Geschätzte Lesezeit: 7 Minuten

Eigentlich ist die Leipziger Buchmesse eines DER Events der Buchbranche. Dort werden Bücher ge- und verkauft, geschäftliche wie private Gespräche geführt, Neuerscheinungen präsentiert, Lesungen gehört, Cosplays vorgeführt und Preise verliehen. Doch dann kam Corona und alles wurde anders.

Die Leipziger Buchmesse sollte vom 12. bis 15. März 2020 stattfinden, parallel dazu wie üblich die Manga Comic Con und das Lesefestival Leipzig liest. So war zumindest der Plan.

Doch dann kam das Coronavirus Sars-CoV-2 und relativ kurzfristig wurde die Messe abgesagt. Aber die Buchbranche wäre nicht, was sie ist, wenn sich dort nicht viele kreative Menschen sammeln würden. Diese haben in kurzer Zeit mit großem Einsatz eine Reihe alternativer Veranstaltungen auf die Beine gestellt, damit es diesen März wenigstens ein bisschen Buchmesse gibt.

Chronologischer Überblick

Während bereits einige Veranstaltungen inklusive der Touristikmesse ITB abgesagt wurden und in Italien die Lombardei und Veneto abgesperrt wurden, hielt die Leipziger Messe noch an der Buchmesse fest und betonte auf Nachfragen auch immer wieder, dass die Messe stattfinden solle. Erst am 3. März sickerten auf verschiedenen Medienkanälen Nachrichten durch, die Buchmesse werde abgesagt. Nachmittags bestätigte die Messe die Absage der Veranstaltung. Das Gesundheitsamt Leipzig hatte von der Messe eine Rückverfolgbarkeit von Kontaktpersonen verlangt, es hätten also sämtliche Messeteilnehmer*innen schriftlich belegen müssen, nicht aus zu dem Zeitpunkt definierten Corona-Risikogebieten zu stammen oder Kontakt zu Personen aus Risikogebieten gehabt zu haben. Dieser logistische Aufwand ist bei etwa 2.500 Ausstellern und rund 280.000 erwarteten Gästen für die Messe nicht leistbar.

Die Absage stieß nicht überall auf Gegenliebe. Während viele besonders auf Social Media lautstark jammerten und schimpften, wurde sachlicher der knappe Zeitpunkt der Absage kritisiert, auch die Frage nach Kostenerstattung stand berechtigter Weise im Raum. Etliche Verlage, Autor*innen, Zeichner*innen und andere Kreativschaffende beklagten fehlende Einnahmen und auch den Verlust der Sichtbarkeit. Die Leipziger Buchmesse ist zum einen eine Veranstaltung mit großem Kontakt zur Leserschaft, außerdem ist dort der Verkauf üblich, dadurch stellt sie für etliche eine nicht zu vernachlässigende Einnahmemöglichkeit durch Bücherverkäufe, Lesungen und Vorträge dar. Zum anderen waren zahlreiche Investitionen in beispielsweise Werbematerial und Unterbringung bereits getätigt, die nicht alle zurückerstattet werden und sich anders als ein Cosplay nicht im nächsten Jahr wieder nutzen lassen.

Doch einige Teile der Branche wie auch der Phantastik-Szene haben sich schnell vom Schock erholt, nach Alternativen gesucht und verschiedene Dinge auf die Beine gestellt.

Virenfrei viral

Hilfreich war bei allen Alternativveranstaltungen das Internet.

Die Bundeszentrale für politische Bildung verlegte unter der Überschrift Leipzig streamt Teile ihres Programms ins Netz, so konnte Debatten statt auf der Bühne im Livestream gelauscht werden. Der MDR sammelte, welche Veranstaltungen von Leipzig liest trotz Messeabsage stattfinden würden und verlegte Teile seines Bühnenprogramms, wie beispielsweise den Preis der Leipziger Buchmesse, in Richtung Netz und Radio. Dies fand in Abstimmung mit der Messe selbst statt; Selfpublisher, kleinere Preise wie der Seraph und das Programm der zahlreichen Leseinseln kamen dabei leider nicht vor, Phantastik und Indie-Szene mussten wieder einmal draußen bleiben. Aber sie haben ein alternatives Programm geschaffen, das teilweise absolut sehenswert war und ist.

Auf verschiedenen Kanälen wurde beraten, in Facebook-Gruppen fanden sich einander bisher unbekannte Buchblogger*innen und Autor*innen zusammen und in kurzer Zeit tauchten verschiedene Alternativen auf. Es gab teilweise Aktionen vor Ort in Leipzig, während andere wie der Drachenmond Verlag lieber zu sich zur #Drachenmesse einluden. Das meiste verlagerte sich jedoch in die Online-Welt.

Lesungsvorbereitung: Misa-Janika Hoffmann
Lesungsvorbereitung: Misa-Janika-Hoffmann

Lesungen wurden auf Youtube, Instagram, Facebook oder Twitch verlegt, die Online Artist Alley bot betroffenen Mangazeichner*innen die Möglichkeit, sich zu präsentieren und auch einige dort bisher weniger aktive Verlage erkannten plötzlich das Potenzial von Social Media.

