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Es sollte ein ganz normaler Bowlingabend werden, aber dann kommt alles anders. Mit unseren Freund*innen landen wir in der fremdartigen Anderswelt, aus der wir uns nur gemeinsam und durch gute Kommunikation befreien können. Horroratmosphäre kombiniert mit Filmanspielungen und einer Portion 80er-Jahre-Flair – wie spielt sich das?

Zurück in die 80er Jahre – Retro ist bekanntlich in! Wenn Zauberwürfel, VHS-Kassetten und Pen-and-Paper-Rollenspielabende für euch alles andere als veraltet sind und ihr außerdem ein Faible für Horrorgeschichten oder Trashfilme mitbringt, könnte Greenville 1989 durchaus einen Blick wert sein.

Worum geht es? Der Auftakt erinnert stark an den Serienhit Stranger Things von Netflix. Wir schreiben das Jahr 1989: Eigentlich wollte eine Handvoll Freund*innen aus dem beschaulichen amerikanischen Städtchen Greenville den Abend mit einer Partie Bowling verbringen, bis sich plötzlich die Umgebung verändert. Sie finden sich in einer düsteren Parallelwelt ihrer Heimatstadt wieder, getrennt voneinander. Nur wenn sie wieder zusammenfinden, können sie gemeinsam aus dem Albtraum entkommen. Und zu viel Zeit sollten sie sich dabei nicht lassen!

Man hört es schon, Greenville 1989 ist ein kooperatives Brettspiel: Man gewinnt oder verliert also gemeinsam. Das Spielprinzip basiert vor allem auf dem Deuten von Bildern und auf Kommunikation – Zuhören und Erzählen. Es fügt sich somit in die Reihe ähnlich konzipierter Kommunikationsspiele wie Mysterium oder Mysterium Park sowie Obscurio von Asmodee ein. Also alles schon bekannt, oder bringt Greenville 1989 neue Spielansätze mit?

Spielpackung von Greenville 1989

Wie wird es gespielt?

Man braucht nicht lange, um Greenville 1989 aufzubauen und auch die Regeln sind schnell erklärt. Zum Start des Spiels wählen alle Spielenden einen der jugendlichen Charaktere aus und nehmen sich deren Plättchen und die Charaktertafel sowie eine Bildkarte vom Nachziehstapel. Das Spielbrett wird in die Mitte gelegt und es wird bestimmt, wer als erstes mit der Rolle der Spielleitung anfangen darf: Es ist natürlich die Person, die zuletzt einen Horrorfilm oder -roman konsumiert hat. Außerdem werden noch einige Objektplättchen platziert, die den Spieler*innen während ihres Gruseltrips in der Parallelwelt helfen können.

Beispielhafter Spielaufbau mit vier Spieler*innen

Auch wenn das Spielsetting klingt als müssten wir gemeinsam einen Treffpunkt erreichen, müssen wir auf den Dimensionen des Spielbretts eher schauen, dass wir uns nicht zu weit voneinander entfernen. Alle starten auf dem gleichen Feld und es gibt drei Zweige, die ins Nichts führen. Wenn auch nur ein Charakter zu weit dorthin gerät, haben alle verloren. Gewonnen haben wir, wenn alle jeweils vier Bildkarten sammeln konnten. Dies darf man immer dann, wenn die Spielenden korrekt erraten, welcher Charakter der entsprechenden Karte von der Spielleitung zugeordnet wurde (weiter unten wird es detailliert erklärt). Da die Spielleitung über die erzählten Geschichten die passende Zuweisung durchführt, ist dies das Element, mit dem Greenville 1989 zu einem Erzählspiel wird.

