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Für Fans narrativer Abenteuer zum Mitfiebern ist DON’T NOD keinesfalls ein unbekannter Name: Nach Titeln wie Life is Strange, Tell Me Why und Twin Mirror veröffentlichte das Studio im Juni eine neue atmosphärische Erzählung: Harmony: The Fall of Reverie. Können Protagonistin Polly ihr ungewöhnlicher Heimatbesuch begeistern?

Familie ist nicht immer einfach. Das weiß auch Polly, die Protagonistin von Harmony: The Fall of Reverie (kurz: Harmony). Sie blickt auf eine schwierige Vergangenheit mit ihrer Mutter zurück. Doch als genau diese plötzlich verschwindet und eine fremde Welt Polly zu sich ruft, weiß die junge Frau, dass sie schwerwiegende Entscheidungen für sich, aber auch für andere, treffen muss.

Protagonistin Polly steht ihre erste Reise nach Reverie bevor.

Spieler*innen sehen sich in diesem text- beziehungsweise dialogbasierten Videospiel mit unterschiedlichsten Optionen die eigenen Handlungen betreffend konfrontiert. Dass die daraus resultierenden Konsequenzen oft anders aussehen als erwartet, macht die Spielerfahrung mindestens spannend. Harmony erschien am 08.06.2023 für PC (Steam), Nintendo Switch, PlayStation 5 und Xbox Series X und S.

Triggerwarnungen

Charaktertod, schwierige Familienverhältnisse

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Handlung und Setting

Polly kehrt nach Jahren in ihre einstige Heimat zurück. Der fiktive Mittelmeer-Stadtstaat Atina hat einige Veränderungen durchgemacht: Der Mono Konzern hat seinen Einfluss über die gesamte Region ausgebreitet und kontrolliert deren Bewohner*innen durch ein dichtes Drohnennetzwerk. Preise und Mieten steigen unaufhörlich und fragwürdige Angebote innerhalb des Gesundheitswesens gewinnen an Popularität. Zudem hat Pollys einstiges Zuhause, die sogenannten Naiads, gehörig an Glanz verloren. Das ehemalige Schwimmbad, welches zu Wohnungen für Kunstschaffende umgebaut wurde, sammelt Schulden und undichte Rohrleitungen gleichermaßen. Mit dem Verschwinden von Pollys Mutter Ursula ging außerdem das Herzstück dieses einzigartigen Orts verloren.

Für Polly gilt es, Ursula ausfindig zu machen. Doch ehe sich die Protagonistin versieht, findet sie sich in einer anderen Welt wieder – eine, die den Namen Reverie trägt. Hier kennt man sie als Harmonie und betraut sie mit der Aufgabe der Rettung dieser traumähnlichen Dimension. Um das emotionale Chaos auf die Spitze zu treiben, erhalten Spieler*innen tiefe Einblicke in das schwierige Verhältnis, dass Polly und Ursula miteinander verbindet.

Brittle und Reverie: Zwei Seiten einer Medaille?

In Harmony: The Fall of Reverie bewegen sich Spieler*innen durch zwei verschiedene Welten. Die eine ist die materielle Welt, die Aspekte wie Materie, Zeit und Schwerkraft in sich vereint. Hier muss Polly ihren Weg gemeinsam mit alten Freund*innen suchen und sich den Geistern ihrer Vergangenheit stellen. All dies geschieht im Angesicht eines allzu hungrigen Megakonzerns, der seine Schatten auf Atina wirft und den Bewohner*innen dort das Leben alles andere als leicht macht. Wichtige Persönlichkeiten neben der Protagonistin sind unter anderem Nora, die in den Naiads lebt und ein gutes Verhältnis zu Polly pflegt, sowie Noras Großvater Laszlo.

Die mystische Welt Reverie ist eng mit der materiellen Welt verknüpft.

Neben dieser materiellen Welt existiert Reverie. Hier leben die sogenannten Bestrebungen, welche urtümliche Aspekte der Menschen, beziehungsweise der Menschheit darstellen. Allerdings sind sie eigenständig denkende Wesen, die in einem nicht immer stabilen Miteinander leben. Die erste Bestrebung, die Polly kennenlernt, ist Seligkeit. Später kommen unter anderem Macht und Chaos hinzu. Auch in Reverie gibt es Probleme: Das Gleichgewicht ist gestört. Polly fällt die Aufgabe zu, Reverie zu helfen. Rasch wird ihr offenbar, dass das Schicksal beider Welten eng miteinander verknüpft ist.

