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Als die Leipziger Buchmesse im März 2020 wegen des neuartigen Coronavirus abgesagt wurde, trafen hauptsächlich Unverständnis und Unwissenheit über diese fremdartige Situation zusammen. Mittlerweile werden Nachrichten über abgesagte Veranstaltungen mit verständnisvollem Nicken zur Kenntnis genommen. Warum wir das trotzdem bedauern dürfen. Ein Kommentar.

Wir stecken in einer Krise, und diese Krise heißt „globale Pandemie durch COVID-19“. Die Medien sind voll von tagesaktuellen Berichten, und ständig stellt sich die Frage: Was können wir tun, um gleichzeitig die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen und die Gesellschaftsstrukturen aufrechtzuerhalten?

Großveranstaltungen abzusagen ist da eine naheliegende Lösung, und wohl auch eine der einfacheren Entscheidungen. Damit soll keineswegs kleingeredet werden, dass die Eventbranche darunter leidet und viele Existenzen bedroht sind – Events sind dennoch ein hoher Risikofaktor mit vergleichsweise kleinem Schaden durch ihr Wegfallen.

Dies betrifft auch die Cosplayszene. Im Wochentakt liest man auf Social Media von Absagen oder Vertagungen der Conventions, sowohl deutschland- als auch europaweit.  Als es im März die Leipziger Buchmesse als Erstes traf, war vielen von uns noch unklar, welche globalen Auswirkungen und Einschränkungen sich da anbahnten.

Die Gänge der Leipziger Messehallen blieben in diesem Jahr zur Leipziger Buchmesse leer. Es war die erste von vielen Veranstaltungen, die abgesagt wurden. © fotomem
Die Gänge der Leipziger Messehallen blieben in diesem Jahr zur Leipziger Buchmesse leer. Es war die erste von vielen Veranstaltungen, die abgesagt wurden. © fotomem

(Un-)Verständnis

Es gab viel Kopfschütteln über die Cosplayer im Leipziger Clara-Zetkin-Park, die sich am Wochenende der Leipziger Buchmesse trotz der abgesagten Veranstaltung vielzählig trafen. Wohl auch zurecht – gerade im Rückblick war das eine sehr leichtsinnige Aktion.

Hier ein Geständnis: Ich war an diesem Wochenende auch in Leipzig. Zwar war ich „nur“ mit einer Freundin unterwegs, auf Kurzurlaub, weil wir das Hotel nicht stornieren wollten. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich auch noch nicht vollständig begriffen, welche Ausmaße das Coronavirus hat. Treffen zu zweit oder in Kleingruppen waren ja noch erlaubt, und sind es mittlerweile wieder. Rückblickend schüttele ich über mich selbst den Kopf.

Wir sind zum Glück gesund geblieben. Mittlerweile ist auch bei jedem (naja, fast) angekommen, dass man gefälligst daheimbleiben soll. Trotzdem wird auch sichtbar, warum so ein Cosplayer-Alternativtreffen zustande kommt. Es ist schwierig, dass einem das etablierte Sozialleben jetzt verwahrt bleiben soll. Da ist die Reaktion, sich querzustellen und dafür „zu kämpfen“, irgendwie verständlich. Ja, es ist leichtsinnig. Nein, das Verhalten ist auch nicht entschuldigen. Aber verständlich ist es schon.

Cosplay und das Sozialleben

Gerade das Thema Freundschaft ist ein wichtiger Punkt beim Cosplay. Dank Cosplay entstehen Freundschaften, die im ganzen Land (und darüber hinaus) verteilt sind. Trotzdem kann man sich auf Conventions regelmäßig sehen. Das Venn-Diagramm zwischen der Cosplay- und Conventionszene sowie dem Sozialleben vieler Cosplayer ist ein Kreis.

Machen wir uns einmal bewusst, was die vielen Absagen dahingehend bedeuten. Ich persönlich besuche ca. 5 Conventions im Jahr, was vermutlich ein guter Durchschnittswert ist. Ich plane diese Events weit im Voraus, und die Vorfreude ist riesig. Auf den Conventions selbst sehe ich eine Menge meiner Freunde und Bekannten, welche zu besuchen ich oft keine zusätzliche Zeit habe das Jahr über hinweg.

Übeltäter Coronavirus

Das fällt in diesem Sommer weg. Sars-Cov-2 heißt der Übeltäter, der das zu verantworten hat. Im Volksmund: Coronavirus. Keine Conventions, keine Shootings, aber vor allem – keine Treffen mit Freunden, denn lange Reisen sind momentan nicht drin. Diese Situation schlägt mir aufs Gemüt. Ich weiß zudem aus zahlreichen Gesprächen mit Bekannten, dass es nicht nur mir so geht.

