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Im MCU lässt ihr Solofilm noch auf sich warten, aber dafür werden Comicfans mit einem Sammelband belohnt. Web of Black Widow liegt seit diesem Sommer in deutscher Übersetzung vor und zeigt, was Black Widow seit ihrem vermeintlichen Ende in Secret Empire getan hat: Ihre blutige Vergangenheit aufarbeiten …

Nachdem der Black Widow-Kinofilm lange im Vorfeld gehyped wurde, sollte er eigentlich im Mai 2020 die vierte Phase des MCU Doch wie so viele andere Blockbuster in diesem Jahr wurde der zweite Solofilm einer weiblichen Marvel-Heldin coronabedingt mehrfach verschoben, zuletzt auf Mai 2021. Damit verschiebt sich auch die gesamte Phase 4, die eigentlich erstmals eine Mischung aus Kinofilmen und begleitenden Disney+-Serien präsentieren sollte. Seit 2008 waren Fans eine ständige Hype-Maschine im MCU gewohnt, jetzt müssen sie seit Spider-Man: Far From Home eine lange Durststrecke ertragen.

Comics erscheinen aber weiterhin, sodass man sich in der Zwischenzeit mit Black Widows 616-Gegenpart beschäftigen kann. Ähnlich wie im Film war auch die Natasha Romanoff des Marvel-Hauptuniversums kürzlich verstorben. Allerdings nicht beim Versuch, den Soul Stone auf einem anderen Planeten zu beschaffen – während der reignisse des Secret Empire-Events 2017 wurde sie vom bösen Hydra-Doppelgänger von Captain America ermordet. Der Tod ist aber selten von Dauer im Comic, sodass die Superspionin mithilfe eines Klons wiedererweckt werden konnte. Doch ist sie immer noch dieselbe Black Widow? Das fragen sich auch ihre Avenger-Kolleg*innen in der fünfteiligen Miniserie Im Netz von Black Widow.

Handlung

Während einer Spendengala mit seinem russischen Geschäftspartner Sobol wird Tony Stark von Natasha Romanoff angesprochen, die sich als Gast verkleidet hat. Sie ist auf einer Mission und warnt Stark, sich herauszuhalten. Ein Flashback zeigt, wie der Red Room, die geheime KGB-Einheit, die Natasha ausbildete, mit Sobols Großvater zusammenarbeitete. Dieser erschuf ein mächtiges Geschäftsimperium, indem er seine Konkurrenz beseitigen ließ – auch durch Natasha? Die Agentin führt mit einem Video den Partygästen die blutige Vergangenheit des Sobol-Konzerns vor, bevor sie den Sicherheitsleuten aufs Dach entkommt. Als Iron Man sie dort zur Rede stellen will, findet er nur ein Hologramm von Natasha vor. Er warnt Captain America, dass mit der Agentin etwas nicht stimmt. Die Avengers werden nach und nach in ein Netz aus Intrigen, Meuchelmord und doppelten Identitäten gezogen, aus dem selbst Natasha scheinbar nicht mehr entkommen kann.

Charaktere

Autorin Jody Houser legt einen klassischen Agententhriller vor, der dank Stephen Mooneys dynamischen Zeichenstils in jedem Panel vor genretypischen Allegorien von Bond bis Bourne nur so strotzt: Natürlich beginnt die Handlung in einem Luxushotel, voll von reichen Leuten in Abendgarderobe. Eine Party auf einer Luxusyacht fehlt ebenso wenig wie Faustkämpfe mit namenlosen Wachleuten in langen Korridoren oder das Knacken von Hochsicherheits-Tresoren mit coolen Spionagewerkzeugen – nur, dass die obligatorische Femme Fatale hier die Hauptperson ist. Jederzeit gutaussehend in ihrem schwarzen Lederoutfit oder im knappen Badeanzug (mit ausgeschnittenem Black Widow-Symbol!), verliert sie auch in der hektischsten Action weder ihr Make-up noch die Fassung.