Der Spielablauf selbst ist schnell erklärt: Man spielt bis zum Sieg oder zur Niederlage gemeinsam mehrere Runden, die jeweils aus den unterschiedlichen vier Phasen bestehen:

  1. Erzähl-Phase:
    Nacheinander beschreiben die Spielenden ihre aktuelle (beziehungsweise zuletzt erhaltene) Karte mit dem abgebildeten Ort und dann ihre weiteren Absichten, wohin sie gehen oder was sie tun wollen. Das tatsächliche „Gehen“ oder Handeln spielt sich jedoch nur in der Erzählung der Spielenden ab.
  2. Spielleitungs-Phase:
    Die Spielleitung zieht neue Karten und legt sie um das Spielbrett herum an. Dann überlegt sie sich (im Stillen), welche Karte die Geschichte am besten weitererzählen würde. Dies markiert sie verdeckt mit den Zuordnungsplättchen der Spielenden, sich selbst natürlich ebenfalls. Überzählige Karten werden mit sogenannten Ektoplasma-Plättchen markiert.
  3. Spieler*innen-Phase:
    Anschließend sind die anderen Spielenden an der Reihe. Sie müssen sich beratschlagen, was die Spielleitung sich wohl jeweils als Fortführung ihrer Gruselreisen überlegt hat, und platzieren die Prüf-Plättchen ihrer Spielcharaktere auf den Karten. Die Spielleitung äußert sich in dieser Phase (zumindest zum Spielgeschehen) nicht.
  4. Überprüfungs-Phase:
    Ob ihr wirklich richtig steht … In dieser Phase wird von der Spielleitung überprüft, ob die Plättchen übereinstimmen. Falls ja, bekommt der*die jeweilige Spieler*in die entsprechende Karte und man rückt dem Spielsieg etwas näher. Ansonsten muss das Plättchen des Charakters auf dem entsprechenden Pfad weiter Richtung Nichts geschoben werden.
Moment der Wahrheit: Sind die Plättchen richtig zugeordnet?

Eine Partie erstreckt sich über mehrere Runden. Am Ende jeder Runde wechselt das Plättchen für die Spielleitung, sodass alle einmal an die Reihe kommen.

Und wenn man doch mal Hilfe braucht? Keine Sorge: Trifft ein Charakter auf dem Pfad ins Nichts auf ein sogenanntes Objekt-Plättchen, welche Gegenstände wie Plastikenten oder 20-seitige Würfel zeigen, darf er es einsammeln und ab der nächsten Runde verwenden. Die Auswirkungen sind unterschiedlich, helfen aber grundsätzlich den Spielenden. So muss bei Einsatz der Plastikente etwa von der Spielleitung verraten werden, wo sie ihr Zuordnungs-Plättchen hingelegt hat, und daraufhin dürfen alle Spielenden ihre Prüf-Plättchen noch einmal anders positionieren.

Wie ist das Spielerlebnis?

Nach einer kurzen Erklärung und der ersten Runde ist das Spielprinzip verstanden – es überraschen keine Sonderregeln. Man kann sich also ganz auf spannende Geschichten und Anspielungen auf Horrorklassiker konzentrieren.

Einen Vorteil haben somit Spieler*innen, die gerne auf die bekanntermaßen mächtigste Grafikkarte der Welt zurückgreifen: die eigene Vorstellungskraft. Es macht sowohl Spaß, seine eigene Geschichte weiterzuspinnen, als auch den Mitspielenden zuzuhören und deren Weg durch die unheimliche Parallelwelt zu deuten. Mehr ist außerdem mehr: Je detaillierter die erzählten Storys ausgeschmückt sind, desto interessanter gestaltet sich das Spiel (und desto leichter hat es die Spielleitung). Sollten die Mitspieler*innen zu schweigsam oder unkreativ sein, könnte der Spielspaß leiden.

Greenville 1989 ist schon zu dritt spielbar, macht jedoch in einer großen Runde zu fünft oder zu sechst mit entsprechend vielen verschiedenen Erzählungen am meisten Spaß. Daher eignet es sich gut als Partyspiel.

Blick aufs Spielbrett

Den Schwierigkeitsgrad kann man mit kleinen Anpassungen der Regeln einfacher und schwieriger gestalten. Entsprechende Varianten sind im Regelbuch erklärt. Grundsätzlich ist der normale Schwierigkeitsgrad aber gut zu bewältigen.

