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Mittelerde lebt von Motiven, die uns alle berühren: Hoffnung, Heldenmut, eine tiefe Liebe zur Natur sowie das Gefühl, dass selbst die kleinste Person Großes vollbringen kann. Wer etwas tiefer gräbt, findet außerdem wahre Schätze an etymologischem, philologischem und linguistischem Wissen. Aber wo fange ich mit dem Graben an?

Es gibt viele verschiedene Wege nach Mittelerde. Der breiteste, der wohl am häufigsten gegangen wird, sind die Peter-Jackson-Filme. Völlig zurecht prämiert, bilden sie eine Interpretation von Tolkiens Werken, die ihresgleichen sucht. Obgleich diese Interpretation in Teilen von der Vorlage abweicht, wurde die Atmosphäre und der Geist der Geschichte des Ringkriegs, wie Bilbo und Frodo sie zu Papier gebracht haben, gut transportiert und hat ein Millionenpublikum hervorragend unterhalten.

Wer von den Filmen zu den Büchern gelangen möchte, der steht angesichts der Menge an Werken vor der Frage, womit man denn beginnen sollte. Der kleine Hobbit ist schließlich als Kinderbuch konzipiert. Der Herr der Ringe wiederum ist zwar dessen Fortsetzung, doch keinesfalls ein Kinderbuch. Und welche Geschichten erzählt Das Silmarillion, welches erst nach Tolkiens Tod erschienen ist?

Die Mythologie von Mittelerde

Wer also einen genaueren Blick auf Mittelerde werfen möchte und die Bücher wirklich noch gar nicht kennt, der tut gut daran, mit Der kleine Hobbit zu beginnen. Das Buch ist rasch gelesen, amüsiert an den richtigen Stellen und obgleich es für Kinder geschrieben ist, ist genug darin vorhanden, um auch Erwachsene zu faszinieren. Man erfährt von der Reise des Bilbo Beutlin, der einen kleinen, scheinbar unbedeutenden Ring findet, und am Ende gibt es eine Schlacht zwischen fünf verschiedenen Heeren. Was will man mehr?

Nach Bilbos Geschichte setzt sein Adoptivsohn, Frodo Beutlin, die Geschichte mit Der Herr der Ringe fort. Nun erfährt der Leser, was es mit diesem Ring auf sich hat, und verschiedene Ereignisse aus Bilbos Leben werden in Der Herr der Ringe in einen anderen, größeren Kontext gesetzt. Im Verlauf dieser immer umfangreicher werdenden Geschichte liest man Namen wie „Oromé“, hört von einem „Gondolin“, von Valinor und den Valar. Man bekommt unweigerlich das Gefühl, dass die Geschichte des Ringkriegs in einen reichhaltigen historischen Kontext, eine eigene Mythologie eingebettet ist.

Da ist der Schritt zu Das Silmarillion dann auch nicht mehr fern. Dieses Buch erzählt eben jene geheimnisvolle Mythologie, die man schon in den beiden anderen Werken spüren konnte. Es ist eine Sammlung von teils unvollendeten Texten Tolkiens, die nach seinem Tod durch seinen Sohn Christopher vervollständigt, redigiert und veröffentlicht wurde. Dort wird vom Ersten und Zweiten Zeitalter berichtet (Die Ereignisse um Frodo finden am Ende des Dritten Zeitalters statt). Es geht um die Erschaffung der Welt, um die Kriege der Elben und wie der Vala Melkor zum brutalen, bösen Morgoth wurde, der die Herrschaft über Mittelerde an sich reißen will.

Hat man diese drei Werke gelesen, ist man gut gerüstet für den tiefen Einstieg in die Mythologie aus Tolkiens Feder. Man muss sich nur noch entscheiden, wo man anfangen möchte: Weitere Geschichten aus Mittelerde, mehr über J.R.R. Tolkien und sein Leben – oder möchte man in die Linguistik, Etymologie und Philologie einsteigen?

War es das schon? Mehr Mythologie!

Die bisher vorgestellten Bücher erzählen einen Großteil der Geschichten rund um Mittelerde. Dennoch gibt es weitere Veröffentlichungen aus Christopher Tolkiens Hand, die einzelnen Charakteren mehr Tiefe verleihen oder andere, unveröffentlichte oder nicht beendete Versionen von weiteren Texten aus der Feder seines Vaters beinhalten. Allen voran sind hier die drei Großen Sagen zu nennen: Die Kinder Huríns (2007), Beren und Luthién (2017) und Der Fall von Gondolin (2018).