Die Selfpublishing-Distributoren Tolino Media und Books on Demand verlegten ihr Bühnenprogramm in Form von Artikeln, Videos und Homestorys auf ihre Webseiten. Verschiedene Verlage versuchten sich wie dtv an einem virtuellen Messestand oder intensivierten ihre Auftritte in den sozialen Medien, wo sie Bücher verlosten, Neuerscheinungen präsentierten und Lesungen ihrer Hausautor*innen abhielten. Buchblogger*innen und Booktuber stellten Lieblingsneuerscheinungen vor und verlosten diese ebenso wie Goodiepakete, die ihnen Autor*innen zur Verfügung gestellt hatten. Letztere lasen vor der Kamera und beantworteten auf Social Media statt am Stand Fragen.

Fakriro - das Event
Fakriro – das Event

Die Initiatorinnen von Fakriro stellten sogar eine Online-Messe auf die Beine, wo sich verschiedene Selfpublisher*innen und Kleinverlage mit einem virtuellen Messestand präsentieren konnten. Leider kam es dort zu einigen technischen Problemen, weshalb die Messe zwischendurch nicht erreichbar war, aber das tat ihrer Qualität keinen Abbruch. Im Verlauf der Woche soll sie als „Quarantäne-Event“ wieder online gehen und länger laufen als ursprünglich geplant, nämlich bis Ostern.

Hamster und Seraphim

Auch in der Buchszene kam es seit Absage der Messe verstärkt zu Hamsterkäufen, hier jedoch nicht Reis, Nudeln und Toilettenpapier, sondern Bücher. Unter dem Hashtag #bücherhamstern riefen Autor*innen, das Phantastik-Autoren-Netzwerk PAN und in Folge auch eine Reihe Buchblogger*innen auf, die Bücher zu kaufen, die man sich sonst auf der Messe gekauft hätte. So sollte das Stöbern an Büchertischen etwas ersetzt werden, da die Neukäufe natürlich auch unter dem entsprechenden Hashtag geteilt werden sollten. Ziel der Aktion ist es, die harten Konsequenzen des fehlenden Messegeschäfts besonders für Selfpublisher*innen und kleinere Verlage abzufangen. Unter dem Hashtag finden sich Buchtipps quer durch alle Genres und es bleibt die Hoffnung, dass #bücherhamstern etwas gebracht hat und auch in den kommenden Monaten weiter eifrig Bücher gehamstert werden.

Der Phantastikpreis Seraph wurde kurzerhand auf Twitch verliehen und erreichte an reinen Zuschauerzahlen von etwa 3.000 Menschen deutlich mehr Leute als sonst in Leipzig! Diese könnten sich dort nicht einmal um die Leseinsel quetschen, auf der der Preis sonst verliehen wird. Aufgrund der anderen Situation gab es keine lange Vorstellung der nominierten Titel und leider auch keine Lesung im Anschluss. Letzteres ist zu bedauern, dafür hat der gestraffte Ablauf der Preisverleihung gutgetan und auch die höheren Publikumszahlen sind bemerkenswert.

Der Seraph in der Kategorie bestes Debüt geht an Bijan Moini mit Der Würfel. Als bestes Buch wurde Mitternacht von Christoph Marzi ausgezeichnet. Der Seraph für den besten Independent-Titel ging an das Duo Erik Kellen und Mira Valentin für ihren Titel Windherz.

Aktiv, aber nicht einig

Viele dieser Aktionen waren wunderschön und richtig gut, technische Probleme können immer auftreten und lassen sich in Zukunft sicher verbessern. Durch die digitalen Auftritte konnten alle teilnehmen, sogar ohne das Risiko, sich eine der häufigen Nach-Messe-Erkältungen einzufangen. Außerdem konnten so weder das Wetter (wie 2018) noch andere Probleme den Messebesuch vermiesen. Auch lässt sich ein Vortrag auf Youtube pausieren, um die heimische Toilette aufzusuchen, statt eine halbe Messehalle zu durchqueren und dadurch womöglich den spannenden Teil zu verpassen.

Plötzlich waren digitale Dinge möglich, die vorher eher nicht gingen, einige Verlage entdeckten die Möglichkeiten des Internets plötzlich für sich.

Ein großer Nachteil war die Zersplitterung der zahlreichen Aktionen und auch die uneinheitliche Namensgebung. Da gab es #OnlineLBM, #LBMAtHome, #LBMAlternative, #LBMReloaded, #LeiderNichtLeipzig, #LiveStattLeipzig, #virtualLBM, #LeipzigBeiDir, #MesseDaheim, #Messemomente und viele andere. Das hat es leider nicht vereinfacht, den Überblick zu behalten oder zu wissen, wie groß das Angebot an Alternativen eigentlich wirklich ist.

Die Alternativveranstaltungen haben jedenfalls eines gezeigt: Es geht eine ganze Menge, wenn es sein muss. Trotz der sehr kurzen Vorlaufzeit und mit Hilfe digitaler Möglichkeiten konnten tolle Synergien hergestellt werden. Das ist großartig! Es bleibt zu hoffen, dass dieses gemeinsame Engagement und der Einsatz füreinander auch nach dem Coronavirus noch Teil der Buchbranche ist. Außerdem wäre es schön, wenn Große und Kleine in Zukunft besser zusammenarbeiten können und Selfpublisher*innen und Phantastik auch im offiziellen Alternativprogramm ihren Platz finden.

Artikelbild: © LBM, © Fakriro, © Tolino, © JUlia von Rein-Hrubesch

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein