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In Durchgeblättert werfen wir regelmäßig einen kritischen Blick auf Neuerscheinungen, Geheimtipps oder Klassiker aus der vielfältigen Welt der Graphic Novels. Diese Ausgabe konzentriert sich ausschließlich auf Fortsetzungen. So erwarten uns neue Abenteuer der Austrian Superheroes und Lady Mechanika. Zudem zieht Lord Baltimore in den entscheidenden Krieg gegen einen übermächtigen Feind.

Der Fokus dieser Ausgabe liegt ganz eindeutig auf den zweiten Bänden bereits etablierter Serien. Nachdem wir uns in der letzten Ausgabe die Einstiegsbände zu den Austrian Superheroes (ASH) und Lady Mechanika im Detail angesehen haben, stellen wir in dieser Ausgabe die zuletzt veröffentlichten Nachfolgewerke vor. Darüber hinaus treffen wir wieder auf einen alten Bekannten, dessen letzter Auftritt bei uns die Bestnote einfahren konnte. Lord Henry Baltimore führt seinen Kreuzzug gegen den Roten König und seine Schergen fort und die Frage ist natürlich: Kann überhaupt jemand siegreich aus diesem Chaos hervorgehen?

Wir hoffen, ihr habt beim Leser dieser Kritiken ebenso viel Spaß, wie uns das Lesen der rezensierten Werke gemacht hat. Über Fragen oder Diskussionen in den Kommentaren freuen wir uns ebenso, wie über generelles Feedback zu unserem Format Durchgeblättert!

Baltimore Sammelband #2

Die Messlatte liegt hoch bei diesem zweiten Sammelband voller Geschichten um Mike Mignolas Monsterjäger Henry Baltimore. Denn der Vorgänger konnte uns mit seiner Kombination aus düsterem Horror, Nervenkitzel und eindrucksvoller visueller Gestaltung vollends begeistern. Keine leichte Aufgabe damit für den Nachfolger, solch hohen Erwartungen gerecht zu werden.

Zunächst sei jedoch gesagt, dass Baltimore Sammelband #2 abermals ein wahres Monstrum an Graphic Novel ist. 560 Seiten umfasst die Vereinigung der Einzelbände Der Apostel und die Hexe von Harju, Der Kult des Roten Königs, Leere Gräber und Das Rote Königreich. Gemeinsam bilden sie eine Rahmenhandlung, welche sich nicht mehr ganz so abwechslungsreich wie beim ersten Teil anfühlt, dafür in Hinblick auf Intensität und Dramaturgie nochmals anzieht.

Dabei hat man gerade zu Beginn den Eindruck, dass die Geschichte zunächst ein wenig an Epik verliert. Nach den letzten Ereignissen im Kampf gegen den Vampir Haigus finden sich Baltimore und seine Begleiter in einem kleinen Dorf in Estland wieder. Auch wenn die Untotenplage geringer zu werden scheint, ist sie noch nicht ausgelöscht und weitere Monstrositäten tauchen immer noch auf. Doch im Vergleich zum Finale des Vorgängers wirkt die Zombieplage inmitten eines estnischen Dorfes fast bedeutungslos. Sollte Baltimore sich nicht eigentlich auf die Konfrontation mit der wahren Macht hinter all den Schrecken – dem Roten König – einstellen? Was treibt er denn dann im Baltikum?

Schnell erkennt man jedoch, dass das Team um Mike Mignola hier sehr geschickt an der Spannungsschraube dreht. Die vermeintliche Ruhe ist schnell vorüber und nach einigen Kapiteln findet sich der Leser in einer Geschichte wieder, die von Panel zu Panel an Intensität und Bedrohlichkeit gewinnt. Konnte bereits Sammelband #1 mit seinem Spannungsbogen überzeugen, legt der Nachfolger nochmals einen weiteren Gang zu. Dabei wirken die einzelnen Stories nicht mehr ganz so einzigartig und abwechslungsreich wie im ersten Werk, sondern deutlich fokussierter. Zwar wird man immer noch an die verschiedensten Orte geführt, doch über die Hälfte des Bandes liegt das Hauptaugenmerk auf der Suche nach dem Roten König. Erst in der zweiten Hälfte fügen sich einzelne Handlungsbögen aus beiden Sammelbänden allmählich zusammen, um auf das Ende hinzuarbeiten.