Das (familiäre) Miteinander im Zentrum

Harmony besticht durch die Darstellung unterschiedlichster Familien- und Beziehungskonzepte. So sind beispielsweise Ursula und Laszlo ein Paar, allerdings ist ihre Beziehung zumindest auf Ursulas Seite offen, was ihr Partner weiß und akzeptiert. Laszlos Enkeltochter Nora ist somit quasi Pollys Schwester, was die warme Beziehung der beiden Frauen zueinander erklären könnte. Das Spiel repräsentiert darüber hinaus nichtbinäre Charaktere und gleichgeschlechtliche Liebesbeziehungen, ohne sie zum zentralen Dreh- und Wendepunkt der Handlung zu machen. Sie fügen sich organisch in den Verlauf der Geschichte ein und sorgen dafür, dass diese an Vielfalt und Tiefe gewinnt.

Konflikte spielen eine große Rolle in Harmony.

Das Verschwinden von Pollys Mutter Ursula ist der Auslöser für die Geschehnisse in Harmony. Zusammen mit der schwierigen Beziehung, die Mutter und Tochter zueinander pflegen, entsteht eine spannende Familiengeschichte. Darüber hinaus muss Polly nicht nur in der materiellen Welt zwischen streitenden Parteien vermitteln oder andere Lösungen erarbeiten, auch in Reverie ist ihr Einsatz unerlässlich.

Aufbau und Gameplay

Bei Harmony handelt es sich um eine Visual Novel. Spieler*innen manövrieren keine Spielfigur durch die Welt, sondern befassen sich mit Dialogen und Beschreibungen in Textform. Das Spiel bringt überdies eine spannende Mechanik mit: Die sogenannte Mantik, mit welcher die Protagonistin ihre weiteren Schritte planen kann. Immer dann, wenn eine wichtige Entscheidung ansteht, wechselt der Bildschirm fort von dem derzeitigen Dialog oder Handlungsabschnitt. Es erscheint eine Übersicht, die den jetzigen Punkt der Geschichte sowie die weiteren Optionen zum Voranschreiten präsentiert.

Die vielen verschiedenen Möglichkeiten schließen einander oft aus, sodass ein hoher Wiederspielwert von Harmony gegeben ist. Stellenweise kann Polly den Bestrebungen ihr Gehör leihen. Je nachdem, wie oft sie den Ideen der einzelnen Bestrebungen folgt, tun sich neue Wege und Handlungsoptionen auf. Dank umfangreicher Erklärungen ist Spielenden ein Verstehen dieser innovativen Spielmechanik ohne großen Aufwand möglich. Leider jedoch wirkt sie sehr klobig; in vielen Dialogen können nur wenige Sätze gelesen werden, ehe der Bildschirm wieder von den Charakteren zur Mantik wechselt. Dies stört sowohl den Spielfluss als auch die Atmosphäre sehr.

Ein weiterer Minuspunkt an der Spielerfahrung ist, dass die finalen Abschnitte in einer Art Durchflug erlebt werden. Plötzlich gibt es kaum noch Dialoge und stattdessen beschreibt das Spiel lediglich, was geschieht. Selbst die Mantik bietet nur wenige Auswahloptionen an – Spielende klicken einfach immer weiter, bis sie am Ende des Spiels angelangen. Dieser Abschnitt wirkt unnötig langgezogen und nimmt der Handlung ihre Dynamik.

Technische Informationen

Die Charaktere in Harmony: The Fall of Reverie sind liebevoll gestaltet und synchronisiert. Die Dialoge wirken authentisch und so manches Mal dürften Spielende lange grübeln, welche Antwortoption wohl die geeignetste ist. Hinzu kommt eine stimmige musikalische Untermalung, die nicht bloß positiv zur Atmosphäre beiträgt, sondern diese veredelt. Die Hörerfahrung ist durch und durch gelungen. Während des Spieltests kam es zu keinerlei Rucklern oder Abstürzen; zu jeder Zeit lief DON’T NODs neustes Werk flüssig.

