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Der kleine Tod, er wohnt so manchem Geschlechtsakt inne. In einem kleinen polnischen Dorf, in dem eine junge Frau sich prostituiert, um zu überleben, lauert er hinter einer dünnen Fassade aus Sex und Schuld. Die Teilzeithelden begaben sich in eine kleine Welt, in der große Abgründe schlummern.

Alexander Kaschte, das Mastermind hinter der Band Samsas Traum, veröffentlicht seit einiger Zeit mit seinem Verlag Insektenhaus Comics aus finstersten Nischen. (Samsas) Trauma Tales beinhalten grenzwertige Geschichten, gezeichnete Versionen von Kaschtes Songs wie „Blut ist in der Waschmuschel“, „Endstation Eden“ und „Im Embryovernichtungslager“ im Stile alter Horrorcomics aus den 1970ern. Ebenso erschien der etwas gediegenere Band „Der Junge lebt im Brunnen“. Mit Suspiria aus dem Reich der Finsternis – Der Kleine Tod erscheint nun ein weiteres Werk, das erst einmal für sich steht. Autor Luca Laca Montagliani und Zeichner Andrea Bulgarelli nehmen den Leser mit in die dunklen Abgründe nicht jugendfreier Perversionen.

Handlung

Ilona lebt in einem kleinen polnischen Dorf, das aussieht, als wäre es irgendwo zwischen Posener Aufstand und  Solidarność-Gründung hängengeblieben. Sprich: Alles ist aus Holz, heruntergekommen, hat aber auch einen gewissen Retro-Charme. Ilona selbst sieht aus, als hätte man Vampirella und ein Playmate der 1970er kombiniert. Sie lebt mit ihrer debilen Mutter in einem baufälligen Bauernhof und prostituiert sich, um irgendwie über die Runden zu kommen.

Da das Dorf nicht gerade groß ist, ist allen bekannt, wie Ilona ihren Lebensunterhalt bestreitet. Die Frauen im Dorf zerreißen sich über sie deswegen das Maul, während fast alle Männer der kleinen Kommune ihre sexuellen Fantasien an Ilona ausleben. Die junge Frau wird also von hemmungslosen Freiern misshandelt. Neben den körperlichen Qualen, die sie unter anderem durch Peitschenhiebe und Faustschläge ertragen muss, ist es auch der psychische Terror, der sie fertig macht.

Nur der naive Schweinehirte Marek hält zu ihr, während die anderen Männer sie als minderwertiges Lustobjekt betrachten und auch entsprechend behandeln. Meistens wird Ilona in Naturalien bezahlt und lebt auch sonst von Almosen. Wie die Handlung von diesem Ausgangspunkt im Weiteren verläuft, ist schnell erzählt und sei diskret in einen Spoilerkasten gepackt.

Spoiler!

Über die gruselige Puppe, die Ilona eines Tages geschenkt bekommen hat, tritt eine Dämonin ins Leben der jungen Frau. Ausgelöst wird dies von Ilonas Mord an ihrer bettlägerigen und hasserfüllten Mutter. Im Angesicht der Dämonin legt Ilona eine Art Lebensbeichte ab und beschreibt, wie sie die von Männern zugefügten Schmerzen wahrnimmt. Dabei kommt heraus, dass Ilona auch ihren Vater umgebracht hat, der sie bereits als Kind vergewaltigte.

Ebenso sieht Ilona nur noch wenig Sinn in ihrer Existenz. Die Dämonin eröffnet ihr deswegen die Möglichkeit, durch Selbstmord aus dem Leben zu treten. Dazu verführt sie Ilona, was darin endet, dass sich die junge Frau eine Rübe so tief in den Rachen einführt, dass sie schließlich daran erstickt. Marek, der Schweinehirte, hat alles masturbierend beobachtet und stürzt schließlich ins Bauernhaus, kann Ilona aber nur noch betrauern. Verzweifelt steckt er sich den Lauf seiner Flinte in den Mund und drückt ab. Er stirbt ebenfalls und wird von der Dämonin mit Ilona im Tod vereint.

Die Geschichte schließt mit der Dämonin, die in der Hölle einige ihrer Schwestern aufsucht. Gemeinsam philosophieren sie über die Tragik der menschlichen Existenz, die gleichzeitig lustvoll, aber auch sinnlos ist. Ilona und Marek schreiten schließlich gemeinsam in die lichte Ewigkeit und lösen sich darin auf.

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Charaktere

Die Charaktere in Suspiria aus dem Reich der Finsternis haben wenig Tiefe und gleichen Abziehbildern, was nicht nur der Kürze der Handlung geschuldet, sondern wahrscheinlich auch so gewollt ist. Somit können sie viel besser zur eigenen Interpretation der Geschichte genutzt werden.