Und was für ein Abschluss das ist. Gerade Das Rote Königreich wartet mit einigen Wendungen und Ereignissen auf, die sämtliches davor Geschehene unbedeutend und klein wirken lassen. In diesem Band dreht es sich nicht mehr um das Schicksal einzelner Seelen oder Dörfer. Vielmehr hängt die Zukunft der gesamten Welt in der Schwebe.

Neben all der Epik werden jedoch auch die Charaktere nicht vernachlässigt. Gerade dem Hauptcharakter Henry Baltimore werden einige Szenen vergönnt, die seine innere Tortur erkennen lassen und damit einen Blick durch den harten Kern gewähren. Der vermehrte Einsatz verschiedener Nebencharaktere erhöht zudem die Vielfalt an Interaktionen, wobei diese Charaktere unterschiedlich stark ausgearbeitet sind und dadurch auch ihr Einfluss auf die Geschichte variiert. Demgegenüber steht die Wahl des Roten Königs als primärem Antagonisten, da dieser durch gezielten Spannungsaufbau und die Ausarbeitung einer mythischen Hintergrundgeschichte eine überaus furchteinflößende Figur darstellt.

Die visuelle Gestaltung ist abermals auf einem hohen Niveau anzusiedeln. Die Welt ist düster und brutal, was sich zum einen im gewählten Farbschema zeigt. Hier dominieren wieder dunkle Töne, wobei nun auch (passend zum Gegenspieler!) auch die Farbe Rot eine immer wichtigere Rolle spielt. Zum anderen beweist auch wieder das Design der Monster und Gegenspieler, wie morbide die Welt von Baltimore ist. Eine Vielzahl von schockierend anzusehenden Untoten, Dämonen und Geisterwesen machen die Tage und Nächte der Lebenden unsicher und zeigen sich in der Gestaltung in all ihrer fürchterlichen Pracht. Abermals ein erfreulicher Zusatz sind deswegen die Konzeptzeichnungen, welche die Arbeitsprozesse in der Schöpfung dieser Wesen nachvollziehbar machen.

Baltimore Sammelband #2 weist außerdem mehr Massenszenen auf, als sein Vorgänger. Das liegt zum einen am größeren Ensemble an Figuren, welche sich in den einzelnen Geschichten finden. Hinzu kommt aber auch die Tatsache, dass in dieser Ausgabe deutlich mehr auf dem Spiel steht und das auch durch solche Szenen eindrucksvoll verdeutlicht wird.

Somit lässt sich gegen Ende festhalten, dass Baltimore Sammelband #2 den hohen Erwartungen bedingungslos gerecht wird. Die Handlung aus dem Vorgänger wird stimmig fortgesetzt und kann an Dramatik und Tragweite noch weiter zulegen. In Folge dessen wird man als Leser in einen stetig verzweifelter werdenden Kampf gezogen, dessen Sog aus Spannung und Neugierde man nur schwer entkommen kann. Gepaart mit interessanten Charakteren und einem atmosphärischen Zeichenstil entsteht damit wieder eine Graphic Novel, welche als Referenz im Bereich Horror und Fantasy dienen kann. Lesevergnügen pur.

Die harten Fakten

  • Verlag: Cross Cult
  • Autor(en): Mike Mignola, Christopher Golden
  • Zeichner(in): Peter Bergting, Ben Stenbeck, Dave Stewart, Michelle Madsen
  • Seitenanzahl: 560
  • Preis: 50 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Lady Mechanika No. 2 – An Bord der Helio-Ark

Auch unser zweites Werk dieser Ausgabe ist eine Fortsetzung. Lady Mechanika No. 2 – An Bord der Helio-Ark dient als direkte Fortführung des ersten Teils, welchen wir in der letzten Ausgabe von Durchgeblättert besprochen haben. Abermals begleiten wir die titelgebende Heldin auf ihrer Suche nach Antworten über die eigene Herkunft und durch düstere Machenschaften zur Schaffung von Mensch-Maschine-Hybriden. Denn in der spätviktorianischen Steampunk-Version von Großbritannien verspricht diese „Wissenschaft“ potentiell viel Macht und weckt damit auch die Begierde von einflussreichen Konzernen und Gestalten von zweifelhafter Gesinnung.