Man könnte bemängeln, dass die Sexiness für heutige Verhältnisse zu klischeehaft geworden ist. Aber das Markenzeichen von Black Widow war schon immer, dass sie ihre Reize nutzt, um andere hinters Licht zu führen. Im Gegensatz zum typischen Bond-Girl, das nur als hübsches Accessoire des Helden dient oder zur Bösewichtin, die Verführung nur als Werkzeug für finstere Pläne nutzt, hat Black Widow die Kontrolle über ihre Sexualität UND setzt sie für das Gute ein. Sie muss weder von einem männlichen Helden gerettet noch bekehrt werden, im Gegenteil: Ihre ehemaligen Liebhaber kriegen sie einfach nicht zu fassen auf ihrer Solomission.

Von denen gibt es einige: Winter Soldier, Hawkeye, Daredevil und Iron Man haben alle eine schwierige Vergangenheit mit der rothaarigen S.H.I.E.L.D.-Agentin. Jeder von ihnen kreuzt in dieser Handlung Natashas Wege, um herauszufinden, was zum Henker sie eigentlich vor hat und wieso sie sich jede Einmischung verbittet. Und es ist amüsant zu sehen, wie die gestandenen Avenger von ihr geschickt ausmanövriert werden. Leider ist diese Art von Misstrauen ein überkommenes Klischee, nicht nur in Spionagethrillern, sondern mittlerweile auch im Superheldengenre.

Heutzutage hat gefühlt jede*r Superheld*in ein Düsteres Geheimnis™, selbst dem perfekten Captain America wurde ein Hydra-Verrat angedichtet (am Ende war er es nicht, aber der Kratzer im Lack ist da) und Zwietracht gibt es nach zahllosen Civil Wars oder X-Men vs. Avengers vs. Inhumans sowieso ständig. Diese Art von dysfunktionalem Heldentum, einst als innovativ gefeiert, ist mittlerweile selbst ein alter Hut geworden. Danke, Umbrella Academy und The Boys, wir haben es verstanden, Held*innen sind fake und ganz furchtbare Leute. Ist da ein doppeltes Spiel einer verschlagenen Agentin noch so besonders?

Das Spionagegenre setzt natürlich Paranoia, Geheimniskrämerei und Verrat zwingend voraus. Aber diese altbekannte Formel hätte durch mehr Charakterentwicklung aufgelockert werden können. Über die Person Natasha Romanoff erfährt man nämlich nicht allzu viel. Zwar gibt es häufige Flashbacks zu ihrer Ausbildung im Red Room, aber eine Persönlichkeit abseits des Agentenlebens ist ihr nicht vergönnt. Diese Kritik kann man an vielen Superheld*innen üben, aber gerade diese Miniserie, die ein neues Publikum an die lange Geschichte Black Widows heranführen soll, hätte mit ein paar Neuerungen aufwarten können.

Immerhin: Ausschließlich Einzelkämpferin ist Natasha doch nicht, dafür stehen ihr einige Personen zu nahe. Neben den zuvor erwähnten männlichen Helden tritt auch die Red Room-Kollegin und quasi-Schwester Yelena Belova auf den Plan, die sie zeitweise sogar bei den Avengers vertreten hatte. Auch Yelena war eine Weile in den Comics tot und erscheint jetzt wieder auf der Bildfläche. Wer wissen möchte, welchen Charakter Florence Pugh im kommenden Film spielt, kann sich hier ein Bild von Yelena machen.

Zeichenstil

Die fünf Cover-Artworks von Junggeun Yoon sind gewöhnungsbedürftig, denn hier wird die Top-Agentin mit makellos hellem, puppenhaftem Gesicht dargestellt, das fast kindliche Züge trägt. Zwar sieht Natasha Romanoff tatsächlich viel jünger aus, als eine Veteranin des Kalten Kriegs sein sollte, aber ein teenagerhaftes Babyface passt dann doch nicht zu der abgebrühten Spionin.