Einzig zu Ilonas Figur gibt es eine nennenswerte Hintergrundgeschichte, der Rest des Dorfes wird anhand von klischeehaften Merkmalen dargestellt. Die Bewohner sind dumm oder brutal oder beides und im Gegensatz zur sinnlich schön gezeichneten Ilona allesamt hässlich und abstoßend.

Zeichenstil

Die Zeichnung sind ganz klar vom Stil der 1970er inspiriert. Trotz mancher grober Linie zeigt sich ein schönes Auge für Details, insbesondere bei den nicht gerade spärlich dargestellten Körpersäften. Von Zungen tropfender Speichel, glänzender Schweiß und zähflüssiges Sperma bringen Lebendigkeit in die schwarzweißen Zeichnungen.

Wie bereits erwähnt, dienen die Zeichnungen auch zur Charakterisierung der einzelnen Figuren. Es stellt sich nicht die Frage, wie Ilona trotz all ihrer Qualen und vor allem trotz des allgegenwärtigen Hungers immer noch einen makellosen und üppigen weiblichen Körper besitzt. Schließlich ist er nur das sinnliche Gegenstück zu den hässlich gezeichneten anderen Figuren, die sich nur durch verzerrte Grimassen ausdrücken können.

Obwohl der Band viele sexuelle Details beinhaltet, geht er nicht den letzten Schritt und stellt den Geschlechtsverkehr zwischen Mann und Frau nicht explizit dar. Vieles wird letztlich doch nur angedeutet und im Gegensatz zu Ilonas mehrfach dargestellter Vagina wird niemals ein Penis gezeigt. Dem Autor dieser Zeilen sei an dieser Stelle ein Hinweis auf die Diskussion zu Wege der Vereinigungen gestattet, in welcher der Erotik-Spielhilfe für das Fantasy-Rollenspiel Das Schwarze Auge unter anderem deswegen unterschwelliger Sexismus vorgeworfen wurde, weil das Verhältnis zwischen abgebildeten Penissen und Vaginas nicht ausgeglichen war.

Wo wir gerade beim Thema sind: Suspiria aus dem Reich der Finsternis als Befreiungsschlag einer Frau zu interpretieren, wie er in manchen Exploitation-Filmen der 70ern zu verfolgen ist, wäre etwas übertrieben. Ilona findet ihre Freiheit letztlich zwar im Tod, erfährt aber keinen befriedigenden Triumph. Die letzte Seite vermittelt – nach einer übrigens wunderbar abartig gezeichneten Hölle – Erlösung und Auflösung in der Ungewissheit ewigen Lichtes.

Erscheinungsbild

Was Layout und Aufmachung angeht, ist der Band sehr gut gelungen. Das äußerst stabile Hardcover liegt gut in der Hand. Dass der Band von außen etwas mehr hermacht und verspricht, als die eher konservativen schwarzweißen Zeichnungen hergeben, ist zu verschmerzen. Skizzen und Hintergrundinfos zur Gestaltung runden die Graphic Novel ab.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Insektenhaus
  • Autor: Luca Laca Montagliani
  • Zeichner: Andrea Bulgarelli
  • Erscheinungsjahr: 2019
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Hardcover
  • Seitenanzahl:
  • Preis: 19,95 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Fazit

Unterm Strich ist Suspiria aus dem Reich der Finsternis – Der kleine Tod eine solide Veröffentlichung, die allerdings in erster Linie etwas für Nischenliebhaber ist. Wer mit dem abwegigen und morbiden Humor der Trauma Tales glücklich wurde, wer das leicht schmuddelige italienische Exploitation-Kino der 1970er schätzt, wird auch durch diesen Band unterhalten werden. Auch die Aufmachung weiß zu überzeugen.

Wer aber eine ausgefeilte Handlung und vielschichtige Figuren sucht, sollte sich an anderer Stelle bedienen. Zwar bietet Suspiria einige Anstöße zum Nachdenken, beinhaltet aber nur wenig Tiefe. Über die bereits im Titel angedeutete Analogie zwischen Sex und Tod geht es dann doch nicht hinaus. Wiederlesbarkeit entfaltet der Band aber dennoch dank der Details, die in den eigentlich groben und konservativen Zeichnungen versteckt sind. Zartbesaitete Gemüter und prüde Personen sollten aber nicht in den vaginaförmigen Abgrund blicken. Auch in diesem Punkt richtet sich Suspiria an eine kleine Zielgruppe – die aber mit einem der auf 500 Stück limitierten Exemplare durchaus zufrieden sein dürfte.

 

Artikelbild: © Insektenhaus, Bearbeitung: Melanie Maria Mazur
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

1 Kommentar

  1. Toll, Marc! Gut gemacht! Markierst was als Spoiler, was ich auch gerne entsprechend überspringe, nur um dann am Ende unter der Rubrik ZEICHENSTIL den Tod der Hauptfigur zu verraten. Ganz großes Kino, bist ein echter Held im Rezensionen schreiben. -_-

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