Ausstattung

Wir bekommen mit Greenville 1989 ein materialschlankes Spiel. Eigentlich gibt es neben dem Spielbrett lediglich ein paar Marker und Plättchen für die sechs verfügbaren Spielcharaktere und Objekte, die Spielanleitung und 84 Karten. Letztere bilden das Herzstück des Spiels: Sie sind in der Tat bemerkenswert schön und aufwändig gestaltet. Die Illustrationen enthalten mitunter deutliche Anspielungen auf Horrorfilmgrößen wie The Shining oder auch Ghostbusters, arbeiten mit bekannten Unglückselementen wie der Zahl 13 (etwa als Hausnummer) oder klassischen Horrorschauplätzen (wie Friedhöfen oder Spukhäusern).

Die Spielanleitung beantwortet alle Fragen, ist übersichtlich unterteilt und schön designt. Das liegt auch daran, dass Greenville 1989 nicht sonderlich viele oder schwierige Regeln hat.

Rund 25 Euro kostet das Spiel. Der Inhalt ist zwar nicht besonders umfangreich, aber von guter Qualität, insbesondere die großformatigen Bildkarten und Plättchen liegen gut in der Hand.

Die harten Fakten:

  • Verlag: KOSMOS
  • Autor*in(nen): Florian Fay
  • Erscheinungsjahr: 2020
  • Sprache: Deutsch
  • Spieldauer: 60 Minuten
  • Spieler*innen-Anzahl: 3 4 5 6
  • Alter: Ab 16 Jahren
  • Preis: ca. 25 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, idealo, Amazon

Bonus/Downloadcontent

Die vollständigen Regeln zum Reinlesen sind bei KOSMOS auf der Verlagswebseite zum Spiel verlinkt.

Fazit

Spielpackung mit Inhalt

Horror und gemeinsames Geschichtenerzählen: Bereits bei der Ankündigung von Greenville 1989 vor der SPIEL.digital 2020 war ich gespannt, was wohl dabei herauskommen würde. In Sachen Kommunikationsspiel erwartet uns mit Ausnahme des Wechsels der Spielleitung nicht besonders viel Innovation. Das Prinzip ist bekannt und macht Spaß, obwohl jede Runde genauso abläuft wie die vorige. Jedoch liegt der thematische Schwerpunkt weniger auf surrealer Fantasie als bei vergleichbaren Titeln, sondern mehr auf Horror, Blut und Grusel. Auch sind die Bildkarten weniger abstrakt und „zufällig“ als etwa beim Klassiker Dixit, was ich allerdings als positiv empfinde. Das liegt vor allem daran, dass spezifische Orte dargestellt werden, während in vergleichbaren Spielen die Kartensymbole allgemeiner gehalten sein müssen, um auf verschiedene Situationen zu passen. Thema und Aufmachung von Greenville 1989 holen mich somit deutlich mehr ab.

Genretypisch gibt es aber auch Situationen, in denen man Karten zieht, die sich überhaupt nicht in eine Story einfügen wollen, die man aber auf Biegen und Brechen integrieren muss. Gut bedient ist, wer gerne und viel improvisiert und kreativ ist, doch selbst dann passt es nicht immer. Es kann auch Spaß machen, sich für vermeintlich unpassende Bilder etwas aus den Fingern zu saugen. Daher fiel es beim Spielen nicht sonderlich stark ins Gewicht.

Mich persönlich spricht Greenville 1989 somit mehr an als vergleichbare Kommunikationsspiele, was aber vor allem am Horrorsetting und der schicken Optik liegt. Wem außer mir könnte das Spiel Spaß machen? Horrorfans, die ebenso gerne Gruselgeschichten hören wie ich, sowie Spielgruppen, die kreativ sind oder schon Erfahrung mit erzählorientierten Spielen oder Pen-and-Paper-Rollenspielen haben. Und auch wenn es am Spielabend einmal schnell gehen muss oder man ein unkompliziertes, partytaugliches Spiel sucht, wird man hier fündig.

Also dimmt das Licht, stellt die Playlist mit unheimlicher Musik an und lasst euch gemeinsam in die Welt des Grusels hineinziehen.

 

  • Wenige, sehr schnell verständliche Regeln
  • Die Spielleitung wechselt jede Runde, nicht nur pro Partie
  • Schöne Illustrationen
 

  • Spielablauf hat kaum Innovation
  • Manchmal passen die Karten einfach nicht in die Erzählung

 

Artikelbilder: © KOSMOS
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat: Alexa Kasparek
Fotografien: Thekla Barck

Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

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