Nun bin ich ein eher introvertierter Mensch und kann gut mit mir allein sein. Ich kenne aber viele Personen, die dahingehend das Gegenteil von mir sind. Um diese mache ich mir Sorgen.
Natürlich haben wir das große Glück, dank Telefonen, dem Internet und Plattformen wie Discord, Skype und Zoom die Möglichkeit zu haben, jederzeit unsere Liebsten zu kontaktieren. Aber diese digitalen Kontakte sind nur zu einem gewissen Grad hilfreich. Echte menschliche Nähe können sie nicht ersetzen.

Die Atemschutzmaske ist zum Symbol der Corona-Pandemie geworden. Körperliche Nähe sollte auf ein Minimum reduziert werden. © AllaSerebrina
Die Atemschutzmaske ist zum Symbol der Corona-Pandemie geworden. Körperliche Nähe sollte auf ein Minimum reduziert werden. © AllaSerebrina

Als am Wochenende um den 23. Mai herum eigentlich die DoKomi stattgefunden hätte, waren die Social-Media-Plattformen Twitter und Instagram voll mit Erinnerungen aus dem letzten Jahr. Immer wieder mit einer ähnlichen Unterschrift: „Ich vermisse euch“/ „Ich vermisse es, Conventions zu besuchen“.

Einsamkeit ist ein Problem. Die Bundesregierung führt in ihren offiziellen Alltags-Tipps auf, wie man gegen sie ankämpfen kann. Die Auswirkungen auf mentale Gesundheit, die die Selbstisolation mit sich bringt, sind schwer abzuschätzen, aber sie sind gleichzeitig nicht von der Hand zu weisen.

Cosplay und das Berufsleben

Was an dieser Stelle ebenfalls nicht ungesagt bleiben darf, ist, dass Cosplay sich in den letzten Jahren auch zu einem Berufsfeld gemausert hat. Wer dem Englischen mächtig ist, dem empfehlen wir diesen Artikel von io9 zu dem Thema, der Stimmen von betroffenen Cosplayern in den USA enthält.

Für alle, die dies nicht sind, eine kurze Zusammenfassung: Events sind eine wichtige Einnahme- und Netzwerkquelle. Buchungen als sog. Walking Acts, Verkauf von Merchandise, Aufwandsentschädigung für Panels und Workshops stehen auf der finanziellen Seite. Gesehen werden, Fans hinzugewinnen und sich mit anderen Cosplayern zu vernetzen auf der anderen Seite. Beides sind wichtige Stützen für alle, die sich diesem Berufsweg verschrieben haben. Diese fallen weg. Existenzsorgen sind also auch in unserer Szene momentan bittere Realität.

Am Ende bleibt nur Frust

Cosplay und die Conventionszene machen bei vielen Cosplayern zumindest einen großen Teil des Soziallebens aus, und bei einigen sogar die finanzielle Existenzgrundlage. Darauf müssen wir diesen Sommer über verzichten.

Und das ist scheiße!

Verzeiht mir, wenn ich hier kurz persönlich werde: Ich hasse es. Ich bin frustriert. Ich weiß nicht wohin mit diesem Frust, weil er sich gegen etwas Unsichtbares richtet. Etwas, dem ich nur entgegenwirken kann, wenn ich weiterhin von sozialen Kontakten fernbleibe.

Das sind Emotionen, die schwierig zu verarbeiten sind. Es tut gut, sich das einzugestehen. Es ist okay, so zu fühlen. Das ist menschlich. Selbst bei so etwas „Banalem“ wie Conventions. Klar, im nächsten Jahr kann ich (wahrscheinlich – hoffentlich?) wieder ganz normal all diese Dinge erleben. Sie sind nicht überlebensnotwendig. Und trotzdem fühle ich mich so. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, wie es für all jene ist, deren Existenz durch Corona gefährdet ist.

Gerade die Ungewissheit, wie lange das Ganze dauern wird, trifft. Es wird über Lockerungen diskutiert, die laut Expertenmeinungen bei einer „zweiten Welle“ wieder zurückgezogen werden müssen. Selbst wenn wir in einem Monat wieder ein halbwegs normales Leben führen können – all diese Emotionen waren trotzdem da, und es ist gerechtfertigt, über sie zu sprechen.

Die Frankfurter Buchmesse und das ungute Bauchgefühl

Am 27. Mai hat die Frankfurter Buchmesse eine Pressemitteilung veröffentlicht, in der deutlich wird, dass die Veranstaltung trotz der Corona-Krise vom 14.-18. Oktober stattfinden soll. Ganz normal, wie in den etlichen Vorjahren auch, mit Fachtagen unter der Woche und zwei Besuchertagen am Samstag und Sonntag. Diese Entscheidung sei gemeinsam mit dem Land Hessen gefallen, heißt es in der Meldung, und es sei ein Hygienekonzept erarbeitet worden, dass die Behörden überzeugt habe. Zusätzlich soll es auch zu dieser Veranstaltung ein digitales Konzept geben, und die Bühnen, wie es sie bisher immer gegeben hat, werden auf dieses umdisponiert. Es soll möglichst nicht zu Menschenansammlungen kommen.

