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Sich fern der Heimat verirren, zwielichtigen Sagen-Gestalten begegnen und den Kampf gegen mythisch Monster aufnehmen: Das alles kann in bereits einem Spielabend von Agon passieren. Das an die Erzählungen von Homer angelehnte Rollenspielsystem besticht dabei durch regelleichte und schnelle Szenen. Im Spieltest nahm die hausgemachte Odyssee ihren Lauf.

Triggerwarnungen

Keine typischen Trigger.

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Die Spielwelt & Regeln und Charaktererschaffung

Eine feste Spielwelt besitzt Agon nicht. Zwar liegt das Augenmerk ganz klar auf der griechischen Sagenwelt, zwischen Olymp und Ilias, aber das System ist so angelegt, dass Agons Abenteuer genauso gut in der nordischen Mythologie und jeder anderen erdenklichen Götter-Welt spielen können.

Die Ausgangssituation ist dabei immer die gleiche. Eine Held*innengruppe verirrt sich mit ihrem Schiff auf der Heimreise und gerät in ein Archipel von nebelumwobenen Inseln. Hier offenbart sich ihnen Unfrieden – in Form der Spielleitung – den es zu mindern gilt. Dabei müssen nicht nur Kämpfe ausgefochten werden. Auch Omen wollen klug gedeutet werden, um so die Gunst der Götter zu erlangen. Dies wiederholt sich, bis die Götter einsehen, dass solch große Held*innen, besser in der Heimat, als auf entlegenen Inseln untergebracht sind und ihnen den Weg nach Hause weisen.

Gespielt wird mit W4, W6, W8, W10 und W12. Dabei kann vor allem der gute Name des Charakters bei Agon Türen öffnen. Denn Name und Beiname (also so Namens-Suffixe wie „der Gnadenlose“) sind zwei zentrale Fähigkeiten, auf welche gewürfelt wird. Dazu gesellen sich die Aspekte, die mit „Blut & Tapferkeit“ oder „Verstand & Fertigkeit“, alle Eventualitäten eines Abenteurer*innen-Lebens abdecken. Mit göttlicher Gunst können die Götter ihren Protegés unter die Arme greifen, Bindungen sind ihr Äquivalent auf Sterblichen-Ebene. Impuls steht für die übermenschlichen Anstrengungen der Held*innen und gewährt einen zusätzlichen Würfel – treibt aber das Schicksal der Charaktere, also ihr erzählerisches Ende, voran.

Ein Schiff mit verlässlicher Besatzung ist für die Held*innen auf ihrer nautischen Reise unabdingbar.
Ein Schiff mit verlässlicher Besatzung ist für die Held*innen auf ihrer nautischen Reise unabdingbar.

Dieser Würfel-Salat nimmt nach dem Wurf die beiden höchsten Ergebnisse und muss über den Wurf des Unfriedens gelangen.

Erstellt werden die Charaktere mit einer recht simplen Namensvergabe, dem Erstellen einer kurzen Hintergrundgeschichte samt Heimatort und der Einteilung der Fähigkeiten, wobei zu Beginn lediglich eine Fähigkeit höher als die anderen ist. Mit Ruhmespunkten, die es für (nicht-)bestandene Aufgaben gibt, können die eigenen Fähigkeiten verbessert werden.

Einen detaillierten Blick ins Buch und die Welt von Agon gibt unser Ersteindruck.

 

Spielbericht

Die Held*innen-Entourage:

Panayiota die Flinke: Sie ist die Tochter eines griechischen Heerführers namens Heranios, ihre Mutter niemand geringeres als Artemis, die Göttin der Jagd. Obwohl sie im Militär aufgewachsen und damit bestens vertraut ist, bereiten Panayiotas elterliche Vorbilder ihr Druck, ebenfalls eine gute Anführerin zu sein. Sie besitzt außerdem das Schiff, auf welchem die Gruppe reist.

Andokides der Schattenkluge: Ein verschlagener, etwas zwielichtiger Schwertkämpfer, der sich mit den Werten des Hermes identifiziert. Wenn vor die Wahl gestellt, entscheidet er sich, trotz ausgeprägter Überlebensinstinkte dennoch, das Richtige zu tun. Er hielt sich mit Taschendiebstahl im Militärlager Panayiotas über Wasser. Anstelle der Todesstrafe erwartete ihn – natürlich nach einiger Überzeugungsarbeit – ein Platz in ihrer Schiffsmannschaft.

Syagros mit dem stählernen Griff: Weiße Haare und weißer Bart, aber auch seine grummelige Art, entlarven Syagros als das mit Abstand älteste Mitglied der Gruppe. Er war sein ganzes Leben lang Krieger und Seemann und betet daher Poseidon an. Außerdem ist er ein erfahrener Heiler.