Beren und Lúthien

Es gibt nicht viele Vereinigungen zwischen Mensch und Elb in der Mythologie Mittelerdes. Jede einzelne davon ist mit einer großen Geschichte verknüpft und von hoher Bedeutung; geht es doch um nichts Geringeres als die Erhebung, die Nobilitierung eines Menschen durch die Verbindung mit einem Elben. So trifft der Mensch Beren, der aus einem überrannten Menschenreich flieht, in den Wäldern Doriaths auf Lúthien, die Tochter der Maia Melian und dem Elbenkönig Thingol. Sie lieben einander, doch ihr Vater möchte die Hand seiner Tochter keinem Menschen überlassen. So stellt er Beren eine unlösbare Aufgabe: Einen Silmaril Féanors aus der Krone des übermächtigen Morgoths brechen und diesen dem König bringen. Verbotene Liebe in Mittelerde – doch das Buch ist nicht nur eine reine Erzählung.

Beren und Lúthien © Klett-Cotta
Beren und Lúthien © Klett-Cotta

Der Fall von Gondolin

Das Elbenvolk der Noldor gründete nach dem selbstgewählten Exil aus Valinor in Mittelerde mehrere große Königreiche. Der Fall von Gondolin erzählt von dem vielleicht mächtigsten dieser Reiche: Die Stadt Gondolin liegt versteckt inmitten hoher Berge, ihr Standort bleibt den Mächten Morgoths über Jahrhunderte verborgen. König Turgon herrscht hart, doch gerecht über sein Volk. Nach der Schlacht der Ungezählten Tränen, die fast alle Elbenreiche in Schutt und Asche legte, macht sich der Mensch Tuor auf die Suche nach der Stadt Gondolin, denn ihm ist bestimmt, Hoffnung zurück nach Mittelerde zu bringen. Gondolin fällt durch Verrat, doch aus der Verbindung von Tuor und Idril Celebrindal, der Tochter König Turgons, geht ein Kind hervor: Eärendil, der Seefahrer, dem es bestimmt ist, Valinor zu erreichen und um Vergebung für alle Völker Mittelerdes zu bitten.

Der Fall von Gondolin © Klett-Cotta
Der Fall von Gondolin © Klett-Cotta

Die Kinder Huríns

In der Schlacht der Ungezählten Tränen wurde Hurín, Fürst von Dor-Lómin, gefangen genommen. Das Buch erzählt die Geschichte seiner Kinder, Túrin Turambar und Nienor Níniel. Einmal mehr ist es eine Tragödie, denn im Kampf gegen den Drachen Glaurung werden schreckliche Taten begangen. Diese Geschichte geht nicht gut aus. Sie reißt mit, bewegt den Leser ungemein; doch wer hier eine Eukatastrophe erwartet, der hofft umsonst.

Túrins Geschichte ist vielleicht die tragischste, die Tolkien geschrieben hat. Es ist die Geschichte des „Meister des Schicksals, der vom Schicksal gemeistert wurde“, und sie zeigt eindrucksvoll auf, welch grausamer Herr das Schicksal sein kann.

Das Schöne an den drei Großen Sagen ist: Jedes dieser Bücher enthält nicht nur die Geschichte. Ihnen allen ist gemein, dass sie durch Christopher Tolkien kompiliert und kommentiert wurden. Sie enthalten Texte, die erkennbar nicht veröffentlicht werden sollten; auch verschiedene Versionen desselben Texts kann man erlesen. Alle drei Geschichten wurden auch in Das Silmarillion veröffentlicht, allerdings in kürzeren Fassungen und ohne besagte Ergänzungen. Durch verschiedene Erzählperspektiven und eine historische Kontextualisierung durch Christopher Tolkien erhalten diese drei Werke jeweils einen ganz eigenen Mehrwert und bilden das letzte Puzzlestück in der Mythologie von Mittelerde.

Das letzte Puzzlestück? Nicht ganz …    

J.R.R. Tolkien - Eine Biographie © Klett-Cotta
J.R.R. Tolkien – Eine Biographie © Klett-Cotta

Es gibt noch mehr. Natürlich gibt es das. Nachrichten aus Mittelerde (1980, Unfinished Tales of Númenor and Middle-earth) enthält weitere Sammlungen von unveröffentlichten Texten Tolkiens, die zwar größtenteils die Ereignisse aus Das Silmarillion betreffen, sich aber nur selten wirklich überschneiden. Die Texte sind nicht zu einem zusammenhängenden Buch aufbereitet worden, sondern stehen für sich – aber sie schließen einige Lücken und erlauben weitere Einblicke in Tolkiens Wirken.