Und in genau solch eine explosive Situation gelangt nun die Protagonistin Lady Mechanika, welche eines der wenigen erfolgreichen Ergebnisse der Verschmelzung von Mensch und Maschine ist. Auf der Suche nach Antworten über ihre Vergangenheit ist sie nun auf der Jagd nach der Leiche einer jungen Frau, welche scheinbar das gleiche Schicksal erlitten hat. Dies führt sie auf das riesige Luftschiff Helio-Ark des einflussreichen Lord Blackpool, in dem sich weit mehr Geheimnisse verbergen, als zu Beginn vermutet …

Somit wird die Geschichte aus Lady Mechanika No. 1 – Das Geheimnis der mechanischen Leiche direkt weitergeführt und findet zudem auch ihre zwischenzeitliche Auflösung. Denn nach etwa der Hälfte dieses Bandes wird tatsächlich ein neuer Handlungsbogen gestartet, der Lady Mechanika vor eine neue Herausforderung stellt und den Leser auch an neue Schauplätze bringt. Im Vergleich zum ersten Band verursacht das leider den Eindruck eines leichten Bruches, da der Fokus nicht auf einer Geschichte bleibt. Zwar sind beide Hälften durchaus kurzweilig und spannend zu lesen, doch wirkt das Gesamtwerk nicht so sehr aus einem Guss wie der erste Band. Es bleibt abzuwarten, ob im weiteren Verlauf der Reihe noch die Brücke zwischen den unterschiedlichen Erzählfäden geschlagen wird.

Dennoch führt Lady Mechanika No. 2 – An Bord der Helio-Ark die meisten bisherigen Tugenden aus dem Vorgänger fort. Die Protagonistin ist immer noch eine charmante Kombination aus Femme Fatale mit trockenem Humor und unerwarteter Menschlichkeit in einer düsteren Dystopie. Gerade der bissige Humor und die stellenweise kompromisslose Action erleichtern eine kurzweilige Lektüre des Bandes und werden sinnvoll durch Expositionen und Neugier weckende Story-Elemente ergänzt.

Auch die visuelle Gestaltung lässt wieder kaum Wünsche übrig, wobei besonders Charakter- und Kostümdesign hervorgehoben werden müssen. Gerade die detaillierte Gestaltung der Outfits ermöglicht die Verdeutlichung des Steampunk-Einflusses, wie es darüber hinaus nur die technischen Spielereien vermögen. Beispielsweise findet zu Beginn in der Geschichte ein Maskenball statt, durch den diese besondere Stärke von Benitez Zeichnungen nochmals deutlich wird.

Somit knüpft der zweite Teil von Lady Mechanika an viele der Stärken des Vorgängers an, kann aber insgesamt etwas weniger überzeugen. Hauptgrund dafür ist der empfundene Bruch in der Mitte des Bandes durch den Start eines neuen Handlungsbogens, der auf den ersten Blick wenig mit der ersten Hälfte zu tun hat. Dies trübt den Eindruck eines harmonischen Gesamtbildes, wie es noch der erste Band vermitteln konnte. Dennoch – die übrigen Stärken, wie der detaillierte und intensive Zeichenstil, sowie der bissige Charme der Protagonistin Mechanika, machen diesen Band wieder zu einem kurzweiligen Leseerlebnis mit Lust auf mehr. Glücklicherweise hat Splitter bereits 2 weitere Bände in diesem Jahr für Juli und Oktober angekündigt. Nun heißt es sich in Geduld üben.

Die harten Fakten

  • Verlag: Splitter
  • Autor(en): Joe Benitez
  • Zeichner(in): Joe Benitez, Peter Steigerwald
  • Seitenanzahl: 128
  • Preis: 19,80 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

ASH 2 – Spurensuche

Zuletzt begeben wir uns wieder in die deutschsprachige Region, genauer gesagt nach Wien. Dort stehen die neuen Wiener Wächter nach ihrem Sieg über den Basilisken im ersten Sammelband der Austrian Superheores vor neuen Herausforderungen. Das Team, bestehend aus Captain Austria Jr., dem Donauweibchen, Lady Heumarkt und dem Bürokraten muss sich nun nämlich auf Spurensuche begeben, um den Ursprung dieser Gefahr zu identifizieren.