Hoch schlagen die Wellen gegen das Schiff der Gruppe und tief hängt sich deshalb Andokides über die Reling. Dabei verpasst er, dass Panayiota blinde, wohl eher schlängelnde, Passagiere an Bord entdeckt. Ihr gelingt es, die entwundenen Schlangen, mittels einer Amphore wieder einzufangen. Da sie somit die erste Aufgabe für dieses Abenteuer bestanden hat, wird sie damit zur Gruppenanführerin und hat das letzte Wort in Entscheidungen. Außerdem sind die Schlangen ein erstes Omen, welches Richtung erhöhter Wachsamkeit gedeutet wird.

Zur Dämmerung erreichen sie den Hafen von Nimos. Hier wartet nicht nur eine kopflose Schlange auf sie, was ihren Omen-Verdacht erhärten lässt, sondern auch der Hohepriester Harkon. Dieser verrät ihnen, dass der junge Prinz der Insel leblos aufgefunden wurde. Auf Einladung des Hohepriesters folgen die Held*innen samt Mannschaft dem Priester in die Schlossgärten zur Übernachtung.

Bevor die Totenfeier des Prinzen besucht wird, opfert die Gruppe einige Speisen an Demeter, um ihren Schutz zu erbitten. Dort begegnet die Gruppe dem zu alten Vater und der zu jungen Mutter des Prinzen, die – jeder auf seine*ihre Art – einen unnatürlichen Eindruck hinterlassen. Ebenso die rigide Bewachung des Leichnams und die Ankündigung von Spielen zu Ehren des Toten.

Schlangen pflastern den Weg der Charaktere.
Schlangen pflastern den Weg der Charaktere.

In der Dunkelheit erfolgt ein Hinterhalt auf das Nachtlager der Gruppe. Trotz des Opfers an Demeter fällt ein Seemann den Angreifern zum Opfer. Syagros versucht erfolglos, ihn zu heilen, ist sich nach der missglückten Verarztung aber sicher, dass die Pfeile mit Schlangengift präpariert wurden.

Verunsichert von den Ereignissen der Nacht machen sich die Charaktere trotzdem auf, an den Wettkämpfen teilzunehmen, wobei Panayiota dem Champion der Insel, Seraios, im Finale unterliegt, welcher vorher Tränke zu sich genommen hatte. Die Gruppe erschleicht sich das Vertrauen der Alchemistin Thessia, indem sie sich bereiterklären, den maroden Tempel des Apollon zu reparieren. Dabei stoßen sie auf einem Geheimgang, in welchem Andokides verschwindet. Mit dem Ausblick auf eine kultische Höhle, mit verkümmerter Natur und einem großen schuppigen Schimmern in der Ferne, endete der erste Abend.

Spielbarkeit aus Spielleitungssicht

Generell lief das Spiel flüssig, nachschlagen war nur zweimal vonnöten: Einmal, als es um die Vergabe von Ruhmespunkten und das andere Mal um die leitmotivhaften Omen ging. Ein Abenteuer lässt sich leicht aufbauen, wozu aber eine stringente Geschichte stehen muss. Das Grundregelwerk überlässt in den beigelegten Abenteuern extra den Spielleiter*innen, was die genauen Motivationen sind – ein Plus-Faktor, was den Wiederspielwert angeht. Steht mit ein paar Sätzen die grobe Geschichte, in welche die Held*innen hineinstolpern, kann von dort aus jede erdenkliche Situation ohne Probleme improvisiert werden.

Das Regelwerk deckt auch klassische Kämpfe ab.
Das Regelwerk deckt auch klassische Kämpfe ab.

Das Regelsystem und die Charaktererstellung waren schnell erklärt, was einen Einstieg in unter einer Stunde ermöglichte. Das Regelwerk schien es den „grünen“ Charakteren zu Beginn schwer zu machen. Allerdings sind die Spielenden bereits im ersten Abenteuer auf halbem Wege, ihre Namenswürfel zu verbessern, womit sich das Kräfteverhältnis vermutlich bald ändern wird.

Besonders schön ist vor allem die Vielfalt, die das Regelsystem abdecken kann, von sozialen Herausforderungen über die klassischen Kämpfe, hat sich das Würfeln nie unpassend und defizitär angefühlt.

Die im Buch angegebene Spieldauer von drei Stunden scheint utopisch, wenn man die eigenen Spieler*innen nicht durch die Abenteuerlandschaft durchhetzen möchte. Wobei der Detailgrad eines Abenteuers sicherlich Geschmackssache ist.

Insgesamt hat das Wüten als „Unfrieden“ in Agon viel Freude bereitet und die Einfachheit des Systems lassen es schnell, auch mit Neulingen, spielen.