Ganz anders hingegen der Stil der eigentlichen Handlung: Stephen Mooney setzt auf einen realistischen, rauen Stil, der vor allem in Actionsequenzen gut zur Geltung kommt. So originalgetreue Körperproportionen und strukturierte Oberflächen sind keine Selbstverständlichkeit in modernen Comics. Und immer leuchtet durch dunkle Nächte oder schattige Seitengassen das Rot von Natashas Haaren hindurch – ein tolles Leitmotiv, vor allem in Verbindung mit anderen Rottönen, wie etwa Iron Mans Rüstung oder Blutlachen. Die Splashpages sind ein besonderes Highlight – Mooney neigt dazu, besonders spannende Kampfszenen großflächig über zwei Seiten zu verteilen und mit keinem einzigen Soundeffekt zu stören. Diese „stille“ Action sorgt für eine ganz spezielle Stimmung und gelingt dem Zeichner bestens.

Erscheinungsbild

Der Band ist in sauberer, gestochen scharfer Qualität auf festem Papier gedruckt, das die Farben kräftig hervorbringt und gute Kontraste bietet. Im Format 16,8 x 25,5 cm liegt das Buch zwischen A5 und A4 und somit gut in der Hand. Der Einband ist ebenfalls stabil.

Ein paar Worte müssen zur deutschen Übersetzung gesagt werden. Diese weist zwar keine Grammatik- oder Rechtschreibfehler auf, enthält aber stellenweise holprige Formulierungen. So wurde etwa „your masters“ mit „deine Meister“ übersetzt, was den Ton nicht ganz trifft („deine Herren/Bosse/Auftraggeber“). An anderer Stelle wird das Kompliment „nice swimsuit“ zu „netter Badeanzug“, was im Deutschen eher sarkastisch klingt. Diese zu wörtlichen Übersetzungen finden sich im ganzen Heft wieder. Zwar entstellen sie nicht die Bedeutung der Wörter, klingen aber unnatürlich. Hier hätte Panini ruhig vom Original abweichen können, um Texte in flüssigerem Deutsch zu präsentieren.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Panini/Marvel Comics
  • Autorin: Jody Houser
  • Zeichner: Stephen Mooney (Zeichner), Triona Farrell (Farbe), Junggeun Yoon (Cover)
  • Erscheinungsjahr: 2020
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Print, Softcover
  • Seitenanzahl: 116
  • Preis: 13,99 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon, Fachhandel

 

Bonus

Der Band enthält drei Bonusseiten mit alternativen Covern für jedes Heft von namhaften Künstler*innen. Zudem enthält die deutsche Ausgabe ein Vorwort und ein Nachwort, beide von Christian Endres. Im Vorwort wird die Geschichte des Charakters Black Widow kurz zusammengefasst, während im Nachwort der kreative Entstehungsprozess bei Marvel beleuchtet wird.

Fazit

Im Netz von Black Widow bietet eine gute Auffrischung für langjährige Fans, die irgendwann den Faden verloren haben, sowie eine spannende Zusammenfassung von 56 Jahren Comic-Historie für neue Black Widow-Fans. Die Story schwächelt leider an den Charakteren, die kaum außerhalb ihrer Heldenpersönlichkeit beleuchtet werden. Da mögen die Flashbacks mit spartanischem Weißfilter noch so stilvoll aussehen, mehr als Kampfszenen und ominöse KGB-Politik zeigen sie nicht. Nichtsdestotrotz ist die Gesamthandlung von Autorin Houser mitreißend geschrieben und die Zeichnungen hervorragend. Mit diesem Band bekommt man auf jeden Fall einen unterhaltsamen Vorgeschmack auf den Film, wann auch immer er in den Kinos erscheinen mag.

 

 

Artikelbild: © Marvel 
Lektorat: Alexa Kasparek
Layout: Verena Bach
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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