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Was kommt euch zu Tauben in den Sinn? Möglicherweise ihr eigenartiger Gang, das ikonische Gurren oder ihre Neigung, alles mit Kot einzudecken. Wahrscheinlich hättet ihr nicht gedacht, die Vögel als Gefahr für ein ganzes Königreich zu erleben. In Kombination mit einer betrunkenen Fee ist dies aber problemlos möglich.

Es war einmal: Diese Einleitung vermittelt jedem Leser, dass man ein Märchen (oder Star Wars) vor sich hat. Umso erstaunlicher mag es sein, dass Die Schöne und die Biester damit ebenso beginnt. Dabei sagt der Untertitel doch explizit, dass es sich um kein Märchen handelt. Soll der Leser damit zusätzlich verwirrt werden?

Mitnichten. Denn Die Schöne und die Biester ist kein Märchen, wie man es kennt. Zwar gibt es Feen, Könige und die titelgebende Schöne. Allerdings handeln diese nicht so, wie man es von ihnen erwarten würde. Ob die Graphic Novel aus deutscher Produktion dennoch zauberhaft ist, erfahrt ihr in unserem Kurzcheck.

Handlung & Charaktere

Es war einmal ein blühendes Land, das wurde vom starken König Siegbart regiert. Dieser hoffte auf einen Thronfolger – allerdings gebaren ihm seine Frauen nur Töchter. Sagte ich Frauen? In der Tat: Der aufgebrachte König Siegbart hatte keine Geduld und ersetzte jede Frau nach der Geburt einer Tochter durch eine neue. Als König konnte er sich das erlauben, wenngleich dieses Verhalten offensichtlich unanständig ist.

Als er endlich einen Thronfolger bekam, war das Schicksal ihm nicht freundlicher gesinnt. Inmitten der Feierlichkeiten sprach eine betrunkene Fee eine verhängnisvolle Prophezeiung aus. So würde Siegbart durch den Thronerben an jenem Tag gestürzt werden, an dem seinem Sohn eine Taube dreimal auf den Kopf kackt. Kurzerhand wird im gesamten Land eine Hetzjagd auf die Vögel ausgerufen.

Bewusst wird mit Klischees aus der Märchenwelt gespielt und übertrieben.

In dieses ganze Chaos wird ungewollt die schöne Bäckerstochter Hänfling hereingezogen. Eigentlich will sie nur das Brot ihres Vaters verkaufen, doch der Wahnsinn im Königreich macht ihr das Leben schwer. Mal sind es unerwünschte Avancen und dann wieder die neuesten, verrückten Anordnungen des Königs. Könnte mit einer Tauben beispielsweise nicht auch eine gehörlose Frau gemeint sein? Jagt diese!

Die Schöne und die Biester nimmt sich selbst nicht ernst und das merkt man. Bewusst wird mit Klischees aus der Märchenwelt gespielt und übertrieben. Der edle König ist in Wahrheit ein paranoider Kontrollfreak, während die Chaos auslösende Fee ein deutliches Alkoholproblem hat. Die anschließende Hetzjagd auf Tauben treibt wunderliche Blüten, wie durch Rebellen genutzte mechanische Tauben: Schließlich war in der Prophezeiung nie von einer lebenden Taube die Rede.

Die Geschichte ist äußerst unterhaltsam, neigt aber stellenweise zur Albernheit. Autor Boris Koch wandelt einen schmalen Grat zwischen Humor und übertriebenem Slapstick, der meist gelingt. Nur an einigen Stellen wirken die Gags zu erzwungen.

Ein Spannungsbogen wird erst gegen Ende erkennbar. Die ersten beiden Drittel hangelt sich die Geschichte nach der Etablierung der wichtigsten Charaktere von einer Abstrusität zur nächsten. Die Figuren spielen eindeutig mit Klischees und sind oberflächlich. Dieser klare Seitenhieb auf etablierte Märchen in Kombination mit der übertriebenen Geschichte führt insgesamt zu einer unterhaltsamen Lektüre. Als jedoch eine dramatische Wendung eintritt, steuert die Geschichte schnell auf ihr Ende zu. Dadurch wirkt der Abschluss von Die Schöne und die Biester gehetzt und unbefriedigend.

Zeichnungen & Kolorierung

Die Illustration erfolgte durch Frauke Berger, die mit ihrem Science-Fiction-Epos Grün Fuß in der Comic-Branche gefasst hat. Ihr Stil zeichnet sich durch starke Überzeichnung, deutliche Linienführung und eine Vielzahl an Details aus. In Kombination mit der flachen Kolorierung in überwiegend hellen Farben entsteht der Eindruck von Pastellzeichnungen.

Die Linienführung und charmante Details in Kombination mit der flachen Kolorierung erzeugen den Eindruck von Pastellzeichnungen.

Gemeinsam mit der verrückten Geschichte erzeugt dieser visuelle Stil eine einmalige Atmosphäre. Als Leser kann man sich nicht entscheiden, was übertriebener ist: die Handlung oder die Zeichnungen. Dabei unterstützt Berger den Humor von Boris Kochs Handlung durch stimmige Gesichtsausdrücke und charmante Details. Ein Beispiel hierfür sind die Rüstungen der Soldaten des Königs, die ironischerweise selbst an das Aussehen von Vögeln erinnern.

Für Interessierte findet sich am Ende des Bandes noch ein Anhang zu der Entstehungsgeschichte von Die Schöne und die Biester. Passend zur Tonalität des Bandes ist auch dieser nicht ganz ernst geschrieben. Gleichzeitig erhält man mit humorvollen Kommentaren einen Einblick in Bergers Arbeitsprozess, Ideengenerierung und Gestaltung der Szenerien.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Splitter
  • Autor: Boris Koch
  • Zeichnerin: Frauke Berger
  • Sprache: Deutsch
  • Seitenanzahl: 72
  • Preis: 18,00 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazonidealo

 

Fazit

Die Schöne und die Biester ist ein charmantes Anti-Märchen, das sich selbst nicht ernst nimmt. Die Geschichte um den paranoiden König mit der Angst vor Tauben ist unbekümmert, übertrieben und voller Gags. Stellenweise kommt Autor Boris Koch der Grenze zum Klamauk gefährlich nahe, findet aber insgesamt eine gute Balance beim Humor. Leider gerät bei der Unterhaltsamkeit der Handlung das Erzählerische in den Hintergrund. Ein Spannungsbogen ist erst spät erkennbar und führt dann zu einem schnellen Ende. Als Leser hat man den Eindruck, einen Teil der Geschichte nicht erzählt bekommen zu haben.

Dafür erzeugen Text und Bild in Kombination eine herrlich abstruse Atmosphäre. Zeichnerin Frauke Berger unterstreicht die humorvolle Handlung durch ihre überzeichneten Bilder im Pastellstil. Der Einsatz von Situationskomik durch visuelle Details sticht ebenfalls positiv ins Auge.

Zusammenfassend kann ich Die Schöne und die Biester besonders allen als Herz legen, die bei einer ulkigen Geschichten mit einem Augenzwinkern Ablenkung suchen.

mit Tendenz nach oben

 

Artikelbilder: © Splitter, Bearbeitung: Melanie Maria Mazur
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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