So kennt man die Frankfurter Buchmesse aus den Vorjahren – Volle Gänge dank hoher Besucherzahlen. Dieses Jahr werden die Messehallen vermutlich anders aussehen. © Hackman
So kennt man die Frankfurter Buchmesse aus den Vorjahren – Volle Gänge dank hoher Besucherzahlen. Dieses Jahr werden die Messehallen vermutlich anders aussehen. © Hackman

Auf der einen Seite wirkt diese Nachricht wie ein Hoffnungsschimmer am düsteren Corona-Horizont. Auf der anderen Seite stellt sich jedoch eine unbequeme Frage: Ist das verantwortbar, eine Messe mit einer solch hohen Besucherzahl stattfinden zu lassen? Bei mir hat sich direkt ein ungutes Bauchgefühl eingeschlichen. Während Kontakte zwischen wenigen Personen mittlerweile ja erlaubt und auch wichtig für die mentale Gesundheit sind, scheint eine Messe doch ein zu gewagter Sprung. Natürlich lasse ich mich liebend gerne vom Gegenteil überzeugen. Bis dahin werde ich es mir gut überlegen, ob eine Reise nach Frankfurt für mich persönlich die richtige Entscheidung wäre.

Die kreative Cosplayszene. Eine Liebeserklärung.

Der absolute Super-GAU wäre es, wenn unsere großartige, vielfältige Conventionlandschaft durch die Auswirkungen der Veranstaltungsverbote schrumpfen würde. Dagegen gilt es zu kämpfen. Der Animexx e.V., Träger und Macher hinter vielen der Angebote in der deutschen Szene, muss um Spenden bitten, um die Ausfälle zu stemmen. Das ist hart, und ich möchte mir gar nicht erst vorstellen, wie es ist, in unserer aktuellen Lage finanziell abhängig von Eventplanung und -management zu sein.

Wir lassen uns trotzdem nicht unterkriegen. Wie in vielen anderen Bereichen auch, suchen die zahlreichen ehrenamtlichen Helfer von Conventions und Wettbewerben nach Lösungen. Als für die Veranstalter der Deutschen Cosplay Meisterschaft (DCM) klar wurde, dass die Vorentscheide auf Conventions nicht stattfinden können, haben sie reagiert. Es wurde ein Online-System eingeführt, und die DCM 2020 findet nun digital statt. Ich persönlich bin ungemein gespannt, was Teilnehmer und Organisatoren im Nachhinein über dieses Konzept zu berichten haben werden.

Einige Conventions wie die Animuc und die Hanami haben durch Streams ebenfalls eine digitale Alternative präsentiert. Die beiden Events wären wegen der Einschränkungen ansonsten komplett ausgefallen. So konnten sich die Veranstalter trotzdem mit ihren Besuchern vernetzten.

Und dafür liebe ich die Cosplayszene. Wir sind kreativ. Wir finden Lösungen, um trotz allem über unsere gemeinsamen Interessen zu sprechen und unser Hobby auszuleben. Das macht uns aus.

Übrigens: Was man noch so alles gegen den Isolationsfrust machen kann, hat meine Teilzeithelden-Kollegin Stephanie Winkler in ihrem Artikel bereits aufgeführt. Hier kommt ihr zu ihren Tipps gegen die aufkommende Langeweile und was für kreative Alternativen es gibt.  

Endlich Zeit für die Kostümherstellung! Es gibt einige Dinge, die man als Cosplayer auch zu Hause machen kann. © robertprzybysz
Endlich Zeit für die Kostümherstellung! Es gibt einige Dinge, die man als Cosplayer auch zu Hause machen kann. © robertprzybysz

Bleibt gesund

Es ist ungemein wichtig, die Vorgaben im Kampf gegen das Virus zu praktizieren und so das Gesundheitssystem bestmöglich zu entlasten. Sich regelmäßig darüber informieren, was zu tun ist, ist genauso wichtig, wie nicht den Sand in den Kopf zu stecken.
Vielleicht hat der eine oder andere ja auch Lust, die Angebote der Online-Conventions in Anspruch zu nehmen und so Wertschätzung für die unermüdliche Arbeit der ehrenamtlichen Helfer und Organisatoren zu zeigen.

Die vorherrschende Ungewissheit ist doof. Sicherheit geht nun einmal vor. Deshalb, liebe Teilzeithelden-Leser: Bleibt gesund, und gebt auch euch und auf eure Mitmenschen acht. Ich persönlich freue mich jetzt schon sehr auf den nächsten Conventionbericht, den ich hoffentlich schon in der Saison 2021 für die Teilzeithelden schreiben darf.

Titelbild: © alebloshka | depositphotos
Artikelbilder: Wie gekennzeichnet | depositphotos
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Rick Davids

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