einhorn eigentlich für mich gekauft, weil ich es ursprünglich in meiner Wohnung als Leseplatz aufstellen wollte. Nils wollte es aber unbedingt mit aufs LitCamp schleppen und das war wohl eine ziemlich gute Idee. Es lässt sich zwar liebend gerne fotografieren, ist aber ansonsten wenig mitteilsam. Dabei fällt mir auf: Einen Namen braucht es wohl auch mal.

Teilzeithelden: Na, einen Namen für das Einhorn finden wir doch bestimmt schnell! Nun haben wir sehr viel über das LiteraturCamp im Allgemeinen und seine Besonderheiten gesprochen. Doch was ist für dich das Besondere am LitCamp? Um noch einmal den Bogen zu Twitter zu spannen: Wie würdest du es mit fünf Hashtags beschreiben?

Suse: #menschen #atmosphäre #vorfreudequietschendekinder #strahlendegesichter #familie

Teilzeithelden: Und was wünscht du dir für das LitCamp 2019?

Suse: Ich kann mir da gar nicht so viel wünschen, weil es wirklich so gut läuft und sich die meisten so wohl fühlen. Mehr Sponsoren, damit wir das Ding noch geiler für alle machen können vielleicht.

Teilzeithelden: Vielen Dank für das wunderbare Gespräch, liebe Suse!

Artikelbilder: © LiteraturCamp Heidelberg, Bearbeitet von Verena Bach

 

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