Spielbarkeit aus Spieler*innensicht

Als eingefleischte Mythologie- und Scion-Fans der ersten Stunde hatte die Gruppe wenig Probleme, sich in die Spielwelt einzufinden. Im Gegenteil, Konzepte wie die göttliche Gunst gingen hier sogar nicht weit genug, da sie die oft multi-thematischen griechischen Götter auf einen Aspekt runterbrächen. Gelobt wurden allerdings die Erzähllastigkeit und die Möglichkeit, Fähigkeiten, wie den Beinamen, überall einsetzen zu können, solange es gut begründet sei – ähnlich wie bei den Aspekten in Fate. Obgleich es zu noch keinem Einsatz des Konzeptes von Seelenschmerz kam, fand die Idee, Charakterfortschritt und -ende zu verknüpfen, Anklang.

Drei SC mit ganz individuellen Stärken. Aber wo bleiben die Schwächen?
Drei SC mit ganz individuellen Stärken. Aber wo bleiben die Schwächen?

Etwas erschlagend wirkte der Charakterbogen von Agon auf die Spielenden, welcher den Essentials manchmal nicht ganz den Platz einräumt, um als Einsteiger*in direkt zu erkennen, worauf es ankam. Paradoxerweise fehlte den Spielenden auch das Vorhandensein einer Achilles-Ferse. Obwohl das System viel Raum bot, dass sich Charaktere in ihrer Persönlichkeit unterschieden und die Bindungen für Charaktermomente sorgten, liefen die Aspekte Gefahr, beliebig zu werden. Alle Fähigkeiten starteten auf einem W6, das (trojanische) Steckenpferd bereits auf einem W8. Von da aus erhöhten sie sich nur noch. Eine tatsächliche Schwäche hatten die Held*innen somit nicht.

All dies ist allerdings Meckern auf hohem Niveau, da Agon die Spielenden wirksam in die Antike einsog und viel Spaß machte.

Die harten Fakten:

  • Verlag: System Matters
  • Autoren: Harper, John; Nitter, Sean
  • Erscheinungsjahr: 2023
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Print und PDF
  • Seitenanzahl: 163
  • ISBN: 978-3-96378-123-0
  • Preis: 39,95 EUR (Hardcover), 24,99 EUR (PDF)
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Sphärenmeister (deutsch), Amazon, DriveThruRPG (beide Englisch)

 

Bonus/Downloadcontent

System Matters stellt auf seiner Seite ein kostenloses „Playkit“ zur Verfügung. Dieses enthält Charakterbögen, einige der Ablaufpläne aus dem Buch sowie Spielhilfen und Kurzregeln. Das „Playkit“ gleicht damit de facto einem Schnellstarter.

Fazit

Agons Versatilität ist gleichzeitig große Stärke und Schwäche des Spiels. Die Gegensätze stehen sich dabei an vielerlei Stelle gegenüber. Das einfache Regelsystem und die schnelle Charaktererschaffung überfordern mitunter in Sachen Layout, gehen zu Lasten der Tiefe und lassen manche Konzepte an der Grenze zur Beliebigkeit spazieren. Die Charaktere, ihre Persönlichkeiten, aber auch ihre Beziehungen lassen sich vielseitig und unterschiedlich ausspielen. Insbesondere im Erzählen ist Agon stark, wofür nicht nur die schnellen Würfe sorgen, sondern auch die Einbindung erzählerischer Konzepte in die Charakterentwicklung, etwa über die Beinamen.

Der Wiederspielwert ist bei vorgefertigten Abenteuern hoch, da die Geschichten nicht vollständig beschrieben sind und somit Platz für eigene Gestaltung lassen, allerdings genauso eine gute Vorbereitung unabdingbar machen.

Insgesamt betrachtet sind nicht nur die Würfe in Agon schnell, sondern auch die Charakterentwicklung, die dennoch mit einigen innovativen Konzepten, wie dem des Seelenschmerz einhergeht.

Der Spieltest bestätigt die Wertung des Ersteindrucks. Die Geschichten von Heroismus, Tugenden und dem Bösen bleiben so universell und allgemeingültig wie Agons Position als überaus rundes Einstiegs- und One-Shot-System.

  • Schneller Einstieg
  • Regelsystem deckt alle Eventualitäten ab
  • Variable, vorgefertigte Abenteuer

 

  • Viel Information auf Charakterbogen
  • Teile des Charakterbogens drohen dabei, beliebig zu werden
 

 

Artikelbilder: © System Matters, © Wikimedia Commons wie angegeben
Layout und Satz: Kai Frederic Engelmann
Lektorat: Nina Horbelt
Fotografien: Jonas Krüger
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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