Mit The History of Middle-earth (mehrere Bände, veröffentlicht ab 1983 bis 2002, in Teilen auf Deutsch erschienen) hat Christopher Tolkien eine Anthologie veröffentlicht, die Unmengen an weiteren Informationen, Fragmenten und Texten beinhaltet. Aber Vorsicht: Hier sind fast ausschließlich bereits bekannte Geschichten zu finden; allerdings in Form unveröffentlichter oder verworfener Versionen. Außerdem gibt es Bände, die sich mit Nomenklatur, Etymologie und Sprachen befassen – der Übergang ist fließend; die einzelnen Bände sind nicht zwingend in chronologischer Reihenfolge zu lesen. Es empfiehlt sich an dieser Stelle, Sekundärliteratur hinzu zu ziehen, anstatt allein auf Entdeckungsreise zu gehen.

Sekundärliteratur über Tolkien

J.R.R. Tolkiien - Briefe © Klett-Cotta
J.R.R. Tolkiien – Briefe © Klett-Cotta

Über die Jahre haben sich verschiedene Autorinnen und Autoren einen Namen als Tolkien-Wissenschaftler gemacht. Von Biographien und Monographien bis hin zu der Veröffentlichung seiner Briefe sind viele Schätze dabei, die von euch gehoben werden können.

Humphrey Carpenter: Biographie und Briefe

Humphrey Carpenter (1946 bis 2005) war britischer Biograph und Kinderbuchautor. Während seiner Vorlesungen am Keble College der University of Oxford traf er mehrmals mit Tolkien zusammen, nach dessen Tod arbeitete er an einer Biographie. Sein Werk ist ein hervorragender Einstieg in das Leben und Wirken von J.R.R. Tolkien und hilft, das kreative Schaffen des Jahrhundertautors zu kontextualisieren. Später sammelte und veröffentlichte Carpenter eine Auswahl an Briefen Tolkiens, deren Inhalt Gegenstand weiterer Analysen anderer Tolkien-Wissenschaftler werden sollte.

John Garth: Monographie und Welten

Tolkien und der erste Weltkrieg © Klett-Cotta
Tolkien und der erste Weltkrieg © Klett-Cotta

John Garth, britischer Autor und prämierter Tolkien-Wissenschaftler, ist eine Koryphäe seines Gebiets.

Mit Tolkien und der Erste Weltkrieg hat er eine Monographie veröffentlicht, die beschreibt, wie Tolkien den Weltkrieg in seiner Jugend erlebte und welchen Einfluss diese Erlebnisse auf Mittelerde hatten.

Mit The Worlds of J.R.R. Tolkien (erscheint in Deutschland 2021) hat Garth grade erst ein weiteres Werk veröffentlicht, welches von den Orten und Plätzen berichtet, die Mittelerde inspiriert haben.

 

Wayne Hammond & Christina Scull: Eine Führung durch Mittelerde

Wer sich erneut durch die Werke Tolkiens lesen möchte, dabei aber innehalten und fundierte Kommentare, eine gesunde Kontextualisierung und schlicht tieferes Wissen über Tolkien, seinen Schaffensprozess und das jeweilige Kapitel erfahren möchte, der ist bei Wayne Hammond & Christina Scull genau richtig: Mit ihrem Reader’s Companion und Reader’s Guide begleiten sie Leserinnen und Leser auf ihrer Reise durch Mittelerde. Die beiden Werke sind eine äußerst präzise Analyse von Tolkiens Werk, welches Tolkiens eigenes Quellmaterial einbezieht und einen Kontext aus der Zeit und den Umständen herausbildet, in welchen Tolkien sich selbst bewegt hat.

Hubs, Podcasts, Fanprojekte und weitere Ressourcen

Wer sich nicht nur mit trockenen Büchern auseinandersetzen möchte, hat viele verschiedene weitere Einstiegsmöglichkeiten in die Welt von Tolkien. Wir möchten euch einige Möglichkeiten aufzeigen, die ihr nutzen könnt, um die eigene Passion zu teilen und zu befeuern.