Die harten Fakten:

  • Entwicklerstudio: DON’T NOD
  • Publisher: DON’T NOD
  • Plattform: PC (Steam), Nintendo Switch, PlayStation 5, Xbox Series X|S
  • Sprache:
  • Text: Deutsch, Englisch, Französisch Spanisch
  • Sprachausgabe: Englisch
  • Mindestanforderungen:
    • Betriebssystem: Windows 8
    • Prozessor: Intel Core i5-4570T (2 * 2900) / AMD FX-4300 (4 * 3800) oder Vergleichbares
    • Arbeitsspeicher: 8 GB RAM
    • Grafik: GeForce GTX 650 oder Radeon HD 7750 (1024 MB)
    • Speicherplatz: 9 GB verfügbarer Speicherplatz
  • Genre: Narrative Adventure, Visual Novel
  • Releasedatum: 08.06.2028
  • Spielstunden: 8+ Stunden
  • Spieler*innen-Anzahl: 1
  • Altersfreigabe: ab 14 Jahren
  • Preis: 24,99 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, idealo

 

Bonuscontent

Bei jedem Start von Harmony: The Fall of Reverie weist DON’T NOD in Form einer Triggerwarnung auf die schwierigen Inhalte des Spiels hin. Dieser Hinweis ist leider ausschließlich in englischer Sprache gehalten. Zum besseren Verständnis folgt eine freie Übersetzung der Autorin dieses Artikels:

Hinweis bei Spielstart.

Dieses Spiel behandelt empfindliche Inhalte in Bezug auf familiäre Beziehungen und Verlust. Für einige Spieler*innen ist dies möglicherweise belastend. Wir ermutigen euch deshalb dazu, bei Bedarf Pausen einzulegen und Unterstützung zu suchen.

Fazit

Die primär textbasierte Visual Novel Harmony: The Fall of Reverie erzählt die Geschichte von Polly, die ihre verschwundene Mutter sucht. Sie kehrt in ihre Heimat zurück und findet diese verändert vor. Als sie zu allem Überfluss noch eine andere Welt jenseits der ihr bekannten Wirklichkeit besucht, steht ihr Leben vollends auf dem Kopf. Fest steht nur eins: Um sowohl ihre eigene als auch jene mystische andere Welt zu retten, muss Polly harte Entscheidungen treffen.

Harmony ist eine emotionale Reise mit besonderem Augenmerk auf (Familien-)Beziehungen und der Idee von Gleichgewicht. Der Titel gibt Spieler*innen etliche Entscheidungsmöglichkeiten sowie eine eingängige Steuerung an die Hand. Es lässt sie kleinschrittig Pollys Voranschreiten planen und konfrontiert sie mit den Konsequenzen der ausgewählten Gesprächs- oder Handlungsoptionen. Da die Entscheidung für einen Weg oft die Entscheidung gegen einen anderen bedeutet, ist ein mehrfaches Durchspielen durchaus attraktiv, was die geringe Stundenzahl, die für einen einzigen Durchlauf benötigt wird, ausgleicht.

Liebevoll gestaltete Videosequenzen lockern das Gameplay auf.

Ohne Schwächen ist der Titel nicht: Zum einen zieht sich die Handlung im letzten Spielabschnitt in die Länge und die gewohnte Entscheidungsfreiheit wird beschnitten. Zum anderen behindern die vielen Wechsel zwischen verschiedenen Spielbildschirmen, beispielsweise Dialog und Mantik, den Spielfluss stark. Wer allerdings hierüber hinwegsehen kann, wird in den Genuss eines kreativen wie wundervollen Abenteuers kommen, das, einem spannenden Buch nicht unähnlich, die Zeit vergessen lässt. Für Freund*innen narrativer Abenteuer ist ein Ausflug nach Reverie, ein Besuch bei den Bestrebungen, durchaus eine reizvolle Angelegenheit.

  • Interessante Handlung
  • Hoher Wiederspielwert

 

  • Ständige Unterbrechungen des Spielflusses
  • Längen in der zweiten Spielhälfte

 

Artikelbilder: © DON’T NOD
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Sabrina Plote
Screenshots: Yola Tödt

Dieses Produkt wurde privat finanziert.

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Yola liebt gute Geschichten. Das Medium ist für die studierte Germanistin zweitrangig – Bücher, Filme und Serien, Videospiele und Tischrollenspiele werden gleichermaßen konsumiert und geliebt. Vormals im Bereich Pen-and-Paper aktiv, verstärkt die schreibwütige Redakteurin seit 2019 das Ressort für Digitales, in der Hoffnung, ihre Leidenschaft für die großartige Welt der Videospiele an Andere herantragen zu können. Yola Tödt verließ das Team im Winter 2022.
 
 

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