Der zweite Sammelband von ASH umfasst sämtliche erschienenen Ausgaben aus dem Jahre 2017 und damit die Einzelbände fünf bis zehn. Wie schon bei den ersten vier machen die Anspielungen und kleinen Details im Hinblick auf die österreichische Kultur einen Großteil des Charmes dieses Werkes aus. Doch ein wesentlicher Unterschied im Vergleich zum Vorgänger kann im Hinblick auf die Präsentation der Geschichten ausgemacht werden.

Diese werden nun nämlich deutlich facettenreicher und tiefgründiger. Während der erste Sammelband den Fokus auf die Etablierung des Teams und einige kleinere Abenteuer legte, zeigen sich hier vermehrt die Dynamiken unter den einzelnen Figuren und Gemeinsamkeiten einzelner Geschichten werden nach und nach offen gelegt. Hilfreich ist auch, dass durch die Ergänzung weiterer Einsatzorte (von Tirol bis hin zu Ungarn) und neuer interessanter Charaktere und Schurken frischer Wind in die Heldengeschichten gebracht wird.

Dadurch wirkt dieser Band zum einen deutlich vielschichtiger und spannender als sein Vorgänger. Der Reiz der Geschichten generiert sich nicht mehr nur aus der Verbindung zu Österreich, sondern wird auch durch die kluge Fortführung der Handlung und der Protagonisten erzeugt. Zum anderen sorgt das erweiterte Repertoire an Orten, Figuren und Gegenspielern für mehr Variation und dadurch für Kurzweil beim Lesen. Und ein kleiner Spoiler – die Autoren haben es sich auch nicht nehmen lassen, mit der Liga deutscher Helden auch das Pendant aus Deutschland in ihre Werke einzubauen.

Es entsteht dadurch der Eindruck, dass die Helden aus Österreich tatsächlich an ihren eigenen Aufgaben wachsen – innerhalb und außerhalb der Comicseiten. Das zeigt sich unter anderem auch in den Zeichnungen innerhalb des Bandes. Wie schon im ersten Sammelband sind mehrere verschiedene Künstler an der Umsetzung der Illustrationen beteiligt, was zu einer Variation unterschiedlicher Stile führt. Jedoch erkennt man auch hier den Sprung in der Qualität. Die meisten der Kapitel müssen selbst den Vergleich zu den Big Playern wie Marvel Comics oder DC Comics nicht scheuen.

Insgesamt ist es schön zu sehen, welchen Sprung ASH innerhalb des letzten Jahres in Hinblick auf die Qualität hinlegen konnte. Die Geschichten werden durch die Zunahme weiterer Orte und Charaktere abwechslungsreicher, während gleichzeitig Handlungsstränge tiefgreifender und vielschichtiger werden. Leser erhalten dadurch mehr Variation und Spannung beim Lesen der Superheldengeschichten aus Österreich. Doch auch die visuelle Gestaltung macht einen deutlichen Schritt nach vorne und wartet nun mit einer Qualität auf, die auch bei den etablierten Superheldencomics auffindbar ist. Zwar werden die Geschichten aufgrund des starken Fokus immer noch nicht jedermanns Geschmack treffen, doch ASH ist inzwischen für weitaus mehr Leute interessant, als nur für Freunde der österreichischen Kultur.

Die harten Fakten

  • Verlag: Cross Cult
  • Autor(en): Harald Havas
  • Zeichner(in): Thomas Aigelsreiter, Patrick Kloepfer
  • Seitenanzahl: 144
  • Preis: 24,90 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Fazit des Monats

Im Bereich der Filme und Videospiele gibt es oftmals die Sorge um die Qualität von Nachfolgern gefeierter Werke – ein Thema, welches auch im Hinblick auf Graphic Novel durchaus zutreffen kann. Glücklicherweise sehen wir in dieser Ausgabe von Durchgeblättert direkt drei gute Beispiele dafür, dass man auch absolut unbesorgt auf Fortsetzungen blicken kann. Alle drei vorgestellten Bände verstehen es, die Stärken der Vorgänger in die Fortsetzungen zu übernehmen und stellenweise sogar mit sinnvollen Erweiterungen und Entwicklungen zu ergänzen.

Besonders positiv hervorzuheben ist hierbei der Nachfolgeband von ASH, welcher es versteht, seinen speziellen Nischen-Charme zu behalten, sich aber gleichzeitig so weit zu entwickeln, um für ein deutlich breiteres Publikum interessant zu werden.

Artikelbilder: Splitter, Cross Cult
Diese Produkte wurden kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

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