Tolkien-Gemeinschaften

Wer grundsätzlich Gleichgesinnte sucht, ist bei der Deutschen Tolkien Gesellschaft e.V. (DTG) an der richtigen Adresse. Sie ist ein Hub, über welchen man an zahlreiche weitere Ressourcen kommen, aber auch sein eigenes Wissen, sein eigenes Engagement einbringen kann. Auch die britische Tolkien Society ist ein solcher Hub; hier ist die Sprachbarriere natürlich etwas größer. Beide Gesellschaften richten Veranstaltungen aus, die ihr zum Netzwerken und Kennenlernen nutzen könnt, von Stammtischen der DTG bis hin zum jährlichen Tolkien-Dinner der Tolkien Society, zu welchem auch die Tolkien Society Awards verliehen werden.

Podcasts

The J.R.R. Tolkien Companion and Guide © Houghton Mifflin Harcourt
The J.R.R. Tolkien Companion and Guide © Houghton Mifflin Harcourt

Ich mag nicht verbergen, dass ich selbst glühender Fan des US-amerikanischen The Prancing Pony Podcast bin. Daher ist meine Empfehlung gewiss subjektiv gefärbt. Dennoch: Wenn euch Englisch nicht stört, ist dieser Podcast für euch genau die richtige Möglichkeit, um die Werke von Tolkien in einer unterhaltsamen, aber dennoch sehr aufschlussreichen Form zu erleben. Alan Sisto und Shawn Marchese diskutieren in jeder Folge ein Kapitel aus den Werken Tolkiens; sie haben just Die Gefährten abgeschlossen und beginnen nun mit Die Zwei Türme. Die Folgen gibt es auf beinahe jeder Podcast-Plattform von Apple Podcasts bis Spotify zu hören. Wer mehr darüber erfahren möchte, kann hier ein Interview mit den beiden Podcast-Moderatoren lesen. Der Podcast erscheint einmal pro Woche.

Ebenfalls empfehlenswert ist der TolkCast, der offizielle Podcast der DTG. Dieser bespricht vor allem aktuelle Themen rund um Tolkien, aber auch Neuigkeiten und Informationen der DTG selbst. Er erscheint monatlich und kann natürlich auch ohne Mitgliedschaft in der DTG gehört werden. Während sich der Prancing Pony Podcast nah an den Büchern bewegt und nur wenige Sonderfolgen abseits der Hauptwerke hat, widmen sich die Moderatoren des TolkCasts wechselnden Themen, darunter Interviews (bspw. mit John Garth oder Brian Sibley), Herr der Ringe Online oder auch #TolkienTrotzCorona. Der Podcast erscheint einmal pro Monat.

The Prancing Pony - Podcast
The Prancing Pony – Podcast

Der Tolkien Experience Podcast, moderiert durch Dr. Sara Brown und Dr. Luke Shelton, lässt zahlreiche Tolkien-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler zu Wort kommen. Dr. Brown und Dr. Shelton führen regelmäßig Interviews mit Persönlichkeiten aus dem Gebiet der Tolkien-Studien und stellen sie und ihre Arbeit einem größeren Publikum vor. Wenn ihr also nach weiteren Inspirationen sucht, ist dieser Podcast eine hervorragende Anlaufstelle, um auch unbekanntere Autorinnen und Autoren sowie Fan-Projekte zu finden.

Tolkien erleben – wie ist das eigentlich?

Wer mehr darüber erfahren möchte, wie andere Leute Tolkien und seine Werke erleben, dem sei eine weitere Arbeit von Dr. Luke Shelton und Dr. Sara Brown ans Herz gelegt. Im Rahmen ihres Tolkien Experience Project lassen sie Leserinnen und Leser aus aller Welt zu Wort kommen und fragen danach, was ihr Leseerlebnis so einmalig und außergewöhnlich macht. Ihr könnt dort übrigens mitmachen. Wie genau das geht, erfahrt ihr unter obigem Link.  

Auf geht’s ins Abenteuer!

Mit den Ressourcen dieses Artikels seid ihr nun gut gerüstet, um eure eigene Reise tief in die Welten Tolkiens zu beginnen. Alles, was jetzt noch fehlt, ist etwas Zeit. Aber vielleicht ist das alles ja nichts Neues für euch? Teilt uns in den Kommentaren mit, was ihr für lesenswert haltet, und berichtet uns von anderen Fanprojekten, denen ihr folgt und deren Arbeit größere Aufmerksamkeit verdient hat. Wir hoffen, wir konnten euch ein wenig Neues erzählen und euch einiges an spannendem Content vorstellen.

Namárië!

Titelbild: Buchcover © Klett Cotta, JRR Tolkien Foto: gemeinfrei, Fotografie des Grabs © telearlens | depositphotos.com
Artikelbilder: © wie gekennzeichnet

Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Nina Horbelt

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